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Max
„Wie heißt du nochmal?“ Ein Junge, mindestens acht oder zehn Jahre jünger als ich, führt mich in ein großes Spielzimmer.
„Äh, Max“, sage ich leise, in der Hoffnung, dass er mir nicht die Backe ablabern oder schlimmer eine Unterhaltung beginnen will. Ich bin wirklich nicht der gesprächige Typ.
„Freut mich, dich kennenzulernen, Max.“ Der Junge bleibt stehen und streckt seine Hand aus und wartet darauf, dass ich sie nehme. „Ich bin Trevor.“
Ich verziehe innerlich mein Gesicht, hoffe aber, dass er keine äußeren Anzeichen meiner Abscheu erkennen kann. Ich versuche immer, Leute nicht zu berühren, wenn ich es vermeiden kann. Es gibt einfach zu viele Risiken beim körperlichen Kontakt. Ein einfacher Händedruck kann zu einer Vergewaltigung oder zu Schlägen führen, wenn sich die Windrichtung plötzlich ändert. Aber da dieser Junge darauf beharrt, freundlich zu sein, hebe ich die Hand und gebe ihm einen schwachen Händedruck; mir ist mein schwabbeliger Griff fast peinlich.
So ungern ich auch gängige Omegastereotypen untermauern möchte – ich bin, was ich bin. Schwach, wertlos, ein Omega. Auf den Straßen aufzuwachsen hat mir schon früh gezeigt, dass mein Leben keinen Wert über das hinaus hat, was ihm ein Beta oder ein Alpha zuweist.
Und in meinen ganzen neunzehn Jahren hat mir niemand jemals mehr Wert beigemessen als den Dreck unter seinen Schuhen. Der einzige Mensch, der jemals etwas annähernd Nettes für mich getan hat, war Tad. Er hat sich um mich gekümmert, als es sonst niemand tat. Und er hat mich auf eine Weise beschützt, die ich ihm niemals zurückzahlen können werde.
Ich frage mich immer noch, ob er mich wohl groß gezogen hatte, um mich an einem Punkt in die Reihen der Brüter einzufügen. Ich schätze, ich werde niemals erfahren, was seine wahren Absichten waren. Vielleicht ist er nur ein netter Kerl, der Schuldgefühle wegen all der schrecklichen Dinge hatte, die man den anderen Omegas in diesem Loch angetan hatte. Oder vielleicht hat er in mir ein Potenzial gesehen, das sonst nie jemand gesehen hat. Wie dem auch sei, ich werde ihn nie wiedersehen. Er wurde zusammen mit den anderen Angestellten im Stall verhaftet, während ich mich mit den anderen Omegas einreihen durfte, die raustransportiert wurden.
Ich hatte keine Ahnung, wohin sie alle gebracht werden würden, aber sie stellten auch keine Fragen, während sie uns Decken und Sandwiches gaben, bevor sie uns alle in Busse verluden. Vielleicht war es nur schieres Glück, das mich dorthin gebracht hat, und vielleicht schüttelt mein Gehirn jetzt jeden Moment den Schock ab und ich werde begreifen, wie dumm es war, dass ich diese Rettung zugelassen habe, aber so schlecht scheint es hier nicht zu sein.
Es war hart, seit jungen Jahren allein zu sein. Ich hatte es kaum geschafft, alleine zu überleben. Den größten Teil meiner Kindheit war ich krank und hungrig. Wenn ich meinen Arsch hätte verkaufen wollen, wäre es für mich wahrscheinlich anders gekommen.
Aber das wollte ich nicht.
Nicht damals und definitiv nicht heute.
Jetzt weiß ich, dass ich überleben kann. Ich brauche keine Nahrung oder Wasser, um meine Stärke zu beweisen. Das habe ich hinter mir. Jetzt muss ich nur meinen Instinkten vertrauen, wenn sie mir sagen, was ich zu tun habe. Es ergibt nicht immer einen Sinn, aber letztendlich bin ich immer in Sicherheit. Es waren meine Instinkte, die mich dazu getrieben haben, in diesen Bus gestern zu steigen. Und es werden meine Instinkte sein, die mir sagen werden, ob ich gehen oder bleiben soll.
Soweit ist alles ziemlich gut. Die wenigen Alphas, die ich getroffen habe, reagieren empfindlich darauf, was wir durchgemacht haben, und achten darauf, Abstand zu wahren. Keiner war überheblich oder dominant.
Und deswegen bin ich immer noch hier.
Ich kann es tagelang ohne Essen aushalten, aber ich lehne es ab, mich vor irgendeinem Arschloch niederzuknien, das meint, es würde mich besitzen können, weil er mit anderen Genen auf die Welt gekommen ist. Es war reine „Glückssache“, dass mich ein Junkie-Omega auf die Welt gebracht hat, der sein Loch nicht zulassen konnte.
Ich schätze, die Verlockung des nächsten Rausches war wichtiger, als sich um sein Kind zu kümmern, also habe ich mich bis zu seinem Tod, als ich sieben Jahre alt war, um ihn gekümmert. Danach musste ich mich um mich, und nur um mich selbst kümmern. Und das bedeutete, um jeden Preis Alphas aus dem Weg zu gehen. Mit Jungs wie diesem komme ich klar.
„Nett, dich kennenzulernen, Trevor.“ Ich schaue mich im Zimmer um. Schön haben sie es hier. „Du lebst auch hier?“
„Ja, für den Moment.“ Er zeigt auf ein großes Sofa, ehe er raufhüpft.
Ich schüttle meinen Kopf, bleibe lieber noch stehen, bis ich eine bessere Vorstellung davon habe, ob ich hier bleibe oder nicht. „Was bedeutet das?“
Mein Blick schießt von einem Gesicht zum anderen, beurteilt jede Person im Raum, um einzuschätzen, ob sie eine Bedrohung darstellen. Die meisten sind abgemagerte und schwache Omegas und alle sind genauso schlimm oder schlimmer dran als ich.
„Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?“, fragte Trevor, lehnt sich vor, damit er in mein Ohr flüstern kann.
Er bekommt endlich meine Aufmerksamkeit und ich neige meinen Kopf zu ihm und zucke mit den Schultern. „Schätze schon.“
„Ich werde bald adoptiert.“
„Wirklich? Von wem?“
Er dreht einen unsichtbaren Schlüssel vor seinen Lippen und wirft ihn über seine Schulter. „Ich kann nicht sagen von wem, aber er ist ein Alpha und er arbeitet hier und er möchte mein Papa sein.“
Ich starre den Jungen an und hoffe wirklich, dass wer auch immer ihm diese Geschichten eintrichtert, ihn nicht nur verarschen will. Alle Kinder verdienen es, jemanden da draußen zu haben, der ihr Papa sein möchte und der sich um sie kümmern will, auf eine Weise, wie kein Papa, den ich je getroffen habe, es tun wollen würde. „Das hoffe ich, Kleiner.“
Er nimmt einen Joystick und hält ihn mir hin. „Willst du spielen?“
Ich schaue vom Joystick zum Fernsehbildschirm und schüttle meinen Kopf. „Nee. Ich bin bei sowas nicht gut. Habe nie viel gespielt, als ich in deinem Alter war.“
Trevor neigt seinen Kopf, als würde er die Relevanz von Alter nicht verstehen. „Man kann auch spielen, wenn man alt ist. Ich bringe es dir bei.“
Ich bin gerade dabei, nachzugeben, als mein gesamter Körper auf Alarmstufe Rot schaltet. Etwas stimmt nicht. Ich verstehe die Empfindungen nicht, die in meinem Körper wüten, aber ich weiß sofort, dass sie mit dem großen Kerl mit den vier kleinen Kindern zu tun haben, der ins Zimmer stolpert. Zwei Kleinkinder trägt er in seinen Armen und zwei etwas größere rennen ihm wild um seine Füße herum.
Da ist ein fremdartiger Drang zur Türe zu gehen und ich frage mich, ob ich hinrennen soll. Mein Körper versucht mir etwas mitzuteilen, was mein Verstand nicht verstehen kann. Der Duft des Mannes ist von den Gerüchen, die von den Kindern kommen, benebelt, aber da ist etwas. Etwas unter den anderen Duftnoten, weswegen sich mein Körper anspannt. Er sieht nicht bedrohlich aus, aber sogar ohne einen zweiten Blick weiß ich, dass dieser Mann ein Alpha ist. Mein Körper wusste es, ehe er überhaupt den Raum ganz betreten hatte. Er riecht wie kein Alpha, den ich je zuvor getroffen habe, aber er badet ja auch in Gerüchen schmutziger Windeln und saurer Milch.
Wenn mein Körper etwas weiß, was ich nicht weiß, sollte ich dem Beachtung schenken. Meine Instinkte sind im Allgemeinen gut, also ist jetzt nicht der Zeitpunkt, um sie zu ignorieren. Aber sogar als ich versuche, zurückzuweichen, wollen sich meine Füße einfach nicht in die gewollte Richtung bewegen.
Trevor spricht und zieht mich näher an diesen Mann heran und ich weiß nicht, was ich tun soll.
„Kommt schon, Kinder. Es ist Schlafenszeit.“ Dieser Typ ist offensichtlich nicht in seinem Element. Ein Kind rutscht ihm die Hüfte runter und schafft es, sich aus seinem Griff zu lösen. Sobald es dem Entfesselungskünstler gelingt, seine Füße auf den Boden zu bekommen, rennt er in Windeseile davon. Der Typ sieht fassungslos über diesen Entkommenen aus. „Adrian, komm her! Ich sage das nicht noch einmal.“
Das Kind, das immer noch auf seinem Arm ist, beginnt zu heulen und wirft seinen Körper nach hinten, als würde er sich aus dem Griff des Typen mit einem Rückwärtssalto befreien wollen. Es gelingt ihm auch fast, ehe der Typ seinen Griff anpasst und beide Armen um den Akrobaten wickelt, der sich zu befreien versucht.
Seine Stärke und seine Verletzlichkeit stehen ihm Gegensatz zu einander, während ich verwirrt gucke. Was ist es mit diesem Kerl? Wieso kann ich nicht wegsehen?
Trotz der ausbleibenden Duftbestätigung, die ich gewohnt bin, machen es seine breiten Schultern und seine ein Meter achtzig mehr als deutlich, dass er aus dem perfekten Genpool gezupft wurde.
Er ist wie kein anderer Alpha, den ich je zuvor gesehen habe.
Und ich weiß nicht, ob ich deswegen Angst haben oder mich freuen sollte.