Fasten, kalte Duschen & Sauna
»Hormesis« oder
Was mich nicht umbringt, stärkt mich
In unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft erfahren Körper und Psyche in der Regel eine geradezu gegensätzliche Behandlung: Unsere Psyche steht oft unter Dauerdruck – durch Reizüberflutung, Arbeitsstress , Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit usw. Jede Form körperlicher Strapaze dagegen haben wir weitgehend eliminiert. Deshalb tut Sport uns ja so gut: Endlich stressen wir mal den Körper und bekommen den Kopf frei!
Wohlstand, könnte man sagen, heißt bis zu einem gewissen Grad eben dies: dass uns das Leben körperlich so wenig wie möglich belastet – während die Psyche ständig unter Strom steht. Psychische Überforderung bei körperlicher Unterforderung. Dieses Ungleichgewicht schlägt uns auf Dauer aufs Gemüt.
Sport ist ein Beispiel dafür, hier mit einer Art Gegenprogramm für etwas mehr Balance zu sorgen. Allerdings stehen uns noch weitere Mittel zur Verfügung, unseren Körper phasenweise herauszufordern, mit teils sehr schnellen und positiven Auswirkungen auch auf die Seele.
Vorübergehende, gezielte Stress erfahrungen katapultieren unseren Körper aus seinem Schlummerzustand und mobilisieren die Abwehrkräfte. Dabei gehen wir physisch, aber eben häufig auch psychisch gestärkt aus der »abhärtenden« Stress -Episode hervor. In der Wissenschaft bezeichnet man dieses Abhärtungsphänomen als »Hormesis « (griechisch für Anregung). Es ist ein bisschen wie bei Nietzsches Motto: »Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.« [103] Auf den folgenden Seiten sehen wir uns drei »hormetische « Stressoren an, die, wie Sport , unsere Seele beleben und unser Wohlbefinden heben können.
Ein denkbar einfacher Stressor , der uns jederzeit gratis zur Verfügung steht, ist Fasten . Das kann, muss aber nicht ein tagelanges Wasserfasten sein. Es geht auch sanfter, angenehmer, etwa in Form von Intervallfasten , indem man lediglich eine oder zwei Mahlzeiten zu sich nimmt und den Rest des Tages auf Nahrung verzichtet. Oder man isst nur in einem Zeitfenster von ungefähr 8 Stunden am Tag, die übrigen 16 Stunden fastet man.
Schon kurze Fastenperioden verändern die Physiologie unseres Körpers radikal. Sobald wir 10 bis 14 Stunden nichts gegessen haben, sind die Zuckervorräte der Leber aufgebraucht. Die Leber speichert nicht mehr als 700 bis 900 Kalorien in Form von langen Glukoseketten namens Glykogen, wobei Glukose jener Einfachzucker ist, den man auch als Traubenzucker bezeichnet. Ist dieser in der Leber gespeicherte Zucker alle, muss der Körper auf eine andere Energieressource zurückgreifen: Fett.
Unsere Fettzellen fangen nun also an, einen Teil ihrer Fettsäuren abzugeben. In der Leber werden diese Fettsäuren unter anderem in Moleküle namens Beta-Hydroxybutyrat und Acetoacetat umgewandelt. Diese Moleküle bezeichnet man auch als »Ketonkörper «.
Statt Glukose nutzt das Gehirn jetzt abgebaute Fettsäuren in Form von Ketonkörpern als Energiequelle, und dieser alternative Treibstoff verändert so einiges in unserem Oberstübchen: Beta-Hydroxybutyrat etwa wirkt anti-entzündlich und aktiviert den Nervenwachstumsfaktor BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor, wie in Kapitel 3 beschrieben), was einmal mehr die Nervenzellbildung im Hippocampus ankurbelt.
Dieser metabolische Umschaltprozess von Glukose auf Ketonkörper lässt sich mit Hilfe von Sport übrigens stark beschleunigen: Wer eine Stunde joggen geht, was grob 600 Kalorien verbraucht, bei dem wird die Ketonkörperproduktion bereits vier Stunden nach der letzten Mahlzeit hochgefahren. [104] Die Kombination von Sport und Fasten kann so noch um ein Vielfaches effektiver sein!
Fasten mag nicht jedermanns Sache sein. Viele aber, die sich dazu überwinden können, berichten mitunter begeistert davon, dass sie sich geistig klarer fühlen, sie empfinden mehr innere Ruhe und sind nicht selten sogar besser gelaunt. Ja, bei so manchem hebt sich sowohl das körperliche als auch das emotionale Wohlbefinden (ich persönlich spüre diese Effekte leider erst, wenn ich endlich wieder essen darf). [105] Wie einige Studien zeigen, steigen auch im Ramadan , dem Fastenmonat der Muslime, bei dem von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Nahrung verzichtet wird, sowohl die Energie als auch die Stimmung der Fastenden . [106]
Langzeitstudien kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. In einer Untersuchung teilte man mehr als 200 Testpersonen per Zufallsverfahren in zwei Gruppen: Die einen sollten für die nächsten zwei Jahre (!) täglich 25 Prozent weniger Kalorien zu sich nehmen als üblich, die anderen aßen sich ganz normal satt. Der erstaunliche Effekt am Ende des Experiments: Im Vergleich zur Kontrollgruppe hatte sich die Stimmung jener Menschen, die Tag für Tag ihre Kalorienaufnahme zurückgeschraubt hatten, deutlich aufgehellt – die Teilnehmer fühlten sich weniger angespannt und berichteten über einen besseren Schlaf . [107]
Auch wenn man es natürlich nicht ganz so weit treiben muss: Wenn ein Stimmungstief droht, halte ich es als Faustregel für eine gute Idee, nicht einfach nur passiv abzuwarten, in der Hoffnung, dass sich die dunklen Wolken schon von selbst verziehen. Nein, sobald man merkt, dass die Stimmung kippt, sollte man das als Aufforderung zum Handeln verstehen, bevor die Sache ausufert und man keine Kraft mehr hat, um überhaupt noch etwas zu unternehmen. Fasten kann eine mögliche Strategie sein. Für jene, die schon allein bei dem Gedanken, die nächsten Stunden auf einen Snack verzichten zu müssen, zuverlässig schlechte Laune bekommen, bieten sich zum Glück aber noch ein paar weitere schnelle hormetische Stressoren an.
Eine andere Möglichkeit nämlich, den Körper wachzurütteln, besteht darin, diese immerwährende, mittlere Wohlfühltemperatur von guten 20 Grad, in der wir uns unnatürlicherweise den gesamten Tag – und nicht selten mehr oder weniger das ganze Jahr – über aufhalten, zeitweilig zu verlassen und den Körper mit einer ungewohnten Kälte- oder Hitzeerfahrung zu konfrontieren. Beides kann die Stimmung aufhellen.
Jeder, der schon einmal in kaltes Wasser gesprungen ist, kennt den Reflex: Rein körperlich hat der Kälteschock , den wir dabei erleben, eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Panikattacke . Wir meinen, kaum Luft zu bekommen, wir erstarren, fangen an zu keuchen und hyperventilieren, das Herz rast, Stresshormone schießen durch die Adern, und der Blutdruck steigt. [108] All das stimuliert bereits die Gemüter. Nicht umsonst hielt schon der griechische Arzt Hippokrates Wassertherapie für ein Mittel gegen Lethargie, also einen Zustand körperlicher und psychischer Trägheit.
Der Punkt bei alledem ist: Allmählich gewöhnen wir uns an die Kälte , es gelingt uns, wieder einigermaßen durchzuatmen, wir beruhigen uns. Es ist, als würden wir unsere »Panikattacke « in den Griff bekommen. Die Kälte könnte so, wie eine Joggingrunde oder ein Work-out, unsere Stressreaktion trainieren: Wir üben uns mit Hilfe des Kälte stressors in Stressresilienz . Was heißt, dass uns der nächste Schock, sei er nun körperlicher oder vielleicht auch psychischer Natur, nicht mehr ganz so stark aus der Bahn werfen wird. [109]
So weit zur Theorie. Leider gibt es nur wenig handfeste Untersuchungen dazu, ob vorübergehende »Kälteschocks « unsere Emotionsregulation tatsächlich stärken. Fragt man Outdoor-Schwimmer, die sich regelmäßig im Meer, in einem See oder Fluss bewegen, so schwören jedoch viele von ihnen gerade auch deshalb auf die Runden in der Kälte , weil sie ihrer eigenen Einschätzung zufolge gegen ihre Depressionen und Ängste wirksam sind. [110]
Dazu gehört auch der wohl weltweit bekannteste Outdoor-Schwimmer und Kälteliebhaber , der niederländische Extremsportler Wim Hof , von manchen als Iceman bezeichnet. Schon als Jugendlicher hatte Wim Hof seine Liebe zu kaltem Wasser entdeckt. Später, nach dem tragischen Selbstmord seiner ersten Ehefrau, der Liebe seines Lebens, mit der er vier Kinder hat, halfen ihm die Natur und die Kälte , Stück für Stück ins Leben zurückzufinden. »Das kalte Wasser hat mich geheilt«, schreibt er in seinem 2021 erschienenen Buch Die-Wim-Hof-Methode . Bis heute fühlt er sich besonders erquickt, nachdem er eine Stunde in einer Tonne mit Eiswasser meditiert hat.
Wim Hofs Empfehlung für uns Kälte -Novizen lautet: Schließe deine übliche warme Dusche zunächst mit 15 Sekunden kalter Dusche ab. Nach einer Woche schaffst du locker 30 Sekunden und noch eine Woche später eine Minute. »A cold shower a day keeps the doctor away!«, lautet sein Credo. [111] Ich folge seinem Rat und dusche mehrmals die Woche kalt , meist nach einem Saunagang . Und es stimmt: Man gewöhnt sich an die Kälte und hält sie besser aus. Was mich betrifft, beleben kalte Duschen und Bäder definitiv mein Gemüt.
Auch wenn größere Studien fehlen – vereinzelt tauchen in der Fachliteratur ermutigende Fallgeschichten auf, die den stimmungsaufhellenden Effekt von kaltem Wasser bestätigen. So berichtet ein britisches Forscherteam von einer 24-jährigen Frau, die seit dem Teenageralter unter Depressionen litt, ebenso wie ihr Bruder und Vater. Weder Medikamente noch Psychotherapien konnten daran fundamental etwas ausrichten.
Erst als die junge Frau unter Betreuung der Wissenschaftler ein- bis zweimal die Woche in einem kalten See schwimmen ging, besserte sich ihr Zustand. »Obwohl ich die Kälte am Anfang nicht gerade genoss, war es, als würde mir eine Last von den Schultern genommen«, erzählt sie. Die Kältetherapie schlug bei ihr so gut an, dass sie nach vier Monaten völlig auf Medikamente verzichtete. »Das Schwimmen im Freien funktioniert für mich, es bringt mich an die frische Luft und hellt meine Stimmung auf. Manchmal fühle ich mich zwar immer noch down, das hat aber dann eher mit den Herausforderungen des Lebens zu tun, und nicht so sehr mit diesem Zustand, in dem ich mich früher befand.« [112]
Es mag zwar sein, dass uns kaum etwas so belebt wie ein Sprung ins kalte Wasser – trotzdem werden die meisten von uns die umgekehrte Richtung auf dem Thermometer bevorzugen und sich, wenn überhaupt, lieber einem vorübergehenden Hitzeschock aussetzen. Eben weil wir Wärme mögen und es daher an Saunafans nicht mangelt, stehen uns in diesem Fall auch erheblich mehr Studien zur Verfügung. Sie legen nahe, dass regelmäßige Hitzestress -Episoden sowohl unserem Körper als auch unserer Psyche ausgesprochen guttun können.
Ein gebräuchlicher (finnischer, also relativ trockener) Saunagang mit einer Temperatur zwischen 80 und 90 Grad lässt unsere Körpertemperatur von 37 Grad auf ungefähr 39 Grad klettern. Das Herz wird gestresst , als würden wir eine Runde Sport treiben, der Herzschlag erhöht sich, unser Herzmuskel pumpt mehr Blut in den Kreislauf, der Blutdruck steigt.
Das Blut fließt dabei vermehrt zur Haut, was uns ins Schwitzen bringt. So verliert man bei einem Saunagang typischerweise gut einen halben Liter Flüssigkeit. Das allein ist heilsam, weil der Körper über diesen Weg deutlich mehr Leicht- und Schwermetalle loswird als sonst über den Urin (knapp viermal so viel Aluminium und 17-mal so viel Blei, um nur zwei Beispiele zu nennen).
Während wir schwitzen, steigen auch Entzündungsmarker, wie Interleukin-6 (IL -6), abermals ähnlich wie beim Sport . IL -6 jedoch aktiviert den anti-entzündlichen Immunbotenstoff IL -10. Nach dem Sauna -Stress normalisieren sich so die Entzündungswerte wieder und der Blutdruck fällt – einmal mehr wie nach einem körperlichen Training – unter Normalniveau. Vermutlich ist es kein Zufall, dass sich bei Saunagängern im Allgemeinen niedrigere Entzündungswerte und ein niedrigerer Blutdruck beobachten lassen. [113]
All dies ist gesund fürs Herz und für den Körper überhaupt. Größere Untersuchungen aus Finnland offenbaren, dass bei Männern, die zwei- bis dreimal die Woche saunieren, das Sterblichkeitsrisiko aufgrund einer Herz-Kreislauf-Erkrankung um 27 Prozent gesenkt ist im Vergleich zu Männern, die nur einmal die Woche die Sauna aufsuchen. Wer sich wöchentlich vier- bis siebenmal in die Sauna begibt, dessen Sterblichkeitsrisiko aufgrund einer Herz-Kreislauf-Erkrankung verringert sich sogar um 50 Prozent. [114]
Auch die Psyche profitiert. In einer Studie brachten US -Forscher mit Hilfe eines Infrarot-Ganzkörperwärmegeräts die Körpertemperatur einer Gruppe von depressiven Patienten vorübergehend auf 38,5 Grad. Eine Session dauerte im Schnitt gute anderthalb Stunden. Wie sich herausstellte, half schon eine einzige Hitze -Sitzung dabei, die Depression wochenlang zu lindern, auch wenn der Effekt nicht so stark war, wie man ihn bei Medikamenten für gewöhnlich sieht. [115]
Das allerdings lässt sich mit mehreren Sitzungen erreichen. In einer weiteren Untersuchung jedenfalls sollten depressive Patienten zweimal die Woche ein bis zu 30 Minuten langes, 40 Grad heißes Bad nehmen. Nach dem Bad wurden sie in warme Decken eingewickelt, wobei zwei heiße Wasserflaschen für zusätzliche Wärme sorgten. Auf diese Weise verbrachten die Teilnehmer noch zusätzlich mindestens eine halbe Stunde in der Wärme, erneut mit dem Ziel, die Körpertemperatur zu erhöhen. Die Wirkung: Bereits nach vier Sitzungen minderten sich die Symptome der Depression (unter anderem besserten sich die Stimmung wie auch der Schlaf ), und der Effekt fiel in diesem Fall selbst etwas stärker aus als bei einer Behandlung mit Medikamenten. [116] Inzwischen gibt es ein halbes Dutzend Studien dieser Art, die allesamt in eine ähnliche, positive Richtung weisen. [117] Ein möglicher Wirkmechanismus ist auch hier der Nervenwachstumsfaktor BDNF , der vermehrt gebildet wird, wenn wir ein heißes Bad nehmen. [118]
Zum Schluss noch ein Tipp für einen besseren Schlaf (mehr Schlaftipps gibt es in Kapitel 6): am besten am frühen Abend saunieren oder baden. Schon allein das anschließende Absinken des Blutdrucks lässt uns schön runterkommen und wohlig schlapp werden. Darüber hinaus hilft die Hitze – auch wenn es zunächst etwas paradox klingt – dabei, unsere Körpertemperatur zu senken. Dadurch nämlich, dass das Blut vom Innern des Körpers zur Haut und zu den Händen und Füßen fließt, gibt der Körper auch lange nach dem Saunagang oder Bad noch jede Menge Hitze an die Umgebung ab, wobei unser Körper abkühlt. Das unterstützt den Schlaf -Wach-Rhythmus, weil unsere Körpertemperatur am späten Abend sinkt und nachts ihren Tiefpunkt erreicht. So führt ein heißes Bad oder eine heiße Dusche rund anderthalb Stunden vor dem Zubettgehen dazu, dass man schneller einschläft. [119]