Epilog
M ein lieber Schwan“, sagte Gruber kopfschüttelnd, als Benno Hand in Hand mit Dennis eintrat. „Dich kann man aber auch nicht allein lassen, was? Kaum lege ich mich mal in ein Krankenhaus, sprengst du im Alleingang einen Menschenhändlerring, jagst eine Waldhütte mit Benzin in die Luft und deckst ein Mordkomplott auf.“
Benno stutzte einen Augenblick, doch das Funkeln in Grubers Augen bewies, dass das Gesagte nicht wirklich ernst gemeint war.
„Na, ganz so spektakulär, wie du es darstellst, war das Ganze nun auch wieder nicht. Und falls du es vergessen hast, warst du selbst auch nicht unerheblich an den Ermittlungen beteiligt“, bemühte er sich darum, das Ganze etwas zu relativieren.
Sein Partner belegte das Krankenzimmer im Augenblick wieder allein, das zweite Bett war mit einer durchsichtigen Folie abgedeckt und Benno ließ sich auf dessen Kante nieder, während Dennis den einzigen Stuhl heranzog und sich ebenfalls hinsetzte.
„Immerhin reicht es schon seit zwei Tagen für die Titelseite der Tageszeitung und in den regionalen Nachrichten kam auch was darüber.“ Gruber deutete auf eine Ausgabe des örtlichen Lokalblattes, die auf seinem Nachttisch lag. Benno nickte seufzend.
„Ja, Steiner rotiert schon die ganze Zeit und scheint nicht so recht zu wissen, ob er uns nun loben oder zur Schnecke machen soll.“
„Wieso zur Schnecke machen?“ Gruber hob fragend die Brauen.
„Na ja“, meinte Benno und kratzte sich an der Stirn. „Es scheint ihm nicht wirklich zu schmecken, dass sein unmittelbarer Vorgänger da mit drinhängt und auch wenn ich ihm weiß Gott nichts unterstellen will, glaube ich trotzdem, es wäre ihm lieber gewesen, die ganze Geschichte wäre da geblieben, wo sie all die Jahre über war: unter dem Teppich.“
„Hm.“ Gruber zuckte die Achseln. „Okay, also mal alles andere außen vor gelassen – tauschen möchte ich mit ihm gerade sicher nicht. Ich meine, Korruption in einer staatlichen Behörde ist immer ein gefundenes Fressen für Journalisten und hier handelt es sich nicht bloß um einen kleinen Polizeibeamten, sondern auch noch um einen Staatsanwalt! Einen erzkonservativen obendrein! War klar, dass die Presse sich darauf stürzen würde. Aber jetzt erzähl doch erst mal, wie das genau gewesen ist? Wenn ich die Zeitungsartikel richtig verstanden habe, hat also Gert Wiedebrück den kleinen Gazizow erschlagen?“
„Genau.“ Benno nickte. „Der alte von Froning hat ihn offenbar auf den armen Kerl angesetzt, nachdem Scholz bei Dinnebier zu Hause aufgekreuzt ist und ihn ein bisschen unter Druck gesetzt hat. Dinnebiers Sohn hat die Chose mitbekommen und sich um Unterstützung an seinen Großvater gewandt, weil er wohl Schaden von der Familie abwenden wollte und gehofft hat, sein Opa könnte die Angelegenheit regeln. Was der junge von Froning damals wiederum nicht wusste, war, dass sein heiß geliebter Großvater eine der zentralen Figuren in der ganzen Geschichte und einer der leitenden Köpfe dieses Menschenhändlerrings war. Unter anderem hatte er auch Kevin Janowski, den damaligen Partner von Scholz, auf seiner Gehaltsliste stehen. Der hat wohl irgendwann mal den Fehler gemacht, Geld von Wiedebrück anzunehmen, dafür, dass er bei dessen illegalen Aktivitäten beide Augen zudrückt. Leider hat er sich damit aber auch selbst erpressbar gemacht. Was lag also näher für von Froning, als Janowski auszuquetschen und für seine Zwecke einzuspannen?“
„Logisch“, brummte Gruber mit finsterer Miene. „Und weil Scholz aus Sorge vor Verfolgern jedes Mal den Umweg über Janowskis Wohnung genommen hat, wenn er Ahmad in der Waldhütte aufsuchte, war es für seinen Partner ein Leichtes, den Jungen aufzuspüren, indem er Scholz unauffällig folgte, richtig?“
„Ich schätze ja.“ Benno nickte erneut. „Zumindest hat Janowski es so erzählt. Er ist übrigens bis jetzt der Einzige aus diesem Trio Infernale , der plaudert. Er hat zugegeben, dass er die Akte beschafft hat und auch, dass er versucht hat, das Heft von Ahmad aus meinem Schreibtisch zu klauen. Dabei ist er offenbar von einem Kollegen gestört worden, ansonsten hätte er es wohl noch geschafft. Wenn wir dieses Heft nicht hätten, würden wir bei den meisten Dingen übrigens immer noch ziemlich im Dunkeln tappen. Leilas Übersetzung hat einige neue Anhaltspunkte ergeben. Unter anderem auch ein paar Namen von Personen, die im Laufe der letzten fünf Jahre als vermisst gemeldet worden sind. Sie sind offenbar auch getötet worden. Die beiden von Fronings und die übrigen Verdächtigen mauern bislang noch und verschanzen sich hinter ihren Anwälten. Aber du kennst Steiner“, ergänzte er. „Wenn der sich mal in einen Fall verbissen hat, lässt er nicht locker. Ich mache mir also Hoffnungen, dass wir zumindest im Mordfall Gazizow was Handfestes erreichen. Vielleicht nicht unbedingt das, was ich mir wünschen würde, aber es wäre ein Anfang. Zumal die Abteilung für Wirtschaftskriminalität des LKA gerade erst angefangen hat, von Fronings Finanzen und Geschäfte unter die Lupe zu nehmen.“
„Und wer hat Frau Rasulow nun überfallen? Wisst ihr das schon?“
Benno grinste schief.
„Na ja, es gab eine Gegenüberstellung und Leila hat Frederick von Froning ziemlich eindeutig identifiziert. Oder besser gesagt, seinen Duft. Scheinbar ist er der Einzige im Kreis aller Beteiligten, der ein bestimmtes, ziemlich teures Aftershave benutzt, das sie während des Überfalls gerochen hat. Zugegebenermaßen kein Beweis, aber zumindest ein sehr starkes Indiz. Wir werden sehen. Andererseits würde das aber wiederum zu der Frage führen, inwieweit Frederick von Froning über alles Bescheid wusste. Wenn er tatsächlich derjenige ist, der Leila überfallen hat, spricht das dafür, andererseits hat er, laut der Aussage seiner Mutter, seinem Vater nach Scholz’ erstem Besuch heftige Vorwürfe gemacht und ihn unter anderem als Perversen bezeichnet, der – ich zitiere: weder seine Triebe noch seinen Schwanz unter Kontrolle hätte. Ist es unter diesem Aspekt noch glaubhaft, anzunehmen, dass er über die Umtriebe des eigenen Großvaters im Bilde war?“
Gruber schwieg und schien nachzudenken.
„Haben Dinnebier und sein Schwiegervater denn gemeinsame Sache gemacht, was denkst du? Also, ich meine, wusste der Zahnarzt, dass der Vater seiner Frau einer der führenden Köpfe dieser ganzen Menschenhändlerclique ist?“
Benno zuckte die Achseln.
„Tja, das ist eines der Dinge, die wir noch nicht abschließend sagen können. Ich halte es zumindest für wahrscheinlich.“
„Was meint der Alte denn selbst dazu?“
„Wie schon gesagt: nichts.“
„Also, ich würde sagen, das eine schließt doch das andere nicht aus“, meldete sich nun Dennis zu Wort.
„Wie meinst du das?“, wollte Benno wissen.
„Na ja …“ Nun war es an seinem Freund, mit den Schultern zu zucken. „Dieser Frederick scheint doch genau wie sein Großvater sehr in einer … na, sagen wir erzkonservativen Denkweise verhaftet zu sein, richtig? Also in dem Sinne, dass er sich selbst und alle, die mindestens ein von im Namen tragen, als per se für was Besseres hält, für anderen, gewöhnlichen Sterblichen überlegen.“ Er malte mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft, während er Gruber und Benno fragend anblickte, worauf die beiden nickten. „Außerdem ist sein Opa ja wohl in gewisser Weise so eine Art Idol für ihn, zumindest wenn ich euch richtig verstanden habe. Was wiederum bedeuten könnte, dass Opa schon mal von Haus aus nichts falsch macht – jedenfalls nicht in den Augen seines Enkels. Erst recht nicht, wenn er mit seinem Tun lediglich die Bedürfnisse des Pöbels befriedigt. Denn das bedeutet ja nicht, dass er sich mit denen auf eine Stufe stellt, sondern nur, dass er kapiert hat, wie er sie sich zunutze machen kann. Was als Adliger ja wiederum sein gutes Recht ist. Versteht ihr?“
„Ich glaube, ich verstehe, worauf du hinauswillst.“ Gruber nickte versonnen. „Aber da setzt du voraus, dass der alte von Froning sich nicht auch selbst an seinen Pferdchen bedient hat.“
„Nicht unbedingt“, widersprach Benno und schüttelte den Kopf. „Wichtig war in dem Zusammenhang ja nur, dass Frederick glaubt , dass er es nicht tut. Damit sein Heiligenschein in den Augen des Jungen keine Kratzer bekommt.“ Er seufzte. „Allerdings ist das vorläufig alles nur Spekulation. Wie schon erwähnt, da liegt noch jede Menge Arbeit vor uns.“
„Oh Mann!“ Gruber schnaufte. „Lasst uns um Himmels Willen das Thema wechseln, ich kriege Kopfschmerzen von so viel Doppel- und Dreifachmoral!“
„Okay.“ Benno nickte. „Wann steht denn nun dein Herzkatheter an?“
Sein Partner verzog das Gesicht.
„War ja klar, dass du darauf herumreiten würdest“, grummelte er. „Ich habe mit dem Arzt darüber gesprochen und er meinte, es wäre einigermaßen dringend. Am liebsten möchte er mich sofort auf seine Schlachtbank zerren.“
„Und? Was hindert dich?“ Benno grinste, war jedoch unerbittlich.
„Was hindert dich daran, dir endlich einen Termin bei einem Seelenklempner zu machen?“, schoss Gruber zurück.
„Nichts“, erwiderte Benno und grinste achselzuckend. „Nächste Woche ist mein erster Termin.“
„Du hast …?“ Gruber klappte die Kinnlade runter. „Ist das dein Ernst?“ Benno nickte. Sein Partner blickte zwischen ihm und Dennis hin und her und deutete schließlich mit dem Finger auf Bennos Freund. „Du hast dafür gesorgt, richtig?“
Doch Dennis legte grinsend den Arm um Bennos Schulter.
„Nope“, sagte er. „Die Idee hatte Benno ganz allein und auch den Termin hat er selbst ausgemacht.“ Er hauchte Benno einen raschen Kuss auf die Wange. „Hast du was dagegen, wenn ich es ihm erzähle?“, fragte er leise.
„Nur zu.“ Benno lachte.
„Wir überlegen ernsthaft, ob wir zusammenziehen. Also, zuerst nur auf Probe, versteht sich, aber wenn es gut läuft, dann …“
Gruber hob sichtlich überrascht die Brauen.
„Na, das nenne ich mal Neuigkeiten. Wann habt ihr das denn entschieden? So lange bin ich doch noch gar nicht hier im Krankenhaus.“
„Tja …“ Benno zuckte die Achseln. „Manchmal dauert es ewig, bis man eine Entscheidung fällt, und manchmal geht es ruckzuck.“
„Und …“ Grubers Blick wanderte zwischen ihnen hin und her. „Wie fühlst du dich damit?“
„Gut“, erwiderte Benno, ohne darüber nachdenken zu müssen. „Gut und richtig.“
Und genau so war es auch: Gut und richtig. Absolut.
Ende