Zwischenmenschliche Beziehungen
Der Barista, das Handy und warum unsere Psyche in Gemeinschaft aufblüht
Auf den ersten Blick könnte man die in diesem Buch besprochenen Strategien als rein individuelle oder womöglich sogar »egozentrische« Aktivitäten betrachten: Was kann ich für mich tun, um meinem Wohlbefinden auf die Sprünge zu helfen? Das aber wäre insofern ein Missverständnis, als sich praktisch alle diese Strategien natürlich sehr gut auch in Gemeinschaft mit anderen Menschen umsetzen lassen. Gemeinsam wird es den meisten von uns sogar mehr Spaß machen oder, wo nötig, auch mehr motivieren. Das gilt fürs Essen ebenso wie für den Sport , für die Naturausflüge, und es kann auch auf die Meditation zutreffen, wenn wir zum Beispiel einen Kurs oder ein Retreat machen.
Generell kann man sagen: Unsere Psyche blüht in Gemeinschaft auf. Gerade darin lauert auch eine Gefahr: Eben weil wir uns in Gesellschaft besonders wohlfühlen, sehen wir andere Menschen fast schon definitionsgemäß so gut wie immer in einem ungewöhnlich glücklichen Gemütszustand, während wir uns selbst oft genug auch einsam und alleine erleben. Hinzu kommt, dass wir unsere schlechte Laune in Gesellschaft häufig verbergen, wir überspielen sie und geben uns in Gegenwart anderer fröhlicher, als wir wirklich sind.
Aus alledem kann dann leicht der Eindruck in uns entstehen, andere Menschen gingen grundsätzlich freudiger durchs Leben als wir, und wir fragen uns, was mit uns los ist: Was machen wir falsch? [216] Dabei machen wir nichts falsch, wir haben lediglich einen falschen Eindruck. Denn allein in ihren vier Wänden, den Blicken der anderen entzogen, sind unsere Mitmenschen oft genug ebenso traurig, deprimiert, verzweifelt wie wir. Auch wenn es uns schwerfällt, uns das vorzustellen – es ist durchaus möglich, sogar nicht unwahrscheinlich, dass unsere Bekannten oder Kollegen gelegentlich darüber grübeln, warum wir eigentlich immer so unausstehlich gut drauf sind, und sich fragen, was bloß mit ihnen los ist, dass sie nicht immer so froh gelaunt sind wie wir. Schon allein diese allgemeine Glückstäuschung zu durchschauen, kann dabei helfen, sich selbst nicht unnötig unter Druck zu setzen, nur weil man sich nicht jederzeit rundum happy fühlt, was vollkommen normal ist.
Zwischenmenschliche Beziehungen und das Gefühl zu einer Gruppe dazuzugehören sind für unser seelisches Wohlbefinden so wichtig, dass manche Wissenschaftler der Überzeugung sind, wir Menschen seien mit einer Art »Zugehörigkeitstrieb « ausgestattet, der gewissermaßen zu unseren Überlebensinstinkten gehört und ähnlich tief in unserem Organismus verankert ist wie Hunger und Durst oder der Sexualtrieb . Ein solcher Drang dazuzugehören würde uns bereits in den ersten Tagen unseres Daseins unser Überleben sichern: Als Babys würden wir schließlich keinen Tag durchstehen, gäbe es da nicht mindestens einen anderen Menschen, der sich rund um die Uhr um uns kümmern würde.
Später als Erwachsene mögen wir zwar nicht mehr in diesem Maße von anderen abhängig sein, gefühlsmäßig bleiben wir es aber doch. So halten wir zum Beispiel häufig sogar an Beziehungen fest, die uns nicht guttun, wie an einer zerrütteten Ehe, und wenn wir uns nach langem Zögern und gescheiterten Therapieversuchen schließlich doch zu einer Trennung durchringen können, dann ist dieses Ereignis – ganz im Gegensatz zur Eheschließung – in der Regel nicht gerade ein Anlass zum Feiern, selbst dann nicht, wenn die Trennung einvernehmlich erfolgt. [217]
Anderes Beispiel: Die höchste Strafe in unserer Gesellschaft besteht darin, einen Menschen aus der Gesellschaft aus- und in ein Gefängnis einzuschließen, und dort kann man die Strafe noch einmal durch Isolationshaft verschärfen. Diese Beispiele sprechen schon für ein tief sitzendes Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit . [218]
Befunde aus der Hirnforschung unterstreichen, dass es geradezu körperlich schmerzhaft für uns ist, von unseren Mitmenschen ausgegrenzt zu werden. Tatsächlich schlagen in solchen Situationen Hirnregionen Alarm, die auch bei rein physischen Verletzungen aktiviert werden. Aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden ist somit auf einer gewissen Ebene ähnlich unangenehm, wie wenn man uns Daumenschrauben anlegen würde. Konsequenterweise lindern Schmerzmittel wie Paracetamol nicht nur Kopf- und Zahnweh, sondern auch jenen »seelischen« Schmerz , der daher rührt, dass wir von anderen Menschen abgewiesen wurden. [219]
Auch in der Glücksforschung hat man in Studie über Studie festgestellt, wie sehr die Erfüllung unseres Verlangens nach Zugehörigkeit , nach Nähe und Anerkennung unserer Mitmenschen unser Wohlbefinden bestimmt. Nichts wirkt sich zum Beispiel so stark auf unsere positiven Gefühle aus wie die Qualität unserer sozialen Beziehungen sowie auch die Frage, ob wir im Alltag von unseren Mitmenschen Respekt erfahren. [220]
Ein US -Psychologenteam ist einmal dem Rätsel auf den Grund gegangen, was extrem glückliche Menschen eigentlich auszeichnet – als solche galten in diesem Fall jene Zeitgenossen, die unter anderem ihre Stimmung auf einer Skala von 1 bis 10 im Schnitt mit einer knappen 8 bewerteten, an vielen Tagen auch mit einer 9. Dabei stießen die Forscher einmal mehr auf den Sozialfaktor : Die Superglücklichen unterschieden sich von den »Normalsterblichen« besonders hinsichtlich ihrer Beziehungen zu anderen Menschen. Ausnahmslos alle in der Gruppe der extrem glücklichen Menschen berichteten über gute soziale Beziehungen mit Freunden, Familie sowie Liebespartnern. Soziale Beziehungen , so das Fazit der Forscher, sind zwar nicht die alleinige Zutat für psychisches Wohlbefinden, ohne gute, enge Bindung zu anderen Menschen jedoch schafft man es schlicht nicht in jenen exklusiven Club der allerglücklichsten Zeitgenossen – mit keinem Geld oder Erfolg der Welt. [221]
Gute Beziehungen als Grundvoraussetzung für Seelenfrieden – ein Befund, der kürzlich anhand der Daten von mehr als 1,5 Millionen Menschen aus 166 Ländern der Welt bestätigt werden konnte. [222] Als entscheidend erweist sich dabei, wenn es zumindest eine Person gibt, auf die wir jederzeit zählen und der wir alles anvertrauen können. Wenn es in unserem Leben wenigstens einen Menschen gibt, den wir nachts um 3 Uhr anrufen könnten und der sofort für uns da wäre. Insgesamt dürften diese Befunde die meisten von uns wohl nicht allzu sehr überraschen.
Was wir dagegen schon eher unterschätzen, sind die »kleineren«, alltäglichen sozialen Interaktionen , die unscheinbar sein mögen, jedoch ebenfalls deutlich auf unsere Stimmung abfärben. Der herzliche Gruß des Nachbarn zum Beispiel (nicht mehr als zwei, drei Sekunden, die dennoch etwas in uns auslösen) oder die freundlichen Sätze, die wir mit dem älteren Herrn wechseln, der uns am Kiosk unsere Lieblingsillustrierte verkauft: Flüchtige Interaktionen wie diese heben unsere Laune mehr, als uns oftmals bewusst ist, wie Untersuchungen zeigen.
In einer Studie zum Beispiel hat man zwei Gruppen von Testpersonen in eine Starbucks-Filiale geschickt. Die einen sollten ihre Bestellung abgeben, ohne dabei weiter mit dem Barista zu interagieren. Die anderen regte man zu einer kleinen Konversation an. Wie sich ergab, verließen Letztere – im Vergleich zu den Ersteren – den Coffeeshop besser gelaunt. [223] Meist ist unser Alltag auf diese Weise von vielen kurzen Begegnungen geprägt, die wir für uns nutzen können oder nicht und die gerade in ihrer Summe unsere Stimmung spürbar steigern können – oder eben auch nicht.
In einer anderen Untersuchung sprachen Wissenschaftler Hunderte von Pendlern auf einem Londoner Bahnsteig an und teilten jene, die beim Versuch mitmachten, ebenfalls in zwei Gruppen: Die einen sollten während der Zugfahrt einen Mitfahrer in ein Gespräch verwickeln. Die anderen sollten die Fahrt ohne zwischenmenschlichen Kontakt verbringen. Bei Studien wie diesen stellte sich wiederholt heraus, dass wir aus verschiedenen Gründen unterschätzen, wie gut es uns tut, wenn wir mit einem fremden Menschen ein Gespräch beginnen. Vor allem befürchten wir, dass der andere kein Interesse an uns haben wird, und so scheuen wir davor zurück. Wenn wir uns aber einen Ruck geben und uns dazu durchringen, auf den anderen zuzugehen, sind wir im Nachhinein häufig überrascht, wie positiv der Austausch war, und fühlen uns besser. Genau das ergab auch das Londoner Pendler-Experiment. [224]
Heutzutage suchen wir den sozialen Anschluss ja oft über das Handy. Interessanterweise ist das sowohl ein Gesellschafts- als auch ein Isolationsinstrument : Einerseits können wir mit seiner Hilfe nicht nur mit unseren Freunden, sondern mit praktisch der gesamten Welt in Verbindung treten. Zugleich kann die Verwendung auch – gewollt oder weniger gewollt – dazu führen, dass wir uns von anderen Menschen abkapseln. Studien zum Effekt von Handys auf unser Wohlbefinden spiegeln diese Ambivalenz.
So kann bereits die schiere Präsenz unseres Handys unseren Stress lindern und uns besänftigen, wenn wir uns von anderen ausgegrenzt fühlen. Anders gesagt: In schlechter Gesellschaft stützt das Handy unser Wohlbefinden, weil wir mit ihm unser soziales Netz gewissermaßen in Griffnähe haben – wir könnten uns jederzeit aus dem deprimierenden Hier und Jetzt herausholen und Kontakt mit Menschen aufnehmen, die etwas für uns übrighaben und (positiv) auf uns reagieren. [225]
In guter Gesellschaft dagegen stört das Handy eher. Wir kriegen nur noch die Hälfte dessen mit, was – nicht zuletzt nonverbal – gesagt wird, wir sind einfach nicht ganz »da«, die Aufmerksamkeit für unser Gegenüber leidet. Studien zeigen, dass Menschen bei einer Interaktion mit einer fremden Person 30 Prozent weniger lächeln, einfach bloß weil sie ihr Handy dabeihaben . [226] Die schiere Möglichkeit, zu allerlei anderen Menschen Kontakt aufnehmen zu können oder sich ins Internet zu begeben, in dem es stets etwas Neues, Aufregendes zu entdecken gibt, entwertet stillschweigend jene Menschen, die gerade leibhaftig anwesend sind. Vor allem bei den Menschen, auf die es uns im Leben ankommt, sollten wir uns das genau überlegen (und ja, das gilt auch für dich, Bas, du alter Online-Junkie!).
Inzwischen kleben wir im Schnitt bereits mehr als drei Stunden täglich an unserem Handy – was viel ist, zumindest aus Sicht unseres Wohlbefindens. Zu viel wahrscheinlich. Studien offenbaren jedenfalls, dass wir uns besser, weniger depressiv und weniger ängstlich fühlen, wenn wir die übliche Handyzeit einfach um eine knappe Stunde verkürzen. [227]
Der Rat, der sich aus alledem ergibt, könnte wie folgt lauten: Pflege deine Beziehungen und Kontakte im Zweifel mehr, als du das zu tun geneigt bist. Gut möglich, dass du die segensreiche Wirkung auf deine wie auch auf die Gemütsverfassung deines Gegenübers bislang unterschätzt hast. Nimm Verbindung auf, mit Freunden wie mit Fremden. In der Regel wird dich das »Resultat« positiv überraschen. Und was das Handy betrifft: Hab es zur Sicherheit immer dabei – man weiß ja nie, ob man nicht doch mal in schlechte Gesellschaft gerät. Allgemein jedoch gilt: Weniger ist mehr. Insbesondere bei einem romantischen Dinner, einem gemütlichen Abend unter Freunden oder mit der Familie sollte man sich und allen andern einen Gefallen tun und das Handy Handy sein lassen.