Sogar als ich
meine kleine Tasche zusammenpacke, fühle ich mich komisch. Normalerweise renne ich einfach weg, wenn meine Instinkte mir das sagen. Aber ich bin mir nicht sicher, was sie mir jetzt zu sagen versuchen.
Ich fühle mich, als sollte ich rennen. Aber etwas daran fühlt sich auch nicht richtig an. Ich möchte gehen, aber ich möchte auch bleiben. Und warum juckt es mich so? Es ist, als wäre meine Haut zu eng und müsste sich dehnen.
Ich werde nicht hierbleiben, wenn dieser Alpha eine Bedrohung ist. Aber ist er das? Trevor schien sich in der Anwesenheit des großen Mannes nicht unwohl zu fühlen. Niemand sonst scheint Angst vor ihm zu haben. Und obwohl die anderen Omegas dazu trainiert wurden, ihre Ängste zu ignorieren und einfach nur alles zu machen, was man ihnen sagt, hätte es doch irgendwelche Anzeichen von Angst gegeben, wenn es ihnen in Curtis´ Gegenwart genauso unwohl gewesen wäre wie mir.
Die Gehirnwäsche hielt sie ungeschützt und schwanger, während mein Fluchtinstinkt mich am Leben erhalten hat. Und das habe ich weiterhin vor. Nur weiß ich nicht, wie ich das anstellen soll.
Ich sitze auf dem Bett mit der Tasche auf meinem Schoß, als ein sanftes Klopfen mich erschreckt. Ich schnüffele und bestätige so, dass es nicht der beängstigende Alpha ist, auf den ich vorhin gestoßen bin. „Komm rein.“
Ein hochschwangerer Mann, der ungefähr in meinem Alter ist, betritt das Zimmer. „Es tut mir so leid, dich zu stören, aber ist es in Ordnung, wenn ich reinkomme und mich hinlege?“ Er nickt in Richtung einer der Schlafstätten in der Ecke.
„Natürlich.“ Ich setze mich auf dem Bett weiter nach hinten, sodass er vorbeigehen kann, ohne dass sein großer Bauch mich streift. „Ich sitze nur rum.“
Im Zimmer sind an den Wänden auf beiden Seiten Stockbetten aufgestellt. Ich glaube nicht, dass sie normalerweise alle belegt sind, aber im Moment leben hier mindestens dreißig Omegas, also müssen sie uns alle irgendwie reinquetschen.
„Ich habe gesehen, was du da draußen gemacht hast. Das war mutig.“
Ich sehe den Typen ungläubig an und nehme an, dass er falsch gesehen hat. „Ich habe nichts gemacht. Ich bin nur da reingegangen, bin eine Minute rumgestanden und dann abgehauen.“
„Oh, du hast viel mehr gemacht als das. Es war offensichtlich, dass dir dieser Alpha Angst gemacht hat, und du wolltest wegrennen, hast es aber nicht.“ Der Mann kichert sanft und lässt sich dann schnaufend zwei Betten weiter fallen. „Du hast deine Angst ignoriert und geholfen, wo Hilfe nötig war. Das war mutig.“
War es überhaupt nicht, aber ich werde jetzt nicht darüber diskutieren. „Ich hatte keine wirkliche Wahl.“
Er zuckt nur mit den Schultern. „Ich habe dich ab und zu mal gesehen, aber wir haben uns nie kennengelernt, nicht wahr?“
Ich schaue in sein Gesicht und betrachte es genauer. Er kommt mir bekannt vor, aber außer Tad habe ich nie wirklich jemanden kennengelernt. „Nein, das glaube ich nicht. Ich bin ein ziemlicher Einzelgänger.“
Er reibt sich mit einer Hand über den Bauch, als er nickt. „Ja, das ist schlau. Auf diese Weise endet man nicht so.“
Ich starre den großen Bauch an und frage mich, wie es sich wohl anfühlt, wenn ein anderer Mensch in einem heranwächst. „Wann ist dein Termin?“ Ich war nie in der Nähe schwangerer Papas oder Babys, aber ich bin immer traurig, wenn ich sie auf Zuchtfarmen sehe. Größtenteils überleben nur die Alphababys.
„In einem Monat etwa, aber normalerweise kommen sie bei mir früher.“
„Du hast noch andere Babys bekommen?“ Er sieht so jung aus. Ich weiß, dass sie so bald wie möglich vermehrt werden, manchmal sogar schon mit fünfzehn oder sechzehn Jahren, aber mir wird immer noch schlecht bei dem Gedanken daran.
„Zwei Mal.“ Eine Stille hängt nach seiner Aussage zwischen uns in der Luft. Es gibt nur zwei Gründe, wieso diese anderen Kinder nicht bei ihm sind. Und ich bin mir sicher, dass er über keinen von ihnen mit einem Fremden reden möchte.
Nachdem einige Minuten vergangen sind, bricht er endlich das Schweigen zwischen uns. „Du kannst fragen“, sagt er mit einem Achselzucken. „Ist in Ordnung.“
„Es geht mich nichts an.“ Und das tut es auch nicht. Ich rede nie mit Fremden. Wieso zum Teufel lasse ich mich auf solch eine persönliche Unterhaltung mit jemandem ein, den ich eben erst getroffen habe? Vielleicht muss ich verdammt nochmal raus hier, ehe mir die Chance entgeht.
Er nickt und ich frage mich, ob er wohl hofft, dass ich fragen werde. Vielleicht möchte er ja darüber sprechen. Ich drehe den Gurt meiner Tasche einen langen Moment, bis sich meine Nerven vom vor Kurzem durchlebten Schreckmoment erholt haben. Dann gebe ich der Neugierde endlich nach, was etwas ist, das ich nicht oft tue.
Ich räuspere mich und treffe auf seinen Blick. „Aber wenn du darüber reden möchtest, ich werde zuhören.“
Er atmet tief ein und starrt seine gefalteten Hände an, die beschützerisch auf seinem Bauch liegen. „Beides Jungs, beides Alphas.“
„Verstehe.“
„Sie wurden mir weggenommen, ehe ich überhaupt die Gelegenheit hatte, sie anzusehen.“ Seine Stimme bricht und er wischt sich eine Träne aus dem Auge. „Aber ist wahrscheinlich besser so. Ich hatte keine Zeit, eine Verbindung zu ihnen aufzubauen…“
Offensichtlich stimmt das nicht. Es ist klar, dass er eine Bindung mit seinen Babys hatte, sogar noch ehe sie geboren wurden und immer noch den Schmerz über ihren Verlust verspürt.
Er reibt sich liebevoll den Bauch und ich spüre, wie ein kleines Lächeln an meinen Lippen zerrt. „Aber dieses darfst du behalten? Da lassen sie keine Tests zu, richtig?“
„Das behaupten sie.“ Er atmet tief ein und scheint seine Emotionen in den Griff zu bekommen. „Diese Auffanghäuser sollen eigentlich unsere Rettung sein, aber nur die Zeit wird zeigen, ob dieses das tatsächlich ist.“
„Zu mir waren alle soweit cool“, sage ich, obwohl die Erinnerung an meine komische Interaktion mit Curtis einen weiteren Schauer durch meinen Körper jagt. An ihm ist definitiv etwas dran, womit mir nicht wohl ist. Ich habe noch nie zuvor solch eine tiefsitzende Reaktion auf einen Alpha gehabt, und es ist verdammt verwirrend.
„Ja, aber ich arbeite an einem Plan, falls die Dinge hier nicht gut laufen.“
„Was für einem Plan?“ Ich lehne mich vor und drücke meine Hände zwischen meinen Knien aneinander, bin neugierig darauf, seinen Plan B zu hören, hoffe aber, dass er ihn nicht wird einsetzen müssen.
Der Typ schüttelt nur seinen Kopf. „Es hat noch nicht funktioniert, aber wenn ich gehe, kannst du gerne mit mir kommen.“
„Wirklich?“ Ich hebe eine Augenbraue, unsicher, ob ich ihn richtig verstanden habe. „Wieso sagst du das?“
„Ich habe eine ziemlich gute Menschenkenntnis und ich sehe, dass du ein guter Mensch bist.“
Ich presse ein leises Lachen raus. „Ja, ich habe normalerweise auch eine gute Menschenkenntnis, aber meine Instinkte sind heute irgendwie aus dem Ruder geraten.“
Er lacht auch und entspannt sich endlich etwas. „Ja, naja, ich schätze mal, wir stehen immer noch etwas unter Schock, aber wenn sich alles ein bisschen legt, werde ich ziemlich genau wissen, ob ihre Behauptungen wahr oder falsch sind oder ob das nur eine andere Art von Farm ist, auf die sie uns verschoben haben.“
Ich schiebe meine Tasche unters Bett und entschließe mich dazu, diesem Ort noch ein bisschen Zeit zu geben. Ich kann auch noch eine oder zwei Mahlzeiten zu mir nehmen, ehe ich wieder auf der Straße lande.
„Ich bin übrigens Freddie.“
Ich schaue zu meinem neuen Freund, Freddie, auf. Er schaut mir dabei zu, wie ich meine Tasche verstaue.
„Hattest du vor, irgendwo hin zu gehen?“ Er winkt mit der Hand in Richtung meiner Tasche.
„Ich habe darüber nachgedacht. Aber ich bleibe wahrscheinlich noch eine Weile.“ Ich trete mir die Schuhe von den Füßen, lege meine Knöchel übereinander und strecke meine Beine aus. „Wie du sagtest, ich glaube, ich gewöhne mich immer noch daran, hier zu sein. Ich bin im Moment ein bisschen durch den Wind.“
„Hast du einen Plan gehabt?“ Er steckt ein Kissen unter seinen Bauch und streckt sich auf dem Bett aus, sieht mich an.
Ob ich einen Plan habe? Ich habe nicht wirklich drüber nachgedacht, aber es wäre schlau. Vielleicht kann ich lange genug hier bleiben, um etwas Geld zu verdienen. Das würde das Leben um Einiges leichter machen, wenn die Zeit kommt, um weiterzuziehen. Ich muss mich nur von Curtis fernhalten. Solange ich nicht in seiner Nähe bin und dadurch meine Nerven komplett gaga werden, ist alles in Ordnung. „Keinen wirklichen Plan“, antworte ich schließlich, nachdem ich zu lange in mich gegangen war. „Aber ich bekomme einen komischen Vibe von einigen Leuten, also werde ich auf der Hut sein. Wenn mir in ein oder zwei Tagen immer noch alles komisch vorkommt, verschwinde ich.“
Er lächelt und sieht mich verständnisvoll an. „Naja, ich hoffe, du bleibst noch eine Weile. Du scheinst mir jemand zu sein, der einen sicheren Platz für unsere Landung finden könnte.“
Einen sicheren Platz für unsere Landung?
Ich weiß nicht einmal, was das bedeutet, aber es ist ein nettes Märchen, das er eines Tages seinem Kind erzählen kann.