32

Als es zum vierten Mal beharrlich klingelte, kam Dr. phil. Marcia Merom mit ihrem Revolver aus dem Schlafzimmer zurück. Sie schien viel gelassener zu sein, so als gebe ihr das Gewicht der übergroßen Waffe neuen Halt.

Während unser Möchtegernbesucher an die Tür hämmerte, ließ sie ihren Revolver unter ein Kissen auf der Couch gleiten. Ich fühlte mich mittlerweile extrem unwohl in meiner Haut. Nicht nur wegen der Waffe, sondern wegen Marcia Meroms halsbrecherischen Stimmungsumschwüngen.

Von draußen rief eine schmeichlerischsonore Stimme: »Marcia Janet Merom. Ich weiß, daß du da drin bist. Du wirst mich reinlassen, Marcia Janet Merom.«

Marcia Merom schüttelte ihr Haar auf, ein Reflex, der mein Mitleid weckte. Dann riß sie die Tür weit auf, blieb selbst aber außer Sichtweite stehen.

Seafield sah mich zuerst. Er war nicht erfreut. Er hielt inne. Dachte nach. Dann marschierte er ins Zimmer, und ohne Marcia Merom eines Blickes zu würdigen, zog er die Tür hinter sich zu und schob den Riegel vor.

Er zeigte mit dem Finger auf mich. Dann nickte er und sagte: »Das Arschloch von Privatdetektiv.«

Marcia Merom setzte sich auf die Couch und ließ ihre Hand unter das Kissen gleiten, unter dem ihr Revolver lag. Wenn sie etwas Tröstliches daran fand, war sie jedenfalls die einzige.

Seafield stand vor der Couch, auf der ich saß, und sah aus wie Paul Bunyan. »Sie wissen auch nicht, wann Sie von anderer Leute Angelegenheiten die Finger lassen müssen«, sagte er. Dann, an Marcia Merom gewandt: »Was hat er hier zu suchen, Marcy?«

»Ich kann mich treffen, mit wem ich will«, sagte sie, wobei sie irrtümlicherweise so antwortete, als käme die Frage von einem eifersüchtigen Liebhaber, während sie in Wirklichkeit ein argwöhnischer, heimlicher Mitverschwörer gestellt hatte. Wie die Sache im einzelnen auch stehen mochte, es war offensichtlich, daß er ihre Gefühle zu einem gordischen Knoten verschlungen hatte.

»Du solltest jetzt eigentlich im Labor sein«, sagte er sachlich. »Was hast du ihm erzählt?«

»Das meiste weiß er schon«, antwortete sie nun etwas beherzter.

»Und was er noch nicht wußte, darüber hast du ihn informiert, nehme ich an«, sagte Seafield. »Einschließlich dessen, was dem verräterischen John Pighee zugestoßen ist.«

»Nein«, sagte Marcia Merom plötzlich. Und fügte dann etwas bedächtiger hinzu: »Aber er weiß Bescheid über Johns… Zustand.«

»Wenn du ihm irgend etwas verraten hast, irgend etwas …«

»Er wußte es schon!« jammerte sie und begann zu weinen.

»Wenn du ihm irgend etwas verraten hast«, beharrte Seafield, »zeichne ich nicht dafür verantwortlich. Du hast nicht das Recht, solche Entscheidungen zu treffen.«

»Ich habe ihm wirklich nichts erzählt«, wimmerte sie. »Er wußte es bereits. Ich habe nichts gesagt.«

Zu mir sagte Seafield nun: »Sie sollten jetzt besser gehen.« Er war schon dreißig Zentimeter größer als ich, wenn ich stand; wenn ich saß, sah es so aus, als hätte ich ein ganzes Gebirge vor mir. 

»Ich gehe nirgendwohin«, sagte ich. »Dr. Merom und ich haben uns gerade unterhalten, als Sie dazwischenkamen. Ich weiß nicht, welche persönliche Gewalt Sie über sie haben, aber sie scheint Sie zu fürchten. Ich gehe nicht, bevor Sie auch gehen.«

Seafield lächelte zuerst nur. »Sie haben es gern grob, wie?« fragte er. »Das mag sie. Du hast es doch gerne grob, nicht wahr, Marcy?«

»Nein!«

»Ich müßte es doch wissen«, tönte Seafield. »Ich müßte es wissen.«

Ich stand auf.

»Sie sind immer noch zu klein«, sagte Seafield.

Ich fühlte mich wie ein Bär, dem man einen Köder vor die Nase hielt. Glücklicherweise habe ich einen kleinen geistigen Vorsprung vor einem Bären. Ich trat hinter die Couch und griff nach dem Telefon. Während ich wählte, machte ich weiter Small talk. »Sie kennen sich ziemlich gut in diesem Apartment aus«, sagte ich. »Sie sind schon mal hier gewesen, bevor Dr. Merom eingezogen ist, nicht wahr?«

Die lediglich beiläufige Drohung verschwand aus Seafields Zügen, und an ihre Stelle trat etwas Bösartiges. »Was soll das heißen?«

Ich hörte, daß jemand am anderen Ende der Leitung den Anruf entgegennahm und hielt den Hörer von mir weg, so daß sie eine Chance hatten mitzuhören, als der Beamte am Empfang sagte: »Mord und schwerer Raub. Kann ich Ihnen helfen?«

»Lieutenant Miller, bitte«, sagte ich.

Aber es war ein kurzes Gespräch. Seafield riß den Telefonanschluß aus der Wand.

»Nun, nun«, sagte ich. Jetzt war er der Bär. Ich sah ihn ungerührt an und grinste wie Davy Crockett.

Er dachte nach, wog Weisheit ab gegen seine Vorliebe für das, was er gern mit mir getan hätte. Die Weisheit trug den Sieg davon. Er sagte: »Ich warte draußen. Ich gebe euch zehn Minuten.« Dann ging er zur Tür, schloß sie auf und drehte sich dort noch einmal mit einem häßlichen, anzüglichen Grinsen zu uns um. »Sie hat es sowieso nicht gern, wenn es länger dauert«, sagte er. Dann schloß er die Tür hinter sich.

Marcia Merom seufzte. Ich drehte mich zu ihr um. Sie zeigte nur zum Teil Erleichterung. Der andere Teil schien unmißverständlich einer sexuellen Art von Bewunderung zu gehören. Mir fiel auf, daß sie nur zugesehen und nicht geweint hatte, als Seafield und ich unseren kleinen Showdown hatten.

Ich verstand nicht genau, was in den beiden eigentlich vorgegangen war, warum er sich für zehn Minuten zurückzog und warum sie nun zu mir kam. Aber ich hatte einen Sieg errungen, wie flüchtig er auch sein mochte, und ich wollte sichergehen, daß er sich nicht in einen Pyrrhussieg verwandelte.

»Kommen Sie«, sagte ich zu Marcia Merom. Ich hatte noch ein oder zwei Fragen an sie.

»Was?« Meine Worte hatten den Bann gebrochen.

»Er ist da draußen.« Ich zeigte auf die Wohnungstür. »Also müssen wir Zusehen, daß wir hier wegkommen. Durch die Küche.«

Sie zögerte, aufs neue verunsichert.

Ich versuchte, vernünftig zu sein. »Sie können doch nicht unter dieser konstanten Bedrohung leben. Sie können nicht hierher zurückkehren, ehe das Telefon wieder repariert ist. Es ist Ihr einziger Schutz.«

Aber Vernunft beeindruckte sie nicht. Doktor der Biochemie hin oder her. Sie schaute erst in die eine Richtung, dann in die andere.

Ihr Zaudern machte mich wütend. Ich rief: »Bewegen Sie sich!«

Die Lautstärke erschreckte sie, veranlaßte sie jedoch zum Handeln. Mit schnellen Schritten ging sie durch die Küchentür, und als sie an mir vorbeikam, griff sie nach meiner Hand.