Ernährung
Nahrung für die Seele
Schon als kleines Mädchen litt Felice Jacka unter wiederkehrenden Angstzuständen , und je älter sie wurde, desto mehr griff die Angst um sich. Als Teenager wurde sie von heftigen Panikattacken heimgesucht. Irgendwann kamen Depressionen hinzu, die sich anfühlten, als hätte ein Dementor (die heimtückischsten magischen Wesen, die es in der Welt von Harry Potter gibt) ihrem Körper und ihrer Seele die gesamte Freude und Lebensenergie entzogen.
Ende zwanzig beschloss die Australierin, der damals noch eine Karriere als Künstlerin vor Augen schwebte, ihre Lebensweise umzukrempeln. Sie fing an, sich mehr zu bewegen , sie achtete auf ihren Schlaf und vor allem: Sie stellte ihre Ernährung um.
Bald merkte sie, dass sie sich besser zu fühlen begann. Viel besser. Die depressiven Verstimmungen legten sich und verschwanden schließlich ebenso wie die Panikattacken . Es war eine ergreifende Metamorphose, die Felice Jacka erlebte. Ja, sie war von ihrer eigenen Verwandlung so beeindruckt, dass sie sich kurzerhand von ihren Künstlerambitionen verabschiedete und ein Studium der Psychiatrie aufnahm. Jacka wollte verstehen, was mit ihr geschehen war: Ist es wirklich möglich, eine Depression »wegzuessen«? Und wenn ja, wie funktioniert das? Was geht da im Körper vor? Und ganz praktisch gefragt: Wie sähe die ideale stimmungsaufhellende Diät aus?
Felice Jacka vertiefte sich in die Ernährungsforschung , wälzte jahrelang Statistiken und kam dem Mysterium so allmählich näher. Heute ist sie Professorin und Direktorin des Food & Mood Centre an der Deakin Universität in Melbourne. Sie gilt als die Expertin für den Zusammenhang zwischen Ernährung und Psyche schlechthin. [2] Schon in ihrer Doktorarbeit im Jahr 2010 fand sie erste Hinweise darauf, dass Frauen, die mehr Gemüse, Obst, Fisch und Vollkornprodukte essen sowie – überraschenderweise – kleine Mengen unverarbeitetes rotes Fleisch, ein geringeres Risiko für Angsterkrankungen und Depressionen haben, im Gegensatz zu jenen, die auf Junkfood stehen und regelmäßig Pizzas, Pommes, Hamburger, Weißbrot und Softdrinks wie Cola, Fanta & Co. zu sich nehmen.
»Als ich damals anfing, waren die Leute extrem skeptisch – sie dachten, das sei alles nur Quatsch«, erzählt Jacka heute. »In der Psychiatrie wird man darauf trainiert, an bestimmte Moleküle im Gehirn zu denken, die sich mit Medikamenten beeinflussen lassen, und man hat den Blick für das große Ganze verloren, für die Tatsache, dass der Körper ein komplexes System ist.« [3]
Jackas Studium fiel in eine Zeit, in der die Hirnforschung voll aufgeblüht war und dabei auch so manch alten Mythos über unser Oberstübchen als falsch entlarvt hatte. So galt es zum Beispiel lange als ausgemacht, dass in einem erwachsenen Gehirn keine neuen Nervenzellen nachwachsen können. Obwohl immer noch umstritten, deuten inzwischen viele Befunde darauf hin, dass dies in einigen Arealen des Gehirns sehr wohl der Fall sein könnte. Man bezeichnet diese Neubildung von Nervenzellen als »Neurogenese «. Eine der Hirnstrukturen, in denen eine solche Neurogenese vermutlich auch später im Leben noch stattfindet, erstreckt sich tief im Innern unserer beiden Hirnhälften – einmal in der linken, einmal in der rechten Hirnhemisphäre – und wird als »Hippocampus « bezeichnet (aus dem Lateinischen für Seepferdchen, weil die Hirnstruktur dem Meerestierchen von der Gestalt her so frappierend ähnelt, wie man auf Abbildung 1.1 sehen kann). Nach manchen Schätzungen bilden sich im erwachsenen Hippocampus im Schnitt immerhin rund 700 neue Nervenzellen täglich, wobei sich allerdings von Person zu Person erhebliche Unterschiede zeigen. [4]
Abb. 1.1 Links der Hippocampus , rechts ein Seepferdchen. Wir haben zwei solcher neuronaler »Seepferdchen« in unserem Kopf, eines in der linken, eines in der rechten Gehirnhälfte. Die Illustration auf Seite 38 veranschaulicht, wo sich der Hippocampus im Gehirn befindet.
Professor Laszlo Seress/Wikimedia Commons (CC -BY -SA -1.0). https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hippocampus_and_seahorse.JPG (19.12.2022)
Der Hippocampus übernimmt gleich mehrere wichtige Funktionen. Erstens spielt er eine Schlüsselrolle bei der Gedächtnisbildung. Ohne Hippocampus formen sich neue Erinnerungen, vor allem Erinnerungen über uns selbst und unser Leben, nur in sehr eingeschränktem Maße. Es gibt klare Hinweise darauf, dass der erwähnte Nachschub neuer Nervenzellen – die Neurogenese – einerseits bei der Bildung dieser neuen Gedächtnisinhalte von Bedeutung ist. Andererseits scheint die Neurogenese auch zum Vergessen alter, nicht mehr nützlicher Erinnerungen beizutragen, indem diese von den neuen Nervenzellen und Gedächtnisinhalten »überspielt« werden. [5] So könnte die Frischzellenkur im Hippocampus dafür sorgen, dass wir nicht geistig versteinern und uns stattdessen zu einer anhaltenden Flexibilität im Kopf verhelfen. [6]
Aktuelle Erkenntnisse deuten zweitens darauf hin, dass der Hippocampus aus verschiedenen Erinnerungsfragmenten eine kohärente Erzählung stricken kann. [7] Die Hirnstruktur verknüpft neue Erlebnisse mit bereits vorhandenen Gedächtnisinhalten und setzt die einzelnen Puzzlesteine unseres Gedächtnisses zu einem Gesamtbild zusammen. Der Hippocampus wird so von manchen Neurowissenschaftlern auch als »Geschichtenerzähler des Gehirns« bezeichnet. [8] Wenn wir sagen, dass wir ein Erlebnis »verarbeiten«, meinen wir damit ja unter anderem, dass wir das Einzelerlebnis in einen größeren Kontext einbetten, wodurch wir es besser verstehen und es zu einem Teil unserer Biographie wird. Bei dieser Integrationsarbeit scheint der Hippocampus ebenfalls eine Rolle zu spielen.
Drittens steuert der Hippocampus , in Zusammenarbeit mit weiteren Hirnarealen, unsere Gefühle. Der Hippocampus hilft beispielsweise dabei, mit Stress fertigzuwerden, indem er hemmend auf die Stressreaktion einwirkt. [9] Im Tierversuch haben Forscher festgestellt, dass die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus entscheidend für die Stressresilienz ist. [10] Aber auch bei uns Menschen unterstützt der Hippocampus die Emotionsregulierung. Ist die Hirnstruktur etwa aufgrund eines Schlaganfalls beschädigt, reagieren die Patienten, wenn man ihnen Filmclips mit traurigem Inhalt zeigt, nicht nur sehr heftig in Form von minutenlangem Weinen. Diese Stimmung hält bei ihnen auch ungewöhnlich lange an – sie können eine halbe Stunde später immer noch bedrückt sein, zu einem Zeitpunkt, an dem sich Menschen mit intaktem Hippocampus längst erholt haben. [11] Der Hippocampus ist also eine von mehreren Hirnstrukturen, die wichtig sind für die Fähigkeit, Gefühlen wie Stress und Trauer nicht wehrlos ausgesetzt zu sein, sondern diese bis zu einem gewissen Grad »im Griff« zu haben.
Depressive Patienten klagen nicht selten über Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnislücken. Untersucht man diese Patienten dann in einem Kernspintomographen, stellt sich heraus, dass der Hippocampus regelrecht geschrumpft ist. Unter den beobachtbaren Hirnveränderungen depressiver Patienten gehört ein verringertes Volumen des Hippocampus sogar zu den charakteristischsten Kennzeichen überhaupt (auf den Seiten 35 bis 41 beschreibe ich etwas ausführlicher, was bei Depressionen im Gehirn passiert, denn hier formt sich derzeit in der Wissenschaft ein faszinierend neues Bild). [12]
Als Felice Jacka diesem Phänomen weiter nachging, machte sie eine bemerkenswerte Entdeckung: Wer reichlich Junkfood isst, dessen Hippocampus ist ebenfalls messbar kleiner im Vergleich zu jenen, die sich gesund ernähren . Mit anderen Worten, der Hippocampus von Junkfood -Liebhabern ähnelt mit seiner Schrumpfung auffallend dem depressiver Patienten – eine Beobachtung, die mittlerweile mehrfach bestätigt werden konnte. [13]
Handelt es sich dabei um einen bloßen Zufall? Oder steckt mehr dahinter? Wenn ja, wenn wir es mit einem systematischen Zusammenhang zu tun haben sollten, dann könnte es sein, dass lebenslanger erhöhter Junkfood -Konsum den Hippocampus in unserem Kopf nach und nach verkümmern lässt, wahrscheinlich nicht nur, aber womöglich unter anderem auch aufgrund einer eingeschränkten Neurogenese . Es würde heißen, dass wir uns unseren Hippocampus auf geradezu verhängnisvolle Weise »wegfuttern« können!
Das könnte uns erstens – durch die nun eingeschränkte Steuerung oder auch Fähigkeit zur Verarbeitung unserer Gefühle – emotional labiler und stressanfälliger machen und auf die Stimmung schlagen. Da der Hippocampus darüber hinaus so essenziell für das Lernen neuer Gedächtnisinhalte ist, könnte ein derart verkümmerter Hippocampus außerdem dazu führen, dass es uns zunehmend schwerfällt, Neues zu lernen und Überholtes zu vergessen, und das heißt: geschmeidig, fit und beweglich im Kopf zu bleiben und mit den immer wechselnden Situationen und Herausforderungen des Lebens fertigzuwerden.
Diese mangelnde Beweglichkeit im Kopf wiederum könnte uns einmal mehr für ein Stimmungstief oder eine Depression anfällig machen. Denn wenn ein intakter Hippocampus und insbesondere dessen Neurogenese zu unserer geistigen Flexibilität beitragen, würden wir ohne diese neuronale Erfrischung stärker als sonst in alten Erinnerungen und Denkweisen stecken bleiben. Unser Gehirn würde in eine Art »Denkstarre« verfallen, wie es für Depressionen und andere psychische Störungen, etwa Zwangsstörungen und Suchterkrankungen, typisch ist. Abbildung 1.2 verdeutlicht diesen Zusammenhang noch einmal an einem tierexperimentellen Befund.
Man könnte meinen, dass eine Depression in erster Linie etwas ist, das die Gefühlswelt betrifft. Aber Denken und Fühlen hängen eng zusammen. Gerät man in eine Depression , ist das Denken meist in hohem Maße ins Negative verzerrt und in vielen Fällen sogar die Wurzel des Problems. Man wird so fixiert auf unangenehme Gedanken und Sorgen, dass man kaum noch einen Blick oder Sinn für anderes hat, seien es andere Menschen, die Arbeit oder Aktivitäten, die einem früher Spaß gemacht haben. Die Welt schrumpft auf das eigene, vom Rest der Welt abgeschnittene Ich zusammen. Der Geist wird zur Folterkammer: Wieder und wieder quält uns der Kritiker im Kopf damit, was für ein Versager oder schlechter Mensch wir doch sind und wie sinnlos alles ist. Dieses verbissene gedankliche Wiederkäuen bezeichnet man als »Rumination « (aus dem Lateinischen ruminatio , was eben für Wiederkäuen steht) und gilt als maßgebliche Ursache für Depressionen . Ein naheliegender Verdacht dabei ist, dass wir uns von den ewig kreisenden Gedanken auch deshalb nicht losreißen können, weil dem »Geschichtenerzähler« im Kopf, dem Hippocampus , der nötige Nachschub frischer Nervenzellen – und damit die nötige mentale Erfrischung – fehlt. [14]
Umgekehrt, und das ist die gute Nachricht, könnte eine gesunde Ernährungsweise wie eine Art Fitnessprogramm oder Frischekur auf unseren Hippocampus wirken. Nahrhaftes Essen könnte die
Abb. 1.2 A Bei diesem Wasserlabyrinth ist das Wasser milchig trüb, so dass die Maus die versteckte Plattform nicht sehen kann. [15] Wenn sie aber eine Weile durch das Labyrinth schwimmt, wird sie irgendwann darauf stoßen und so die rettende Plattform entdecken. Im ersten Teil des Versuchs (links) ist die Plattform an einer bestimmten Stelle, bis die Maus sie gefunden hat. Dann folgt Versuch zwei (rechts), in der die Plattform an eine andere Stelle verschoben wurde. Die Maus sucht eine Weile dort, wo die Plattform vorher war, findet aber bald zur neuen Stelle – zumindest, wenn die Bildung frischer Nervenzellen, die Neurogenese , in ihrem Hippocampus normal funktioniert. [16]
Abb. 1.2 B Ist die Neurogenese gehemmt, findet die Maus im ersten Versuch ebenfalls die Plattform. Sie scheitert erst, wenn die Plattform danach stillschweigend verschoben wurde: Die Maus sucht und sucht an der alten Stelle. Es ist, als könnte die Maus die unbrauchbar gewordene Erinnerung an die frühere Position der Plattform nicht vergessen. Sie schafft es nicht, sich von ihrem alten Gedächtnisinhalt (im weiteren Sinne: von der Vorstellung, die sie sich von der Welt gemacht hat) zu lösen. Ohne Nachschub neuer Nervenzellen im Hippocampus wird das Verhalten der Maus unflexibel und »starr«. [17]
1.2 A, 1.2 B Anacker & Hen (2017). Adult hippocampal neurogenesis and cognitive flexibility – linking memory and mood. Nat Rev Neurosci 18, 335–346. Fig. 2. doi: 10.1038/nrn.2017.45 © 2017, Nature Publishing Group, a division of Macmillan Publishers Limited. All Rights Reserved.
Seepferdchen in unserem Kopf auf Trab bringen, die Neurogenese anregen und uns so auch vor der geistigen Versteinerung und dem allzu ausufernden Grübeln schützen. Da den Hippocampus zu stärken zugleich heißt, die Stressresilienz zu stärken, könnte eine gesunde Ernährung darüber hinaus dabei helfen, den üblichen Alltagsstress besser zu meistern, was unserer seelischen Ausgeglichenheit und Lebensfreude zugutekommen würde. Das alles mag zwar zunächst reichlich spekulativ klingen – das Aufregende aber ist, dass sich die Befunde mehren, die für dieses Szenario sprechen.
Bevor wir uns in diese Forschungsergebnisse vertiefen, werfen wir vorher einen Blick auf die Frage, wie eine gesunde Ernährung überhaupt aussieht. Was sind die entscheidenden Zutaten einer heilsamen Kost?
In meinem Buch Der Ernährungskompass habe ich bereits versucht, diese Frage zu beantworten, also werde ich mich hier kurzfassen. Viele Formen von Ernährung können gesund sein, und jeder Körper reagiert anders, deshalb kommt es auch bei der Ernährung auf jeden Einzelnen und auf den Selbstversuch an. Bei all den Ernährungstipps , mit denen wir tagein, tagaus behelligt werden, sollten wir nicht vergessen, immer auch auf den eigenen Körper zu hören. Generell aber kann man sagen, dass die in den vergangenen Jahrzehnten gesammelten Erkenntnisse für eine pflanzenbasierte Kost plus Fisch und/oder Omega-3-Fettsäuren sprechen. Wenn man unsere typisch »westliche« Ernährungsweise als Ausgangspunkt nimmt, würden die meisten von uns besonders profitieren, würden wir mehr Hülsenfrüchte (Linsen, Bohnen, Kichererbsen), Vollkornprodukte und Nüsse zu uns nehmen und dafür weniger rotes und vor allem verarbeitetes Fleisch (Wurst, Speck, Salami und dergleichen) sowie gezuckerte Getränke. Selbst wenn man die Ernährung erst im Alter von 60 Jahren auf diese Weise umstellt, darf man neueren Schätzungen zufolge rein statistisch damit rechnen, acht bis neun Jahre länger zu leben! [18]
Das bekannteste Beispiel für eine pflanzenbasierte Ernährungsweise ist die mediterrane Kost . Sie ist zwar nur eine von vielen gesunden Ernährungsformen , der Vorteil aber ist, dass uns zur Mittelmeerkost eine Fülle von Studienergebnissen zur Verfügung steht.
Die Mittelmeerkost ist auch deshalb ein interessantes Beispiel, weil ja bis heute eine gewisse Fettphobie in unseren Köpfen spukt. So empfehlen selbst seriöse Ernährungsinstanzen , wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung , nach wie vor eine fettarme Diät. Dabei hat sich in zahlreichen Untersuchungen wiederholt herausgestellt, dass die mediterrane Kost zur gesündesten Ernährungsweise überhaupt gehört, und hier spart man bekanntlich nicht am Fett. Insbesondere darf man, ja soll man sich sogar großzügig bei einem hochwertigen Olivenöl bedienen (hinzu kommen Nüsse und Samen sowie fettreicher Fisch oder auch Käse).
Das Schönste an der Mittelmeerkost ist vielleicht, dass sie gut schmeckt, was heißt, dass sich viele von uns damit langfristig anfreunden können. Womöglich denken wir bei »mediterranem Essen « als Erstes an Pizza Margherita und Spaghetti Bolognese. Diese beiden Klassiker auf der Speisekarte unseres Lieblingsitalieners kann man hin und wieder durchaus auch genießen, sie stellen aber nicht den Kern der traditionellen Mittelmeerkost dar. Die klassischen Zutaten der – von Land zu Land unterschiedlichen – Ernährungsweisen rund um das Mittelmeer sehen vielmehr wie folgt aus:
Damit wären wir bei der Hauptaussage dieses Kapitels angelangt: In großen Metaanalysen (Studien, die ihrerseits die Daten mehrerer Untersuchungen zusammenfügen) hat sich gezeigt, dass die Mittelmeerkost das Risiko für eine Depression um gut 30 Prozent senkt. [19] Zugleich haben Forscher entdeckt, dass gewisse Hirnregionen von Menschen, die der mediterranen Kost anhängen, altersbedingt weniger stark schrumpfen als bei Menschen, die sich nicht-mediterran ernähren . Und welche Hirnregion gehört hier wesentlich dazu? Richtig, der Hippocampus . Um die Sache auf den Punkt zu bringen: Wer sich mediterran ernährt , darf sowohl mit einem größeren Hippocampus als auch mit einer besseren Gemütsverfassung rechnen (Abbildung 1.3).
Das klingt alles sehr vielversprechend – und doch beweisen diese Zusammenhänge noch nicht, dass es wirklich die (mediterrane ) Ernährung ist, die unsere Stimmung stärkt. Um das klipp und klar zu belegen, bräuchte man ein echtes Experiment, das diese Fragestellung gezielt verfolgt. Genau das hat die Forscherin Felice Jacka gemacht.
In wiederum jahrelanger Arbeit stöberte Jacka 67 depressive Patienten auf, die bereit waren, sich an ihrem Unterfangen zu beteiligen (was vor allem deshalb so lange dauerte, weil die meisten Psychiater, über die Jacka Kontakt zu den Patienten zu bekommen versuchte,
Abb. 1.3 Für die hier ausschnitthaft dargestellte Studie verglichen New Yorker Forscher eine Gruppe von über 50 Testpersonen, von denen sich manche mehr, andere weniger stark mediterran ernährten . Auf den Scanbildern ganz oben sieht man Querschnitte durch das Gehirn von zwei Testpersonen. Die Person links ist zum Zeitpunkt des Scans 52 Jahre alt und ernährt sich ausgesprochen mediterran . Das Gehirn sieht normal und gesund aus. Rechts sehen wir den Scan einer 50-jährigen Person, die sich nicht-mediterran ernährt . Mehrere Hirnregionen sind bei ihr bereits deutlich geschrumpft. Man beachte zum Beispiel die vergrößerte dunkle Kammer im Zentrum des Gehirns, die an die Form eines Schmetterlings erinnert. Die Kammer ist mit Hirnflüssigkeit gefüllt, und sie ist deshalb vergrößert, weil das umliegende Hirngewebe verkleinert ist. Anders gesagt: Wo früher einmal Gehirnmasse war, ist nun Wasser. Auch der Hippocampus ist verkleinert, wie man in der pixeligen Vergrößerung unten im Bild erkennen kann: Der rechts eingekreiste dunkle »Fleck« weist ebenfalls auf Hirnflüssigkeit hin, wo sich einst Hirnzellen befanden. [20]
Mosconi et al. (2014). Mediterranean Diet and Magnetic Resonance Imaging-Assessed Brain Atrophy in Cognitively Normal Individuals at Risk for Alzheimer’s Disease. J Prev Alzheimers Dis.;1(1):23–32. Fig. 4. PMID : 25237654. PMCID : PMC 4165397.
ihre Idee für unsinnig hielten). Als es schließlich so weit war, teilte Jacka die Patienten in zwei Gruppen.
Die eine traf sich in den folgenden Wochen zu insgesamt sieben Diätkurs-Sitzungen. Ziel dabei war es, ihren Speiseplan möglichst mediterran umzustellen. Da Jacka bereits in früheren Studien aufgefallen war, dass Frauen, die entweder ganz viel oder sehr wenig rotes Fleisch zu sich nehmen, häufiger von Depressionen und Angsterkrankungen betroffen sind, riet sie allen zu nicht allzu großen, aber regelmäßigen Portionen rotem Fleisch in Form von unverarbeitetem Rind oder Lamm (drei bis viermal die Woche 65 bis 100 Gramm). In Australien, wo Jacka lebt und das Experiment durchführte, stammt dieses Fleisch überwiegend von frei lebenden, grasgefütterten Tieren, was bedeutet, dass es mehr Omega-3-Fettsäuren enthält als das bei uns bedauerlicherweise übliche »Industriefleisch«. [21]
Die andere Hälfte der Patienten diente als Kontrollgruppe. Sie kam während derselben Zeit lediglich zum Socializing zusammen, ernährte sich aber wie gehabt.
Das Ergebnis nach drei Monaten: Jene Teilnehmer, die im Laufe des Experiments zunehmend mediterran aßen, fühlten sich nicht nur deutlich besser als am Anfang des Versuchs. Auch der Vergleich zur Kontrollgruppe fiel krass aus: Während sich bei knapp einem Drittel (32,3 Prozent) der Patienten nach der Ernährungstherapie die Depression stark zurückgebildet hatte, betrug dieser Anteil in der Socializing-Kontrollgruppe gerade mal 8 Prozent.
Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen rührte übrigens nicht daher, dass man auf mediterrane Diät gesetzt mehr Gewicht verlor – das nämlich blieb bei den Teilnehmern weitgehend unverändert. Außerdem zeigte sich: Je konsequenter man die Kost auf mediterran umstellte, desto ausgeprägter war die heilsame, antidepressive Wirkung. [22]
Eine gesunde Ernährungsweise könnte somit wirklich so etwas wie eine stimmungsaufhellende Kraft entfalten. Die Mittelmeerkost kuriert zwar nicht jeden, das aber schaffen nebenbei gesagt auch die derzeit besten Medikamente und Methoden der Psychotherapie nicht. Und obwohl Felice Jackas Erkenntnisse recht neu und vorläufig sind, geben sie dennoch Anlass zur Hoffnung, zumal aktuelle Untersuchungen mit jüngeren Teilnehmern die Resultate bereits bestätigen konnten. [23]
Nun sind die meisten von uns zum Glück nicht depressiv , und man könnte sich fragen, ob eine gesunde Ernährung überhaupt noch einen positiven Einfluss auf die Stimmung hat, wenn die Stimmung ohnehin schon recht gut ist. Es gibt dazu zwar bisher erst eine Handvoll mehr oder weniger stichhaltiger Befunde, diese lassen allerdings einen klaren Trend erkennen.
Vorweg eine theoretische Spekulation: Betrachtet man eine Depression nicht als ein Alles-oder-nichts-Phänomen, von dem man entweder betroffen ist oder nicht, sondern eher als das äußere Ende auf einem Stimmungsspektrum, auf dem wir uns alle bewegen, dann erscheint es nicht unplausibel, dass eine Maßnahme, die bei Depressionen die Laune hebt, auch gegen alltäglichere Verstimmungen etwas ausrichtet. Die Maßnahme könnte unsere Gemütsverfassung selbst dann noch bessern, wenn wir uns bereits gut fühlen. Bei Sport und Bewegung ist das zum Beispiel der Fall: Bewegung hilft gegen Depressionen , [24] erhöht aber auch die Stressresilienz , Ausgeglichenheit und Lebensfreude, wenn wir nicht depressiv sind – mehr dazu in Kapitel 3 (weitere Beispiele, denen wir uns später im Buch zuwenden, sind Meditation und Psychedelika ). Mit anderen Worten: Bewegung steigert das Wohlbefinden weitgehend unabhängig von unserem »Ausgangszustand«.
Ähnlich könnte es sich mit gesunder Ernährung verhalten, wofür es auch einige empirische Hinweise gibt. In einer Studie zum Beispiel haben neuseeländische Forscher die Tagebücher von gut 280 Jugendlichen durchkämmt, in denen diese festgehalten hatten, was sie aßen und wie sie sich fühlten. Wie die Auswertung ergab, waren die jungen Menschen entspannter, glücklicher und enthusiastischer, wenn sie am Tag zuvor mehr Obst und Gemüse als sonst konsumiert hatten. [25] In einem Experiment gab das gleiche Forscherteam einer Gruppe von (nicht-depressiven ) Jugendlichen zwei Wochen lang täglich zwei Extraportionen Obst und Gemüse, die es – unter Beibehaltung ihrer sonstigen Ernährungsweise – zu verzehren galt. Der Effekt: Die jungen Leute fühlten sich im Verlauf der Tage immer lebendiger, engagierter und motivierter, während sich bei einer Kontrollgruppe, die ihre Ernährung nicht änderte, nichts dergleichen tat. [26]
In einer größeren Analyse mit Daten über einen Zeitraum von mehreren Jahren hat man etwas Vergleichbares beobachten können: Wenn nicht-depressive Menschen anfangen, mehr Obst und Gemüse zu essen, fühlen sie sich nach eigenen Angaben mit der Zeit glücklicher und schätzen ihre Lebenszufriedenheit höher ein. [27] Insgesamt spricht also einiges dafür, dass eine gesunde Ernährung dem Gehirn wie auch der Psyche nicht bloß im Falle einer Depression guttut, sondern unsere Gemütsverfassung allgemein hebt und beflügelt.
Leider hatte die Forscherin Felice Jacka die Gehirne der Patienten in ihrem Diät-Experiment nicht näher untersucht. Dafür weiß man aus anderen Studien, dass einige jener Zutaten, die zum Kern einer gesunden Ernährung wie der mediterranen Kost gehören, unter anderem ein Schrumpfen des Hippocampus aufhalten oder den Hippocampus sogar zum Wachstum anregen können. Besonders gut belegt ist dies bei den erwähnten Omega-3-Fettsäuren , wie sie in großen Mengen in fettreichem Fisch, wie Lachs, Hering und Makrele vorkommen. Gibt man zum Beispiel älteren Menschen – dies ist das Resultat mehrerer Tests – täglich Fischölkapseln mit Omega-3 , kann man nach einigen Monaten nachgerade eine Zunahme ihres Hippocampus -Volumens beobachten (sowie eine Stärkung ihrer Merkfähigkeiten). [28] Außerdem ergab erst kürzlich eine Metaanalyse unter Berücksichtigung von 26 Studien mit mehr als 2000 Testpersonen, dass Omega-3- Kaspeln tatsächlich zur Linderung einer Depression beitragen können. [29] Wie Omega-3-Fettsäuren und weitere Nährstoffe und Lebensmittel auf unser Gehirn und unseren Körper wirken und einen stimmungsaufhellenden Effekt entfalten, werden wir uns im nächsten Kapitel noch etwas genauer ansehen.