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»Mr. Samson.« Eine sanfte, drängende Stimme im Verein mit sanften, drängenden Händen.

»Vorsicht«, sagte ich, »sonst wecken Sie mich noch auf.«

»Mr. Samson, der Doktor ist hier.«

Ich setzte mich auf und sah einen kleinen, glatzköpfigen Mann mit Adlernase und nach unten hängendem Schnurrbart vor mir. Er trug einen weißen Mantel und ein Stirnrunzeln.

»Was kann ich für Sie tun?« fragte ich. »Puls? Blutdruck?«

»Sie«, sagte er, »Sie haben offensichtlich danach verlangt, mit mir zu sprechen. Ich weiß nicht, wer Sie sind oder warum Sie eine Polizeiwache vor Ihrer Tür stehen haben, aber ich habe nicht viel Zeit und erst recht keine zum Verschwenden.«

»Ah«, sagte ich, »Sie sind der Mann, der die Autopsie an Linn Pighee vorgenommen hat.«

Er warf mir einen prüfenden Blick zu. Dann sagte er: »Der bin ich.«

»Woran ist sie gestorben?«

Er beschloß, sich den Autoritäten, die ihn an mein Bett gebracht hatten, nicht zu widersetzen, und antwortete mir einfach: »Knochenkrebs.«

»Nicht Unterernährung?«

»Unterernährung ist eine Begleiterscheinung.«

»Wie häufig ist das?«

»Nicht häufig«, sagte er. »Selten. Sogar für einen Knochenkrebs.«

»Und weshalb?«

»Weil die bösartigen Geschwüre den äußeren Teil der Knochen befallen haben, nicht das Knochenmark.«

»Wie kann so etwas passieren? Was ist die Ursache?«

»Das nächste Mal, wenn ich eine Audienz bei Gott habe, werde ich ihn fragen.«

»So habe ich das nicht gemeint. Ist das die Art von Krankheit, die durch irgendeinen radioaktiven Stoff ausgelöst werden könnte?«

Plötzlich war er ganz bei der Sache. »Gewisse Beta-Strahlen. Wollen Sie damit sagen, daß diese Frau mit radioaktiven Strahlen gearbeitet hat?«

»Nicht sie, ihr Mann«, sagte ich. »Haben Sie ihren Körper auf Radioaktivität überprüft?«

»Nein«, sagte er knapp. »Aber das werde ich jetzt tun.«

Er überließ mich meinen Träumen. Sie waren nicht weniger lebhaft, nur weil ich wach war.

Ich begann, Ärger zu machen. Ich fragte nach Miller, aber er war nicht im Krankenhaus. Ich verlangte ein Telefon, damit ich ihn anrufen konnte.

Die Schwester wollte mir keins bringen.

»Sehen Sie mal«, sagte ich, »ich bin ein VIP.«

»Ach, wirklich?«

»Man stellt hier doch nicht jedem Patienten eine Polizeiwache vors Zimmer, oder?«

Sie dachte darüber nach. »Wer sind Sie denn dann?« 

»Bringen Sie mir ein Telefon. Autogramme später.«

Miller war nicht im Polizeihauptquartier. Ich behielt das Telefon. 

Und sagte ihnen, ich wolle einen Anwalt anrufen.

Aber es war nicht mein eigener Anwalt.

»In der Folge von Linn Pighees Tod erheben sich eine Reihe von Fragen«, erklärte ich Walter Weston.

»Ich war schockiert«, sagte er. »Entsetzt.« Und ich glaubte ihm, denn mir war es ebenso ergangen.

»Wissen Sie, daß John Pighee ebenfalls tot ist?«

Nach einer Pause sagte er: »Ich habe mit der Polizei gesprochen. Daher weiß ich, daß Sie etwas in dieser Art behauptet haben. Ich bin nicht bereit, das als erwiesene Tatsache zu akzeptieren, bevor weitere Nachforschungen stattgefunden haben.«

»Wer bekommt das Geld und das Eigentum, das Linn Pighee hinterläßt?«

»Wenn Sie irgendwelche offenen Rechnungen haben, die aus ihrem Nachlaß beglichen werden müssen, dann reichen Sie sie an mich weiter, und ich werde versuchen, mich so bald als möglich darum zu kümmern.« Er zögerte. »Samson, unterschätzen Sie nicht das Ausmaß Ihrer… hm…«       

»Das ist nicht der Grund für meine Frage. Ist ihr Nachlaß groß?«

»Nicht besonders. Sie war keine reiche Frau.«

»Aber das Haus, das Geld, das ihr Mann hinterlassen hat?«

»Ah«, sagte er. »Das hängt alles davon ab, wann - und ob - John Pighee stirbt.«

»Aber er ist seit dem Unfall vor sieben Monaten bereits tot«, sagte ich.

»Aber es gibt keinen Totenschein.«

»Also erbt er von ihr.«

»So scheint es.«

»Danke«, sagte ich.

Ich versuchte es noch einmal bei Miller. Und bekam zu hören, daß er in Kürze zurückerwartet wurde.

Ich ruhte mich aus.

Beim dritten Mal hatte ich Glück. »Sag mir eins, Lieutenant«, sagte ich. »Wenn ich dir vorschlagen würde, daß du irgendwohin fahren sollst, um dir einen Schrank anzusehen, und wenn du dort etwas Interessantes fändest, würdest du dann zu mir kommen und mir davon erzählen?«

»Albert«, sagte er und hörte sich ziemlich müde an, dafür, daß es noch früh am Morgen war. »Wir haben hier einen Clown, der arbeitet in der Vermißtenabteilung. Und er verbringt eine Menge Zeit damit, hypothetische Fragen zu stellen und die Leute so lange in die Ecke zu drängen, bis sie ihm antworten. Gerade hat er mich im Aufzug erwischt. Ich bin also nicht in der Stimmung. Hast du mir irgend etwas zu sagen?«

Ich sagte ihm, daß er einen Blick in Mrs. Thomas’ Schrank werfen solle. »Und wenn du schon dabei bist, überprüf im Haupthaus die Schnapsflaschen, Nahrungsmittelbehälter - all diese Dinge.«

»Ich soll sie überprüfen?«

»Fang mit einem Geigerzähler an. Ich meinte nicht, daß du sie probieren sollst.«

»Ein Geigerzähler! Was zum Teufel soll das nun wieder heißen?«

»Tut mir leid«, sagte ich, »du magst ja keine Hypothesen, also kann ich’s dir auch nicht sagen.« Ich legte auf.