Ich bin nun mal nicht der abenteuerlustige Detektiv Marke Glückskind. Wenn ich schon mal ein Ding drehe, werde ich garantiert dabei erwischt. Es ist nicht fair. Ich hörte ein Klicken von der anderen Seite der Tür. In Waffenkunde bin ich wenig bewandert, aber ich weiß, wann ein Revolverhahn gespannt wird.
»Tun Sie nichts, was ich vielleicht bedauern würde«, rief ich. »Ich tue alles, was Sie sagen.« Als sie mich loskreischen hörte, spitzte die Katze die Ohren.
Der Druck an meinem Arm ließ ein wenig nach, obwohl sich der Griff um mein Handgelenk nicht lockerte. Ich rührte mich nicht. Mir hat der Gedanke, in einer Situation wie dieser die Flucht zu ergreifen, noch nie gefallen: die Kugeln, die von hinten kommen, kann man nicht sehen, und den Kugeln, die man nicht sehen kann, kann man nicht ausweichen.
Außerdem war ich neugierig. Die Stimme auf der anderen Seite der Tür gehörte einer Frau, und ich hatte ein oder zwei Fragen an sie.
»Wir sollten aufhören, uns auf diese Art und Weise zu unterhalten«, sagte ich, als ich durch die Hintertür in Marcia Meroms Küche gelangte. Sie stand ein gutes Stück von mir entfernt und hielt mit beiden Händen einen langläufigen, auf meine Brust gerichteten Revolver. Ohne auch nur ein kleines bißchen zu wackeln. »Es wäre sehr hilfreich, wenn Sie ans Telefon gingen oder die Tür öffneten, wenn es klingelt.«
Sie war todernst, aber ohne jede Angst, denn sie hatte nicht erwartet, daß ich ich war. Es war Lee, den sie erwartet hatte. »Machen Sie keine schnellen Bewegungen«, sagte sie.
»Warum sollte ich? Oh, ich verstehe. Sie glauben, ich habe auch eine Waffe. Aber ich habe keine.«
»Gehen Sie ins Wohnzimmer«, sagte sie.
»Ihr Wunsch ist mir Befehl«, sagte ich.
Ich ging voran in einen hellblauen Raum voller Tische, Stühle, Bücherregale und Schnickschnack. Es stand auch ein Schreibtisch darin, der gewiß ein Hauptkandidat meines Interesses gewesen wäre, wenn ich den Raum ohne Begleitung betreten hätte. An den Wänden hingen Bilder von Pferden und traurig heulenden Hunden. Es waren keine Drucke, sondern richtige Bilder, solche mit Farbe darauf. Es gab noch viele andere Anzeichen von nicht unbedeutenden Mitteln und einem gewissen, wenn nicht sogar ansprechenden Geschmack. Über dem Schreibtisch hing eine Urkunde der Universität von Minnesota über die Verleihung des Doktorgrades in Biochemie an eine Marcia Jeannett Merom, datiert von 1972.
Dr. Merom führte mich zur Vordertür. Ich begann darüber zu lamentieren, daß wir uns kaum kennengelernt hatten. Aber sie sagte nur: »Mund halten!«
»Sie sind diejenige, die die Waffe hat«, sagte ich.
»Vergessen Sie das nicht«, sagte sie.
Wir kamen zur Tür.
»Jetzt nehmen Sie die Position ein«, sagte sie.
»Wie bitte?«
»Gegen die Tür. Sie müssen doch wissen, wie es geht.«
»Sie meinen, ich soll mich dagegenlehnen? Wie im Fernsehen?«
»Hören Sie auf, drum herum zu reden.«
Ich nahm die Position ein. Vorsichtig aber gründlich versicherte sie sich, daß es in meiner Kleidung keine klumpigen Metallgegenstände gab. Ihr schien es nicht peinlich zu sein. Aber mir.
»Sind Sie jetzt glücklicher?« fragte ich.
»Okay. Aufstehen«, sagte sie. »Umdrehen. Und jetzt hinsetzen.«
Ich ging auf einen Stuhl zu.
»Nein! Auf die Türschwelle!«
Ich verstand sie nicht, setzte mich aber mit dem Rücken gegen ihre Vordertür auf den Fußboden. Und begann, über meine Geschichte nachzudenken. Aber sie lächelte plötzlich. »Sie wissen, daß ich Sie jetzt töten könnte, wenn ich wollte?«
Ich war überrascht, schockiert. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.
»In mein Apartment eingebrochen«, sagte sie. »Ein großer, starker Mann gegen eine arme, schutzlose Frau.«
»Warum um alles in der Welt sollten Sie mich erschießen wollen?« sagte ich.
»Ich habe nicht gesagt, daß ich das will«, sagte Marcia Merom pedantisch. »Ich sagte, ich könnte es tun, wenn ich es wollte. Sie sind mir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.« Ein diebisches Vergnügen spiegelte sich in ihren Augen, verblaßte dann wieder.
Ich folgte dem Impuls, einen Gegenangriff zu starten. »Ist es das, was Sie mit Lee vorhatten, wenn er es gewesen wäre und nicht ich?«
Aber sie schien mir nicht zuzuhören. »Gibt es irgendeinen Grund, warum ich nicht die Polizei rufen und Sie verhaften lassen sollte?«
»Jawohl«, sagte ich.
»Und der wäre?« fragte sie neugierig und senkte den Revolver.
»Wollen Sie so tun, als wüßten Sie das nicht genauso gut wie ich?« Ein Gegengegenangriff.
Plötzlich erinnerte sie sich an mich. Die Szene in der Loftus-Klinik. Mit und wegen John Pighee. Sie ging nicht zum Telefon.
Ich täuschte Sorglosigkeit vor. »Sie haben das Telefon fünfundzwanzigmal klingeln hören. Sie haben die Klingel von unten gehört. Die Klingel hier oben. Warum haben Sie nicht reagiert?«
»Warum sollte ich?«
»Ich bin nur hergekommen, um mit Ihnen zu reden. Das Klingeln zeigte, daß ich diesen Wunsch hatte.«
»Und das, was ich getan habe«, sagte sie nachdrücklich, »zeigt, daß ich nicht mit Ihnen reden wollte. Noch mit sonst jemand. Warum sind Sie nicht einfach weggegangen und haben es ein andermal wieder versucht?«
»Nun, ich wohne auf der anderen Seite der Stadt. Ich war gerade in der Gegend und dachte, ich könnte Ihnen eine Nachricht hinterlassen.«
»Eine Nachricht?« Sie schien nicht übermäßig schnell von Begriff zu sein.
»Ja«, sagte ich. »Also sagte ich zu mir, eine vielbeschäftigte Wissenschaftlerin wie Dr. Merom hat vielleicht keine Zeit, in ihrem Briefkasten nachzusehen. Also wäre es besser, meine Nachricht irgendwo hinzulegen, wo sie sie nicht übersehen kann. Deshalb wollte ich Ihnen einen Zettel auf den Küchentisch legen, damit Sie ihn auch ganz bestimmt finden würden, wenn Sie morgens Ihre Matschi-Pops essen.«
Sie hielt inne, um nachzudenken. Und sagte dann: »Ich kann solche Witzchen überhaupt nicht komisch finden.«
Wenigstens reagierte sie nun auf das, was ich sagte. Statt umgekehrt. »Sie hatten den Revolver in der Hand, weil Sie dachten, ich sei Lee. Was ist los, verstehen Sie sich nicht mit ihm?«
»So könnte man es ausdrücken.«
»Sie rechnen damit, daß er mit Gewalt hier eindringt?«
»Wenn er sich etwas in den Kopf setzt - irgend etwas -ist es sehr schwer, ihn dazu zu bewegen, zu…« Sie verstummte. Dann fuhr sie fort: »Ich möchte nicht über Lee reden.«
»Muß eine ziemliche Belastung für Ihre Geschäftsbeziehungen sein, wenn Sie solche Probleme miteinander haben«, sagte ich. »Mitglieder einer Gang sollten sich gut verstehen. Sie sollten Zusammenarbeiten wie eine gut geölte Maschine.«
»Was wissen Sie denn schon vom Geschäft?« fragte sie.
Ich versuchte mich an einem unergründlichen Gesichtsausdruck. »Ist es nicht schon genug, daß ich weiß, daß es ein Geschäft gibt? Und eine Gang?«
»Eine Gang?« sagte sie. So, als wäre es ein merkwürdiges Wort für das, was vorging, was immer es auch sein mochte.
»Die Belastung wegen der Pighee-Sache macht den Leuten langsam zu schaffen? Für Sie muß es am schwersten sein.« Ich hielt inne, aber sie sagte nichts. »Wenn man Ihre Beziehung zu Pighee in Betracht zieht.« Keine Reaktion. »Wußten Sie, daß er Ihnen eine ganze Menge Geld hinterlassen hat? Für den Fall, daß er stirbt, meine ich. Vielleicht hätte ich Ihnen nichts davon sagen sollen, wo es Ihnen doch so viel Spaß macht, Leute umzubringen. Sie könnten einfach seinen Stecker rausziehen, um an das Geld zu kommen.«
»Nein… so etwas würde ich für Geld nicht tun… Ich meine…«
»Nein, nein«, sagte ich und sah mich in dem Zimmer um. »Sie scheinen mehr als genug davon zu haben. Natürlich verdienen Arzte heutzutage auch ein Vermögen, nicht wahr? Nein, Sie brauchen wirklich nicht noch mehr Geld.« Ich zögerte und sagte dann: »Aber wenn Pighee nun schon so lange aus dem Weg ist, warum mischt Seafield jetzt erst mit?«
Sie senkte den Kopf. »Lee ist schon in Ordnung«, sagte sie.
»Ach ja?« sagte ich. Und ich stand auf. Sie reagierte nicht. Ihre Hände lagen locker auf dem Revolver, rührten sich jedoch nicht. Sie schien ganz vergessen zu haben, daß sie ihn noch hatte. Im Gegensatz zu mir.
»Ich kann nicht sagen, daß ich die Dinge so richtig verstehe«, sagte ich. »Aber was ich Ihnen und Ihren Leuten mitteilen wollte, ist folgendes: Ich höre nicht auf, in der Pighee-Sache herumzustochern, bis ich verstehe, was da los ist. Und die Polizei wird sich auch dafür interessieren.«
»Die Polizei«, sagte sie kopfschüttelnd. »Nein.«
»Doch«, sagte ich, aber sie schien mir nicht zuzuhören. Sie schien vielmehr den größten Teil unseres Gesprächs mit sich selbst abzuhalten.
Dann sagte sie plötzlich: »Warten Sie noch ein paar Tage. Warten Sie, ja? Sie… Sie verstehen nicht, da bin ich mir sicher. Sie könnten Menschen schaden, Dingen, Dingen, denen Sie keinen Schaden zufügen wollen würden, da bin ich mir sicher. Geben Sie der Sache noch ein paar Tage. Bitte.« Sie stand auf und ließ den Revolver auf ihrem Stuhl liegen. »Bitte! Ich rufe Sie dann an, und wir können darüber reden. Haben Sie eine Karte? Mit Ihrer Telefonnummer drauf? Ich rufe Sie an, das verspreche ich Ihnen.«
Ich gab ihr meine Karte. Und nachdem ich bereits mehr erreicht hatte, als ich erwartet hatte, ging ich. Durch die Vordertür.