Ein großes Hamburger Bekleidungshaus, das auch über eine eigene Produktion verfügt, sucht per Zeitungsannonce einen Schneidermeister. Der Schneidermeister Heinz Petersen bewirbt sich. Aus seinen Bewerbungsunterlagen ergibt sich, dass er die Meisterprüfung mit „sehr gut“ bestanden und beste Zeugnisse hat. Seine Bewerbung bleibt ohne Erfolg. Herr Petersen will auf Einstellung klagen. Hat er damit Aussicht auf Erfolg?
Grundsätzlich nein! Niemand kann gezwungen werden, überhaupt einen Vertrag oder einen Vertrag mit einer bestimmten Person abzuschließen. Dieser Grundsatz der Vertragsfreiheit gilt auch für den Arbeitsvertrag.
Der Gesetzgeber beschreibt diesen Grundsatz in § 105 der Gewerbeordnung (GewO) folgendermaßen: „Freie Gestaltung des Arbeitsvertrages. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können Abschluss, Inhalt und Form des Arbeitsvertrages frei vereinbaren, soweit nicht zwingende gesetzliche Vorschriften, Bestimmungen eines anwendbaren Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung entgegenstehen.“
38Man spricht deshalb in diesem Zusammenhang auch von einer „Abschlussfreiheit“.
Der Arbeitsvertrag besteht – wie andere Verträge auch – aus inhaltlich übereinstimmenden Willenserklärungen beider Parteien, aus Angebot und Annahme. An solchen einander entsprechenden Willenserklärungen fehlt es in unserem Beispiel.
Das arbeitgeberseitige „Ja“ kann durch Herrn Petersen auch nicht gerichtlich erzwungen werden. Gewisse Ausnahmen gelten allerdings für den öffentlichen Dienst. Dort kann bei einer erkennbar willkürlichen Ablehnung eines Bewerbers unter Umständen auf Einstellung geklagt werden.
Wie gesagt, handelt es sich hierbei jedoch nur um eine seltene Ausnahme.
Wichtig:
Im Allgemeinen haben Sie bei noch so guter Qualifikation keine Möglichkeit, einen Arbeitgeber zu zwingen, es mit Ihnen zu versuchen.
Karin Saule ist 40 Jahre alt und hat ein abgeschlossenes Fachhochschulstudium als Bauingenieurin. Die Firma Hochbau GmbH sucht per Annonce „einen erfahrenen Vertriebsleiter-Stahlbau“. Frau Saule bewirbt sich. Kurze Zeit später erhält sie eine Absage, in der ihr mitgeteilt wird, dass sie für die engere Auswahl nicht in Betracht komme, da sie in Süddeutschland wohne und man im Hinblick auf die Vielzahl der Bewerbungen nur Bewerber berücksichtigen wolle, die im norddeutschen Raum wohnhaft seien. In der Zeitungsannonce war nicht erwähnt, dass in erster Linie Bewerbungen aus Norddeutschland berücksichtigt würden. Frau Saule ist empört. Sie vermutet, dass sie wegen ihres Geschlechts nicht in die engere Auswahl gezogen wurde. Frau Saule will das nicht hinnehmen und geht zum 39Arbeitsgericht. Dort erhebt sie Klage mit dem Antrag, die Hochbau GmbH zu verurteilen, sie einzustellen. Falls das nicht gehe, solle ihr die Hochbau GmbH wenigsten Schadensersatz in Höhe von mindestens sechs Monatsverdiensten zahlen. Sie habe nämlich erst ein halbes Jahr nach der erfolglosen Bewerbung eine anderweitige Anstellung gefunden. Wird Frau Saule Erfolg haben?
Frau Saules Erwartungen werden sich nicht voll erfüllen. Allerdings wird sie auch nicht leer ausgehen.
Fangen wir bei Frau Saules Forderung nach einem Arbeitsvertrag an: Mit diesem Verlangen wird sie keinen Erfolg haben. Die Gesetzeslage schließt normalerweise einen gerichtlich durchsetzbaren Einstellungsanspruch aus.
Muss ein Arbeitgeber dann überhaupt Konsequenzen befürchten, wenn er beispielsweise eine Bewerberin bei einer Einstellung übergeht, weil sie eine Frau ist?
Ja. Ganz ohne Folgen bleibt das Verhalten des im alten Geschlechterdenken verhafteten Arbeitgebers nicht. Schauen wir uns zu diesem Thema den Gesetzestext des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) an. Dort heißt es zunächst in § 1:
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
Weiter lesen wir in § 2 u. a.:
(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:
1. die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2. bis 8. …
40§ 7 AGG trifft dann die lapidare Anordnung:
(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.
(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.
(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.
Und in § 15 AGG findet sich als vom Gesetzgeber gewollte Konsequenz folgende Regelung:
(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.
(4) bis (5) …
(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.
Ergebnis: Ein Arbeitgeber muss also mit einem Schadensersatz- bzw. Entschädigungsanspruch rechnen, wenn er bei Einstellung eines Bewerbers eine Bewerberin benachteiligt, indem er sie wegen ihres Geschlechts übergeht. Einstellen muss er sie nicht.
Wichtig:
Die übergangene Bewerberin muss innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung ihre Forderung schriftlich geltend machen. Sofern im angestrebten Arbeitsverhältnis eine kürzere zB tarifvertragliche Ausschlussfrist gelten würde, gilt diese (§ 15 Abs. 441 AGG). Die Frist beginnt im Fall der Bewerbung, wenn der Bewerber oder die Bewerberin die Ablehnung erhält (wenn sie ihr „zugeht“, § 130 BGB). Will sie ihren Anspruch gerichtlich geltend machen, muss sie das innerhalb von drei Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist, tun (§ 61b Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz).
Nur selten wird vom Arbeitgeber die ablehnende Entscheidung mit dem Geschlecht begründet. Wenn dies der Fall ist, kann ohne Weiteres Schadensersatz bzw. eine Entschädigung gefordert werden. Wenn die Ablehnung aber – wie in unserem Fall – auf andere Gründe gestützt wird, ist es schwierig, eine Benachteiligung wegen des Geschlechts nachzuweisen. Gesetz und Rechtsprechung haben hierzu jedoch Grundsätze entwickelt, die die Verfolgung eines solchen Schadensersatzanspruchs erleichtern.
Lesen wir, was das Gesetz hierzu sagt:
§ 8 AGG, Überschrift: „Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen“
„(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.
(2) …“
Eine unterschiedliche Behandlung wird also akzeptiert, wenn das andere Geschlecht eine wesentliche und entscheidende Voraussetzung für die ausgeschriebene Tätigkeit ist. Das wird aber nur in seltenen Ausnahmefällen, etwa bei der Suche eines Darstellers für eine männliche Schauspielerrolle, bejaht. Für die von der Firma Hochbau GmbH in unserem Beispiel ausgeschriebene Stelle kann man nicht davon ausgehen, dass das männliche Geschlecht eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Entscheidend sind vielmehr die individuellen Voraussetzungen des Bewerbers bzw. der Bewerberin. Darüber kann nur eine spezifische Einzelprüfung der Bewerbungen Aufschluss geben.
Hier ist zu unterscheiden:
Die Angemessenheit der Entschädigung ist anhand der Umstände des Einzelfalls festzustellen. Folgende Einzelumstände sind dabei von Bedeutung:
In unserem Beispiel hat der Arbeitgeber durch die Formulierung „erfahrener Vertriebsleiter-Stahlbau“ und damit hinsichtlich eines männlichen Stelleninhabers deutlich zu erkennen gegeben, dass er Frauen nicht berücksichtigen will. Er hat deutlich gemacht, dass er sich für die freie Position als Stelleninhaber einen Mann vorstellt. Sofern der Arbeitgeber gleichwohl beweisen kann, dass der Wohnsitz tatsächlich ein sachbezogenes Unterscheidungskriterium bei der Bewerberauswahl ist, wird sich die Entschädigung für Frau Saule auf das Dreifache eines Monatsgehalts beschränken. Gelingt dem Arbeitgeber dieser Beweis nicht und hätte bei benachteiligungsfreier Auswahl Frau Saule die Stelle bekommen müssen, käme eine höhere Entschädigung in Betracht.
Heinz Petersen (aus unserem ersten Beispiel in diesem Abschnitt) ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 60%, wobei die vorgesehene Tätigkeit durch die Art der Behinderung nicht oder nur wenig beeinträchtigt wird. Herr Petersen hat durch ein Betriebsratsmitglied erfahren, dass die Firma erheblich weniger als die gesetzlich vorgesehene Mindestzahl von schwerbehinderten Arbeitnehmern („Pflichtquote“) beschäftigt. Als seine Bewerbung abgelehnt wird, klagt er beim Arbeitsgericht auf Einstellung mit der Begründung, der Arbeitgeber habe seine Pflichtquote nicht erfüllt und müsse ihn daher einstellen, zumal er alle Einstellungsvoraussetzungen erfülle. Wird er Recht bekommen?
Herrn Petersens Klage wird wohl abgewiesen werden. Der Arbeitgeber ist zwar bei mehr als 20 Arbeitsplätzen verpflichtet, auf wenigstens fünf Prozent dieser Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen (GdB 50% oder mehr) zu beschäftigen. Der einzelne Behinderte kann jedoch aus der Tatsache, dass der Arbeitgeber diese Pflichtquote (noch) nicht erfüllt hat, keinen Anspruch auf Einstellung herleiten. Für den Arbeitgeber hat die Nichterfüllung der Pflichtquote lediglich die Konsequenz, dass er für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz eine sog. Ausgleichsabgabe von derzeit zwischen 105 und 260 EUR pro Monat an den Staat bezahlen muss.
Die Ausgleichsabgabe hat den Zweck, einen gerechten Ausgleich für diejenigen Arbeitgeber zu schaffen, die ihre Beschäftigungspflicht erfüllen und denen daraus, zB durch den gesetzlichen Zusatzurlaub und die behinderungsgerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes, erhöhte Kosten entstehen. Darüber hinaus soll die Ausgleichsabgabe Arbeitgeber motivieren, ihre Beschäftigungspflicht zu erfüllen.
Aus der Ausgleichsabgabe, die an das Integrationsamt entrichtet wird, werden hauptsächlich Hilfen für schwerbehinderte Menschen am Arbeitsplatz und für Arbeitgeber, denen durch die Beschäftigung eines schwerbehinderten Menschen höhere Kosten entstehen, finanziert.
Zurück zu unserem Fall: Sofern Anzeichen oder Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass Herrn Petersens Bewerbung wegen seiner 45Schwerbehinderung abgelehnt wurde, kann Herr Petersen Entschädigungsansprüche gegenüber der die Stelle ausschreibenden Unternehmung entsprechend den Grundsätzen geltend machen, wie wir sie anhand des Falls von Frau Saule („Suche nach dem erfahrenen Vertriebsleiter-Stahlbau“) kennengelernt haben.
Die Regeln, aus denen sich die behandelten Ansprüche übergangener Bewerber ergeben, haben wir dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) entnommen. Dieses ist am 18. August 2006 in Kraft getreten. In seinem für das Arbeitsleben bedeutsamen Teil hat es verschiedene europarechtliche Regelungen für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt. Das Gesetz bezweckt nicht den Schutz bestimmter Personengruppen, sondern soll Benachteiligungen wegen bestimmter in § 1 AGG aufgezählter Merkmale verhindern 46oder beseitigen. Die verbotenen Merkmale unterschiedlicher Behandlung (Differenzierung) sind:
Entschädigungsansprüche bestehen nicht nur – wie gezeigt – bei der diskriminierenden Ablehnung von Bewerbern, sondern ua auch bei einer diskriminierenden Kündigung. Beispielsweise können Entschädigungsansprüche bestehen, wenn einer schwangeren Frau unter Verstoß gegen das Mutterschutzgesetz gekündigt wird.
Das Gesetz dient nicht nur dem – hier behandelten – Schutz der Beschäftigten vor Nachteilen, sondern auch dem Schutz vor Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr, insbesondere also bei zivilrechtlichen Massengeschäften. Außerdem enthält es Sonderregelungen für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse – also für Bedienstete der öffentlichen Hand – sowie Regeln über die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Wir haben vorher festgestellt, dass ein Arbeitsvertrag durch inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer zustande kommt. Wir haben aber nicht geklärt, was da eigentlich gesagt oder geschrieben sein muss, damit wir von einem Arbeitsvertrag reden können. Ein Arbeitsvertrag kommt immer dann zustande, wenn sich beide Parteien über die wesentlichen Punkte geeinigt haben, nämlich
47Maurergeselle Heinz Schmidt meldet sich im Personalbüro der Firma Hochbau AG. Der Personalleiter sagt zu ihm: „Sie können bei uns morgen als Bauwerker zu einem Stundenlohn von 11,50 EUR anfangen.“ Herr Schmidt antwortet: „In Ordnung!“
Hier haben Sie die erwähnten inhaltlich übereinstimmenden Willenserklärungen. Dabei wird deutlich, dass nicht beide Gesprächspartner dasselbe sagen müssen. Vielmehr reicht es aus, wenn einer die Konditionen (Bedingungen) ausspricht und der andere dazu „ja“ sagt. Ein Arbeitsvertrag ist zustande gekommen, weil die wesentlichen Punkte, nämlich die Art der zu leistenden Arbeit und die zu zahlende Vergütung, angesprochen worden sind.
Ein Arbeitsvertrag kann übrigens noch knapper ausfallen: Die Höhe der Vergütung braucht gar nicht ausgesprochen zu werden. Es reicht vielmehr, wenn nach den Umständen klar ist, dass gegen Bezahlung gearbeitet werden soll. Die Höhe ist dann nach § 612 des Bürgerlichen Gesetzbuches regelmäßig nach der üblichen Vergütung zu bemessen. Was üblich ist, ist natürlich schwierig festzustellen, aber häufig können die für die betreffende Branche vorhandenen Lohn- und Gehaltstarifverträge weiterhelfen.
Leider ist es mitunter zwischen den Parteien gar nicht klar, ob gegen Entgelt gearbeitet werden soll, wie Sie an folgendem Fall feststellen können.
Der arbeitslose Werner Kock – Inhaber eines Führerscheins Klasse II – bewirbt sich auf eine Annonce hin bei der Firma Kanalbau AG als LKW-Fahrer. Werner Kock hat noch nie auf dem Bau gearbeitet und macht deshalb auf den Personalleiter einen etwas unsicheren Eindruck, als die Sprache auf die zu verrichtende Tätigkeit kommt. Das Bewerbungsgespräch endet damit, dass der Personalleiter erklärt: „Herr Kock, fangen Sie morgen erst einmal an, und schauen Sie, wie es geht. Wir sehen dann weiter. Melden Sie sich bei Herrn Huber, der wird Sie einweisen.“ Werner K. erscheint am nächsten Tag auf der Baustelle, fährt den ganzen Tag bei Herrn Huber als Beifahrer im LKW mit, hilft beim Be- und Entladen sowie bei Arbeitsschluss noch bei der Reinigung des Fahrzeugs. Als Werner K. abends zu Hause ankommt, wird ihm klar, dass 48ihm die Arbeit wohl zu anstrengend ist. Bei der Firma lässt er sich zunächst nicht mehr blicken.
Zwei Wochen später schreibt er der Firma Kanalbau AG einen Brief, in dem er verlangt, dass ihm der Tag auf der Baustelle mit 64 EUR vergütet wird (acht Stunden à 8 EUR). Die Firma antwortet: „… nehmen wir mit Erstaunen zur Kenntnis, dass Sie für den Informationstag auf unserer Baustelle, den wir Ihnen ermöglicht haben, auch noch eine Vergütung wollen. Eine Vergütung haben wir zu keinem Zeitpunkt mit Ihnen vereinbart. Eine Bezahlung wäre auch nicht angebracht gewesen, da eine verwertbare Arbeitsleistung von Ihnen nicht erbracht wurde und auch nicht erbracht werden sollte. Wir betrachten das Ganze als ein unentgeltliches Schnupperverhältnis. Hochachtungsvoll!“
Muss die Firma Kanalbau AG bezahlen?
Das von der Firma Kanalbau AG ins Gespräch gebrachte – unentgeltliche – „Schnupperverhältnis“ ist immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen. In der juristischen Literatur wird es häufig unter der Bezeichnung „Einfühlungsverhältnis“ geführt.
Ob nun im vorliegenden Fall ein entgeltliches Arbeitsverhältnis oder eine unentgeltliche Kennenlernphase ohne Pflichten gewollt ist, hängt in erster Linie von dem ab, was beide Seiten dazu gesagt haben und wie die Anwesenheitszeit des Bewerbers praktisch verläuft. Das Einfühlungsverhältnis unterscheidet sich nämlich dadurch vom Arbeitsverhältnis, dass der in den Betrieb aufgenommene potenzielle Arbeitnehmer keine Pflichten übernimmt, insbesondere keine Arbeitspflicht hat. Er unterliegt auch im Gegensatz zum Arbeitsvertrag nicht dem Weisungsrecht des Arbeitgebers, sondern nur dem Hausrecht.
Die Tatsache, dass der Personalleiter davon sprach, Herr Huber werde ihn „einweisen“ (= Hinweis auf die Ausübung eines Weisungsrechts), spricht ebenso für eine Arbeitsverhältnis wie die Tatsache, dass Herr Kock sich am Be- und Entladen wie auch an den Reinigungsarbeiten am Ende der Tour beteiligt hat. Dass Herr Kock in den Augen des Arbeitgebers kein verwertbares Ergebnis erbracht hat, führt also nicht ohne weiteres dazu, dass die Anwesenheit von Herrn Kock als unentgeltlich anzusehen ist. Sehr häufig beginnen Arbeitsverhältnisse nämlich mit einer relativ unproduktiven Phase der Einarbeitung.
49Die Firma Kanalbau AG muss also nach Lage der Dinge für den Tag, an dem Herr Kock da war, die übliche Vergütung bezahlen. Die Tatsache, dass Herr Kock es vorgezogen hat, im Anschluss an diesen Arbeitstag nicht mehr zu erscheinen, hat im Übrigen keinen Einfluss auf die Bezahlung für diesen Tag.
Nehmen wir an, unser voriger Fall nimmt folgende Wendung:
Die Kanalbau AG bleibt zahlungsunwillig. Herr Kock geht zur Rechtsantragstelle des Arbeitsgerichts, wo man für ihn eine Klage zu Protokoll nimmt. Im Prozess, der dann folgt, beruft sich die Firma Kanalbau AG darauf, sie könne nicht in Anspruch genommen werden, weil ein schriftlicher Arbeitsvertrag nie geschlossen worden sei. Von einem Arbeitsvertrag könne man schließlich nur sprechen, wenn von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein entsprechendes Schriftstück unterschrieben worden sei.
Der Kanalbau AG wird ihr Einwand nicht viel nützen. Für den Abschluss eines Arbeitsvertrags ist nämlich vom Gesetz – im Gegensatz zu manchen Tarifverträgen und im Gegensatz zu Kündigung und Auflösungsvertrag – keine Schriftform vorgeschrieben. Man sagt: Es gilt der Grundsatz der Formfreiheit. Arbeitsverträge können also mündlich, schriftlich, ausdrücklich oder auch nur durch schlüssiges Verhalten abgeschlossen werden.
Wichtig:
Bei Tätigkeiten, die üblicherweise nur entgeltlich ausgeübt werden – hierzu gehört auch die Einarbeitung – muss zwar im Streitfall der Arbeitgeber beweisen, dass Unentgeltlichkeit vereinbart war. Um späteren Missverständnissen aus dem Weg zu gehen, empfiehlt es sich jedoch, bereits vor Antritt der Arbeit bzw. vor Beginn des „Umschauens im Betrieb“ die Frage der Bezahlung anzusprechen und auch schriftlich zu fixieren.
Allerdings schreibt das Gesetz vor, dass Ihr Arbeitgeber verpflichtet ist, Sie innerhalb eines Monats über wesentliche Bedingungen Ihres 50Arbeitsverhältnisses in Form eines schriftlichen Nachweises zu informieren. Dieses Nachweisgesetz verlangt, dass insbesondere der Arbeitsort, die Art der von Ihnen verlangten Arbeitsleistung, die Höhe des Entgelts, die vereinbarte Arbeitszeit, die Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs, die Kündigungsfristen sowie die Anwendbarkeit etwaiger Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge angegeben werden.
Dazu folgendes Beispiel:
Auf eine Anforderung bei der studentischen Job-Vermittlung hin meldet sich der Student Martin Frey bei der Firma Obst-Import GmbH zum Entladen von LKWs mit griechischen Erdbeeren. Herr Frey übergibt dem Personalsachbearbeiter der Firma Obst-Import GmbH seine Lohnsteuerkarte und wird von diesem zu den zu entladenden Lkws geschickt. „Melden Sie sich bei dem Vorarbeiter, Herrn Karo“, sagt er.
Wie Sie sehen, fehlt es hier an ausdrücklichen Erklärungen, die auf Abschluss eines Arbeitsvertrags gerichtet sind. Es reicht, dass sich beide Seiten so verhalten haben, dass der Wille ein Arbeitsverhältnis abzuschließen, deutlich geworden ist. Der Student Frey hat seinen Willen dazu durch Übergabe der Lohnsteuerkarte gezeigt, der Personalsachbearbeiter dadurch, dass er Herrn Frey zur Arbeit geschickt hat. Aus der Übergabe der Lohnsteuerkarte kann auch entnommen werden, dass Arbeit gegen Bezahlung gewollt war.
Wir haben bereits gesehen, dass Arbeitsverträge schon bei sehr knappen Erklärungen beider Seiten zustande kommen. Sie wissen weiterhin, dass in den Gesetzen und – wenn anzuwenden – Tarifverträgen zahlreiche „Spielregeln“ zur Verfügung stehen, die bei den meisten Arbeitsverhältnissen für eine mehr oder weniger ausgewogene Verteilung von Rechten und Pflichten beider Seiten sorgen.51 Könnte man, so gesehen, sagen, dass ein schriftlicher Arbeitsvertrag aus der Sicht des Arbeitnehmers eigentlich überflüssig ist?
In rechtlicher Hinsicht ist der Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrags immer dann dringend anzuraten, wenn Sie in einzelnen oder mehreren Punkten günstigere Konditionen ausgehandelt haben, als Ihnen von den allgemeinen Regeln her (Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarungen) zustehen.
Sie haben mit Ihrem Arbeitgeber vor Beginn des Arbeitsverhältnisses einen Jahresurlaub von 36 Werktagen vereinbart. Demgegenüber stehen Ihnen laut § 3 Absatz 1 Bundesurlaubsgesetz (abgek.: BUrlG) nur 24 Werktage pro Jahr zu.
Auf das menschliche Gedächtnis ist nicht immer Verlass und es könnte sein, dass Sie im Streitfall später in Beweisnot geraten, weil sich Ihr Arbeitgeber an eine solche Abmachung nicht mehr erinnern kann. Und wenn Sie nach der Rechtslage etwas beweisen müssen, aber nicht können, nützt es Ihnen nichts, wenn Sie eigentlich Recht haben.
Bruno Alt hat Glück gehabt. Er hat bei einer Firma für Heizungsbau eine gut bezahlte Stelle in seinem Beruf als Heizungsinstallateur bekommen. Vor Antritt der Arbeit meldet er sich im Personalbüro, um seine Papiere abzugeben. Die Personalsachbearbeiterin, Frau Sorg, legt ihm einen mit „Arbeitsvertrag“ überschriebenen dreiseitigen Vordruck vor und bittet um seine Unterschrift. Herr Alt weiß, dass es riskant ist, im Geschäftsleben Erklärungen zu unterschreiben, ohne ihren Inhalt gelesen und geprüft zu haben. Er setzt sich also hin und fängt an zu lesen. Schon bald befällt ihn ein ungutes Gefühl, denn bei dem komplizierten Juristendeutsch, das da verwendet wird, und der Vielzahl von Einzelbestimmungen,52 weiß er nicht, woran er sich eigentlich orientieren soll. Immer wieder überlegt er, ob diese oder jene Bestimmung günstig, normal oder ungünstig für ihn ist. Die Zeit verrinnt, und Frau Sorg ermuntert ihn durch wortlose Gesten, langsam zum Abschluss zu kommen und endlich zu unterschreiben. – Ist ihm zu helfen?
Zunächst ein allgemeiner Rat: Wenn Ihnen so etwas passiert, haben Sie immer die Möglichkeit, sich genügend Zeit zum Studium eines solchen Vertragswerks erbitten. An einer solchen Forderung wird das Zustandekommen eines Arbeitsvertrags kaum scheitern. Schlägt man Ihnen diese Bitte aus, so liegt die Vermutung nahe, dass im Vertragswerk Regelungen enthalten sind, die Ihre Unterschrift vielleicht verhindern würden.
Aber auch wenn Sie den Arbeitsvertrag mit nach Hause genommen haben und ihn am Abend in Ruhe studieren, kann es Probleme geben, wie sie Herr Alt in unserem Beispiel hat. Es würde zu weit führen, wollten wir an dieser Stelle alle möglichen arbeitsvertraglichen Regeln auf ihren Inhalt, ihre Bedeutung und ihre Konsequenzen für die Arbeitsvertragsparteien untersuchen. An dieser Stelle sollen Sie vielmehr auf einige Punkte aufmerksam gemacht werden, die in Arbeitsverträgen auftauchen – oder vergessen werden – und die Probleme mit sich bringen können.
Ihr Arbeitsvertrag könnte etwa so anfangen: „Das Arbeitsverhältnis beginnt am 1.9.2013.“
Sie könnten aber auch – überraschend oder absprachegemäß – folgende Formulierung vorfinden:
„Das Arbeitsverhältnis beginnt am 1.7.2013. Es endet, wenn es nicht ausdrücklich verlängert wird, mit Ablauf des 30.6.2015, ohne dass es einer Kündigung bedarf.“
Wenn Sie eine solche Formulierung vorfinden, handelt es sich um einen so genannten befristeten Arbeitsvertrag im Gegensatz zum unbefristeten oder Dauerarbeitsvertrag.
Ein befristeter Arbeitsvertrag ist von vornherein auf eine bestimmte Zeitspanne festgelegt. Dabei kann die Zeitspanne durch ein bestimmtes Datum (in unserem Beispiel: 30.6.2015) oder durch eine abstrakte Umschreibung angegeben werden: „Das Arbeitsverhältnis endet, sobald unser arbeitsunfähig erkrankter Mitarbeiter, Herr Carlson, die Arbeit wieder aufnimmt.“
Der befristete Arbeitsvertrag endet, ohne dass Sie oder der Arbeitgeber irgendeine Erklärung abgeben müssen. Dies unterscheidet ihn vom Dauerarbeitsvertrag, der im Arbeitsleben die weitaus größere Rolle spielt.
Ein Dauerarbeitsverhältnis endet regelmäßig entweder
Befristete Arbeitsverträge sind nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Im Grundsatz darf ein Arbeitsverhältnis nur dann befristet werden, wenn hierfür ein sachlicher Grund vorliegt. Darüber hinaus ist nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) eine Befristung auf bis zu zwei Jahre auch ohne besonderen sachlichen Grund zulässig. Diese Voraussetzungen werden weiter hinten noch näher behandelt. Lesen Sie dazu bitte Kapitel 15, Abschnitt 6. An dieser Stelle stellt sich für Sie lediglich die Frage:
Ihre Rechtsposition wird nicht deswegen schlechter, weil Sie eventuell vorhandene Zweifel nicht äußern. Sie können nämlich immer noch während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und bis drei Wochen nach Ablauf der vereinbarten Befristung gerichtlich geltend machen, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristung nicht beendet ist.
Wir lesen in unserem vorgestellten Arbeitsvertrag weiter. Da könnte etwa stehen: „Die ersten sechs Monate gelten als Probezeit.“ (Beispiel 1)
Oder es steht da:
„Die ersten sechs Monate gelten als Probezeit. Das Arbeitsverhältnis endet nach Ablauf dieser Probezeit, wenn es nicht zuvor ausdrücklich verlängert worden ist.“ (Beispiel 2)
Die Probezeit ist eine Zeitspanne am Beginn eines Arbeitsverhältnisses, während der der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer die Möglichkeit haben sollen, den Vertragspartner und die Arbeitsstelle auf eine längerfristige Zusammenarbeit zu überprüfen.
Das Probearbeitsverhältnis ist dem in diesem Kapitel bereits besprochenen so genannten Einfühlungsverhältnis („Schnupperverhältnis“) ähnlich. Auch bei diesem wollen die Parteien die Möglichkeit einer Zusammenarbeit klären. Der Arbeitnehmer wird aber beim „Einfühlungsverhältnis“ in den Betrieb aufgenommen, ohne Pflichten zu übernehmen. Ob der Arbeitgeber zur Vergütungszahlung verpflichtet ist, ergibt sich aus den Vereinbarungen oder den Umständen, wie wir am Beispiel des Herrn Kock (siehe Kapitel 3, Abschnitt 2) festgestellt haben.
Die rechtlichen Folgen der Vereinbarung eines Probearbeitsverhältnisses unterscheiden sich grundlegend je nachdem, ob es sich um die Vereinbarung eines
Soweit Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht haben, dass sie ein befristetes Probearbeitsverhältnis wollen, ist von einem unbefristeten Arbeitsverhältnis mit vorgeschalteter Probezeit auszugehen. Beispiel einer solchen Vereinbarung: „Das Arbeitsverhältnis beginnt mit dem 1. März. Die ersten sechs Monate gelten als Probezeit.“
Das Arbeitsverhältnis kann von beiden Seiten, also Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Das ergibt sich aus § 622 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Diese abgekürzte Kündigungsfrist gilt jedoch nur bis zu maximal 6 Monaten. Danach ist – auch wenn die vereinbarte Probezeit länger sein sollte – die allgemeine Grundkündigungsfrist (vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats) anzuwenden.
Längere Kündigungsfristen während der Probezeit können einzelvertraglich vereinbart werden. Kürzere Fristen können nur in Tarifverträgen geregelt werden.
Nicht erforderlich ist, dass der Beendigungstermin der Probezeitkündigung noch innerhalb der Probezeit liegt. Es reicht aus, wenn die Kündigung selbst noch innerhalb der Probzeit ausgesprochen wird.
Ist ein unbefristetes Probearbeitsverhältnis mit vorgeschalteter Probezeit vereinbart, gilt für die Kündigung eines solchen Arbeitsverhältnisses der allgemeine und besondere Kündigungsschutz.
56Dabei greift der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz wie auch der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen erst mit Ablauf von 6 Monaten nach Beginn des Arbeitsverhältnisses (Wartezeit) ein. Nach diesen 6 Monaten ist in den meisten Fällen die Probezeit bereits abgelaufen.
Demgegenüber gilt der besondere Kündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz sofort mit Abschluss des Arbeitsvertrags.
Auch in der Probezeit ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung gemäß § 102 des Betriebsverfassungsgesetzes anzuhören. Geschieht dies nicht, ist die Kündigung unwirksam.
In Berufsausbildungsverhältnissen ist eine Probezeit gesetzlich vorgeschrieben, die mindestens einen Monat und höchstens drei Monate beträgt. Von dieser Ausnahme abgesehen und sofern ein anwendbarer Tarifvertrag hierzu keine Regelung enthält, ist eine Probezeit gesetzlich nicht vorgeschrieben.
Kommen wir nun zum Fall der Vereinbarung eines befristeten Probearbeitsverhältnisses.
Die Vereinbarung eines befristeten Probearbeitsverhältnisses muss sich eindeutig aus dem Arbeitsvertrag ergeben und sie bedarf in jedem Fall der Schriftform: § 14 Abs. 4 des Teilzeitbefristungsgesetzes (TzBfG) regelt hierzu: „Die Befristung eines Arbeitsvertrages bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.“
Aus der Vereinbarung eines befristeten Probearbeitsverhältnis können sich schwerwiegende rechtliche Folgen ergeben: Hierzu das folgende Beispiel:
Lea Gabler ist zum 1. April bei der Firma Broker GmbH als Sachbearbeiterin in ein Arbeitsverhältnis eingetreten. In ihrem Arbeitsvertrag findet sich folgende Vereinbarung: „… Die Arbeitnehmerin wird für die Dauer von sechs Monaten zur Probe eingestellt. Das Arbeitsverhältnis endet nach Ablauf dieser Frist, wenn es nicht ausdrücklich verlängert wird.“
Im August erhält Frau Gabler aufgrund eines Schwangerschaftstests davon Kenntnis, dass sie im zweiten Monat schwanger ist, was sie dem Geschäftsführer der Broker GmbH, Herrn Kugler unverzüglich mitteilt. Am 20. September schickt Herr Kugler Frau Gabler ein Memo, in dem er sie darauf hinweist, dass die Probezeit nicht den Erwartungen der Firma 57entsprochen habe. Im Hinblick darauf sei das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30. September beendet.
Frau Gabler ist verzweifelt und empört, weil sie den Arbeitsplatz schätzt und davon ausgeht, dass der besondere Kündigungsschutz des Mutterschutzgesetzes ihr zugute kommt. Sie erhebt daher Klage zum Arbeitsgericht mit dem Antrag, das Gericht möge feststellen, dass die Kündigung ihres Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst habe. Wird sie Erfolg haben?
Frau Gablers Aussichten sind nicht günstig. Der Kündigungsschutz des § 9 des Mutterschutzgesetzes greift hier nicht ein, weil gar nicht gekündigt wurde. Das Mutterschutzgesetz schützt die werdende Mutter vor einer Kündigung, nicht jedoch vor einer Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch eine zulässig vereinbarte Befristung. Ein anderes Ergebnis könnte sich allenfalls dann ergeben, wenn Frau Gabler nachweisen könnte, dass das Arbeitsverhältnis einzig wegen der Schwangerschaft nicht über den Befristungstermin hinaus fortgesetzt wurde.
Die Befristung des Probearbeitsverhältnisses ist auch zulässig, weil das Teilzeit- und Befristungsgesetz eine Befristung bis zu zwei Jahren zulässt.
Unter der Überschrift „Urlaub“ finden Sie möglicherweise folgende Regelung: „Der Urlaub des Arbeitnehmers beträgt 30 Werktage.“
Hier sollten Sie auf Folgendes achten: Der gesetzliche Mindesturlaub beträgt 24 Werktage, das sind vier Wochen pro Jahr. Ist im Arbeitsvertrag also gar keine Regelung bezüglich des Urlaubs vorhanden, und sind Sie auch nicht tarifgebunden (zur Tarifbindung siehe Kapitel II, Abschnitt 3), und gibt es in Ihrem Betrieb auch 58keine Betriebsvereinbarung bezüglich der Urlaubsdauer, so bleibt es bei den vier Wochen. Gleiches gilt, wenn Ihr Vertrag die Regel enthält: „Für den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers gelten die gesetzlichen Vorschriften.“
Weitere Einzelheiten zu Fragen des Urlaubs finden Sie in Kapitel IX, Abschnitt 1.
Unter dieser Überschrift, häufig auch unter der Überschrift „Tätigkeitsbeschreibung“, findet sich mitunter folgende oder ähnliche Regelung: „Die Firma ist berechtigt, dem Arbeitnehmer vorübergehend oder auf Dauer andere zumutbare Arbeiten innerhalb des Unternehmens zuzuweisen. Mit einer gegebenenfalls aus betrieblichen Gründen notwendigen Versetzung an einen anderen Ort ist der Arbeitnehmer einverstanden.“
Hier muss man besonders aufpassen. Im Arbeitsvertrag werden nämlich die Grenzen abgesteckt, innerhalb derer ein Arbeitgeber sein Weisungsrecht – auch Direktionsrecht genannt – ausüben darf. Will er diese Grenzen überschreiten, so muss er eine Änderungskündigung aussprechen. Eine Änderungskündigung ist eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses, verbunden mit dem Angebot, zu veränderten Bedingungen (die im Einzelnen benannt sein müssen) weiterzuarbeiten.
Je weiter die Grenzen gesteckt werden („… mit Versetzung… einverstanden“), umso geringere formelle Schranken (Notwendigkeit einer Änderungskündigung) bestehen für den Arbeitgeber, den Charakter Ihres Arbeitsverhältnisses zu verändern. Zum Beispiel dadurch, dass er Ihnen einen Arbeitsplatz in einer anderen Stadt zuweist. Näheres hierzu finden Sie in Kapitel 4, insbesondere in Abschnitt 3. Bedenken Sie aber auch, dass eine sehr enge Arbeitsplatzbeschreibung im Fall betriebsbedingter Kündigungen für Sie nachteilig sein kann, weil sich die vom Arbeitgeber vorzunehmende soziale Auswahl nur auf solche Mitarbeiter bezieht, die das gleiche arbeitsvertragliche Anforderungsprofil haben wie Sie.
Die Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern und freien Mitarbeitern kann für Sie ua bedeutsam werden, wenn es um Kündigungsschutz und Kündigungsfristen wie auch eine Vielzahl von sozialen Schutzrechten geht, die nur Arbeitnehmern vorbehalten sind. Auch für die Frage, welches Gericht für ein mögliches Gerichtsverfahren zuständig ist, kommt es darauf an, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt oder ein Dienstverhältnis eines freien Mitarbeiters. Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis werden vor den Arbeitsgerichten verhandelt, Streitigkeiten aus einem Dienstverhältnis eines freien Mitarbeiters gehören regelmäßig zum Zivilgericht, also zum Amtsgericht oder zum Landgericht.
Ein freier Mitarbeiter hat mit seinem Vertragspartner üblicherweise einen Dienstvertrag geschlossen. Das ist ein Vertrag, durch den er sich gegen Bezahlung zur Leistung von Diensten verpflichtet.
Man könnte sagen: Das ist bei mir als Arbeitnehmer doch auch so. Das ist richtig. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass beim Arbeitsverhältnis die Dienstleistung in persönlicher Abhängigkeit geleistet wird. Das äußert sich normalerweise darin, dass ein Arbeitnehmer den Ort und die Zeit seiner Arbeitsleistung nicht frei bestimmen kann. Weiteres Anzeichen für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses kann sein, dass der Dienstverpflichtete fest in die betriebliche Organisation eingebaut ist. Demgegenüber ist es von nur geringer Bedeutung, wie die Vertragsparteien ihr Dienstverhältnis nennen und wie sie es steuer- und sozialversicherungsrechtlich behandeln. Entscheidend ist die praktische Handhabung.
Der Vorteil eines Arbeitsverhältnisses liegt darin, dass Arbeitsverhältnisse einen intensiveren gesetzlichen Schutz für den Dienstleistenden 60(= Arbeitnehmer) bieten. Der Nachteil liegt in der größeren Abhängigkeit des Arbeitnehmers im Vergleich zum freien Mitarbeiter.
Hier nun einige Beispiele, bei denen die Rechtsprechung aufgrund der konkreten Fallgestaltung die Arbeitnehmereigenschaft bejaht hat:
Außenrequisiteur; Bühnen- und Szenenbildner; Chefarzt; DRK-Schwester, soweit sie nicht aufgrund ihrer Mitgliedschaft zum DRK tätig wird; Fernsehreporter; Fleischbeschau-Tierärzte; Fußballtrainer; Handelsagent; Lernschwester; Musiker im Nebenberuf; Orchestermusiker, Propagandistin im Kaufhaus; Rechtsanwalt, der in fremder Kanzlei Arbeitszeit einhalten muss und dem Mandanten zugewiesen werden; Referendare in Nebenbeschäftigung; Rentenauszahlhilfe; ständig beschäftigte Reporter beim Rundfunk; Subdirektor einer Versicherung; Stundenbuchhalter; Versicherungsvertreter; Werbesprecher; Werkstudent; Wirtschaftsberater; Zeitungsausträger; Zeitungskorrespondent; Zeitungsredakteur; Einleger von Zeitungswerbungen.
In folgenden Fällen wurde andererseits die Arbeitnehmereigenschaft verneint:
Bereitschaftsarzt für Blutproben; Bezirksstellen-Lottoleiter; Diakonisse; Künstler auf geselligen Veranstaltungen eines Betriebs; Lehrbeauftragter an einer Hochschule; Lotse; Ordensgeistlicher; Repetitoren; Tankstellenbesitzer; nebenberuflicher Theaterintendant der Karl-May-Festspiele; Toilettenpächter; Psychologe in der Behindertenfürsorge, der seine Tätigkeit in 18-stündiger Arbeitszeit frei bestimmen kann.
Bitte beachten Sie, dass diese Beispiele nur einen groben Eindruck vermitteln.
Im Einzelfall kommt es nämlich darauf an, wie die Tätigkeit konkret ausgestaltet ist. Es kann also durchaus sein, dass die Tätigkeit aufgrund besonderer Umstände des einzelnen Falls einmal als Arbeitsverhältnis und im anderen Fall als freies Mitarbeiterverhältnis gewertet wird.