Helga Bartelt denkt nur ungern an ihren letzten Arbeitsplatz. Nicht nur die Tatsache, dass ihr „verhaltensbedingt“ gekündigt wurde, macht ihr zu schaffen. Auch die Weigerung ihres früheren Arbeitgebers, das letzte Gehalt auszuzahlen, bedrückt sie. Frau Bartelt war als Buchhalterin eingestellt worden, nachdem sie hatte nachweisen können, dass sie einen Anfänger- und einen Fortgeschrittenen-Kurs in Buchhaltung mit Erfolg abgeschlossen hatte. Einige Wochen vor ihrer Kündigung stellte sich heraus, dass ihr bei der Buchführung schwerwiegende Fehler unterlaufen waren. So hatte sie bei einzelnen Konten „Soll“ und „Haben“ durchgängig vertauscht. Außerdem hatte sie es unterlassen, Saldenvorträge von Bestandskonten aus dem Vorjahr in die neuen Konten des laufenden Jahres einzubuchen. Infolge der Fehlbuchungen musste die Firma die Buchhaltung für eineinhalb Jahre durch eine Fremdfirma komplett neu erstellen lassen, was 25.500 Euro kostete.
Als Frau Bartelt ihr letztes Gehalt verlangt, weist sie ihr Arbeitgeber auf den hohen Schaden hin, der ihm durch die Buchungsfehler von Frau Bartelt entstanden sind. Frau Bartelt klagt das Gehalt bei Gericht ein. Das Gericht holt ein Sachverständigen-Gutachten ein. Der Sachverständige kommt nach Überprüfung zu dem Ergebnis, dass Frau Bartelt in elementarer Weise gegen die Regeln der ordentlichen Buchführung – er nennt diese Fehler „strukturelle“ Fehler – verstoßen habe, ohne dass es sich um Flüchtigkeitsfehler gehandelt habe, die jedem bei der Arbeit einmal unterliefen. – Wie wird das Gericht entschieden haben?
224Zunächst wird es den pfändungsfreien Betrag des Gehalts Frau Bartelt zusprechen, da dem Arbeitgeber eine Aufrechnung mit eigenen Gegenforderungen nur für den Teil des Gehalts gestattet ist, der den sogenannten pfändungsfreien Betrag übersteigt. Das Existenzminimum soll hierdurch gesichert werden. (Einzelheiten zum Pfändungsschutz finden Sie im VIII. Kapitel)
Im Hinblick auf den über den pfändungsfreien Betrag hinausgehenden Gehaltsanteil gilt Folgendes: Im Allgemeinen haftet der Arbeitnehmer – wie jeder Vertragspartner im sonstigen Geschäftsleben auch – für jeden Schaden, den er dem anderen Vertragspartner (Arbeitgeber) durch schuldhafte, dh vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung seiner (arbeits-)vertraglichen Pflichten zufügt. Trifft den Arbeitgeber ein Mitverschulden, so ist das selbstverständlich zu berücksichtigen und führt zu einer Verringerung des Ersatzanspruchs des Arbeitgebers.
Der Umfang der dem Arbeitnehmer obliegenden Pflichten wird durch Auslegung des Arbeitsvertrags festgestellt. Im Fall von Frau Bartelt wird das Gericht zu dem Schluss kommen, dass Frau Bartelt bei ihren Buchungen die Regeln der Buchführung zu beachten hatte.
Wichtig:
Bei der Durchführung der Arbeit muss der Arbeitnehmer die für die Berufsgruppe üblichen Fertigkeiten und Kenntnisse einsetzen und erteilte Weisungen beachten. Ein Handwerker hat also zB fach- und sachgerecht zu arbeiten. Zu den Pflichten eines Kraftfahrers gehört die unbedingte Einhaltung der Straßenverkehrsvorschriften.
Frau Bartelt hat hier erkennbar die üblichen Fertigkeiten nicht eingesetzt, so dass sie nach den allgemeinen Regeln des Schadensersatzrechts eigentlich den ganzen Schaden bezahlten müsste. – Ein hartes Ergebnis?
Die Rechtsprechung lässt den Arbeitnehmer in solchen Fällen nicht völlig im Regen stehen, wie Sie es an folgendem Fall sehen können:
Peter Angerer arbeitet als Taxifahrer für Hans Großhauser. An einem sonnigen Frühjahrsnachmittag verursacht er infolge eines fahrlässigen Fahrfehlers einen Unfall, bei dem am Taxi von Herrn Großhauser ein Schaden im Wert von 2.500 Euro entsteht. Herr Großhauser klagt von dem zahlungsunwilligen Herrn Angerer 2.500 Euro ein. Herr Angerer weigert sich. Er ist der Ansicht, der Schaden gehöre zum Unternehmerrisiko von Herrn Großhauser. – Wie wird das Gericht entscheiden?
Herrn Angerer kommen gewisse Haftungserleichterungen zugute, da der Schaden bei Ausführung einer Arbeit entstanden ist, die durch den (Taxi-)Betrieb des Arbeitgebers veranlasst war und die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet wurde.
Diese Haftungserleichterungen sehen so aus, dass der Arbeitnehmer bei leichtester (= geringer) Fahrlässigkeit nicht haftet. Verursacht er den Schaden grob fahrlässig, so haftet er regelmäßig voll. Ist mittlere Fahrlässigkeit im Spiel, so wird der Schaden zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer unter Berücksichtigung verschiedener Umstände aufgeteilt. Zu diesen Umständen gehören u. a.:
Das muss dann aber im Einzelfall keineswegs bedeuten, dass immer im Verhältnis 50 zu 50 aufgeteilt wird. Das Gericht kann – je nach Bewertung der Einzelumstände – auch jede andere Aufteilung wählen.226 Hat es der Arbeitgeber zum Beispiel versäumt, sich durch eine Vollkaskoversicherung gegen den eingetretenen Schaden abzusichern, so kann die Aufteilung auch so aussehen, dass lediglich die übliche Selbstbeteiligungsquote einer solchen Versicherung vom Arbeitnehmer gefordert werden kann.
Hat Herr Großhauser es also unterlassen, das Fahrzeug Vollkasko zu versichern, so spricht einiges dafür, dass das Gericht der Klage des Herrn Großhauser lediglich in Höhe der üblichen Selbstbeteiligung stattgeben wird. Für die Abgrenzung von leichter, mittlerer und grober Fahrlässigkeit gelten im Übrigen die gleichen Faustregeln, wie sie bereits im elften Kapitel beschrieben wurden. Welche Art von Fahrlässigkeit Herrn Angerer in unserem Beispiel vorzuwerfen war, ist nicht näher ausgeführt. Eine Beurteilung ist im Übrigen auch nur möglich, wenn man die Begleitumstände sehr genau kennt.
Ausnahmsweise kommt eine Schadensaufteilung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch bei grober Fahrlässigkeit in Betracht, nämlich dann, wenn der Lohn in einem deutlichen Missverhältnis zum Schadensrisiko der jeweiligen Tätigkeit steht.
Dieser Begriff hat ausgedient: Nach der bis einschließlich 1993 herrschenden Rechtsprechung, also nach dem bis dahin geltenden Richterrecht, gab es die eben beschriebenen Haftungserleichterungen nur bei bestimmten Schäden, nämlich solchen Schäden, die bei einer „gefahrgeneigten“ Arbeit entstanden waren. Von gefahrgeneigter Arbeit sprach man, wenn die Eigenart der vom Arbeitnehmer zu leistenden Arbeit es mit großer Wahrscheinlichkeit mit sich bringt, dass auch dem sorgfältigen Arbeitnehmer gelegentlich Fehler unterlaufen. Fehler, die – für sich allein betrachtet – zwar jedesmal vermeidbar wären, mit denen aber angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit erfahrungsgemäß zu rechnen ist. Nach dieser alten Rechtsprechung hätte Frau Bartelt in jedem Fall voll gehaftet, da die Buchhaltung nicht als eine derartige Tätigkeit angesehen wurde.
Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsprechung geändert und das Erfordernis, dass der Schaden bei einer gefahrgeneigten Arbeit 227entstanden sein muss, aufgegeben. Nunmehr sind die Haftungserleichterungen immer dann anzuwenden, wenn der Schaden bei Ausführung einer Arbeit entstanden ist, die durch den Betrieb veranlasst ist und die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet wurde.
Wichtig
ist also, dass sich der Schadensfall im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses abgespielt hat – ein sog. freier Mitarbeiter kommt also nicht in den Genuss dieser Erleichterungen – und dass die Tätigkeit, bei der es dann passiert ist, betrieblich veranlasst war.
Nochmals zurück zu unserem Fall mit Frau Bartelt: Frau Bartelt wird, da der Schaden bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit entstanden ist, in den Genuss von Haftungserleichterungen kommen und nicht den vollen Schaden tragen müssen. Zwar wird das Gericht im Hinblick auf die nicht nur leichte Fahrlässigkeit eine teilweise Schadensersatzpflicht bejahen. Zugunsten von Frau Bartelt fällt bei der Bemessung der Schadensersatzpflicht aber ins Gewicht, dass ihr Einkommen in einem deutlichen Missverhältnis zum Schadensrisiko stand, was möglicherweise dazu führen wird, dass das Gericht die Schadensersatzpflicht von Frau Bartelt begrenzen wird.
Hat der Arbeitnehmer im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses einen Dritten, zB einen Kunden oder Passanten, geschädigt, so haftet er diesem gegenüber ohne irgendwelche Haftungserleichterungen nach den allgemeinen Regeln des Schadensersatzrechts. Gegenüber diesen dritten Personen gelten also die genannten Haftungserleichterungen nicht. Dennoch wird der Arbeitnehmer nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen auch in diesen Fällen wirtschaftlich entlastet, wie Sie an folgendem Fall sehen können:
228Reinhold Felke ist Baggerführer bei der Bauunternehmung Tiefbau GmbH in Fulda. Während seiner bisher zehnjährigen Beschäftigungsdauer zeigte er sich als zuverlässige Kraft. Die Tiefbau GmbH betraut Herrn Felke damit, die im Rahmen eines Kabelverlegungsauftrags erforderlichen Gräben auszuheben. An einem diesigen und regnerischen Tag legt Herr Felke kurz vor Arbeitsschluss beim Rangieren des Baggers statt des Vorwärtsgangs den Rückwärtsgang ein. Auf der durch feuchten Lehm verschmierten engen und steilen Altstadtstraße rutscht der Bagger deshalb einige Meter weg und schlägt gegen eine Hauswand. Am Bagger entsteht geringer, an der Hauswand nicht unerheblicher Schaden. Der Hausbesitzer verlangt von Herrn Felke die zur Beseitigung des Schadens erforderlichen 2.400 Euro. Muss Herr Felke zahlen?
Herr Felke ist zwar gegenüber dem Hausbesitzer in voller Höhe zur Zahlung verpflichtet. Er kann jedoch von der Tiefbau GmbH verlangen, den Teil des Schadens zu begleichen, den sie hätte übernehmen müssen, wenn es sich um einen Schaden der Tiefbau GmbH gehandelt hätte. Nehmen wir also an, das Gericht sieht im Verhalten von Herrn Felke einen Fall leichtester Fahrlässigkeit, so müsste die Tiefbau GmbH Herrn Felke in voller Höhe von den Ansprüchen des Hausbesitzers „freistellen“. „Freistellen“ heißt, dass die Firma Tiefbau GmbH anstelle von Herrn Felke den Betrag von EUR2.400,– an den Hausbesitzer zahlen müsste. Hat Herr Felke den Betrag vorab voll an den Hausbesitzer bezahlt, kann er den Betrag im Rückgriff von der Tiefbau GmbH ersetzt verlangen.
(Abwandlung) Herr Felke verursacht den gleichen Schaden durch ein Verhalten, das als mittlere Fahrlässigkeit einzustufen ist. Das Gericht hält eine Schadensaufteilung im Verhältnis 40% (Herr Felke) zu 60% (Tiefbau GmbH) für angemessen. Wie ist hier die Zahlung an den Hausbesitzer abzuwickeln?
Herr Felke muss endgültig und direkt 40% von 2.400 Euro, also 960 Euro an den Hausbesitzer bezahlen. Vom Restbetrag von 1.440 Euro muss die Tiefbau GmbH ihn freistellen, dh diesen Betrag für Herrn Felke an den Hausbesitzer zahlen. Hat Herr Felke bereits in voller 229Höhe an den Hausbesitzer gezahlt, kann er den Betrag von 1.440 Euro von der Tiefbau GmbH zurückverlangen.
Hierzu eine Geschichte, die sich in ähnlicher Form – allerdings mit weitaus höherer Schadenssumme – tatsächlich ereignet hat.
Mathias Dohme ist Gymnasiast und steht kurz vor dem Abitur. Um seine Abiturreise finanzieren zu können, hat er mit der Firma Germancar GmbH – Filiale Bremen – einen „Rahmenvertrag“ geschlossen, demzufolge er von Fall zu Fall für einen Stundenlohn von 7,00 Euro im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses Pkws zu anderen Filialen in der Bundesrepublik Deutschland überführt. Im Rahmenvertrag heißt es u. a.: „Der Aushilfsarbeitnehmer ist verpflichtet, die vorgeschriebene Fahrtroute einzuhalten.“ An einem sonnigen Sommernachmittag erhält Mathias Dohme von der Firma Germancar den Auftrag, einen Pkw von Bremen nach Berlin zu überführen. Mit den Fahrzeugpapieren erhält er einen Zettel: „Fahrtroute: Autobahn Bremen – Hannover – Berlin“.
Bevor Mathias Dohme aufbricht, telefoniert er mit seiner Freundin Astrid, die spontan ihr Interesse bekundet mitzufahren. Die beiden beschließen, mit dem zu überführenden Fahrzeug noch einen kleinen Ausflug an die Ostsee zu machen, um dann gegen Abend, „wenn die Straßen leer sind“, nach Berlin aufzubrechen. Auf dem Parkplatz eines Restaurants in Travemünde passiert es: Beim Einrangieren in eine enge Lücke gibt es einen Kratzer am Wagen. Schaden: 800 Euro. Die Firma Germancar GmbH verlangt von Mathias Dohme 800 Euro. Herr Dohme will nicht zahlen: Ihn treffe allenfalls leichteste Fahrlässigkeit, da er erst seit einem halben Jahr den Führerschein besitze und das große Fahrzeug der T-Klasse für ihn völlig ungewohnt sei. – Muss er zahlen?
Er muss. Die Haftungserleichterungen gelten nämlich dann nicht, wenn der Arbeitnehmer mit einem Wagen seines Arbeitgebers eine Schwarzfahrt unternimmt oder auf einer Dienstfahrt Umwege für private Zwecke macht. In diesen Fällen wird der Schaden nämlich nicht in Ausführung einer betrieblichen Tätigkeit verursacht. Nur dann, wenn der Schaden im Rahmen einer betrieblichen Tätigkeit230 herbeigeführt wurde, hält die Rechtsprechung eine Haftungsmilderung zugunsten des Arbeitnehmers für gerechtfertigt. Keinen Anlass für eine Haftungserleichterung sieht die Rechtsprechung andererseits, wenn die zum Schaden führende Handlung oder Tätigkeit wie in unserem Fall ein reines „Privatvergnügen“ des Arbeitnehmers war.
Wichtig:
Darauf, ob etwa ein deutliches Missverhältnis zwischen Vergütungshöhe und Schadensrisiko bestand, kommt es in diesen Fällen nicht an.
Zum Problem der Haftungserleichterungen im Arbeitsverhältnis noch eine abschließende Bemerkung: Bei den in diesem Kapitel beschriebenen Grundsätzen handelt es sich größtenteils nicht um Regeln, die in Gesetzen zu finden sind. Vielmehr ergeben sie sich aus der Rechtsprechung, dem sogenannten Richterrecht. (Einzelheiten zum Richterrecht finden Sie im zweiten Kapitel.)
Heike Lorenzen ist Verkäuferin bei der Fa. Modern Style GmbH, einem Konfektionshandelsunternehmen, in einer Schwabinger Boutique beschäftigt. Frau Lorenzen hat als Alleinkraft die Kinderabteilung zu betreuen. Diese ist in einem Ladengeschäft gegenüber dem Hauptgeschäft untergebracht. In der einstündigen Mittagspause wird Frau Lorenzen jeweils von einer Kollegin aus dem Hauptgeschäft abgelöst. Etwa vier Monate nach Arbeitsaufnahme wird eine Inventur durchgeführt. Dabei wird ein Fehlbestand von 892,24 Euro festgestellt. Die Modern Style GmbH verlangt diesen Betrag von Frau Lorenzen. – Muss Frau Lorenzen zahlen?
Frau Lorenzen muss nur dann zahlen, wenn es der Modern Style GmbH gelingt, zu erklären und ggf. zu beweisen, dass Frau Lorenzen ein Verschulden an dem Fehlbetrag trifft, wobei auch in diesem Fall die beschriebenen Haftungserleichterungen für Arbeitnehmer zum Zug kommen.
Für ein Manko – so nennt man den Unterschied zwischen „Soll“ und „Ist“ im Warenbestand und/oder in der Kasse – haftet der Arbeitnehmer, wenn nichts anderes vereinbart ist, nur bei Verschulden, also zB nicht für Schwund durch Witterungseinflüsse oder nicht vermeidbare Diebstähle, die von Kunden oder Kollegen begangen werden.
Hatte der Arbeitnehmer alleinigen Zugang zu Kasse und/oder Warenbestand, so kann dies als Anzeichen für eine Pflichtwidrigkeit, also ein Verschulden des Arbeitnehmers gewertet werden. Ist der Fehlbestand im Verhältnis zum Gesamtumsatz allerdings gering, spricht dies nur für leichte Fahrlässigkeit und führt nicht zur Haftung. Im Fall von Frau Lorenzen kann von einem alleinigen Zugang zur Kasse und den Waren nicht die Rede sein, weil Frau Lorenzen jeden Mittag im Laden durch eine Kollegin vertreten wurde und damit keine Kontrolle über das Geschehen im Laden hatte.
(Abwandlung) Frau Lorenzen macht in der Mittagspause den Laden zu, so dass sie die einzige ist, die zu Kasse und Waren Zugang hat. Ladendiebstähle sind praktisch ausgeschlossen, da die Ware elektronisch gesichert ist. Frau Lorenzen will den Fehlbetrag nicht ersetzen. Sie bestreitet den von der Firma Modern Style behaupteten Fehlbetrag. Die Firma Modern Style beruft sich hinsichtlich des Anfangsbestandes auf die Lieferlisten der bei Arbeitsaufnahme von Frau Lorenzen neu eingerichteten Kinderabteilung. Die zweite Inventur war von Frau Lorenzen selbst durchgeführt worden. – Ist Frau Lorenzen schadensersatzpflichtig?
Der Arbeitgeber wird sich schwer tun, seinen behaupteten Anspruch durchzusetzen. Er muss nämlich beweisen, dass der ermittelte Fehlbetrag nicht nur ein Fehlbetrag „auf dem Papier“ ist, sondern 232zugleich auch ein tatsächlicher (effektiver) Fehlbetrag ist, dass also wirklich etwas fehlt.
Das bedeutet, es muss klar sein bzw. ggf. bewiesen werden, wie viele Teile zu welchem Verkaufswert bei der ersten Inventur vorhanden waren, wie viele Teile zu welchem Verkaufswert bei der zweiten Inventur vorhanden waren und wie viele Teile zu welchem Verkaufswert bei der zweiten Inventur hätten vorhanden sein müssen (sog. Soll-Ist-Vergleich). Es reicht also nicht, wenn die Firma Modern Style GmbH den Umfang der Warenbestände zum Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme von Frau Lorenzen etwa lediglich anhand von durch Frau Lorenzen nicht gegengezeichneten Lieferpapieren rekonstruiert. Anders sieht es aus, wenn Frau Lorenzen bei beiden Inventuren sowie der Fortschreibung der Bestandslisten selbst beteiligt war und das Ergebnis der Inventuren gegengezeichnet hat.
Um sich Erleichterungen bei der Beweisführung zu verschaffen, nehmen Arbeitgeber, insbesondere im Einzelhandel, sog. Mankovereinbarung in den Arbeitsvertrag auf. Diese sieht normalerweise vor, dass der Arbeitnehmer auch ohne Nachweis eines Verschuldens für auftretende Fehlbeträge haften soll. Das hört sich für den Arbeitnehmer nicht gut an, werden Sie sagen.
Eine Mankovereinbarung ist problemlos zulässig, wenn sie als zusätzliche Vergütung, dh Prämie dafür gezahlt wird, dass im Arbeitsbereich des Arbeitnehmers kein Fehlbestand auftritt. Wird hingegen die Zusage einer Fehlgeldentschädigung mit einer Haftungsverschärfung für den Arbeitnehmer verbunden, dann bestehen hierfür – zumindest für den Regelfall, dass die Vertragsbedingungen durch den Arbeitgeber vorformuliert werden – enge Grenzen. Solche Haftungsverschärfungen sind nur wirksam, wenn das Abwälzen des Haftungsrisikos auf den Arbeitnehmer den betrieblichen Verhältnissen angemessen ist und wenn dem erhöhten Risiko für den Arbeitnehmer ein angemessener wirtschaftlicher Ausgleich gegenübersteht.233 Dieser angemessene wirtschaftliche Ausgleich, der im Allgemeinen als „Mankogeld“ oder „Fehlgeldentschädigung“ bezeichnet wird, muss so bemessen sein, dass der Arbeitnehmer aus ihr notfalls ein auftretendes Manko voll abdecken kann. Das bedeutet, dass die Fehlgeldentschädigung die absolute Obergrenze der vertraglichen (verschuldensunabhängigen) Mankohaftung darstellt. Die Mankovereinbarung bedeutet also im Ergebnis allein die Chance für den Arbeitnehmer, durch erfolgreiche Verwaltung eines Kassen- oder Warenbestandes eine zusätzliche Vergütung zu erzielen.
Weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Mankovereinbarung ist, dass der Arbeitnehmer die alleinige Verfügungsgewalt und den alleinigen Zugang zu den ihm anvertrauten Geld- oder Warenbeständen hat. Beispiel einer Mankoabrede: „Der Arbeitnehmer haftet mit den übrigen Mitarbeitern der gleichen Filiale für alle Fehlbeträge in der Geschäftskasse oder am Warenbestand gesamtschuldnerisch, solange der Schuldige nicht zweifelsfrei feststeht.“
Eine solche Mankoabrede ist unwirksam.
Zunächst eine Erläuterung des Begriffs „gesamtschuldnerische Haftung“. Er besagt, dass der Arbeitgeber von jedem der in Frage kommenden Mitarbeiter den vollen und nicht etwa nur den anteiligen Schadensbetrag verlangen kann, solange eine Zahlung noch nicht erfolgt ist.
Die Mankoabrede ist aus folgender Überlegung heraus unwirksam: Die Mitarbeiter einer Verkaufsstelle haben über ihr gegenseitiges Verhalten im Allgemeinen keine nennenswerte Kontrollmöglichkeit, sollen der Vereinbarung nach aber trotzdem haften. Eine solche weitgehende, vom Verschulden unabhängige Haftung des Arbeitnehmers kann kaum mit betrieblichen Erfordernissen gerechtfertigt werden. Diese Vereinbarung verlagert vielmehr das unternehmerische Risiko in unzumutbarer Weise auf den Arbeitnehmer. Eine solche Mankovereinbarung wäre also selbst dann nichtig, wenn dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dieser Vereinbarung ein Mankogeld versprochen wird.
Will ein Arbeitgeber von seinem Arbeitnehmer wegen einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers Schadensersatz einklagen, so kommt der Arbeitgeber oft schon deswegen in Schwierigkeiten, weil es vielfach nur schwer möglich ist anzugeben, wo der Schaden genau entstanden ist und wie hoch er ist.
Sie haben am 1. März einen Arbeitsvertrag geschlossen. Vorgesehener Arbeitsantritt: 1. April. Sie schicken am 14. März dem Arbeitgeber eine E-Mail mit der Mitteilung, dass Sie aus persönlichen Gründen die Stelle doch nicht nehmen wollen. Die Firma muss erneut inserieren, was zunächst ohne Erfolg bleibt. Erst zum 15. Mai findet man eine Ersatzkraft. Die Zeit zwischen dem 1. April und dem 15. Mai wird durch personelle Umschichtung überbrückt, was aber letztlich auf Kosten der Pflege der Kundenkontakte des Unternehmens geht und mit Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass Aufträge verlorengehen.
Hier wird es dem Unternehmen schwer fallen, zu erklären und zu beweisen, worin genau der Schaden liegt, den Sie verursacht haben, und wie hoch dieser sein soll. Man kennt ja u. U. die Aufträge gar nicht, die man hereinbekommen hätte, wenn die Mannschaft in der vorgesehenen Stärke bei der Arbeit gewesen wäre.
Um eine solche Situation zu vermeiden und gleichzeitig indirekt durch finanziellen Druck die Einhaltung von wichtigen vertraglichen Vereinbarungen zu sichern, werden häufig Vertragsstrafen vereinbart. Beispiel einer Vertragsstrafenregelung eines Arbeitnehmerüberlassungs-Unternehmens: „Tritt der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis schuldhaft nicht zu dem vereinbarten Zeitpunkt an, oder bleibt der Arbeitnehmer vertragswidrig der Arbeit fern oder beendet er das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist, so ist er zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet. Als Vertragsstrafe bei Nichtantritt gelten 300 Euro als vereinbart. Als Vertragsstrafe bei vertragswidriger Beendigung des Arbeitsverhältnisses gilt 235für jeden nicht eingehaltenen Kündigungstag eine Tagesbruttovergütung als vereinbart. Als Vertragsstrafe bei vertragswidrigem Fernbleiben von der Arbeit gilt ein Tagesbruttoverdienst als vereinbart.“
Das vorstehende Beispiel veranschaulicht die Hauptanwendungsfälle für Vertragsstrafen, nämlich
Ein weiterer wichtiger Anwendungsfall ist
Vertragsstrafen können sich aber auch auf andere Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis beziehen.
Wichtig:
Mit unter sehen auch Tarifverträge Vertragsstrafenregelungen vor.
Sind Sie zu Ihrer Berufsausbildung beschäftigt, so sind Vertragsstrafen gemäß § 12 Absatz 2 Berufsbildungsgesetz von vornherein unwirksam.
Darüber hinaus unterliegen Vertragsstrafenregelungen in vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsverträgen einer bestimmten Kontrolle nach den §§ 305 BGB (Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen). Danach wird geprüft, ob die entsprechende Klausel Inhalt des Vertrages geworden ist, ob sie klar und bestimmt formuliert ist und ob sie angemessen ist. Dabei gilt insbesondere Folgendes:
Neben den genannten Fallgruppen gibt es andere Bereiche, in denen Vertragsstrafenvereinbarungen nach wie vor zulässig bleiben („Bestrafung“ von Verstößen gegen ein Wettbewerbsverbot, gegen die Geheimhaltungsverpflichtung und von anderen Vertragspflichtverletzungen). Diese Regelungen werden mit gleichen Maßstäben gemessen wie auch andere vertragliche Regelungen, dh sie dürfen insbesondere nicht gegen zwingende Gesetze verstoßen. Verstoßen sie gegen zwingende Gesetze, so sind sie unwirksam und nicht verbindlich. Das ist u. a. der Fall, wenn die Vertragsstrafenregelung zu einem Verhalten verpflichten oder eine Leistung sichern soll, die vom Gesetz verboten ist.
Der Arbeitnehmer wird im Arbeitsvertrag verpflichtet, Arbeit auch über die nach dem Arbeitszeitgesetz zulässige Höchstarbeitszeit hinaus zu leisten. Zur Sicherung dieser Verpflichtung wird eine Vertragsstrafe vereinbart.
Eine solche Vereinbarung ist nichtig, da die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes über einzuhaltende Höchstarbeitszeiten zwingend sind, eine darüber hinausgehende Arbeitsleistung also verboten ist.
Schließlich können Vertragsstrafenabreden – wie bereits oben ausgeführt – unwirksam sein, weil bzw. wenn sie zu unbestimmt gehalten sind. Beispiel einer solchen Vereinbarung: „Für den Fall, dass der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitgeber nicht oder nicht genügend erfüllt, ist ungeachtet des tatsächlich entstandenen Schadens eine einmalige Ausgleichszahlung in Höhe von 500 Euro vereinbart.“
Wie Sie sehen, kann eine Vertragsstrafe auch unter anderen Begriffen (hier: „Ausgleichszahlung“) auftauchen. Wesentlich ist, dass eine Zahlungsverpflichtung unabhängig von der Entstehung bzw. dem Nachweis eines Schadens lediglich bei Vorliegen einer Vertragsverletzung entstehen soll.
238Zurück zur Unbestimmtheit der Vereinbarung. Die – der Praxis entnommene – beispielhaft wiedergegebene Regelung lässt nicht erkennen, welche vertraglichen Pflichten in besonderer Weise gesichert werden sollen. Eine solche Vertragsstrafenvereinbarung mit „Gießkannenwirkung“ für nicht näher bezeichnete bedeutende und unbedeutende Vertragsverstöße ist unwirksam. Das in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB enthaltene Transparenzgebot gebietet, dass sowohl die vereinbarte Strafe wie auch der Tatbestand, der sie auslösen soll, klar und deutlich bezeichnet sein müssen, damit sich der andere Teil – in unserem Fall also der Arbeitnehmer – in seinem Verhalten darauf einstellen kann. § 307 Absatz1BGB bestimmt nämlich:
„Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.“
Haben Sie Ihrem Arbeitgeber im Arbeitsvertrag die Möglichkeit gegeben, eine „saftige“ Vertragsstrafe zu verhängen, so wurde die Vereinbarung vor Einführung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes im allgemeinen noch nicht deswegen als unwirksam angesehen, weil die vorgesehene Vertragsstrafe unverhältnismäßig hoch war. Die Interessen des von der Vertragsstrafe betroffenen Arbeitnehmers wurden allerdings dadurch berücksichtigt, dass das Gericht die Vertragsstrafe auf einen angemessenen Betrag herabsetzen konnte.
Nunmehr, dh seit Einführung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes in das BGB muss – wie vorstehend bereits für die vertragswidrige vorzeitige Lösung vom Vertrag dargestellt – zumindest bei vom Arbeitgeber vorformulierten Verträgen zunächst festgestellt werden, ob die Vereinbarung der Vertragsstrafe im Hinblick auf die festgesetzte Höhe überhaupt wirksam ist. Der zuvor wörtlich zitierte § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB verbietet nämlich eine „unangemessene Benachteiligung“239 des Vertragspartners des Verwenders der Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Das kann dazu führen, dass eine Vertragsstrafenvereinbarung bereits von vornherein wegen unangemessener Höhe als unwirksam angesehen wird, ohne dass sich noch die Frage der Herabsetzung stellt. Aber auch wenn die Vertragsstrafenregelung im Einzelfall nicht als insgesamt unwirksam angesehen wird, muss das Gericht die Angemessenheit der Höhe überprüfen und kann unter Berücksichtigung aller Umstände eine Herabsetzung vornehmen.