Schöne neue Welt
»Mr. Dunleavy wird gleich bei Ihnen sein. Bitte, machen Sie es sich bequem – möchten Sie in der Zwischenzeit vielleicht einen Drink?«
Der Assistent – vermutlich ein Beta - war die Zuvorkommenheit in Person und wies mit einer devoten Geste hinüber in die Sitzecke mit der teuren weißen Ledergarnitur. Echtes Rentierleder, soweit Luther wusste.
In früheren Zeiten durchaus alltäglich, heutzutage dagegen praktisch unerschwinglich, da die Tiere in freier Wildbahn seit Langem offiziell ausgestorben waren. Und vermutlich hatte Michael Dunleavy es aus genau diesem Grund ausgesucht: Um Geschäftspartner und Besucher angemessen zu beeindrucken. Es würde zu ihm passen …
Das Verhalten des Assistenten reizte Luther, obwohl er wusste, dass der Mann nichts für die Verspätung seines Chefs konnte und er beschloss ihn ein wenig zu triezen. Er reckte sich sehr gerade, musterte den jungen Mann vor sich mit einem wohl berechneten überheblichen Gesichtsausdruck und erwiderte: »Mr. Dunleavy hat mit mir eine Verabredung für fünfzehn Uhr getroffen, jetzt ist es bereits sieben Minuten später. Ich habe meine Zeit nicht gestohlen und mit einem simplen Drink lasse ich mich ganz sicher nicht abspeisen.«
»Gewiss, Sir. Ganz wie Sie wünschen«, sagte der Assistent, ohne sich das Geringste anmerken zu lassen. Mike hatte eine gute Wahl getroffen. »Mr. Dunleavy lässt Ihnen ausrichten, er ist untröstlich, was seine Verspätung betrifft und er hofft, Sie werden es ihm nachsehen. Vor fünf Minuten habe ich mit ihm gesprochen und er bat mich, Ihnen zu sagen, er werde innerhalb der nächsten Viertelstunde ganz sicher hier sein und der Grund für seine Bitte ihn aufzusuchen, sei unter Garantie jede Minute Wartezeit wert.«
»Das will ich aber auch hoffen«, knurrte Luther Mahoney und seufzte dann. Er war von Natur aus einfach nicht arrogant genug, um diese Maske lange aufrechtzuerhalten, wenn sein Gegenüber es nicht verdiente. »Und ich nehme einen Scotch. Ohne Eis.«
Der junge Mann nickte beflissen, eilte zu einem flachen Panel in der Wand und drückte auf ein paar Knöpfe. Nur Augenblicke später kam er zurück und reichte Luther den gewünschten Drink.
»Bitte sehr, Sir.«
Mit dem Glas in der Hand ließ Luther sich nun doch in die Ledergarnitur sinken, nippte an seinem Scotch und genoss sowohl die unerwartete Pause in seinem Alltag, wie auch den Ausblick aus den Panoramafenstern. Sie befanden sich hier oben im 233. Stock von Dunleavy Enterprises
und die Aussicht war fantastisch. Über dieser Etage befand sich lediglich noch das zweistöckige Penthouse, welches Michael Dunleavy privat bewohnte, und so hoch waren nur noch sehr wenige der umliegenden Gebäude.
Die Stadt Heaven
war keine Metropole, wie beispielsweise Serendipity
, die weiter östlich gelegene Hauptstadt, vergleichsweise sogar eher klein, doch sie stellte von hier oben eine einladende Mischung aus hellen Cremetönen und Grün jeglicher Schattierung dar und breitete sich in der klaren Luft deutlich sichtbar vor Luthers Augen aus, so weit er sehen konnte. Die sandfarbene Ödnis, die sich darum schloss, war in der Ferne, jenseits jeglichen bebauten Geländes, bestenfalls zu erahnen. Von hier oben wirkte die Stadt fast wie ein wunderschönes, glitzerndes Juwel.
Seit der Welt das Erdöl ausgegangen war, hatte sich zumindest die Qualität der Atemluft drastisch gebessert. Luther kannte einige der wenigen erhalten gebliebenen historischen Bilder und Videos aus früheren Metropolen, wo Abgase und Schmutz als dicke Dunstglocken über den Straßen hingen und die Menschen zeitweise nur noch mit Atemmasken vor die Tür gehen konnten. Nach allem, was er wusste, war das Leben in den Großstädten der damaligen Zeit vor allem eines gewesen: laut, dreckig und ungesund.
Heute war das anders.
Nachdem in der Mitte des 21. Jahrhunderts die Erdölreserven der Erde dramatisch zur Neige gegangen waren, ohne dass man bis dahin eine praktikable – und vor allem bezahlbare – Alternative gefunden hatte und der Preis für Rohöl auf dem Weltmarkt buchstäblich explodierte, waren politische Unruhen und Bürgerkriege überall auf dem Planeten aufgeflammt. Nicht, dass vorher nur Friede und eitel Sonnenschein geherrscht hätten, aber die Verknappung des fossilen Brennstoffs sorgte damals für zusätzliche Spannungen, denn im Kampf um die kostbare Ressource war sich jeder ausschließlich selbst der Nächste gewesen – und das galt für einzelne Ölmultis ebenso wie für ganze Nationen und deren Regierungen. Am Ende mündete das Ganze in einen gigantischen, weltumspannenden Krieg, der kaum mehr einen Stein auf dem anderen ließ und die menschliche Rasse an den Rand der Auslöschung brachte.
Allianzen bildeten sich und zerfielen in atemberaubender Geschwindigkeit, wodurch man schließlich kaum noch wusste, wer Freund war und wer Feind. Schließlich kämpfte jeder gegen jeden und die Verlierer waren wie immer keine Völker, sondern schlicht und ergreifend die gewöhnlichen Leute überall auf der Welt.
Ganze Landstriche wurden durch den Einsatz atomarer, chemischer und biologischer Kampfstoffe entvölkert und waren bis heute wüst und unfruchtbar, Hunger bereitete den Nährboden für Seuchen und als nach drei Jahren Krieg die wenigen Überlebenden endlich in der Lage waren, das Ruder herum zu reißen, hatten mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung ihr Leben bereits verloren und auch der Rest schrumpfte in den Nachwehen noch einmal beträchtlich.
In den folgenden Jahrzehnten gelang es demzufolge nur sehr langsam, das wiederaufzubauen, was der Krieg zerstört hatte, und viele der Gegenden, die früher dicht besiedelt gewesen waren, lagen noch heute brach, waren für immer verloren, weil vergiftet und unrettbar verseucht.
Dafür entstanden neue Städte, wie zum Beispiel Luthers Heimatstadt Heaven,
jedoch keine zufälligen Ansiedlungen, sondern bewusst und mit Bedacht angelegt, rund um sogenannte Aquaspots, Orte, wo es noch sauberes, ungiftiges Wasser gab, wo es möglich war, Tiere und Pflanzen zu züchten, welche den Nahrungsbedarf der Menschen zu versorgen imstande waren. Außerhalb dieser Aquaspots fand man über riesige Strecken kaum eine Spur von Leben in Form von Pflanzen oder Tieren, geschweige denn anderen Menschen.
So verfielen die Reste der einstigen Metropolen im Laufe der Jahrhunderte zusehends und wenn die neu errichteten Siedlungen auch zu Anfang vergleichsweise primitiv anmuteten, so blühten sie doch ganz allmählich auf und in langsam größer werdenden Schritten hielt auch der technische Fortschritt erneut Einzug. Errungenschaften aller Art fanden aufs Neue ihren Platz und mittlerweile, man schrieb das Jahr 2323, war die Menschheit, was Technologie und Wissenschaft anging wieder auf einem hohen Level angelangt, dem von vor dem Krieg vergleichbar. Man hatte gelernt, Ackerflächen und Viehweiden unterirdisch anzulegen, obwohl es natürlich aufwendig war, die dafür benötigten Bedingungen künstlich zu erzeugen. Doch an der Oberfläche war rund um die Aquaspots nun mal nicht ausreichend Platz für eine wachsende Population und
die Produktion von Nahrung. Manches, wie beispielsweise Fleisch, stellte man inzwischen natürlich auch künstlich her und deckte auf diese Weise den Bedarf an erschwinglicher, proteinhaltiger Nahrung in ausreichendem Maße, doch gerade in der Oberschicht waren synthetische Lebensmittel verpönt und wurden naserümpfend als »Unterschichtenfraß« abgetan. Bei den meisten Alphas stand selbstverständlich echtes Fleisch auf dem Speisezettel, genau wie Michael Dunleavy eben echtes Rentierleder für sein Büro bevorzugt hatte. Alles drehte sich darum, andere angemessen zu beeindrucken … Luther seufzte. Manchmal ging ihm dieses Getue gehörig auf die Nerven.
Ebenfalls aus der Zeit des Wiederaufbaus stammte die Einteilung der Menschen in verschiedene Kasten, in Alphas, Betas, Gammas und Deltas. Ursprünglich entstanden aus dem Gedanken, Menschen bei der allerorten herrschenden Ressourcenknappheit in verschiedene Gruppen, je nach ihrer Wichtigkeit für die Allgemeinheit, einzuteilen, hatte man dieses System später, als es endlich wieder genug für alle gab, beibehalten. Bis zum heutigen Tage hatte sich dieses Kastenwesen jedoch zu etwas gänzlich anderem entwickelt, etwas, was bei Weitem nicht alle Menschen guthießen – Luther eingeschlossen.
Wer, so wie er oder Mike, der Kaste der Alphas angehörte, hatte praktisch uneingeschränkten Zugang zu Ressourcen jedweder Art, zu Bildung und medizinischer Versorgung und war in aller Regel ein Angehöriger der obersten Gesellschaftsschicht mit Geld und Einfluss.
Für die niedrigeren Kasten galt das nicht – je niedriger der Status, umso niedriger auch der Lebensstandard. Wo ein Beta immerhin noch in sauberen und gepflegten Wohnvierteln lebte, als Kind in den Genuss einer anständigen Schulbildung kam, bei Krankheit oder Unfall auf Staatskosten versorgt wurde und nur selten irgendwelche Zukunftsängste ausstehen musste, verschlechterten sich die Bedingungen, je tiefer man in der gängigen Gesellschaftsordnung stand.
Auf den ersten Blick war natürlich meist nicht unbedingt zu erkennen, wer zu welcher Klasse gehörte, doch jeder Mensch bekam kurz nach seiner Geburt einen fälschungssicheren Chip in die Innenseite des linken Handgelenks implantiert und konnte anhand dessen leicht zugeordnet werden. Man wurde in eine Klasse hineingeboren und man gehörte ihr sein ganzes Leben lang an. Unnötig zu erwähnen, dass schwere Strafen darauf standen, sollte man versuchen, den eigenen Chip gegen einen anderen, höherwertigeren auszutauschen, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
Gammas und Deltas vermischten sich häufig miteinander, gelegentlich auch einmal mit Betas, das war schließlich nicht verboten. Es geschah aber so gut wie nie, dass Alphas sich ernsthaft mit Angehörigen niedrigerer Klassen zusammentaten und wenn, dann sorgte es mit Sicherheit für einen ziemlichen Skandal.
Kinder aus gemischten Partnerschaften oder Ehen erhielten stets den Status der Mutter, das war eindeutig festgelegt, und wer überhaupt keine Markierung aufweisen konnte, galt automatisch als Omega – praktisch ein Paria, der eigentlich kein Recht hatte, sich überhaupt innerhalb einer Stadt aufzuhalten.
Die Städte selbst waren in verschiedene Sicherheitszonen aufgeteilt, von denen manche ausschließlich Alphas vorbehalten waren, höchstens Betas hatten hier noch eingeschränkt Zutritt, sofern sie dort arbeiteten und mithilfe von Scannern, die an den bewachten Zugängen der verschiedenen Viertel aufgestellt waren, wurde automatisch der Status jedes Besuchers erfasst. Wer unberechtigt versuchte, einen solchen Scanner zu durchschreiten, wurde von den Sicherheitskräften augenblicklich überwältigt und festgenommen. Es geschah nicht oft, aber eben doch oft genug, dass auch Luther schon mehr als einmal eine solche Situation miterlebt hatte.
Auch das politische System musste nach dem Krieg wiederhergestellt werden. Anfangs regierte unter den Überlebenden noch das reine Faustrecht, mit sämtlichen negativen Begleiterscheinungen, glücklicherweise hielt aber mit steigendem Fortschritt auch der Demokratiegedanke erneut Einzug und mittlerweile gab es ein gefestigtes Regierungssystem, in welchem ein gewähltes Gremium aus sogenannten Hohen Räten die Geschicke der Nation lenkte.
Vor dem Krieg hatte das Land aus einem Bund von über 50 Staaten bestanden und sich über nahezu den gesamten Kontinent erstreckt. Heute waren es noch 16 bewohnte Regionen mit jeweils bis zu zehn unterschiedlich großen Städten, welche sich darauf geeinigt hatten, als eine Nation zu agieren. In Europa hatte man sich an diesem Modell orientiert, dort gab es insgesamt noch acht bewohnte Regionen, in Afrika vier und Asien war nahezu komplett entvölkert. Soviel Luther wusste, gab es dort keine einheitliche Regierung, sondern man war zu einer Art Feudalsystem mit mehreren, unabhängig voneinander auftretenden Warlords zurückgekehrt. Nachrichten von dort waren spärlich und alles andere als ermutigend. Offenbar gestaltete sich das Leben dort primitiv und gefährlich …
Ursprünglich hatte hierzulande jede Kaste aus jedem der 16 Bezirke des Kontinents einen Vertreter bestimmt, sie in die Hauptstadt entsandt und diese Leute bildeten dann ein Parlament, welches wiederum einen aus ihrer Mitte zum Obersten Hohen Rat ernannte.
Doch im Laufe der Zeit hatte sich auch dieses System wieder verändert und inzwischen gehörten der Regierung nur noch Alphas an, die zwar offiziell das Wohl aller Bürger im Auge haben sollten, aber oft genug recht einseitig zugunsten der Oberschicht agierten und voller Geringschätzung auf die niederen Kasten herabsahen.
Luther hatte schon manches Mal spekuliert, dass es wohl einfach in der Natur des Menschen begründet lag, sich über andere zu erheben zu wollen. In zurückliegenden Jahrhunderten hatte es dafür ja bereits unzählige Beispiele gegeben. Die Unterdrückung der Ureinwohner des Kontinents nach seiner Entdeckung durch die Europäer war nur eines davon. Weiße erhoben sich über Indianer, dunkelhäutige Menschen wurden jahrhundertelang als Sklaven gehalten, selbst in den modernen Staaten späterer Zeiten herrschte oft genug nur auf dem Papier eine Chancengleichheit. Gleichgültig, ob es Flüchtlinge aus fremden Ländern gewesen waren, Menschen mit einem anderen Glauben oder von der allgemeinen Norm abweichender sexueller Orientierung, immer und immer wieder war es auf ein und dasselbe hinausgelaufen: Menschen wollten sich anderen Menschen überlegen fühlen, indem sie sich selbst einen überhöhten Wert zuschrieben und für besser hielten als andere. Und nicht einmal ein Weltkrieg, der die Menschheit an den Rand der vollständigen Vernichtung geführt hatte, war in der Lage gewesen, das zu ändern.
Manche Ungerechtigkeiten hatte man im Laufe der Jahrhunderte ausgemerzt, wie beispielsweise die Abwertung gleichgeschlechtlicher Liebe, dafür waren andere aufgeblüht, wie eben die Geringschätzung Angehöriger niedrigerer Kasten. Als ob irgendjemand es sich aussuchen konnte, innerhalb welcher Kaste er geboren wurde?
Der Energiebedarf der verbliebenen Menschheit wurde inzwischen seit mindestens 100 Jahren komplett durch Solartechnik, Erdwärme und Windkraft gedeckt, was man einigen bahnbrechenden Erfindungen auf dem Gebiet der Energiespeicherung verdankte. Dadurch war es möglich geworden, die erzeugte Energie auf nahezu unbegrenzte Zeit und praktisch ohne Verlust, aufzubewahren und immer dann ins Netz einzuspeisen, wenn sie gebraucht wurde.
Fahrzeuge profitierten ebenfalls von dieser Entwicklung und waren im Gegensatz zu früheren Zeiten sauber und fast vollkommen geräuschlos unterwegs. Und auch das Problem der verstopften Straßen früherer Jahrhunderte hatte man inzwischen gelöst. Autos und andere Transportmittel kamen ohne Fahrer aus und funktionierten dank einem ausgeklügelten Verkehrsleitsystem annähernd perfekt.
Einen eigenen Wagen konnten sich zwar nur noch Menschen der allerobersten Klasse leisten, doch die öffentlichen Verkehrsmittel waren dafür kostenlos und glichen diesen vermeintlichen Mangel wieder aus. Außerdem konnte man über eine Zentrale jederzeit einen Mietwagen ordern, was ebenfalls für einen Großteil der Bevölkerung erschwinglich war.
Einzig das Militär und die Sicherheitsbehörden verfügten noch über Fahrzeuge, die von Menschenhand gesteuert werden und vollkommen unabhängig vom System fahren konnten.
Aber natürlich gab es auch jene, die nicht einmal im Entferntesten in den Genuss all dieser Annehmlichkeiten kamen. Menschen, die weder Geld, noch Zugang zu jeglicher Form von Luxus hatten und mochte er auch noch so bescheiden sein. Menschen, die außerhalb der eigentlichen Städte hausten, in primitiven Hütten, Slums, oder Gettos, in denen das Gesetz des Stärkeren galt. Und der größte Anteil der dort hausenden Menschen war vor dem Gesetz nicht einmal das: Menschen.
Sie waren Ausschussware, Lebewesen zweiter oder dritter Klasse, die sich nichtsdestotrotz dort draußen vermehrten und langsam aber sicher zu einer Bedrohung für die Randbezirke der Städte wurden: die berüchtigten Omegas. Vor allem aber waren sie eines: die Überbleibsel eines der dunkelsten Kapitel der menschlichen Geschichte.
Bereits vor dem letzten weltumspannenden Krieg hatten Forscher sich mit der Möglichkeit befasst, Menschen zu klonen. Mit zunächst niederschmetternden Ergebnissen. Dann kam der Krieg und die Forschungen zur künstlichen Reproduktion des Menschen kamen zum Erliegen.
Nachdem der Staub sich jedoch gelegt hatte und der Wiederaufbau allmählich Fortschritte machte, gelang einer Handvoll junger Wissenschaftler der große Durchbruch, welcher es ihnen nicht nur ermöglichte, Lebewesen zu klonen, die eine exakte – und vor allem gesunde - Kopie ihrer Vorbilder waren, sondern darüber hinaus senkten sie die vorgeburtliche Verlustrate praktisch auf null. Nachdem das erst einmal erreicht war, ging es schnell. Innerhalb kürzester Zeit war man nicht nur in der Lage, auf eine Mutter aus Fleisch und Blut zu verzichten, sondern es gelang auch, ein kontrolliert beschleunigtes Wachstum auszulösen, sodass die Klone innerhalb weniger Monate körperlich ausgewachsen waren – der Massenproduktion war somit Tür und Tor geöffnet. Man forschte weiter und wiederum dauerte es nur wenige Jahre, bis man eine Art Baukastensystem entwickelt hatte, welches erlaubte, Klone komplett nach den Wünschen und Vorgaben eines Kunden zu designen, wogegen zwar anfangs noch einige Aktivistengruppen protestierten, was sich aber trotzdem schon sehr bald allgemein durchsetzte.
Die wissenschaftliche Elite feierte sich selbst, trunken vor Euphorie über diese Erfolge, worauf es kaum ein weiteres Jahr dauerte, bis auch die ersten Menschen geklont wurden und dann lediglich noch ein paar Monate, bis zwielichtige Elemente darauf kamen, diese neuen Möglichkeiten für sich gewinnbringend zu nutzen.
Klone besaßen keinen rechtlichen Status, hatten keine Lobby, und der Bedarf an Arbeitskräften für den Wiederaufbau war noch immer hoch. Klonzentren schossen wie Pilze aus dem Boden und eine neue Form der Sklaverei erwuchs daraus, die zwar glücklicherweise nach wenigen Jahrzehnten infolge wachsender Proteste von Seiten der niederen Kasten, welche durch die Klone schließlich und endlich Arbeit und damit ihre Lebensgrundlage gefährdet sahen, wieder verschwand. Die Regierung musste sich dem Druck der Massen beugen und erließ am Ende neue Gesetze, die die künstliche Erzeugung von Menschen und auch den Handel mit diesen verboten und unter strenge Strafen stellten. Zigtausende von Klonen waren damit zwar frei, aber als den Menschen ebenbürtig wollte man sie nicht anerkennen.
Sie kehrten daraufhin den Städten, sei es aus eigenem Antrieb oder unter Zwang, praktisch ausnahmslos den Rücken und fristeten ihr kümmerliches Dasein außerhalb derselben, so wie es ihre Nachkommen heute noch taten, denn den Omegas war der Zutritt zu den Städten nach wie vor nicht gestattet. Man hatte wohl einst gehofft, die Klonabkömmlinge würden außerhalb der Städte zugrunde gehen und das »Problem« wäre damit gelöst, doch stattdessen gab es sie noch immer und sie waren inzwischen um ein Vielfaches zahlreicher als zuvor.
Das Ende der Ära legalen Klonens lag nun fast ein Jahrhundert zurück und seither war die künstliche Reproduktion von Menschen so strikten Auflagen unterworfen, dass es praktisch überhaupt nicht mehr stattfand. Zumindest nicht offiziell.
Luther machte sich keine Illusionen, dafür war er selbst zu sehr Geschäftsmann. Wo es eine Möglichkeit gab, viel Geld zu verdienen, da wurden Gesetze schon mal gerne außer Acht gelassen. Mischte man dann noch ausreichend Einfluss in die Gleichung, drückten Behörden bereitwillig beide Augen zu. Zwar hatte er selbst nie im Klongeschäft mitgemischt und hatte es auch nicht vor, aber er ahnte, dass das längst nicht für alle seine Geschäftspartner und Freunde galt. Er fragte nicht danach, denn er wollte es nicht wissen. In seinen Augen war es verabscheuungswürdig, Menschen zu züchten, um sich an ihnen zu bereichern, indem man sie verschacherte, doch als Alpha und Inhaber eines eigenen Unternehmens unterlag auch er gewissen Abhängigkeiten, weshalb er es vorzog, es den Behörden gleich zu tun und die Augen vor der Wahrheit zu verschließen, obwohl sein Gerechtigkeitssinn protestierte.
In letzter Zeit war in den Medien neben den Meldungen über neue Terrorakte einer Organisation, die sich Military Clone Forces
, abgekürzt MCF,
nannte und die seit einiger Zeit mit Forderungen und Bombenanschlägen von sich reden machte, gelegentlich von illegalen Kloncentern die Rede, die augenscheinlich sogar von eben diesen Omegas betrieben wurden und gegen die von der Inneren Sicherheit mit unerbittlicher Härte vorgegangen wurde. Luther fand es angesichts der Historie zwar merkwürdig, dass ausgerechnet Klonabkömmlinge wiederum neue Klone für kommerzielle Zwecke erschaffen sollten, aber im Grunde interessierte es ihn auch nicht, welche Beweggründe die Omegas für ihr Handeln hatten.
Die Innere Sicherheit, eine Behörde, welche allen anderen Ordnungsbehörden und Sicherheitsorganen, außer dem Militär, übergeordnet war, hatte vor einigen Wochen einen neuen Chef bekommen, Marcus Donovan, und der inszenierte sich seither als der neue starke Mann, welcher dem Gesetz Geltung verschaffte, ohne Ansehen der Person oder des Status. So sehr er diese Einstellung eigentlich begrüßte, war sich Luther trotzdem nicht sicher, was er von ihm halten sollte, kannte ihn allerdings auch nicht persönlich.
In den Meldungen wurde nie etwas darüber berichtet, was mit den Klonen passierte, die man in den illegalen Zentren vorfand, aber auch hier brauchte man nicht wirklich viel Fantasie. Die Regierung – und vor allem die Innere Sicherheit - hatte unter Garantie wenig bis kein Interesse daran, die Omegas in den Gettos noch weiter zu verstärken, indem man die befreiten Klone auch noch dorthin schickte.
Luther war froh, dass nicht er es war, der über diese armen Geschöpfe zu entscheiden hatte, denn das hätte ihn wohl in ein unlösbares moralisches Dilemma gestürzt. Für so etwas war er zu weich, auch wenn er das im Geschäftsleben stets zu überspielen suchte.
Er seufzte und warf einen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk. Michael war inzwischen fast eine halbe Stunde überfällig und obwohl er ihn zu seinen ältesten und engsten Freunden zählte, ärgerte ihn die Unpünktlichkeit des Mannes. Hätten sie sich nicht seit Monaten überhaupt nicht mehr persönlich gesehen, er wäre vermutlich längst wieder gegangen. Andererseits hatte er seine Zeit wirklich nicht gestohlen …
Luther kippte den letzten Schluck Scotch in sich hinein, stellte das Glas ab und erhob sich, im festen Vorsatz, zu gehen. Immerhin hatte auch er ein Unternehmen zu leiten.
Gerade als er sich mit energischen Schritten der Tür näherte, klickte es leise und sie fuhr beinah lautlos zur Seite. Auf der Schwelle stand ein hochgewachsener, rothaariger Mann im feinen Businesszwirn, über dessen sommersprossige Miene sich jetzt ein breites Lächeln zog.
»Luther, mein Junge! Sorry, dass du so lange warten musstest, aber der Kerl aus dem Ministerium hat so lange gequatscht – ich dachte schon, er hört nie mehr auf!« Er kam ins Zimmer und streckte Luther eine Hand entgegen, während er die andere auf der Schulter des Freundes deponierte.
»Eigentlich wollte ich gerade gehen«, erwiderte Luther und schüttelte die dargebotene Rechte mit einem schiefen Lächeln. »Was gibt es denn so Wichtiges, was nicht bis später warten kann?«
Michael Dunleavy grinste und wandte sich halb um, winkte in Richtung Tür und erst jetzt bemerkte Luther den jungen Mann, der dort stand und schüchtern zu Boden schaute. Er trug eine Art Overall in Weiß, war schlank und recht zierlich für einen Mann. Blondes, schulterlanges Haar floss um sein Gesicht und Luther konnte nicht umhin, ihn interessiert zu mustern. Er war selbst homosexuell und der junge Mann entsprach seinem Typ in fast schon beängstigender Weise. Wenn er jetzt auch noch blaue Augen hatte …?
»Adam?« Michael machte eine Geste in Richtung des Kleinen, worauf dieser den Kopf hob und Luther ein paar Augen in der Farbe von Aquamarinen sehen ließ, beschattet von geradezu unverschämt langen Wimpern.
»Willst du mir den jungen Mann nicht vorstellen?«, brummte er, bemüht, sein Interesse nicht allzu offenkundig zu zeigen. Doch Michael kannte ihn zu gut, als dass er ihm etwas hätte vormachen können.
»Er ist genau dein Typ, richtig?« Luthers Blick flog unter gewölbten Brauen zu seinem Freund. Es war zwar heutzutage kein Problem und keineswegs ungewöhnlich oder anstößig, offen zu seiner Sexualität zu stehen, dieses Stadium hatte die Menschheit glücklicherweise längst hinter sich gelassen, doch derart freizügig bei einer ersten Begegnung damit umzugehen, fühlte sich trotzdem nicht richtig an. Michael deutete seinen erstaunten Blick richtig und winkte lächelnd ab.
»Keine Bange. Adam weiß Bescheid und sei versichert, dass es in seinem ureigensten Interesse liegt, wenn er dir gefällt.«
Das wurde ja immer mysteriöser?
»Mike, sei mir nicht böse, aber – ich habe keinen Schimmer was hier los ist, also sei so gut und klär mich auf, ja?«, bat er. Sein Freund lachte gutmütig.
»Na schön«, erwiderte er. »Obwohl ich zugeben muss, dass ich dich gerne noch ein bisschen länger auf die Folter gespannt hätte.« Und dann, an Adam gerichtet: »Zeig es ihm.« Luther wollte schon fragen, was Michael damit meinte, da drehte der junge Mann sich um, hob mit einer Hand sein Haar und ließ ihn seinen Nacken sehen.
Luther überlief eine Gänsehaut. Was er dort, knapp unter dem Ansatz der feinen, blonden Strähnen sehen konnte, war eine Art Barcode. Automatisch machte er einen Schritt rückwärts.
»Mike!«, entfuhr es ihm. »Er ist ein … Adam …? Er ist …?«, stammelte er geschockt. »Bist du wahnsinnig? Das ist illegal! Wo hast du ihn her, verdammt? Das kann dich in Teufels Küche bringen!«
Michael Dunleavy hob beschwichtigend eine Hand.
»Hey? Jetzt beruhig dich erst mal! Lu? Denkst du wirklich, ich wäre so dumm, Dunleavy Enterprises
und alles was ich mir erarbeitet habe, aufs Spiel zu setzen, hm? - Es ist alles in Ordnung und völlig legal!«
Luther blinzelte.
»Legal? Mike, das ist ein Klon! Und das Klonen von Menschen ist illegal, sofern es nicht im direkten Auftrag der Regierung geschieht! Und das ist schon seit Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen!«
»Ganz recht! Bis heute.« Dunleavy stieß beide Fäuste in seine Taschen, wippte auf den Fersen und grinste, während er offenbar darauf wartete, dass Luther die richtigen Schlüsse zog.
»Soll das heißen, du … du arbeitest jetzt für die Regierung?«, hakte er ungläubig nach. Michael lachte und machte dann eine Geste in Richtung der Sitzgruppe, schob seinen Freund dorthin und bedeutete auch Adam, ihnen zu folgen. Erst als sie alle saßen, bequemte er sich zu einer Antwort.
»Wie du weißt, ist der Markt in der gentechnischen Industrie ziemlich hart umkämpft«, begann er. »Was du nicht weißt ist, dass ich mich bei einigen größeren Deals der jüngeren Vergangenheit leider … nun sagen wir – etwas verkalkuliert habe. Als dann ein Mittelsmann des Militärs an mich herantrat mit der Bitte um eine Unterredung, bezüglich möglicher Geschäfte, habe ich zugestimmt. Anfangs war ich skeptisch, als ich hörte, worum es ging, aber als mir klar wurde, welche Möglichkeiten das Ganze birgt, habe ich begriffen, dass sich mir hier eine einmalige Gelegenheit bietet!«
»Das erklärt noch immer nicht das Geringste, Mike«, wandte Luther ein, doch sein Freund winkte ab und ergänzte: »Nun warte doch mal ab, alter Junge! Gleich wirst du es kapieren! - Also, es verhält sich folgendermaßen: Bist du vertraut mit der Volkoff
-Studie?« Luther runzelte die Stirn.
»Ist das dieses Ding, was die Regierung letztes Jahr in Auftrag gegeben hat, um zu erforschen, wie stark sich die Omegas draußen in den Slums vermehren und ob unserer Gesellschaft durch sie Gefahr droht? Ich erinnere mich dunkel, dass da irgendwas in den Medien war, aber ich gebe zu, dass ich mich damit nicht weiter beschäftigt habe.«
»Exakt«, nickte Michael. »Die Ergebnisse der Studie sind nie vollständig an die Öffentlichkeit gelangt und das aus gutem Grund. Fakt ist nämlich, dass uns sehr wohl Gefahr droht. In den Slums der Vorstädte, in den Gettos der Omegas, formiert sich bereits seit einer Weile beträchtlicher Widerstand gegen das System als solches und gegen die Art und Weise, wie man ihren Bewohnern den Zugang zu allen menschlichen Annehmlichkeiten verwehrt. Der MCF
mit seinen Anschlägen ist dabei nur die Spitze des Eisbergs! Sie fordern Rechte für sich. Rechte, die ihnen die Regierung selbstverständlich nicht zugestehen will. Ich meine, wo kämen wir hin, wenn demnächst dreckige Omegas durch unsere Städte wandern und sie in Müllhalden verwandeln? Wenn sie ihre Krankheiten und Gebrechen mitbrächten, hm?« Luther kniff die Augen zusammen und musterte seinen Freund. Solche Töne hatte der ihm gegenüber noch nie angeschlagen, doch meinte er es wirklich so? Irgendetwas schien in seinem Tonfall zu liegen, das seine abfälligen Worte Lügen strafte. Oder täuschte er sich? Zumindest wirkte Mike eindeutig nervös unter seiner Fassade des jovialen Freundes und Geschäftsmannes. Luther war jedoch nicht sicher, darum hielt er den Mund und wartete ab.
»Das Militär hat meiner Firma den streng geheimen Auftrag erteilt, Soldaten zu erzeugen. Klone, die mittels Wachstumsbeschleuniger in einem Bruchteil der normalen Zeit erwachsen und als zukünftige Kämpfer geeignet sind, zäh, kräftig und gehorsam. Tja, so weit die Theorie, aber du weißt selbst, wie das ist, es läuft nicht immer alles glatt und Adam hier, war so was wie ein … Ausrutscher
, eine Art ungeplantes Versehen. Normalerweise hätte er frühzeitig vernichtet werden müssen, da er den Vorgaben so überhaupt nicht entspricht, aber, stell dir vor, ich hatte nichts Geringeres als eine Eingebung! Man kann es auch Erleuchtung nennen, das ist egal, denke ich. Fakt ist jedenfalls, dass mir diese ganze Sache mit den Klonsoldaten und … dem anderen, wozu ich gleich komme, so viel Geld einbringen wird, dass ich für den Rest meines Lebens nur noch damit beschäftigt sein werde, es auszugeben!« Eine bedeutungsvolle Pause folgte und Luther war nicht sicher, ob er den Rest auch noch hören wollte. Er starrte in das hellhäutige Gesicht seines Freundes und fragte sich, warum er eigentlich überhaupt noch hier saß. Er hatte das Klonen von Menschen und die daraus resultierenden Folgen immer verabscheut und nun stellte sich heraus, dass sein bester Freund darin offenbar nichts anderes sah als eine Methode, um Geld zu scheffeln!
»Eine Gelegenheit«, echote er tonlos. Michael Dunleavy nickte begeistert.
»Aber ja! Und weißt du was? Du warst meine Inspiration dabei!«
»Was? Ich?« Nun klang Luther so entsetzt, wie er sich fühlte.
»Na sicher! Ich meine – wenn man sich mal an frühere Jahrhunderte erinnert, haben wir ja heute schon verdammt viel erreicht. Kein Mensch stört sich mehr daran, ob jemand schwul, lesbisch oder bisexuell ist und auch das Adoptieren von Kindern oder eine Leihmutter ist nichts Illegales mehr. Nur eine Sache, die hat doch immer gefehlt und tut es noch, nicht wahr?« Er sah Luther beifallheischend an. »Kein schwuler Mann konnte bis heute selbst Kinder austragen! Bis heute!« wiederholte er triumphierend.
Luthers Blick wanderte zu Adam. Der Kleine saß scheinbar teilnahmslos da und schaute zu Boden, doch eine zarte Röte färbte seine Wangen. Sollte das etwa heißen …?
»Das hast du nicht getan! Du … Mike! Wenn das das bedeutet, was ich denke, was es bedeutet, dann – bist du total größenwahnsinnig geworden! … Sag, dass das nicht wahr ist«, forderte Luther, doch sein Freund grinste nur und nickte stattdessen.
»Und ob das wahr ist! Nachdem ich das Grundmodell hatte, war nicht mehr sehr viel nötig. Adam hier ist der erste seiner Art, praktisch eine komplett neue Spezies, und wenn der Praxistest erfolgreich verläuft, geht das Modell in Serie. - Hast du eigentlich eine Ahnung, wie viele schwule Kerle mit zu viel Kohle da draußen rumlaufen, die mir einen solchen Klon buchstäblich aus den Händen reißen und trotzdem bezahlen würden, was auch immer ich dafür verlange?«
Luther hob beide Hände.
»Moment! Langsam!«, bat er und sammelte sich einen Augenblick lang. »Also, nur damit ich das richtig verstehe«, sagte er dann, »Adam hier ist ein Klon und du hast ihn tatsächlich so konzipiert, dass er … dass er schwanger
werden kann? Im Ernst?«
»Genau so ist es!« Michael Dunleavy strahlte übers ganze Gesicht.
»Ich könnte mich irren, aber … was zur Hölle hat das mit dem Projekt zu tun, für das deine Firma angeheuert wurde? Das soll legal sein? Mike, wenn sie dir da draufkommen, reißt dir die Innere Sicherheit den Arsch bis zum Stehkragen auf!« Luther bemühte sich, einigermaßen ruhig zu bleiben, doch es fiel ihm schwer.
»Na ja, … es ist vielleicht … nun, nicht ganz das, wofür sie mich angeheuert haben, aber … denk` doch nur an die Möglichkeiten, Lu! Das ist doch fantastisch, oder nicht? Und ich bin sicher, ich kann die zuständigen Stellen überzeugen, das Projekt weiter zu verfolgen! Herrgott, Lu! Hast du eine Ahnung, wie viele von den Hohen Räten selber schwul sind? Und wenn nur die Hälfte von denen auf meiner Seite ist, ist das Ganze so gut wie in trockenen Tüchern!« Und als Luther nichts erwiderte, sondern ihn einfach nur finster anstarrte, fuhr er fort: »Wäre es dir wirklich lieber gewesen, ich hätte mich an die vorgeschriebene Standardprozedur gehalten und den Kleinen im Frühstadium seiner Entwicklung vernichtet?« Mike schaute ihn mit einem regelrechten Welpenblick an und Luther musste sich zusammenreißen, seinen Freund nicht anzubrüllen. Er atmete mehrmals tief durch, ehe er die entscheidende Frage stellte.
»Und was habe ich jetzt damit zu tun?« Sein Freund feixte.
»Ahnst du das nicht?«, grinste Mike, der offenbar glaubte, Luther bereits überzeugt zu haben. »Du, mein Lieber, bist mein Kandidat für den Praxistest.«
Es blieb einen Augenblick völlig still im Raum. So still, dass man die sprichwörtliche Nadel hätte fallen hören können. Dann jedoch sprang Luther ruckartig auf die Füße und baute sich wutschnaubend vor Michael auf.
»Bist du jetzt total übergeschnappt?«, blaffte er und registrierte aus dem Augenwinkel, dass Adam zusammenzuckte. »Wann habe ich jemals was davon verlauten lassen, dass ich Kinder will? Und selbst wenn das der Fall wäre, wie kommst du darauf, dass ich mich für so was
hergeben würde? Hast du dich eigentlich mal gefragt, wie Adam hier dazu steht?« Dunleavys Gesicht schien ehrlich verblüfft.
»Adam? Luther – Adam ist ein Klon! Er wird tun, was man ihm sagt. So ist er konditioniert. Also, wo bitte liegt dein Problem?«
»Wo mein Problem liegt?« Michael fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich werde dir sagen, wo mein gottverdammtes Problem liegt! Hast du vergessen, wieso es geächtet wurde, Menschen zu klonen? Was damals passierte? Es spielt keine Rolle, ob ein menschlicher Embryo im Bauch einer Frau heranwächst oder in einem deiner Inkubatoren – es ist und bleibt ein menschliches Wesen, mit Gefühlen und Bedürfnissen! Und Leute wie du und dieses beschissene Militär degradieren sie zu – Dingen
! Die man besitzen kann! Besitzen, benutzen und nach Bedarf entsorgen und ersetzen! DAS ist mein Problem!«
Michaels Mundwinkel zogen sich nach unten und er zuckte, sichtlich beleidigt, die Achseln.
»Na schön«, sagte er, »wenn du ihn nicht willst, rufe ich eben Marvin an, oder Jonas. Ich bin sicher, die stellen sich nicht so an wie du und nehmen Adam mit Kusshand!«