Zwei Männer betraten vor mir das Haus. Lee Seafield hielt mich fest, und nachdem die anderen aus meinem überaus beschränkten Gesichtsfeld verschwunden waren, beschimpfte er mich wüst. »Bei Gott, Samson«, sagte er, »Sie werden Ihr Fett kriegen.«
Ich hatte das Gefühl, daß ich es gar nicht wollte.
Sein Griff verhärtete sich, als eine Stimme aus dem Haus laut wurde: »Bring ihn rein, Lee. Und tu ihm nicht weh.«
»Sie brauchen mir nur einen Anlaß zu geben«, flüsterte Seafield mir ins Ohr, flüsterte es mir in mein ganzes Wesen. Dann zog er mich ins Wohnzimmer.
Henry Rush saß in einem der schweren, gemütlichen Sessel. Der andere Mann stand am Lichtschalter. »Was für ein Tag«, sagte Rush klagend. »Nichts als Ärger.«
»Der da macht keinen Ärger mehr«, sagte Seafield aggressiv.
Rush betrachtete mich eingehend, während der andere Mann sich setzte. »Ich glaube, da hast du recht. Die Polizei sucht ihn. Sie können ihn haben. Er wird so lange kein Tageslicht mehr zu Gesicht bekommen, bis die Dinge unter Dach und Fach gebracht sind.«
Der dritte Mann sagte: »Durchsuch ihn, Lee.«
Seafield legte einen Fuß um meine Knöchel und gab mir einen Stoß. Meine Nase schlug mit einem gewaltigen Plumps auf dem Fußboden auf, dicht gefolgt von einhundertneunzig Pfund nur allzu festen Fleisches. Von Seafield durchsucht zu werden, war kein sanfter Vorgang. Aber er suchte nach einer Waffe, daher übersah er die Briefe aus Rushs Akten, die ich noch in der Tasche hatte.
Seafield schien überrascht, berichten zu müssen, daß ich keine Waffe bei mir trug. Der dritte Mann schnaubte verächtlich. »Diese Burschen haben immer irgendwelche Waffen. Das ist es doch, was ihnen das Gefühl gibt, sie wären wunders was für Kerle.«
Seafield zog mich hoch und drückte mich gegen die Wand. »Er hat wahrscheinlich eine von diesen kleinen.«
Der dritte Mann schnaubte verächtlich. »Eine Weiberpistole, wie? Hinter seiner Gürtelschnalle oder so.«
»Ja«, sagte Seafield. Dann drehte er sich wieder zu mir um. »Machen Sie Ihren Gürtel auf.«
Ich machte meinen Gürtel auf.
Seafield zog mir die Hosen bis auf die Knöchel herunter.
»Ist das wirklich nötig?« fragte Rush müde.
»Du willst doch nicht, daß er hier alles zusammenschießt, oder, Henry?« fragte der dritte Mann beiläufig.
Widerwillig sagte Seafield: »Ich glaube nicht, daß er eine Waffe hat, Tommy. Ich glaube, er hat wirklich keine.«
»Sie haben recht«, sagte ich. »Ich habe keine.«
Sie hörten nicht auf mich.
»Was hatte er hier zu suchen, Henry?« Der dritte Mann, bei dem es sich um Thomas Jefferson Walker junior handeln mußte, sah Rush stirnrunzelnd an.
Rush schüttelte den Kopf. »Was wollten Sie in meinem Haus, Samson?«
Ich bückte mich, um meine Hose wieder hochzuziehen, aber Seafield schlug mir gegen die Arme und sagte: »Nein!« Er hatte eindeutig eine Schwäche für geflickte Boxershorts.
»Was hatten Sie hier zu suchen, Samson?« fragte Rush noch einmal.
»Ich wollte einen Flohmarkt in der Garage abhalten«, sagte ich.
Seafield drehte mich mit der rechten Hand ein wenig zu sich und versetzte mir mit der linken einen kräftigen Schlag auf meinen Flicken. Jedenfalls glaube ich, daß er das tat. Ich kann mich kaum noch erinnern an die Ereignisse zwischen dem Punkt, an dem die große Faust auf mich zugerast kam, und meinem Erwachen, nachdem ich bis siebenundachtzig ausgezählt worden war.
Es ist gar nicht so unerfreulich, k. o. geschlagen zu werden; besser als viele Dinge, an die ich mich erinnern kann.
Ich erwachte mit den Worten: »Wo ist meine Tochter?«
»Was?«
»Wo habt ihr Mistkerle meine Tochter hingeschleppt?«
Es herrschte eine Weile Stille. Während dieser Zeit setzte ich mich an die Wand gelehnt auf und versuchte, wieder klarzusehen.
»Was für eine Tochter?« fragte mich Rush schließlich.
»Meine Tochter ist verschwunden. Einer von euch… Kriminellen hat sie gekidnappt.«
Sie wollten alle gerade etwas sagen, als das Telefon klingelte. Und alle zögerten.
»Besser, du gehst ran, Henry«, sagte Tommy Walker. Er war ein untersetzter Mann mit einem sehr dicken Nacken.
Rush ging zu einem Apparat ganz in seiner Nähe. »Hallo«, sagte er. Und dann: »Nein, Ma’am.« Anschließend hielt er den Hörer von seinem Ohr weg und machte ein verwirrtes Gesicht. »Aufgelegt«, sagte er.
Walkers Wangen glühten. »Also, du solltest einer Dame niemals nein sagen, Henry. Das tut man einfach nicht.«
»Falsche Nummer«, sagte Rush. »Es war irgendein Mädchen, das wissen wollte, ob ich ihr Daddy sei.« Walker und Seafield lachten.
Ich gab nur einen erstickten Laut von mir.
»Lee«, sagte Rush, »weißt du irgend etwas über die Tochter dieses Mannes?«
»Nein, absolut nichts«, sagte Seafield, eine Spur verdrießlich. Dann hellte seine Miene sich auf. »Ich wette, er hat gar keine. Genausowenig wie er einen Umschlag von Pighee hatte.«
»Nun«, sagte Rush, »welcher Natur auch immer Ihre Probleme mit Ihrer Tochter sein mögen, Samson, das hat nichts mit uns zu tun. Ich weiß ohnehin nicht, was wir Ihrer Meinung nach mit ihr anfangen sollten.«
»Mich kaltstellen«, sagte ich ruhig.
»Sie haben mächtig seltsame Vorstellungen von den Dingen, die wir tun«, sagte Rush selbstgerecht. »Kidnapping - ach herrje, also wirklich.«
»Leute, die Leute umbringen, scheinen mir sichere Kandidaten, wenn es sich um eine Entführung handelt«, sagte ich.
Alle drei versteiften sich leicht. Aber schon bald sagte Rush: »Leute umbringen, na also, was soll das denn?«
»Simon Rackey war der erste«, sagte ich. Ich war jenseits des Stadiums angelangt, in dem ich noch irgend etwas zurückhalten wollte.
»Simon?« sagte Rush. »Was sollen wir denn mit Simons Tod zu tun gehabt haben?«
Daß er sich mehr als vier Jahre später sofort an den Namen erinnerte, verriet mir genug.
»Und dann John Pighees Tod«, sagte ich.
»Wir haben jede Hoffnung…«
Ich unterbrach ihn: »Pighee ist in jeder Hinsicht tot, es fehlt lediglich noch ein unterschriebener Totenschein, das wissen Sie. Und ich weiß es von Marcia Merom.«
»Ich bezweifle, daß Sie Marcia dazu bringen können, eine solche Unwahrheit vor Zeugen zu äußern«, sagte Rush. Seafield lächelte und sah sehr zufrieden mit sich aus.
»Und jetzt der Tod von John Pighees Frau«, sagte ich.
Rush sah abermals zu Seafield hinüber, der gelassen dasaß. »Mrs. Pighee ist tot?« fragte er.
»Sie ist gestern nacht gestorben«, sagte ich. »Wahrscheinlich, weil Sie ihr einen großen Batzen Geld schulden würden, wenn ihrem Mann am 28. Januar nächsten Jahres gestattet wird, mit dem Atmen aufzuhören. Und aus ökonomischen Gründen - ganz zu schweigen von der Gier, die Sie in die ganze Sache hineingetrieben hat - haben Sie beschlossen, daß es besser wäre, sich dieser Verpflichtung zu entledigen.«
»Ich hatte ganz gewiß keine Ahnung davon, daß Mrs. Pighee tot ist, und erst recht hatte ich nichts damit zu tun«, sagte Rush fest. »Lee? Weißt du irgend etwas?«
»Warum fragst du immer mich nach solchen Dingen?« sagte er in einem verletzten Tonfall. »Ich weiß absolut gar nichts über Pighees gottverdammte Frau. Warum sollte ich auch?«
Formell wandte Rush sich an Walker. »Tommy?«
Walker schüttelte feierlich den Kopf.
Rush sagte: »Wie ich bereits feststellte: Sie haben da einige sehr merkwürdige Vorstellungen von dem, was wir tun. Ich versichere Ihnen, wir riskieren Gewalt nur dann, wenn es absolut keine anderen Alternativen gibt. Und Pläne, die ein gewisses Risiko beinhalten, nehmen manchmal einen Verlauf, der extremer ist, als wir uns das wünschen würden.« Unwillkürlich sah er doch wieder zu Seafield hinüber.
»Ihr Schlägertyp da gerät manchmal außer Kontrolle, wie?« fragte ich.
Seafield stand auf. »Ziehen Sie Ihre Hosen an, Samson«, sagte er. »Es sei denn, Sie hätten Angst, Sie pissen rein.«
»Setz dich, Lee«, sagte Rush.
Aber Walker überstimmte ihn. »Nein. Er soll sich fertigmachen zum Abmarsch. Wir haben schon genug Zeit mit unserem Besucher verschwendet. Ich muß los.«
»Soll ich die Polizei anrufen, damit sie ihn hier abholen kommen?« fragte Rush.
»Nein«, sagte Walker. »Lee soll sich um ihn kümmern.«
»Und den Steuerzahlern etwas Geld sparen«, sagte Rush. »Bring ihn runter ins Hauptquartier. Sie suchen schon lange genug nach ihm.«
»Gut«, sagte ich. »Die Polizei ist genau das, was ich will.«
Walker warf Rush einen fragenden Blick zu.
Rush schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Wer sollte ihm schon glauben? Sie werden ihn in eine Klapsmühle stecken, nachdem sie nur einen einzigen Blick auf ihn geworfen haben. Er wird für alle Zeiten aus dem Verkehr sein. Soweit es sie betrifft, ist er ein kompletter Idiot. Teufel auch, er ist ein kompletter Idiot.«
Seafield umschlang mit einem festen Griff meinen Arm. »Na los, Cowboy«, sagte er.
Er bugsierte mich in die Küche.
»He«, rief er über die Schulter zurück. »Jemand hat hier ein Fenster eingeschlagen.«
»Bring ihn hier weg, Lee!« rief Rush aus dem Wohnzimmer. »Bevor ich ihm etwas antue, was ich später bereue.«