Kapitel 9

 

Chekov saß am Schreibtisch und verwickelte den Schiffscomputer in eine neue Schlachtsimulation. Auf dem Bildschirm zog ein roter Punkt, der die Enterprise darstellte, gegen eine Reihe gelber Punkte in die Schlacht, die die unbekannten Angreifer repräsentierten.

Das Nachdenken über die Kobayashi Maru-Prüfung und Kirks Reprogrammierung der Simulation hatten den Fähnrich auf einige Ideen gemacht. An der Akademie hatte er den Einsatz von Computerplanspielen studiert; nur war ihm bis jetzt nie der Gedanke gekommen, sie wirklich an Bord der Enterprise einzusetzen.

Er fand sein Tun zudem ungeheuer lehrreich. Beim ersten Programmablauf war er Kirks Handlungsweise gefolgt und hatte sich eine fast perfekte Wiederholung dessen angeschaut, was wirklich geschehen war.

Dann hatte er dem Computer angewiesen, sein persönliches Manöver auszuführen und auf das Ergebnis gewartet: Das Planspiel endete mit einem haushohen Sieg der Enterprise.

Er hatte also doch recht gehabt. Und Captain Kirk, sein Idol, hatte sich geirrt. Andererseits war es unwahrscheinlich, dass ein kleiner Fähnrich je Befriedigung aus diesem Wissen ziehen könnte.

Chekov war gerade im Begriff, seine letzte Simulation abzuspeichern, als sich der Türsummer meldete. Angesichts seiner angestrengten Konzentration schrak er zusammen, doch nur für einen Augenblick.

»Herein«, sagte er und riss sich zusammen.

Er rechnete mit Kirk oder Spock, die nun Zeit hatten, ihn wegen seiner Taten auf der Brücke über dem offenen Feuer zu grillen. Doch statt dessen sah er zu seiner Überraschung und Erleichterung das lächelnde Gesicht Sulus.

»Hallo, Fähnrich. Wir haben Sie bei der Konferenz vermisst. Da dachte ich, ich sollte Ihnen erzählen, was so läuft.«

»Soll das heißen, dass ich nun doch nicht von der Brücke fliege?«

Sulus Lächeln wurde breiter, und er setzte sich auf den Rand von Chekovs Bett. »Ja. Aber ich kann mir vorstellen, dass der Captain ziemlich sauer auf Sie ist. Er hat nämlich jedes Recht, Sie nach Ihrer Vorstellung auf der Brücke disziplinarisch zu bestrafen.«

»Aber mein Plan hätte funktioniert. Schauen Sie mal.«

Chekov lehnte sich auf dem Stuhl zurück und ließ den Computer die letzte Kampfsimulation abspielen. Während Sulu zuschaute, ging der rote Punkt der Enterprise siegreich aus der Schlacht hervor.

»Sehen Sie?«, sagte Chekov, als es vorbei war.

Der Steuermann schüttelte den Kopf. »Sie haben's noch immer nicht kapiert, was? Sie hatten nicht das Kommando, Pavel! Der Captain hatte es. Wir hatten Alarmstufe Rot. Wir waren von Angreifern umzingelt, und Sie wollten sämtliche Maßnahmen anhalten, um einen Vorschlag zu machen.

Glauben Sie wirklich, Captain Kirk hätte eine Auszeit ausgerufen, um den Wert Ihres Plans zu diskutieren – selbst wenn er vernünftiger gewesen wäre als seiner?« Sulu hielt inne, damit Chekov die Worte verarbeiten konnte. »Solange der Captain das Kommando hat, entscheidet er allein. Sie wissen doch ganz genau, dass er das Brückenpersonal, wenn wir Zeit haben, um Vorschläge und Meinungen bittet. Aber man muss sie eben zur rechten Zeit machen, klar?«

Chekov dachte darüber nach. Dann nickte er. »Ja, ich glaube schon. Danke. Aber wie geht's jetzt weiter?«

»Der Captain hat auf der Konferenz entschieden, dass wir die Fremden aufspüren müssen – aber diesmal müssen wir besser darauf vorbereitet sein, mit ihnen fertig zu werden. Uns ist allen klar, dass wir sie aufhalten müssen, bevor sie noch eine Kolonie vernichten.

Bis dahin haben wir Alarmstufe Gelb. Spock achtet darauf, dass die Sensorenteams nach jeder möglichen Emissionsspur Ausschau halten. Wir werden sie schon finden. Fragt sich nur, wann.«

»Habe ich den Job da oben noch?«, fragte Chekov und deutete mit dem Kopf an die Decke.

»Ich nehme an, Sie werden eher wieder da oben sitzen, als Sie sich vorstellen können.« Sulu lächelte erneut, und Chekov war beeindruckt, wie schnell eine so einfache Geste seine Laune verändern konnte. Er stellte fest, dass es ihm schon etwas besser ging.

»Ich hoffe es. Sonst könnte ich gleich ein Versetzungsgesuch schreiben.« Er runzelte die Stirn. »Wenn ich Captain Kirks Vertrauen verspielt habe, ist auf diesem Schiff kein Platz mehr für mich.«

Sulu stand auf. »Stimmt«, sagte er. »Aber vergessen Sie eins nicht: Er hat Sie auf dem Dienstplan gelassen und ist noch nicht aufgekreuzt, um Sie in die Mangel zu nehmen. Das sind gute Zeichen. Ich leg mich jetzt etwas hin, für den Fall des Falles. Bis später dann, oben.« Er klopfte Chekov auf die Schulter und verließ die Kabine.

Chekov warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass seine Schicht in Kürze begann. Er schaltete schnell das Planspiel aus und lud den Dienstplan. Zu seiner Erleichterung war seine Brückenschicht noch aufgelistet. Er wechselte schnell die Uniform, glättete sein langes Haar mit etwas Wasser und machte sich dienstbereit.

 

Uhura saß im Lazarett auf einem Hocker und blickte zu Dr. Cross, der gerade den Kopf schüttelte. »Das verstehe ich nicht, Commodore. Heißt das, wir sollen einfach unsere Sachen packen und uns verziehen?«

Wesley nickte. »Ich fürchte, ja.« Er hob geistesabwesend einen medizinischen Tricorder hoch und untersuchte ihn. »Um genau das hat uns der Zyklus-Direktor gebeten. Wir können nichts anderes tun, als seinem Ersuchen nachzugeben.«

»Das ist doch Irrsinn!«, fauchte Cross. »Die Leute hier stehen doch vor einem ernsthaften Problem – und zwar einem solchen, das mit höchster Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass es zu Massen von Geburtsfehlern kommt, ganz zu schweigen davon, dass es auch Leben kostet. Und da lehnen sie ein Hilfsangebot ab, das auch noch umsonst ist?«

»So ungefähr sieht es aus«, sagte der Commodore.

Der Arzt wandte sich zu Uhura um. »Haben wir irgend etwas übersehen, Lieutenant? Könnte es sein, dass wir ihre Botschaft irgendwie falsch interpretieren?«

Uhura schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist eindeutig. Sie wollen uns einfach nicht auf ihrem Planeten haben.«

»Aber vor ein paar Stunden sah es noch ganz anders aus. Was hat sich denn geändert?«

Wesley zuckte die Achseln. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich es weiß. Es ist auch mir ein Rätsel, Doktor. Und so sehr es mir auch gegen den Strich geht, ein Geheimnis ungelöst zu lassen … Wir müssen …«

»Commodore?«, meldete sich Bailas Stimme über das Interkom.

»Ja, Lieutenant?«

»Ich empfange eine Nachricht von den Rithrim.«

Wesley brummte. »Von Endris?«

»Vielleicht sind sie wieder zu Sinnen gekommen«, murmelte Cross.

»Nein, Sir«, kam Bailas Antwort. »Nicht von Endris. Die Nachricht stammt nicht einmal von den Direktoren. Sie kommt von einer Zeugerin

Der Commodore und Uhura tauschten einen Blick. »Kommen Sie mit, Lieutenant. Wollen wir doch mal lauschen.«

»Ich komme auch mit«, sagte Cross. »Ich will wissen, was hier los ist.«

Als sie das Lazarett verließen und zur Brücke eilten, spürte Uhura, dass ihr Puls sich beschleunigte. Wenn eine Zeugerin direkt mit ihnen sprechen wollte, musste tatsächlich etwas Großes im Busch sein.

 

Als Chekov zur Brücke zurückkehrte, spürte er, dass ihn alle ansahen. Glücklicherweise hatte Scotty im Augenblick das Kommando. Kirk und Spock waren irgendwo anderweitig beschäftigt, und dies galt auch für Sulu und Palmer. Der Fähnrich dankte den Mächten des Schicksals für den kleinen Gefallen, durchquerte forsch die Brücke und nahm seinen Platz hinter der Navigationskonsole ein.

Aber natürlich war er auch hier nicht vor den Blicken der anderen geschützt. Auf der Brücke wusste jeder, dass er einen schlimmen Fehler gemacht hatte. Niemand wusste es besser als er selbst.

»Schön, Sie wiederzusehen, junger Mann«, sagte Scott, um die Spannung zu lösen. Seine Stimme war gelassen, sogar freundschaftlich.

»Vielen Dank, Mr. Scott.« Mehr brachte Chekov nicht heraus. Er nahm eine schnelle Systemdiagnose vor und studierte dann den Kurs und die Eingaben.

»Sie haben das Feuerwerk verpasst. Die Lumpen sind uns zwar entwischt, aber irgendwann kriegen wir sie schon noch, daran hab ich keinen Zweifel.«

»Aye, Sir.«

Die Zeit verging schmerzend langsam. Da das Raumschiff sich mit Warp drei bewegte, hatte Chekov auf seinem Posten nur wenig zu tun. Er musste allerdings in Alarmbereitschaft bleiben, falls die Sensoren die Schiffe der Angreifer aufspürten, aber bis dahin war alles nur Routine.

Scott erhob sich aus dem Kommandosessel und begab sich an die Ingenieurskonsole. Als seine Finger über die Tasten flogen, sah Chekov, dass der Chefingenieur die Anzeigen auf dem obersten Bildschirm musterte. Als er dann wieder auf die Konsole blickte, betätigte er zwei weitere Knöpfe und beobachtete, wie sich die Bildschirmfarben änderten. Er räusperte sich leise, ging wieder in die Mitte der Brücke und blieb neben Chekov stehen.

»Ich versteh noch immer nicht, wieso diese Schufte so schnell manövrieren können. Sie sind so schnell, dass man sie kaum sieht. Ihre Schiffe wirken eher wie Eiskunstläufer und nicht wie Blechbüchsen. Was halten Sie eigentlich davon?«

Chekov bemerkte, dass Scotty ihm helfen wollte. Er konzentrierte sich voller Dankbarkeit und berechnete, so schnell er konnte, im Kopf die Möglichkeiten.

Dann wurde es ihm klar. »Wir könnten die Sensoranzeigen verwenden, um eine Simulation zu programmieren und zu studieren, wie sie das gemacht haben«, sagte er schließlich.

»Ja, das könnten wir tun. Kommen Sie, helfen Sie mir dabei, okay?«

In der nächsten halben Stunde arbeiteten die beiden Männer an den Stationen – Chekov an der wissenschaftlichen, Scott an der technischen. Sie hatten sich nicht sonderlich viel mitzuteilen, aber Chekov freute sich, dass er einen Beitrag leisten konnte.

Als die Studie endlich fertig war, kam Scott zu ihm hinüber und klopfte ihm mit der Hand auf die rechte Schulter. »Das ist die Antwort, junger Mann. Sie manövrieren einfach viel besser als wir, deswegen sieht es so aus, als hätten sie mehr Energie als wir. Sie sind zwar trickreich, aber nicht unbesiegbar.«

»Ja, Sir«, sagte Chekov lächelnd. »Danke, dass Sie mich haben mithelfen lassen«, fügte er leiser hinzu.

»Hab ich doch gern getan. So, Ihre Schicht ist für heute beendet. Ruhen Sie sich ein bisschen aus. Ich bringe die Sache auf der nächsten Konferenz zur Sprache. Der Captain hat Sie zwar auch diesmal nicht dazu eingeladen, aber ich lasse ihn wissen, dass Sie mitgeholfen haben. Vielleicht erleichtert es die Sache.«

»Nochmals vielen Dank, Mr. Scott«, sagte Chekov. »Und ich meine es ernst.«

Er stand auf, glättete sein Uniformhemd und verließ die Brücke. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte er sich wieder wie ein kompetenter Offizier.

Doch er hatte den Turbolift kaum betreten, als sein Mut auch schon wieder sank. Der Captain hatte ihn – schon wieder – von einer entscheidenden Konferenz ausgeschlossen. Vielleicht ersetzte er ihn sogar noch auf dem Dienstplan durch einen anderen Navigator.

Wenn man ihn von allem ausschloss, meinte er, bestand eventuell auch die Möglichkeit, dass seine Karriere auf der Enterprise zu Ende war. Und er fiel unerbittlich wieder in die alten Ängste zurück. Allmählich wurden sie ihm vertraut. Er wurde sie kaum noch los.

 

»Mein Name ist Dab.«

Die Zeugerin sah nicht im entferntesten so beeindruckend aus wie Endris. Ihre Augen waren zwar ebenfalls klein und schwarz, aber damit endete die Ähnlichkeit auch schon. Der Direktor war hochgewachsen und schlank, doch Dab war untersetzt und vierschrötig, und ihre Hüften wirkten übertrieben muskulös. Dort, wo Endris' Kamm hoch und fedrig war, war der ihre kurz und wirkte steif, fast stachelig.

Es gab noch einen anderen Unterschied: die Höhe ihrer Stimme. Uhura wusste aus ihren Studien, dass sich alle Kasten anders anhörten. Die Baumeister hatten die tiefsten Stimmen, die Zeugerinnen die höchsten.

»Ich grüße Sie, Dab. Ich bin Commodore Robert Wesley, der Kommandant der Lexington.« Er legte eine Pause ein, um Uhura die Möglichkeit zu geben, seine Rede mit Gesten zu unterstreichen. »Wie kann ich Ihnen zu Diensten sein?«

Die Zeugerin schien zu zögern. »Bevor ich Ihre Frage beantworte, muss ich Ihnen folgendes mitteilen: Es ist für Mitglieder meiner Kaste nicht üblich, direkt mit Angehörigen anderer Völker zu sprechen. Es ist zwar unser Recht, mit jedem zu sprechen, mit dem wir sprechen wollen, aber wir haben es nie ausgeübt, sondern darauf vertraut, dass die Direktoren unsere Interessen vertreten.«

Ihre Zeichensprache war nicht so flüssig wie die Endris', und auch nicht so gewandt. Doch Uhura verstand sie leichter.

»Wir sind nicht der Meinung«, fuhr Dab fort, »dass die Direktoren unsere Interessen momentan optimal vertreten. Das Zeugungszentrum muss geschützt werden; für unsere Kaste ist dies von allerhöchster Wichtigkeit.«

Wesley schaute Uhura an. »Lieutenant?«

Uhura holte tief Luft. »Sie möchte, dass wir bleiben, Commodore. Es ist eindeutig. Wir sollen bleiben und helfen – trotz des Beschlusses der Direktoren.«

Wesley musterte die Rithrim auf den Bildschirm. »Sagen Sie, Dab, wie viel Autorität haben Sie in dieser Angelegenheit?«

»Ich habe genügend Autorität«, sagte sie.

»Sie untertreibt«, merkte Uhura an, als sie Dabs Handzeichen übersetzte. »Sie hat ebensoviel zu melden wie Endris, auch wenn sie selten davon Gebrauch macht.«

»Soll das heißen, wir können auf ihr Wort hin bleiben?«, fragte Dr. Cross. »Und unsere Arbeit in Girin Gatha beenden?«

Uhura schaute ihn an. »Laut Dab, ja.«

»Natürlich müssen wir dies mit dem Zyklus-Direktor abstimmen«, sagte Wesley. »Aber wenn er keine Einwände hat, werden wir unsere Zusage nur allzu gern erfüllen.«

»Man wird es zu schätzen wissen«, sagte Dab. Und der Bildschirm verblasste.

»Der Teufel soll mich holen«, murmelte der Commodore. »Mr. Baila, verbinden Sie mich mit Mr. Samuels.«

Die robuste Stimme des Ersten Offiziers schien die ganze Brücke zu erfüllen. »Wir sind mit dem Packen fast fertig, Commodore.«

»Dann packen Sie mal wieder aus, Mr. Samuels. Der Plan wurde geändert.«

»Sir?«

»Sie haben schon richtig verstanden. Wir haben gerade eine Nachricht von den Zeugerinnen erhalten. Und sie wollen, dass wir bleiben. Ich muss die Sache zwar noch mit Endris abklären, aber ich erwarte nicht, dass er uns Schwierigkeiten macht.«

Samuels grunzte. »Na, dann bauen wir mal wieder auf, Sir. Jetzt geht's wahrscheinlich noch schneller. Übung macht halt den Meister.«

Der Commodore lachte leise. »Daran zweifle ich nicht. – Wesley, Ende.«

»Sir?«, sagte Uhura.

Wesley wandte sich zu ihr um. »Ja, Lieutenant?«

»Ich würde trotzdem gern wissen, warum die Direktoren es sich anders überlegt haben. Ich hätte gern die Erlaubnis, die Angelegenheit bei den Zeugerinnen zu recherchieren.«

Wesley dachte darüber nach. »Ich wüsste nicht, was dagegen spricht«, erwiderte er schließlich. »Immerhin haben sie uns eine Verständigung mit ihrer Kaste ermöglicht. Wollen Sie es allein machen?«

Uhura stellte plötzlich fest, dass ihr Blick sich auf den Funkoffizier richtete. »Vielleicht könnte Mr. Baila mich begleiten.«

Falls Wesley dies überraschte, ließ er es sich nicht anmerken. »Na schön, Lieutenant. Meinen Segen haben Sie. Aber seien Sie vorsichtig. Ich möchte nicht, dass die Zeugerinnen ihre Pläne ebenso ändern, wie die Direktoren es getan haben.«

»Ich werde mich bemühen, Sir«, versicherte sie ihm.

 

Kirk lag auf seiner Koje, hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und starrte zur Decke hinauf. Die Decke, fiel ihm auf, hielt auch nie eine Antwort für ihn bereit. Aber das war auch der Grund, warum Raumschiffe von menschlichen Wesen befehligt wurden.

Im Moment durchkreuzte die Enterprise wie ein Haifisch das System Gamma Xaridia. Sie bewegte sich von einem Ende zum anderen, als wolle sie die Angreifer zur Rückkehr verlocken. Es war gut möglich, dass die ganze Sache für die Mannschaft reine Zeitverschwendung war.

Während die Enterprise durch das System Gamma Xaridia patrouillierte, flogen die Unbekannten vielleicht Alpha oder Beta an … oder irgendein anderes System. Aber wenn die Enterprise in eins dieser Systeme zurückflog, und die Angreifer wieder nach Gamma kamen …

Kirk rieb sich die Schläfen. Verschachtelte Gedanken dieser Art konnten einen Menschen in den Wahnsinn treiben.

Er war so in Gedanken versunken, dass er den Türsummer zuerst gar nicht hörte. Schließlich schaute er auf und sagte »Herein.«

Er rechnete mit Spock oder McCoy. Jeder andere hätte sich über das Kommunikationssystem gemeldet. Als die Tür zischend aufging, lächelte er seinen Ersten Offizier an. Die Vorstellung, dass er seine Leute so gut kannte, gefiel ihm.

»Neuigkeiten, Spock?«, fragte er.

Der Vulkanier setzte sich in den Sessel, der vor Kirks Schreibtisch stand. Auf seinen Knien ruhten ein Datenblock und ein Schreibstift, und er blickte so bedeutungsschwer auf, dass Kirk ihm sofort sämtliche Beachtung schenkte.

»Jawohl, Sir. Es scheint, dass die xaridianischen Kolonien …«

»Die Kolonien? Ich dachte, Sie beschäftigen sich mit den Schiffen der Unbekannten«, sagte der Captain mit überraschter Stimme. Er stand auf und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz.

»Habe ich, ja. Aber als sich weitere Studien in dieser Richtung als wenig fruchtbar erwiesen, erschien es mir logisch, meine Aufmerksamkeit auf die Kolonien zu richten.« Spock legte eine Pause ein. Hätte Kirk es nicht besser gewusst, hätte er angenommen, er tue es lediglich, um mehr dramatische Wirkung zu erzielen. »Als ich mir Alpha Xaridia II ansah …«

»Die erste Kolonie, die wir besucht haben«, sagte Kirk.

»Ja, Sir. Ich habe mir die Liste vorgenommen, die man uns in der Kolonie gegeben hat. Die Aufstellung der vernichteten und angeblich vernichteten Materialien und Maschinen.«

Einige der von Spock geäußerten Worte machten Kirk plötzlich hellhörig. »Angeblich vernichtet?«

»Aye, Sir.« Spock hielt inne. »Zuerst habe ich mich nur auf die aufgefundenen Materialien und Maschinen konzentriert. Doch dann fiel mir allmählich auf, dass bestimmte Kategorien wissenschaftlicher Instrumente bei den Trümmern fehlten – alles Geräte neuester Machart, die man außerhalb der Föderation nicht erwerben kann.«

Der Captain dachte darüber nach. »Meinen Sie damit, die Verwüstungen könnten ein … Ablenkungsmanöver gewesen sein, Spock? Eine Methode, um Schrottsammler herunterzubeamen und sich bestimmte Technologien unter den Nagel zu reißen?«

Der Vulkanier nickte. »Vielleicht nicht in sämtlichen Fällen. Keine andere Kolonie hat irgendwelche Verluste an Ausrüstung gemeldet. Auf diesen Welten war die willkürliche Verwüstung vermutlich das einzige Motiv der Angreifer. Aber zumindest in dieser Kolonie haben Sie meiner Ansicht nach recht. Das Motiv hinter dem Angriff war Raub.«

Kirk murmelte einen Fluch. »Da hat jemand Tausende von Menschen umgebracht, um seinen … Einkaufszettel abzuhaken?« Er schüttelte den Kopf und spürte, dass sich in seinem Inneren heiße Wut breitmachte.

»Möglicherweise ist dies nur eine vereinfachte Beschreibung der Ereignisse, Sir, aber sie ist trotzdem zutreffend. Dazu kommt, dass die verschwundenen Gerätschaften es einem oder mehreren Lebewesen erlauben würden, einige unserer am weitesten entwickelten Instrumente nachzubauen.«

»Welche, Spock?«

Der Erste Offizier hob den Datenblock, warf einen Blick auf seine Eingaben und stellte ihn dann vorsichtig auf Kirks Schreibtisch. Für Spock war diese vertrauliche Handlung ein subtiles Zeichen seines Behagens in Kirks Gesellschaft, ein Behagen, das er bei anderen Menschen nur selten zur Schau stellte.

»Ich kann eine komplette Auflistung für Sie erstellen, Sir, aber man könnte damit Dutzende von Instrumenten bauen. Wüssten wir, wer die Angreifer sind, könnten wir die Absichten hinter dem Instrumentenraub genauer berechnen.«

»In Ordnung«, sagte Kirk. Er drückte einen Knopf, um den Bildschirm des Computers zu löschen, dann drehte er seinen Sessel. Spock war wirklich ein scharfsinniger Geist, was einen der Gründe darstellte, weswegen er den Vulkanier so sehr schätzte. »Sehen wir die Sache doch mal anders. Die Instrumente stammen alle aus der Föderation, was bedeutet, dass momentan keine Mitgliedswelten unter Verdacht stehen. Die kleinen Schiffe können nicht viel Treibstoff laden, also ist ihr Radius auch nicht sehr hoch. Könnten wir die Xaridia-Systeme zum Mittelpunkt einer Rasterfahndung machen und von hier aus Schlussfolgerungen ziehen, welche Systeme der Heimatwelten als Angreifer in Frage kommen?«

Spock nickte. »Gewiss, Captain. Ich schlage vor, wir betrauen einen Navigator mit dieser Sache, da ich meine Untersuchungen hinsichtlich der Bewaffnung der Angreifer gern fortsetzen möchte. Damit wir besser vorbereitet sind, wenn wir Ihnen noch einmal begegnen.«

»Natürlich. Wer steht auf dem Dienstplan ganz oben?«

»Fähnrich Chekov, Sir. Es sei denn, Sie wollen einen anderen einsetzen.«

Kirk sinnierte darüber nach. Er hatte Chekovs Akte vor kurzem noch einmal studiert und in letzter Zeit des Öfteren über ihn nachgedacht.

Spock schien sein Zögern zu bemerken, denn er hob leicht eine Braue, statt die Frage noch einmal zu wiederholen.

»Er hatte auf der Brücke eine Blockade«, erklärte Kirk. »Statt meine Befehle zu befolgen, schlug er ein Manöver vor. Ich weiß nicht, ob ich ihm bei diesem Unternehmen trauen kann.« Er hielt inne, fuhr auf dem Sessel herum und schaute dem Ersten Offizier in die Augen. »Was halten Sie von Chekov, Spock?«

Der Vulkanier legte die Fingerspitzen aneinander und setzte eine nachdenkliche Miene auf. »Ich finde, er macht seine Arbeit recht gut; er ist ein sehr tüchtiger Navigator. Offen gesagt, er hat im Vergleich mit anderen Navigatoren der Enterprise eine Geschicklichkeitsbandbreite gezeigt, die fast bewundernswert ist. Und er scheint sein Vaterland sehr zu lieben.« Spock machte eine kurze Pause. »Er ist natürlich noch jung, und sein Enthusiasmus steht ihm manchmal im Weg.«

Kirk wandte sich erneut um und holte Chekovs Personalakte auf den Computerbildschirm. Er nahm sich einen Moment Zeit, sie zu überfliegen.

»McCoy meint, dass seine Liebe zu Mütterchen Russland ein Schutzmechanismus ist – so etwas wie ein Halt, weil man ihn mit einem Haufen älterer und erfahrener Menschen zusammengeworfen hat. Dafür habe ich Verständnis. Die Enterprise kann mit Neulingen ganz schön hart umspringen.«

»Ich bin Ihrer Meinung, Sir«, sagte Spock leise.

Kirk schaute auf. Ihm wurde plötzlich bewusst, dass er sich auf ein auch für Spock problematisches Terrain begeben hatte. »Natürlich stimmen Sie mir zu, Spock.« Er runzelte die Stirn. »Glauben Sie, er kann dem Druck standhalten?«

»Bei den bisherigen Landeunternehmen«, begann Spock, »besonders auf Sharikan und Beta Damoron V, hat er sich bestens bewährt, wie Sie zweifellos wissen. Seine natürliche Neugier hat ihn an der wissenschaftlichen Station gute Leistungen vollbringen lassen.« Er zuckte die Achseln. »Ich glaube, er hat in angespannten Situationen Standfestigkeit bewiesen. Es könnte sein, dass er sich zu einem guten Offizier entwickelt.«

Kirk nickte und schaute weg. Der Vulkanier blieb sitzen und musterte ihn. Nach fast einer Minute des Nachdenkens drehte Kirk sich mit dem Sessel und nickte. »Okay, Spock, geben wir ihm noch eine Chance. Er soll den Sektor absuchen. Mal sehen, was er kann. Aber wenn wir Alarmstufe Rot haben, soll ein anderer Navigator bereitstehen – falls Chekov erneut einen Ausfall haben sollte.«

»Verstanden, Sir.« Spock stand auf und nahm den Datenblock an sich. Er drehte sich um und ging hinaus. Kirk blieb sitzen und sah sich Chekovs Akte noch einmal auf dem Bildschirm an.

 

Chekov fühlte sich auf der Brücke nervöser als je zuvor. Und dabei lief alles glatt ab. Spock hatte ihn höchstpersönlich zum Dienst gerufen und ihm in allen Einzelheiten erklärt, was sie finden mussten.

Chekov war natürlich überrascht gewesen. Er war davon ausgegangen, dass der Captain ihm nie wieder trauen würde. Doch nun war er wieder dabei, untersuchte die Sternkarten mit den Kolonien und kalkulierte den hypothetischen Aktionsradius der unbekannten Schiffe mit ein, die er von Mr. Scott erhalten hatte.

Sulu saß, lebhaft wie immer, neben ihm. Ein Teil seiner Heiterkeit färbte allmählich auf Chekov ab, dem es Spaß machte, so zu arbeiten.

Spock hatte zwar das Kommando, doch er gab sich damit zufrieden, an der wissenschaftlichen Station zu sitzen und weitere Studien über die Angreifer vorzunehmen. Das Brückenpersonal kam und ging; die Zeit schien zu verfliegen. Schließlich fühlte sich auch Chekov wieder als funktionierendes Teil der Mannschaft.

»Haben Sie schon was gefunden, Chekov?«, fragte Sulu.

»Nein, Sir. Mr. Scott meint, die Schiffe könnten in der Lage sein, vier bis fünf Parsec zurückzulegen. Da muss man eine Menge Raum untersuchen. Aber ich habe auf der Grundlage des Standortes der Kolonien ausgerechnet, dass wir es nicht mit Klingonen zu tun haben. Und dafür bin ich dankbar.«

»Ich auch«, erwiderte Sulu. »Für meinen Geschmack bin ich denen schon oft genug begegnet.«

»Aye. Aber … Moment mal …« Chekov hielt inne. Er ließ die Finger über eine Reihe von Kontrollen laufen und musterte dann den kleinen linken Bildschirm. Seine Finger bewegten sich erneut und drückten in schneller Folge Schalter. Die Lämpchen flackerten in einer Vielzahl von Farben. Dann warf er einen Blick über die rechte Schulter und wandte sich Spock zu.

»Was haben Sie gefunden, Fähnrich?« Der Erste Offizier ging zu Chekovs Arbeitsplatz hinunter und schaute auf den Bildschirm.

»Die Angreifer könnten aus etwa fünf oder sechs uns bekannten Sonnensystemen stammen, Sir. Zu ihnen gehört auch Parathu'ul. Haben die Parath'aa nicht darum ersucht, in die Föderation aufgenommen zu werden?«

»In der Tat.« Spock kehrte ohne ein weiteres Wort an seinen Platz zurück und klinkte sich in den Bibliothekscomputer ein.

Chekov schaute Sulu an. Der Steuermann zuckte lediglich die Achseln.

Kurz darauf fiel Chekov auf, dass Spocks Computer sich auch in seinen eigenen einklinkte. Er schaute fasziniert zu, denn der Vulkanier bediente sich bei seinem Rechner wie ein Meisterdieb in einem Juweliergeschäft.

»Faszinierend.« Spock stand auf und schaute auf den Hauptbildschirm. Dann legte er einen Schalter um und rief: »Spock an Captain.«

Sekunden später zeigte der Schirm der wissenschaftlichen Station das Bild des Captains. Er schien geruht zu haben; sein Uniformhemd und sein Haar waren leicht zerwühlt.

»Ja, Mr. Spock? Haben Sie etwas gefunden?«

»Genau genommen hat Fähnrich Chekov etwas gefunden. Er hat mir den Tipp gegeben, dass eine der Welten, von denen die Angreifer möglicherweise gekommen sein können, Parathu'ul ist.«

»Aber die Schiffe der Parath'aa sind uns doch bekannt … Wir wissen, welche Energiequellen sie verwenden. Sie selbst haben die Parath'aa noch vor kurzem als Aggressoren ausgeschlossen.«

»Ja. Ich glaube auch jetzt noch, dass sie nicht die Angreifer sind. Doch als Mr. Chekov mich noch einmal daran erinnerte, dass die Parath'aa einen Antrag auf Aufnahme in die Föderation gestellt haben, habe ich mir ihren ersten Antrag noch einmal angesehen.«

Chekov schaute zu, als Spock sich dem Abbild des Captains noch näher entgegenbeugte. »Sie haben um einige jener Bauteile gebeten, die auf den Kolonialwelten abhanden gekommen sind.«

»Das erklärt aber noch nicht …«

»Söldner!«

Ehe Chekov einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte er das Wort schon hervorgestoßen. Er rechnete mit einem Rüffel, aber Spock nickte nur. »Genau das wollte ich auch sagen, Fähnrich.« Er wandte sich wieder dem Captain zu. »Wenn sie die gestohlenen Instrumente erst einmal haben, können sie ihr ursprüngliches Vorhaben verwirklichen: den Bau hochentwickelter Waffen, die sie dazu verwenden können, die rebellischen Elemente ihrer Gesellschaft völlig zu unterdrücken.«

»Ich verstehe«, sagte Kirk. »Dann sollten wir also …«

»Parathu'ul einen Besuch abstatten?«, sagte der Vulkanier.

»Genau«, sagte der Captain. »Kirk, Ende.«

Seine Stimme war kaum verstummt, als Sulu sich mit einem breiten Lächeln zur Seite beugte.

»Ich glaube, Sie sind aus dem Schneider.«

»Wieso?«

»Haben Sie den Captain nicht gehört?«

»Er hat nur gesagt: ›Ich verstehe.‹ Das ist doch wohl kaum ein Lob, das anzeigt, dass ich aus dem Schneider bin.«

»Es war nicht das, was er gesagt hat«, erklärte Sulu, »sondern wie er es gesagt hat.«

Chekov schüttelte den Kopf, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen. »Wenn wir die Angreifer aufspüren, werden wir ja sehen, inwieweit er mir noch vertraut.«

»Ihr Russen seid wirklich schwermütige Gesellen«, sagte Sulu gutgelaunt.

»Wir haben die Schwermut erfunden«, erwiderte Chekov todernst.