Im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz: „Ohne Arbeit kein Lohn.“ Das Arbeitsverhältnis ist jedoch meist die einzige Existenzgrundlage des Arbeitnehmers. Deshalb hat der Gesetzgeber eine Reihe von Fällen vorgesehen, in denen Arbeitnehmer einen Lohnanspruch erwerben, obwohl sie nicht arbeiten, insbesondere bei Krankheit, bei Kuren und einigen sonstigen Gründen persönlicher Verhinderung wie Pflege schwerwiegend erkrankter naher Angehöriger.
Allen Arbeitnehmern, auch den geringfügig Beschäftigten, bleibt der Vergütungsanspruch für die Dauer bis zu sechs Wochen erhalten, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Arbeitsleistung gehindert sind.
Das regelt das Entgeltfortzahlungsgesetz nunmehr für alle Arbeitnehmer, für Arbeiter wie für Angestellte, einheitlich.
Die gesetzliche Bestimmung (§ 3) lautet: „(1) Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen…“
112Das klingt kompliziert. Doch greifen wir den wesentlichen Punkt heraus.
Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur, wenn die Arbeitsunfähigkeit unverschuldet ist.
Verschuldet ist die Arbeitsunfähigkeit nur, wenn sie auf einen „gröblichen Verstoß“ gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten zurückzuführen ist.
Franziskus Blum stutzte an einem Wochenende in seinem Garten die Bäume. Plötzlich brach auf dem halbgefrorenen Boden die Stehleiter ein. Der Gartenfreund stürzte hinunter und brach sich ein Bein. Als er von seinem Arbeitgeber Streng die Fortzahlung der Vergütung für sechs Wochen verlangte, berief der sich darauf, Franziskus Blum habe die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften außer Acht gelassen und den Unfall damit selbst „grob fahrlässig“ verschuldet.
Ähnlich erging es Friedrich Hupfer, der, als er nach dem Fensterln gar zu beschwingt die Leiter hinabstieg, sich ein Bein brach und alsdann vergeblich von seinem Arbeitgeber die Lohnfortzahlung verlangte.
Beide Arbeitgeber mussten sich vom Richter sagen lassen, dass nur ein „grob fahrlässiges Eigenverschulden“ den Anspruch ausschließt. (Eine Faustformel für grobe Fahrlässigkeit lautet: „Das darf auf gar keinen Fall passieren!“ Vgl. Kapitel XI).
Der Arbeitgeber kann sich in diesem Zusammenhang jedoch nicht auf die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften berufen. Die sind auf den persönlichen Lebensbereich nämlich nicht anzuwenden. Franziskus Blum wie Friedrich Hupfer hatten sich zwar unvorsichtig verhalten. Ein bloß unvorsichtiges Verhalten ist jedoch noch nicht „grob fahrlässig“.
So mussten die jeweiligen Arbeitgeber den Lohn fortzahlen.
Nur ein besonders leichtfertiges Verhalten schließt also den Lohnfortzahlungsanspruch aus.
Das liegt jedoch nur selten vor.
So gibt es auch keine schlechthin gefährlichen Sportarten, deren Verletzungsfolgen den Vergütungsanspruch ausschlössen. Und es behält auch ein Drachenflieger, der auf einem Baum „landet“ und sich dabei verletzt, seinen Anspruch, wenn er die bekannten Sicherheitsvorkehrungen und Regeln beim Ausüben seines Sports beachtet hatte.
Unfälle wegen Teilnahme an einer Rauferei schließen hingegen einen Lohnanspruch in der Regel aus, ebenso die Anbahnung eines Liebesverhältnisses, wenn mit der Eifersuchtstat eines Freundes der Frau zu rechnen ist.
Fingerhakeln hingegen ist zumindest im bayerischen Raum eine durchaus nicht unübliche Art des Zeitvertreibs. Dabei erlittene Verletzungen sind nicht selbstverschuldet und schließen den Lohnfortzahlungsanspruch nicht aus, es sei denn, der Verletzte hat besonders schwache und verletzungsanfällige Fingerknochen, und dies ist ihm bekannt gewesen.
Ist ein Unfall auf Alkoholmissbrauch zurückzuführen, so entfällt ein Anspruch, „da heute jedem Erwachsenen die Gefahren des Alkohols bekannt sind“.
So haben die Arbeitsgerichte den Lohnfortzahlungsanspruch einer Frau abgelehnt, die, nachdem sie mehrere Gläser Bier und Schnaps getrunken hatte, bei dem Versuch aufzustehen, über einen Stuhl gestürzt ist und sich dabei verletzt hat. Zuvor hatte ihr Lebensgefährte sie vergeblich aufgefordert, mit dem Trinken aufzuhören und nach Hause zu gehen.
Die durch das Nichttragen des Sicherheitsgurtes eingetretenen Verletzungsfolgen sind stets verschuldet. Ein Lohnfortzahlungsanspruch besteht in diesem Falle nicht.
Alle Arbeitnehmer sind verpflichtet, den Arbeitgeber von einer Arbeitsunfähigkeit so bald als möglich zu unterrichten.
Sie brauchen Ihrem Chef jedoch nicht mitzuteilen, woran sie erkrankt sind. Sie brauchen während der Arbeitsunfähigkeit auch nicht unbedingt das Bett zu hüten.
Der Maurer Frisch war vom 20.5. bis zum 11.7. an Lungenentzündung erkrankt. Am Tag nach dem Arztbesuch hat er den Arbeitgeber telefonisch von der Arbeitsunfähigkeit verständigt. Zwei Tage später hat er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt.
Am 30. und 31. Mai hat er an einer Marienwallfahrt nach Walldürn im Odenwald teilgenommen.
Für diese beiden Tage hat der Arbeitgeber die Lohnzahlung strikt verweigert.
Zu Recht?
Das Arbeitsgericht verurteilte den Arbeitgeber, den Lohn nachzuzahlen. Die Arbeitsunfähigkeit hatte Frisch durch die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung nachgewiesen. Allein aus der Teilnahme an der Wallfahrt folgt nicht, dass Frisch etwa arbeitsfähig gewesen wäre. Erhebliche Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit wären etwa dann veranlasst gewesen, wenn Frisch an seinem Haus gemauert hätte. Beachten Sie im Übrigen, dass Sie während einer Erkrankung verpflichtet sind, alles zu unterlassen, was den Heilungsverlauf beeinträchtigen kann. Schwere Verstöße gegen diese Pflicht können uU eine Kündigung rechtfertigen.
Eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer müssen Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nur dann vorlegen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Tage dauert.
115Die Bescheinigung muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber in diesem Fall am darauf folgenden Arbeitstag vorlegen.
In Abweichung von dieser Regelung ist der Arbeitgeber allerdings auch berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen.
Hält der Arbeitnehmer sich zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit im Ausland auf, so muss der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer nicht nur unverzüglich seiner gesetzlichen Krankenkasse anzeigen. Er muss vielmehr auch dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit, deren Dauer sowie die Anschrift am Aufenthaltsort in der schnellstmöglichen Art der Übermittlung mitteilen. Die Kosten hierfür trägt der Arbeitgeber.
Bis zur Vorlage der Bescheinigung kann der Arbeitgeber die Fortzahlung des Lohnes vorübergehend verweigern. Bei Vorlage der Bescheinigung muss er den Lohn voll nachzahlen.
Den Anspruch auf Entgeltfortzahlung erwirbt der Arbeitnehmer erst, wenn das Arbeitsverhältnis vier Wochen ununterbrochen bestanden hat. Während dieser Wartezeit kann er ggf. Krankengeld von der Krankenkasse beanspruchen.
Und seit der gesetzlichen Neuregelung, die zum 1.10.1996 in Kraft getreten ist, sind Überstunden nicht mehr zu berücksichtigen.
Alle Arbeitnehmer haben bei Kuren und Heilverfahren zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit einen Anspruch auf Vergütungsfortzahlung für sechs Wochen.
116Früher konnten Angestellte sich nach einer Kur eine Schonzeit ärztlich verordnen lassen. Diese Möglichkeit gibt es nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz nicht mehr.
Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer jedoch auf dessen Verlangen im Anschluss an eine Kur Urlaub gewähren.
Häufig sehen die einschlägigen Manteltarifverträge für sonstige Fälle von Arbeitsverhinderung bezahlten Sonderurlaub vor.
Sofern der einschlägige Tarifvertrag oder der Einzelarbeitsvertrag nichts anderes vorsieht, bleibt den Arbeitnehmern auch in verschiedenen anderen Fällen der Lohnanspruch erhalten, wenn ihnen die Arbeit aus persönlichen Gründen nicht zumutbar ist. In den Worten des Gesetzes (§ 616 Bürgerliches Gesetzbuch) liest sich dies so: „Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird.“
Zu nennen sind vor allem folgende Anlässe: Geburt, Sterbefall oder Begräbnis in der Familie; eigene Hochzeit oder auch silberne Hochzeit, goldene Hochzeit der Eltern; Arztbesuch, ohne dass Arbeitsunfähigkeit vorliegt, soweit dieser außerhalb der Arbeitszeit nicht möglich ist; gerichtliche Ladung als Zeuge oder Beisitzer; Musterung; Gesellenprüfung; schwerwiegende Erkrankung naher Angehöriger.
Wenn ein im Haushalt des Arbeitnehmers lebendes Kind erkrankt, so behält der Arbeitnehmer den Anspruch auf Lohn für bis zu fünf Tagen, wenn nach ärztlichem Zeugnis der Arbeitnehmer das Kind betreuen muss, weil eine andere im Haushalt lebende Person (Ehemann, Lebensgefährtin usw.) nicht zur Verfügung steht.
Schlechte Witterungsverhältnisse (Überschwemmungen, Glatteis, Schnee), Zusammenbruch der öffentlichen Verkehrsmittel, Fahrverbote wegen Smog liegen nicht „in der Person des Arbeitnehmers begründet“ und lassen, wenn deswegen der Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsstelle kommen kann, den Lohnanspruch entfallen.
In den meisten Branchen sehen die einschlägigen Manteltarifverträge für Arbeitsverhinderungen bezahlten Sonderurlaub vor, so zB für die eigene Eheschließung ein bis drei Tage; für die Eheschließung von Eltern, Kindern, Geschwistern einen Tag; für den Todesfall des Ehegatten zwei bis vier Tage; Todesfall von Kindern, Eltern, Geschwistern, Schwiegereltern ein bis drei Tage; Entbindung der Ehefrau ein bis zwei Tage; schwere Erkrankung des Ehegatten, der Kinder oder Eltern ein bis sechs Tage; für die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen, die Wahrnehmung öffentlicher Ehrenämter sowie die Vorladung bei Gerichten und Behörden, soweit der Arbeitnehmer nicht Antragsteller, Partei oder Beschuldigter ist, wird bezahlter Sonderurlaub für die Dauer der notwendigerweise ausfallenden Arbeitszeit gewährt.
Soweit Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht durch einen Tarifvertrag gebunden sind, können sie frei vereinbaren, ob und für welche Arbeitsverhinderungen der Arbeitgeber bezahlten Sonderurlaub in welcher Dauer gewähren muss.
Wenn der Arbeitgeber Sie als Arbeitnehmer trotz ordnungsgemäß angebotener Arbeit am Betreten des Betriebs hindern oder Ihnen keine Arbeit zuweisen würde, käme er in „Annahmeverzug“. Die Folge wäre: Sie würden als Arbeitnehmer Ihren Lohnanspruch behalten.
Am Montagmorgen findet die Verkäuferin der Boutique einen Zettel der Inhaberin Lore Leicht vor: „Liebe Hilde! Bin bis Mittwoch in Paris. Spann auch du bis dahin aus. Lore.“ Als Hilde am Monatsende ihre Abrechnung überprüft, stellt sie fest, dass Lore ihr für drei Tage einen Gehaltsabzug gemacht hat. Hilde verlangt Nachzahlung. – Wer hat Recht?
Lore Leicht bleibt zur Lohnzahlung für die Zeit von Montag bis Mittwoch verpflichtet. Hilde braucht die ausgefallene Arbeitszeit nicht nachzuholen.
Entsprechendes gilt auch für den Fall, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zu Unrecht fristlos oder unwirksam fristgerecht kündigt.
Der Arbeitgeber gerät bei der unberechtigten fristlosen Kündigung sofort und bei der unwirksamen fristgerechten Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist in Annahmeverzug.
Der Arbeitgeber muss den Lohn nachzahlen. Der arbeitswillige Arbeitnehmer braucht seine Arbeitskraft nicht nochmals gesondert anzubieten. Seinen Arbeitswillen hat er durch seine bisherige Arbeitsleistung bereits hinreichend gezeigt.
119Die Friseurin Sonja Fein weigert sich, der Aufforderung ihres Chefs Schönherr nachzukommen, die Schaufensterscheiben zu putzen. Daraufhin kündigt er ihr Anfang Januar fristlos. Auf ihre Klage erklärt das Arbeitsgericht im September die Kündigung für unwirksam. Herr Schönherr muss seiner Friseurin Sonja den Lohn für die Monate Januar bis September nachzahlen.
Etwaigen Zwischenverdienst – zB Bezahlung für Aushilfstätigkeit während der üblichen Arbeitszeit bei einem anderen Friseur – oder erhaltenes Arbeitslosengeld muss sie sich jedoch anrechnen lassen. Regelmäßig verlangt dann das Arbeitsamt das „verauslagte“ Arbeitslosengeld vom Arbeitgeber zurück.
Waren Sie bei Ablauf der Kündigungsfrist jedoch arbeitsunfähig, so sollten Sie dem Arbeitgeber mitteilen, wann Sie wieder arbeitsfähig sind, damit er Ihnen Arbeit zuweisen kann, wenn diese Meldung die neuere Rechtsprechung in diesem Fall auch nicht mehr zwingend verlangt. Teilen Sie daher Ihrem Arbeitgeber sofort mit, wenn Sie wieder arbeitsfähig sind.