8.
G erade drehte Benno den Schlüssel in seiner Wohnungstür, als sein Handy zu läuten begann. Noch während er eintrat, zog er das Telefon aus der Tasche, schaute aufs Display und musste lächeln, als er Dennis’ Nummer erkannte.
„Hey“, meldete er sich und bekam ein „Auch hey!“ zurück. Weiter vor sich hin lächelnd ging er durch die kurze Diele, streifte sich Schuhe und Jacke ab und ließ sich anschließend mit einem Seufzer der Erleichterung im Wohnzimmer aufs Sofa fallen.
„Bist du gerade nach Hause gekommen?“, fragte Dennis.
„Ja“, bestätigte Benno. „Gott sei Dank!“
„Au weh. So schlimm?“, wollte sein Freund mitfühlend wissen.
„Mhm. An Tagen wie heute frage ich mich wirklich, warum ich ausgerechnet in den Polizeidienst wollte.“
„Hm. Das klingt wirklich ernst. Eigentlich hatte ich ja gehofft, dich heute Abend noch ausführen zu dürfen, aber ich glaube, das verkneife ich mir.“
Benno schloss die Augen und legte schmunzelnd den Kopf auf der Sofalehne ab.
„Na ja“, meinte er. „Ausgehen wäre jetzt wirklich nicht so ganz die Abendgestaltung meiner Wahl, allerdings …“ Er machte eine wohlüberlegte Pause und richtig: „Allerdings was?“, kam prompt die Rückfrage.
„Ich hab mal gehört, es gäbe auch andere Möglichkeiten, sich den Feierabend zu versüßen“, erklärte er und wartete gespannt auf die Reaktion seines Freundes.
„Ach? Echt?“ Benno hörte an Dennis’ Stimme, dass der breit grinste. „Hm. Ich hab keine Ahnung, worauf du anspielen könntest.“
„Tja, dann …“ Mit gespieltem Bedauern seufzte Benno und spürte, wie ein Teil der Anspannung des Arbeitstages dank ihres lockeren Geplänkels von ihm abfiel. „Dann werde ich wohl einfach duschen gehen, eine Tiefkühlpizza essen und mich schlafen legen. Vielleicht gibt’s ja irgendwo im Fernsehen noch einen Film mit irgendeinem heißen Typen und der versüßt mir die Zeit bis zum Einschlafen …“
„Ich bin in zehn Minuten bei dir“, hörte er Dennis noch sagen und dann war die Leitung tot. In einer Mischung aus Amüsement und Zufriedenheit starrte Benno sekundenlang auf das Display seines Telefons. Manchmal erschreckte es ihn noch, wie rasant sich die Beziehung mit Dennis entwickelt hatte. Ihre erste Begegnung lag noch keine drei Monate zurück, doch oft schien es ihm, als würden sie sich seit einer Ewigkeit kennen. Vielleicht war an dem Gerede über Seelenverwandtschaft ja doch was dran, überlegte er, auch wenn das dem rationalen Denker in ihm gehörig gegen den Strich ging.
Aber Dennis hatte von Anfang an eine ganz besondere Wirkung auf ihn gehabt. So sehr, dass Benno zum ersten Mal seit einer Ewigkeit selbst den Wunsch nach körperlicher Nähe, nach Intimitäten und Sex gespürt hatte. Vorher hatte es da zwar auch mal eine Zeit lang einen festen Partner gegeben, Daniel, aber jetzt, wo Benno den direkten Vergleich machen konnte, fühlte sich das, was er damals als Beziehung angesehen hatte, nur noch an wie ein schwacher Abklatsch.
Natürlich bildete er sich nicht ein, dass damit alles in Butter und für alle Zeiten in Stein gemeißelt war, weder was ihre Beziehung noch was sein Trauma betraf, aber die Dinge waren in Bewegung geraten. Auf eine positive Art. Und er war davon überzeugt, dass er selbst alles dafür tun würde, damit dieser Trend sich fortsetzte.
Während seiner Überlegungen hatte Benno den Backofen eingeschaltet und zwei Tiefkühlpizzen aus dem Eisfach genommen. Anschließend war er rasch unter die Brause gestiegen, und gerade, als er sich abtrocknete, schellte es.
Nur mit dem Handtuch um die Hüften ging er zum Türöffner und ließ wenig später Dennis in seine Wohnung.
„Hast du etwa mit deinem Programm schon ohne mich angefangen?“ Dennis grinste und zog Benno nach einer kurzen Musterung in die Arme. „Böser Junge!“ Ein Kuss folgte, der hitzig begann, dann jedoch innig und voller Gefühl weiterging. Benno wurde trotzdem hart dabei, doch er spürte, dass Dennis es nicht eilig hatte. Ihm selbst ging es ähnlich und so lösten sie sich nach einer Weile voneinander und hielten sich nur im Arm, Stirn an Stirn gelehnt, eingehüllt in ein Gefühl wohligen Behagens.
„Hast du schon was gegessen?“, unterbrach Dennis schließlich ihre Versunkenheit.
„Nein“, erwiderte Benno kopfschüttelnd. „Ich hab Pizza rausgelegt und den Ofen vorgeheizt. Willst du auch eine? Sonst pack ich die zweite wieder in die Kühlung.“
„Nö. Kommt mir ganz gelegen“, meinte Dennis und folgte ihm in die Küche. „Ich war auch noch nicht lange zu Hause, als ich vorhin angerufen hab. – Kann ich die mit Thunfisch haben?“, fragte er, als er die Packungen auf der Arbeitsfläche liegen sah.
„Klar.“ Benno lächelte. „Ich mag Salami eh lieber.“ Er befreite beide Pizzen von der Umhüllung und legte sie auf zwei Backbleche, öffnete dann den Ofen und schob sie übereinander hinein. „So.“ Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich Dennis gegenüber auf einen Stuhl am Küchentisch fallen. Seine Erektion flaute langsam wieder ab und er rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht.
„Harter Tag?“, wollte sein Freund wissen.
„Das kann man wohl sagen.“ Benno schüttelte den Kopf. „Es gibt Fälle, da fängst du echt an, an der Menschheit zu zweifeln. Ich meine … das mit Dominik war schon übel und auch die Sache mit dem kleinen Vollmer bekommt unter Garantie keinen Platz unter den Top Ten meiner Lieblingsfälle, aber das, was wir jetzt gerade auf dem Tisch haben …“
„Willst du drüber reden?“, hakte Dennis vorsichtig nach. „Ich weiß“, schränkte er gleich darauf ein. „Du darfst das eigentlich gar nicht und ich will ja auch gar keine Details wissen, aber vielleicht hilft es dir, einfach mal ein paar Gedanken loszuwerden. Dass ich niemandem was darüber verrate, muss ich ja hoffentlich nicht extra betonen.“
„Nein.“ Benno lächelte, streckte die Hand über den Tisch und fasste nach der von Dennis. „Das weiß ich und was das angeht, vertraue ich dir. Es ist nur … Wenn ich mir das Foto von diesem Jungen ins Gedächtnis rufe, dann sehe ich einen jungen Mann, der im Grunde sein ganzes Leben noch vor sich hatte. Angeblich war er ein kluger Kopf, wäre er also hier geboren und aufgewachsen, wer weiß, was aus ihm geworden wäre. Vielleicht hätte er studiert? Vielleicht wäre er Arzt geworden oder Ingenieur, womöglich hätte er sich mit irgendwas einen Namen gemacht, wäre berühmt geworden oder sogar ein Nobelpreisträger. Stattdessen haben ihn seine Eltern rausgeworfen, noch bevor er die Schule fertig machen konnte. Na ja, eigentlich vermute ich, die treibende Kraft dahinter war in erster Linie sein Vater. Und weshalb? Bloß weil er schwul war!“
Benno schwieg kopfschüttelnd.
„Ich nehme an, du redest gerade vom Opfer?“, fragte Dennis vorsichtig nach.
„Ja.“ Benno nickte. „Es stand in der Zeitung. Das Skelett, das wir im Wald gefunden haben, nach der Festnahme von Florian Kolwitz. Der Junge wurde offenbar brutal erschlagen und dann einfach im Wald verscharrt, wie ein Stück Abfall.“
„Krass.“ Dennis drückte Bennos Finger und streichelte mit seinem Daumen über Bennos Handrücken. Der fühlte sich dadurch wieder an die Begegnung mit Dr. Dinnebier erinnert und reflexartig zog er seine Hand zurück.
„Alles okay?“, wollte Dennis stirnrunzelnd wissen.
„Ja, tut mir leid.“ Benno zögerte kurz, dann gab er sich einen Ruck und fasste erneut nach Dennis’ Fingern. „Ich hatte da eine Begegnung der dritten Art. Ein Zeuge, den ich befragt habe, hat mich ziemlich eindeutig angebaggert. Als ich ihm abschließend die Hand gereicht habe, hat er mir, so wie du eben, mit dem Daumen über den Handrücken gestrichen und anzüglich zugezwinkert. Und dabei fand ich den Typen irgendwie … na ja, total abstoßend irgendwie. Also, nicht dass er unattraktiv gewesen wäre, nur … ich weiß nicht, seine Art und so.“ Benno zuckte die Achseln. „Irgendwie war der Kerl gruselig. Und dabei wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht mal alles das, was ich inzwischen über ihn gehört habe.“
Während er geredet hatte, war Dennis’ Miene immer finsterer geworden. Nun konnte er offenbar nicht mehr an sich halten.
„Wie bitte? Du lässt dich von fremden Kerlen anbaggern? Während der Arbeit?“
Benno hielt überrascht den Atem an. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet.
„Nein“, sagte er betont ruhig. „Ich lasse mich nicht anbaggern. Der Kerl hat versucht mich anzumachen und ich habe nicht darauf reagiert, weil ich erstens in einer festen Beziehung bin und zweitens den Typen abstoßend fand. Und wenn ich mich recht entsinne, habe ich auch genau das gerade gesagt.“
Dennis presste die Lippen zusammen und seine Augen blitzten.
„Das ändert ja wohl nichts an der Tatsache, dass irgendein fremder Kerl versucht hat, seine Griffel an dich zu legen, oder? Erwartest du, dass mir das gefällt?“
„Nein. Aber ich erwarte, dass du mir vertraust“, konterte Benno entschieden. „Abgesehen davon möchte ich dich drauf aufmerksam machen, dass du mich auch im Rahmen meiner Arbeit angebaggert hast, wie du es gerade so nett umschrieben hast.“
Dennis blinzelte und zuckte zurück, wollte seine Hand aus der von Benno ziehen, doch der hielt sie fest umklammert.
„Hey? Ich finde es ja einerseits sehr schmeichelhaft, dass du wegen mir eifersüchtig bist, aber dazu besteht wirklich überhaupt kein Grund, okay? Ich hab ehrlich nicht das geringste Interesse an irgendwelchen anderen Kerlen, schon gar nicht an diesem speziellen. – Allerdings auch nicht daran, mich jedes Mal, wenn irgendwer mich anzumachen versucht, dafür vor dir zu rechtfertigen. Ich liebe dich und bin mit dir zusammen. Nur mit dir. Punkt.“
„Tut mir leid.“ Dennis senkte den Blick. „Ich bin ein Idiot.“ Er hob den Kopf. „Aber ich muss zugeben, ich bin eifersüchtig. Sehr sogar. Das soll nicht heißen, dass ich dir misstraue, aber all den anderen Kerlen da draußen traue ich kein Stück über den Weg. Immerhin müssten die ja alle mit Blindheit geschlagen sein, wenn sie nicht schnallen, wie verdammt attraktiv und sexy du bist!“
Benno hob die Brauen.
„Okay, okay“, gab Dennis nach. „Ich werde mich bessern, versprochen.“
Benno stand auf und kam um den Tisch herum, beugte sich zu seinem Freund und küsste ihn. Gleich darauf schnupperte er und drehte den Kopf in Richtung Herd.
„Die Pizzen sind fertig“, sagte er. „Lass uns erst mal was essen, okay?“