Sicher ist es ein guter Rat, die Klärung und Entscheidung eines Konflikts mit dem Arbeitgeber nicht auf die lange Bank zu schieben. Je schneller Sie reagieren, umso weniger besteht die Gefahr, dass Sie Fristen versäumen. Die Folgen einer Fristversäumung treffen Sie auch dann, wenn Sie die Frist nicht kennen.
Der Gang zum Gericht kann sich als zwecklos erweisen, wenn das behauptete Recht zwar unzweifelhaft bestand, aber die für seine Geltendmachung vorgesehenen Fristen verstrichen sind.
Gerda Meder ist seit vier Jahren bei der Firma Deimler Vertrieb (vierzig Beschäftigte) als Buchhalterin angestellt. Mehrmals gab es Meinungsverschiedenheiten mit der Geschäftsführerin über die Richtigkeit von Buchungen. Schließlich kündigt die Firma Deimler Vertrieb das Arbeitsverhältnis schriftlich. Nach Erhalt des Kündigungsschreibens lässt sich Frau Meder bei der Geschäftsführerin einen Termin geben und versucht, die Missverständnisse, die zur Kündigung geführt haben, aufzuklären. Sie hat den Eindruck, dass das Gespräch gut verlaufen ist, und erwartet, dass die Kündigung zurückgenommen wird. Als nach zwei Wochen 334diese Erwartung nicht eingetreten ist, bespricht sie sich mit ihrem Freund, einem Studenten der Rechtswissenschaft, der ihr rät, nicht gleich zu klagen, sondern es noch einmal „gütlich“ zu versuchen. Sie schreibt daher an die Geschäftsführerin und bittet, die „Entscheidung noch einmal zu überprüfen“. Erst als nach weiteren zwei Wochen keine Reaktion erfolgt ist, geht sie zu einem Rechtsanwalt und bittet ihn, die Kündigung gerichtlich anzugreifen. – Kann die Kündigungsschutzklage noch rechtzeitig erhoben werden?
Nein: Bei Kündigungen muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben werden. Ein Brief, mit dem Sie innerhalb dieser Frist beim Arbeitgeber gegen die Kündigung protestieren, wahrt die Frist nicht.
Frau Pertl ist Verkäuferin und Kassiererin im Regen-Einkaufszentrum in der Nähe von Regensburg. In ihrem Arbeitsvertrag heißt es unter der Überschrift Vergütung: „erfolgt nach Tarif“. Die Schlussbestimmung des Arbeitsvertrages sieht vor, dass „im Übrigen die Tarifverträge für die Arbeitnehmer im bayerischen Einzelhandel anwendbar“ sind. Als sie am 30.9.2012 eine Kündigung erhält, ist sie genau drei Jahre dort beschäftigt. Gegen die fristgemäß zum 31.12.2012 ausgesprochene Kündigung erhebt sie Kündigungsschutzklage. Im Januar 2013 findet der Gütetermin vor dem Arbeitsgericht statt. Er ist ergebnislos, da das Regen-Einkaufszentrum nicht bereit ist, eine Abfindung zu zahlen. Um Druck auszuüben, will Frau Pertl jetzt zusätzlich die Gehaltsdifferenzen wegen einer untertariflichen Bezahlung in der dreimonatigen Probezeit, die sie damals nach jeder Abrechnung sofort schriftlich anmahnte, dann aber auf sich beruhen ließ, einklagen. – Wird die Klage Erfolg haben?
Nein: Die Probezeit war vom 1.10.2009 bis 31.12.2009. Für wiederkehrende Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, also insbesondere für alle Ansprüche auf Arbeitsentgelt, gilt eine Verjährungsfrist von drei Jahren. Sie beginnt zu Ende des Jahres, in dem die Ansprüche entstanden sind, zu laufen.
Die Ansprüche wegen untertariflicher Bezahlung stammen aus dem Jahr 2009 und sind damit am 31.12.2012 verjährt. Die Klage im darauf 335folgenden Januar 2013 wäre zu spät gewesen. Frau Pertl nützt auch nichts, dass sie die Ansprüche gleich schriftlich geltend gemacht hat (wie es der im Arbeitsvertrag vereinbarte Tarifvertrag vorsieht).
Wichtig:
Nur eine Klage – nicht etwa ein Schreiben, mit dem Sie den Arbeitgeber zur Zahlung auffordern – „unterbricht“ die Verjährungsfrist.
In vielen Fällen sind aber wesentlich kürzere Fristen einzuhalten. Dies ist immer dann der Fall, wenn ein Tarifvertrag gilt, der eine so genannte Verfallfrist (auch Ausschlussfrist genannt) enthält. Anders als bei der Verjährung ist zur Wahrung dieser Fristen nicht generell die Klage erforderlich. Die Form der Geltendmachung richtet sich nach den einschlägigen tariflichen Bestimmungen.
Frau Pertl hat die Kündigung akzeptiert. Sie hat Ansprüche wegen untertariflicher Bezahlung aus dem Jahr 2012, also dem letzten Jahr des Arbeitsverhältnisses, die sie aber erstmals Anfang April 2013 geltend gemacht hat. – Wird die Klage Erfolg haben?
Nein. Die Ansprüche der Frau Pertl sind zwar nicht verjährt, aber wegen der in ihrem Arbeitsvertrag vereinbarten Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Bayern verfallen. Sie hätten innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht werden müssen.
Verfallfristen sind in Tarifverträgen nach Dauer und Form sehr unterschiedlich ausgestaltet. Nachfolgend wird § 23 des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Bayern und zwei weitere Beispiele aus anderen Tarifverträgen wiedergegeben.
336Beispiele für tarifliche Verfallfristen (Stand: März 2014)
Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern (derzeit nicht allgemeinverbindlich)
§ 23 Verfallsklausel.
Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe
(derzeit allgemeinverbindlich)
§ 16 Ausschlussfristen.
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÖD)
(nicht allgemeinverbindlich, aber generell in den Arbeitsverträgen vereinbart)
§ 37 Ausschlussfrist.
Wichtig:
Sieht ein Tarifvertrag nicht ausdrücklich vor, dass die Ansprüche schriftlich oder durch Klage geltend gemacht werden müssen, genügt auch eine mündliche Geltendmachung. Aber schon aus Beweisgründen ist zur Schriftform zu raten.
Zur Geltendmachung gehört auch, dass Sie dem Arbeitgeber mitteilen, um welchen Anspruch es sich handelt (Weihnachtsgeld, Provision etc.) und wie hoch der geforderte Betrag ist. Ist eine gerichtliche Geltendmachung im Tarifvertrag nicht vorgesehen, würden zur Geltendmachung folgende Zeilen genügen:
„An die
Firma Industrieanlagen Huber
Sehr geehrte Damen und Herren,
für die Monate Oktober, November und Dezember dieses Jahres haben Sie mir die Leistungszulage in Höhe von monatlich 100 EUR nicht mehr bezahlt. Ich fordere hiermit die Nachzahlung dieser Beträge.
Hochachtungsvoll“
Der mit der Post geschickte einfache Brief hat den Nachteil, dass der Zugang praktisch nicht beweisbar ist. Auch kann der Brief durchaus verloren gehen. Sie sollten jedenfalls (telefonisch) nachfragen, ob der Brief auch angekommen ist.
Wichtig:
Entgegen einer weit verbreiteten Meinung ist die beste Form der Übermittlung keinesfalls die Postzustellung durch Einschreiben. Kommt es auf die Einhaltung eines bestimmten Zeitpunkts an, ist sie geradezu gefährlich. Der Zugang ist nämlich nicht mit dem Einwurf des Benachrichtigungsscheins in den Postkasten des Empfängers eingetreten, sondern erst, wenn der Empfänger das Einschreiben abholt.
Sicher gehen Sie dagegen, wenn Sie Ihr Schreiben durch einen Boten überbringen lassen, dem Sie das ins Couvert gesteckte Schreiben gezeigt haben.
Während die tariflich vorgesehenen Leistungen relativ bekannt sind, ist dies bei den tariflichen Verfallfristen nicht der Fall. Sie werden vielleicht sagen, dass Sie nicht Gewerkschaftsmitglied sind und daher nicht unter einen Tarifvertrag fallen können. So einfach ist die Sache nicht. Möglicherweise enthält Ihr Arbeitsvertrag eine Bestimmung, die die Anwendung eines bestimmten Tarifvertrages vorsieht. Steht in diesem Tarifvertrag eine Verfallfrist, so gilt diese auch dann für Sie, wenn Sie nicht Gewerkschaftsmitglied sind. Oder Sie arbeiten in einer Branche, für die ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag mit einer Verfallklausel gilt. Auch dann kommt es nicht darauf an, ob Sie Gewerkschaftsmitglied sind (auch Ihr Arbeitgeber muss nicht Mitglied im Arbeitgeberverband sein – siehe hierzu auch Kapitel II, Abschnitt 3, S. 25).
339Wie erfahren Sie nun, welcher Tarifvertrag gilt und ob er eine solche tückische Verfallfrist enthält? Wenn Sie Gewerkschaftsmitglied sind, wird Ihnen Ihre Gewerkschaft die einschlägigen Tarifverträge aushändigen. Sind Sie nicht Gewerkschaftsmitglied, können Sie oder Ihr Vertreter einen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag von einer der Tarifvertragsparteien gegen Erstattung der Selbstkosten verlangen. Ansonsten ist darauf hinzuweisen, dass der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet ist, die im Betrieb geltenden Tarifverträge für jeden zugänglich im Betrieb auszulegen.
Sie dürfen sich nicht so verhalten, dass der Arbeitgeber daraus schließen kann, Sie würden Ihre Rechte nicht wahrnehmen. Dies kann nämlich dazu führen, dass das Recht „verwirkt“ ist.
Frau Vogel ist als „betriebswirtschaftliche Assistentin“ bei einer Firma Roter-Verlag in Mainz. Sie hat über zwei Jahre hinweg monatlich zwischen zehn und fünfzehn Überstunden geleistet. Ohne ausdrückliche Vereinbarung erhielt sie zusätzlich zu ihrem Monatslohn eine Pauschale von 100 Euro, und zwar unabhängig von der Anzahl der Überstunden. Nachdem sie selbst gekündigt hat, stellte sie fest, dass die Überstunden durch die Pauschale nicht ausreichend abgegolten sind, und will die Differenz für die letzten zwei Jahre einklagen. – Wird sie damit Erfolg haben?
Wohl nicht. Indem sie über eine so lange Zeit hinweg ohne Widerspruch die monatliche Pauschale angenommen hat und niemals eine korrekte Abrechnung ihrer Überstunden reklamiert hat, konnte der Roter-Verlag darauf vertrauen, dass er nicht mit weiteren Überstundenforderungen durch Frau Vogel konfrontiert werden würde.
Werden Sie vom Arbeitgeber gegen Ihren Willen nicht beschäftigt, was etwa bei einer einseitig vom Arbeitgeber angeordneten Freistellung von der Arbeit (Suspendierung) der Fall ist, muss der Arbeitgeber Ihnen nur dann Gehalt oder Lohn bezahlen, wenn er sich im „Verzug der Annahme der Dienste“ befindet. Sie müssen also Ihre Dienste anbieten. Auch dies gehört zum anspruchswahrenden Verhalten, mit dem Sie nicht immer warten können, bis Sie von einem Rechtsanwalt oder Gewerkschaftssekretär entsprechend belehrt worden sind.
Der Maurer Hochleitner ist bei der Firma Hoch und Tief Regionalbau GmbH beschäftigt. An einem Freitag kommt es zwischen Herrn Hochleitner und seinem Meister, der ihn wegen einer fehlerhaften Arbeit gerügt hat, zu einem heftigen Wortwechsel, bei dem Hochleitner ua sagt: „Mit Ihnen kann man doch nicht sinnvoll zusammenarbeiten.“ Obwohl er noch eine Stunde zu arbeiten hätte, geht er nach Hause. Am Samstag erhält er ein Schreiben der Firma Hoch und Tief Regionalbau GmbH, dass seine Kündigung „ab sofort“ angenommen wird. Bei seinem Anruf am darauf folgenden Montag im Büro eines Rechtsanwaltes, der ihm vom Betriebsrat empfohlen war, teilt ihm die Anwaltsgehilfin mit, dass er erst in einigen Tagen einen Besprechungstermin haben könne. Muss Herr Hochleitner vorsorglich etwas tun, damit ihm seine Lohnansprüche nicht verloren gehen?
Herr Hochleitner sollte der Firma Hoch und Tief Regionalbau GmbH seine Arbeitskraft anbieten. Er sollte, auch wenn zu erwarten ist, dass er wieder nach Hause geschickt wird, in der Arbeit erscheinen und sich dies möglichst schriftlich bestätigen lassen. Ein zusätzliches Schreiben, mit dem die Arbeitskraft angeboten wird, ist empfehlenswert:
341„An die Firma
Hoch und Tief Regionalbau GmbH
Sehr geehrter Herr Utz,
Ihr Schreiben, mit dem Sie meine angebliche Kündigung annehmen, habe ich erhalten. Von einer Kündigung meinerseits kann nicht die Rede sein. Ich habe nur meine Verärgerung über das Verhalten des Meisters zum Ausdruck gebracht. Nach wie vor bin ich bereit, meine arbeitsvertragliche Arbeitsleistung zu erbringen.
Hochachtungsvoll
Hochleitner“
Beruht Ihre Nichtbeschäftigung auf einer Kündigung des Arbeitgebers, müssen Sie Ihre Arbeitskraft nicht ausdrücklich noch einmal anbieten. Durch die Kündigung hat der Arbeitgeber ja zum Ausdruck gebracht, dass er nicht bereit ist, Sie weiterhin zu beschäftigen. Es ist daher seine Sache, Sie wieder vertragsgemäß einzusetzen.
Gibt es allerdings Umstände, die den Arbeitgeber daran zweifeln lassen könnten, ob Sie nach der Kündigung arbeitsbereit und arbeitsfähig sind, müssen Sie ausdrücklich das Bestehen der Arbeitsbereitschaft und Arbeitsfähigkeit klarstellen. Hier ist Vorsicht besser als der spätere Ärger mit den Problemen der Anspruchsdurchsetzung. Obwohl von der Rechtsprechung nicht mehr zwingend gefordert, ist eine solche Klarstellung auch empfehlenswert, wenn Sie über den Kündigungstermin hinaus arbeitsunfähig krankgeschrieben sind. Teilen Sie daher Ihrem Arbeitgeber sofort mit, wenn Sie wieder arbeitsfähig sind.
Sind Sie Gewerkschaftsmitglied, haben Sie Anspruch auf Rechtshilfe, die auch die Beratung und Auskunftserteilung in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten umfasst. Die Gewerkschaften bzw. die Dachverbände 342der Gewerkschaften beschäftigen hierfür qualifizierte Gewerkschaftssekretäre (zB Rechtssekretäre der Rechtschutz GmbH des Deutschen Gewerkschaftsbundes).
Sind Sie nicht Gewerkschaftsmitglied, ist der Gang zum Rechtsanwalt nahe liegend. Wie komme ich nun an den richtigen Rechtsanwalt? Einige Rechtsanwälte beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit Arbeitsrecht. Allerdings gibt es keine offizielle Stelle, die Ihnen Auskunft über Rechtsanwälte mit dieser Spezialisierung erteilt. Letztlich sind Sie auf eine Empfehlung angewiesen.
Abgesehen von Zufallsempfehlungen, die von Arbeitskollegen, Verwandten und Bekannten kommen, ist es einen Versuch wert, den Betriebsrat zu fragen, denn er muss eventuell selbst arbeitsgerichtliche Verfahren mit einem Rechtsanwalt durchführen und erhält auch häufig Rückmeldungen von Arbeitnehmern über die von diesen geführten Arbeitsgerichtsverfahren.
Wichtig:
Seit dem Jahre 1987 ist der Fachanwalt für Arbeitsrecht anerkannt. Da die Führung dieser Bezeichnung nur bei Nachweis entsprechender Kenntnisse durch die Rechtsanwaltskammern gestattet wird, dürften Sie im Zweifel mit einer arbeitsrechtlichen Beratung und Vertretung bei einem Fachanwalt für Arbeitsrecht gut aufgehoben sein.
Seit dem 1.7.2006 trifft den Rechtsanwalt bei einer Beratung die Pflicht, „auf eine Gebührenvereinbarung hinzuwirken“. Das hat den Vorteil, dass Sie wissen, was Sie für die Beratung zahlen müssen. Ohne eine solche Vergütungsvereinbarung hat der Rechtsanwalt Anspruch auf eine „angemessene Vergütung“, die auf 250,– EUR begrenzt ist, wenn der Mandant Verbraucher ist (dies trifft bei einem 343Arbeitnehmer mit einem arbeitsrechtlichen Anliegen zu). Was angemessen ist, hängt naturgemäß von Umständen des einzelnen Falles, insbesondere von der Schwierigkeit der Beratung ab.
Steht die Beratung in einem Zusammenhang mit einer sonstigen Tätigkeit des Rechtsanwaltes, also insbesondere einer außergerichtlichen oder gerichtlichen Vertretung, fällt die Beratungsgebühr nicht an; die Beratungstätigkeit ist dann mit den vom Rechtsanwalt durch die sonstige Tätigkeit verdienten Gebühren abgegolten.
Geht die Beratung nicht über ein erstes kurzes Gespräch hinaus (Erstberatung) und ist der Mandant Verbraucher, ist die Beratungsgebühr nach oben auf 190,– EUR begrenzt. Wenn Sie nur an einer ersten Einschätzung ihrer Rechtsposition interessiert sind und möglichst geringe Kosten haben wollen, sollten Sie den Beratungsauftrag ausdrücklich auf eine Erstberatung beschränken.
Keine Rechtsberatung dürfen die Antragstellen der Arbeitsgerichte durchführen. Ihre Aufgabe besteht lediglich darin, Klagen und andere Anträge aufzunehmen. Die in den Antragstellen tätigen Rechtspfleger haben auch nicht die Qualifikation für eine umfassende arbeitsrechtliche Beratung. Soweit sie doch Hinweise zur Rechtslage geben, können Sie sich hierauf nur mit Einschränkungen verlassen. In den arbeitsgerichtlichen Antragstellen darf Ihnen auch kein Rechtsanwalt empfohlen werden.
Der Betriebsrat darf keine Rechtsberatung durchführen. Dies schließt aber nicht aus, dass er Ihnen für Ihren Fall wichtige Hinweise geben kann. So erfahren Sie dort aus erster Hand, ob er vor der Kündigung ordnungsgemäß gehört worden ist. Aufgrund seiner Kenntnis der Betriebsinterna kann er Ihnen darüber Auskunft geben, ob die Kündigung etwa durch eine Versetzung auf einen freien Arbeitsplatz hätte abgewendet werden können oder ob sozial weniger schutzwürdige Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden. Fragen,344 die von entscheidender Bedeutung für den Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses sein können.
Nicht für alles, was einem gegen den Strich geht, ist der Weg zum Arbeitsgericht eröffnet.
Sie sind mehrmals zu spät zur Arbeit gekommen. Der Arbeitgeber schreibt Ihnen: „Bitte achten Sie in Zukunft auf die Einhaltung der Arbeitszeit.“ Sie sind der Auffassung, dass diese Beanstandung zu Unrecht erfolgt ist, weil Sie jeweils durch einen Verkehrsstau aufgehalten worden sind. – Können Sie gerichtlich feststellen lassen, dass diese Beanstandung zu Unrecht erfolgt ist?
Hierbei handelt es sich um einen einfachen Hinweis auf Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten. Auch wenn dieser nicht gerechtfertigt war, besteht keine Möglichkeit, durch ein arbeitsgerichtliches Verfahren die Rücknahme zu erreichen. Sie können Ihre Einwendungen allerdings in Form einer Gegendarstellung vorbringen und zur Personalakte nehmen lassen. Auch eine Beschwerde beim Betriebsrat ist möglich.
Hätte sich allerdings der Arbeitgeber nicht mit einem Hinweis auf Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten begnügt, sondern eine Kündigung für den Fall weiterer Verspätungen angedroht, wäre eine Überprüfung in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren möglich gewesen.
Manchmal empfinden Arbeitnehmer Vorwürfe, die ihnen vom Arbeitgeber im Zusammenhang mit einer Kündigung gemacht werden, als ehrenrührig und erwarten, dass sie im Kündigungsschutzverfahren rehabilitiert werden.
345Herr Makaran arbeitet seit zehn Jahren als Diplom-Chemiker in der Forschungsabteilung der Firma Tiemons in Ellwangen. Zu seinen Aufgaben gehörten die Untersuchung der Produktionstauglichkeit von Stoffen und die Erarbeitung von Vorschlägen für den Einsatz von Stoffen in der Produktion. Herr Makaran war niemals wegen seiner Arbeit abgemahnt worden, dennoch erhält er eine ordentliche Kündigung, die unter anderem damit begründet wird, dass eine von ihm erarbeitete Analyse unbrauchbar gewesen sei und die Qualität einer „Anfängerarbeit“ gehabt habe. Obwohl er einen neuen Job in Aussicht hat, möchte Herr Makaran den Kündigungsschutzprozess auf jeden Fall durchziehen, um die Qualität seiner Arbeit zu beweisen. – Wird ihm dies gelingen?
Wohl nicht. Das Gericht wird der Frage, ob die Arbeit tatsächlich so schlecht war, nicht weiter nachgehen, sondern der Klage einfach stattgeben, weil die Firma Tiemons nur eine einmalige Schlechtleistung behauptet und daher auch keine Abmahnung wegen einer früheren Schlechtleistung vorliegt. Herr Makaran wird also den Prozess zwar gewinnen, aber sein Ziel, nämlich die Rehabilitation, nicht erreichen. Da er schon einen neuen Arbeitsplatz hat, wird ihm die Entscheidung des Arbeitsgerichts auch sonst nichts nützen.
Das Gericht muss zur Klärung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung nicht immer den gesamten Sachverhalt aufklären. Es kann zum Beispiel auch argumentieren: Selbst wenn der Vorwurf zutrifft, ist die Kündigung rechtswidrig, weil der Vorwurf unter Abwägung aller Umstände nicht schwerwiegend genug ist oder weil es an einer vorausgegangenen Abmahnung fehlt oder weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß gehört worden ist usw.
Die Vorstellung, dass das Arbeitsgericht aufgrund eines Kündigungsschutzverfahrens dem gekündigten Arbeitnehmer eine Abfindung „zusprechen“ kann, ist weit verbreitet.
346Frau Leicht ist seit zehn Jahren bei einem Mütter und Kinder Fürsorge-Verein in Nürnberg beschäftigt. Wegen der Übertragung der Reinigungsarbeiten auf die Firma Schmutzfrei wird sie aus betriebsbedingten Gründen ordentlich gekündigt. Durch Vermittlung des Mütter und Kinder Fürsorge-Vereins erhält sie eine neue, allerdings deutlich schlechter bezahlte Stelle als Reinigungskraft bei der Stadt Nürnberg. Zur Zahlung einer Abfindung besteht keine Bereitschaft. Frau Leicht ist auf das Äußerste empört, auf diese Weise nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit „abgeschoben“ zu werden. Sie geht zum Arbeitsgericht und will Klage auf Abfindung erheben. – Wird diese Klage Erfolgsaussichten haben?
Nein. Da der Mütter und Kinder Fürsorge-Verein offensichtlich von der in § 1 a KSchG seit 1.1.2004 vorgesehenen Möglichkeit, die betriebsbedingte Kündigung mit einem Abfindungsangebot zu verbinden (vgl. hierzu Kapitel XV, Abschnitt 3, S. 280, 281), keinen Gebrauch gemacht hat, steht Frau Leicht keine Abfindung zu.
Wichtig:
Nach deutschem Recht haben Sie – entgegen einer weit verbreiteten Meinung – im Falle einer Arbeitgeberkündigung auch bei einer noch so langen Betriebszugehörigkeit keinen (automatischen) Abfindungsanspruch.
Vielleicht wissen Sie von Arbeitskollegen, dass diese wegen einer Kündigung einen Arbeitsgerichtsprozess geführt und eine Abfindung erreicht haben. Das widerspricht aber unserer Aussage nicht. Fragen Sie nach, Sie werden sehen: Die Abfindung beruht auf einem Vergleich, nicht auf einem Urteil des Gerichts. Sie ist also das Ergebnis einer Einigung mit dem Arbeitgeber. Ausnahmsweise kann auch das Gericht, wenn ein sog. Auflösungsantrag (Kapitel XV, Abschnitt 3, S. 278 f.) gestellt wird, eine Abfindung zusprechen. Die Voraussetzungen sind aber hier trotz der Empörung der Frau Leicht nicht gegeben.
Manfred Lutter ist seit fünfzehn Jahren bei der Maschinenfabrik Heckel im Außendienst tätig. Durch einen neuen Vertriebsleiter wurden die Verkaufsgebiete geändert, im Falle des Herrn Lutter mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die Provision. Herr Lutter hatte schon von sich aus überlegt, ob er das Arbeitsverhältnis nicht beenden solle. Der Arbeitgeber kam ihm jedoch zuvor und kündigte fristgerecht wegen angeblicher Schlechtleistung. Nachdem Herr Lutter Kündigungsschutzklage erhoben hatte, fand ein Gerichtstermin statt, bei dem der Richter deutlich zu erkennen gab, dass der Kündigungsgrund nicht ausreichend sei. Daraufhin erklärte die Firma Heckel, sie ziehe die Kündigung zurück. Herr Lutter will das nicht akzeptieren und verlangt eine Abfindung. – Hat er Erfolg?
Nein. Wenn Sie gegen die Kündigung prozessieren, kann der Arbeitgeber auch regelmäßig die Kündigung zurückziehen. Er macht damit nichts anderes, als dass er Ihr Klageziel anerkennt. Zwar können Sie im Kündigungsschutzverfahren zusätzlich einen Antrag stellen, dass das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst werden soll. Erfolg kann ein solcher Antrag aber nur haben, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für Sie unzumutbar ist (vgl. hierzu Kapitel XV, Abschnitt 3, S. 278).
Wenn Herr Lutter einen solchen Antrag noch nicht gestellt hat, könnte er ihn – was für zulässig angesehen wird – jetzt noch stellen, obwohl sein Arbeitgeber schon erklärt hat, er wolle die Kündigung zurückziehen. Da aber keine Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ersichtlich sind, wird er damit nicht durchdringen. Er hat daher nur die Wahl, die Beschäftigung wieder aufzunehmen oder sich selbst aus dem Arbeitsverhältnis zu verabschieden; mit der Abfindung wird es nichts.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Kündigungsschutzprozess bietet zumeist eine realistische Chance für die Vereinbarung einer Abfindung. Der Arbeitgeber wird jedenfalls dann ein Interesse 348an einer solchen Vereinbarung haben, wenn für ihn das Risiko besteht, Sie weiter beschäftigen zu müssen, und er diese Konsequenz in jedem Falle vermeiden will.
Richtet sich das Interesse des gekündigten Arbeitnehmers auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, so ist es von großer Bedeutung, dass eine Unterbrechung seiner tatsächlichen Beschäftigung im Betrieb von vornherein vermieden wird.
Herr Mateika ist Pharmareferent bei der Firma Süd-Pharm in Freiburg. Er erhält eine ordentliche Kündigung mit einer sechsmonatigen Kündigungsfrist. Vorwurf: Unzulässige Abgabe von Ärztemustern in Krankenhäusern. Herr Mateika bestreitet den Vorwurf entschieden. Nachdem er zunächst versucht hat, mit der Süd-Pharm zu einer Einigung zu kommen, erhebt er selbst bei der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts Klage mit dem Antrag, die Unwirksamkeit der Kündigung festzustellen. Auch den Gütetermin vor dem Arbeitsgericht nimmt er noch selbst wahr. Eine Einigung kommt nicht zustande und das Gericht setzt den sog. Streittermin auf einen Zeitpunkt fest, der mehrere Monate nach dem Ablauf der Kündigungsfrist liegt. Als der Ablauf der Kündigungsfrist näher rückt, bittet Herr Mateika Rechtsanwalt Dr. Lux den Fall zu übernehmen. Als erstes müsse sichergestellt werden, dass er nicht nach Ablauf der Kündigungsfrist arbeitslos ist. Er könne nicht warten bis das Gericht über die Kündigung entschieden habe. – Ist das Anliegen des Herrn Mateika zu realisieren?
Normalerweise nicht. Solange das Arbeitsgericht nicht zugunsten von Herrn Mateika entschieden hat, dass die Kündigung unwirksam ist bzw. das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat, ist die Kündigung zu beachten.
Aber selbst wenn ein solches Urteil vorliegt, kann damit noch nicht die Beschäftigung erzwungen werden.
349Herr Mateika hat mit seinem Rechtsanwalt Dr. Lux das Kündigungsschutzverfahren weitergeführt. Dr. Lux ändert den bei der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts von Herrn Mateika selbst gestellten Antrag, die Unwirksamkeit der Kündigung festzustellen, nicht mehr. Das Arbeitsgericht gibt der Klage statt. Die Firma Süd-Pharm legt gegen dieses Urteil Berufung beim zuständigen Landesarbeitsgericht ein. – Kann Herr Mateika aufgrund des Urteils des Arbeitsgerichts Weiterbeschäftigung verlangen?
Leider nicht. Diese Tatsache hängt mit dem Wesen des Kündigungsschutzverfahrens zusammen. Der Kündigungsschutzprozess bezweckt die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist (einen solchen Antrag hat auch Herr Mateika beim Arbeitsgericht zu Protokoll gegeben); aus einem solchen Urteil kann nicht die Beschäftigung erzwungen werden, dazu wäre ein weiteres Urteil notwendig, das dem Arbeitgeber ausdrücklich die Beschäftigung befiehlt. Aber selbst wenn der Rechtsanwalt Dr. Lux einen solchen Antrag gestellt hätte, würde es je nach Schwierigkeit des Verfahrens mehrere Monate, ein halbes Jahr oder vielleicht sogar ein Jahr bis zu einem solchen Urteil dauern.
Hat der Betriebsrat einer Kündigung fristgerecht und ordnungsgemäß widersprochen, ist der Arbeitgeber auf Antrag des Arbeitnehmers verpflichtet, den Arbeitnehmer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen (vgl. hierzu Kapitel XV, Abschnitt 3, S. 239 f.). Sie müssen sich die Stellungnahme des Betriebsrats besorgen und Ihrem Prozessvertreter weitergeben, damit dieser – immer vorausgesetzt, der Widerspruch ist „ordnungsgemäß und fristgemäß“ – sofort die Weiterbeschäftigung durchsetzen kann. Jetzt geht es auch schnell, da ja die Weiterbeschäftigung bis zum Ende des Kündigungsschutzprozesses gesichert werden muss. Der Weiterbeschäftigungsanspruch aufgrund des Widerspruchs des Betriebsrats kann im Wege der einstweiligen 350Verfügung, also in einem Eilverfahren, durchgesetzt werden. Er bietet damit eine echte Chance, eine nahtlose Weiterbeschäftigung zu erreichen.
Ob Sie hoffen können, Ihr Ziel beim Arbeitsgericht zu erreichen, also „Recht“ zu bekommen, hängt natürlich davon ab, wie die Rechtslage ist. Diese richtig zu beurteilen, ist Sache des Sie beratenden Rechtsanwalts oder Gewerkschaftssekretärs. Dabei können häufig keine sicheren Voraussagen gemacht werden, da die Gesetze für den Einzelfall nicht immer eindeutig sind und von den Gerichten eine Bewertung verlangen, die unterschiedlich ausfallen kann.
„Recht haben“ bedeutet nicht immer auch „Recht bekommen“. Dies hängt damit zusammen, dass es nicht immer gelingt, das Recht (genauer: die Tatsachen, aus denen sich das Recht ergibt) auch zu beweisen. Wer was zu beweisen hat, richtet sich nach strengen Regeln.
Wenn nichts anderes durch Gesetz festgelegt ist, muss derjenige, der einen Anspruch geltend macht, die „anspruchsbegründenden“ Tatsachen, wenn sie bestritten werden, auch beweisen.
Frau Lerchenfelder ist als Apothekenhelferin in der Beta-Apotheke in München beschäftigt. Bei der Einstellung wurde ihr von ihrem Chef mündlich zugesagt, sie erhalte jeweils im Dezember eines Jahres eine Sonderzahlung in Höhe eines Monatsgehalts. Das Gespräch fand unter vier Augen statt. Als Frau Lerchenfelder Ende Dezember feststellt, dass eine Sonderzahlung nicht erfolgt ist, erinnert sie ihren Chef an seine Zusage. Dieser streitet aber ab, eine solche Zusage gegeben zu haben. – Frau Lerchenfelder möchte wissen, wie ihre Aussichten sind, die Sonderzahlung erfolgreich einzuklagen.
351Frau Lerchenfelder kann keine Zeugen für die behauptete Zusage anbieten. Das Gericht kann zwar auf ihren Antrag hin als letztes Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts auch ihren Chef vernehmen. Aber was wird er wohl sagen?
Wichtig:
Das beste Beweismittel für einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis ist immer noch ein Schriftstück, dem die Zusage des Arbeitgebers zu entnehmen ist oder aus dem sich zumindest Umstände ergeben, die auf eine solche Zusage schließen lassen.
Hätte Frau Lerchenfelder einen schriftlichen Vertrag in Händen, in dem ihr die Sonderzahlung zugesagt worden ist, wäre es ihr ohne weiteres möglich, den Beweis durch Vorlage dieser Urkunde zu führen.
Für den Kündigungsschutzprozess ist gesetzlich festgelegt, dass der Arbeitgeber die Kündigungsgründe darlegen und beweisen muss.
Herr Winkler ist Fernfahrer bei einer Spedition in Nürnberg. Er ist arbeitsunfähig krank und hat auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt. Ein Kollege trifft ihn in der Stadt beim Einkaufen und teilt dies dem Arbeitgeber mit. Dieser spricht eine fristgerechte Kündigung aus und begründet sie im Prozess damit, dass Herr Winkler entgegen der Aussage in der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht krank war, also unberechtigt der Arbeit ferngeblieben ist. – Wie sind die Chancen des Arbeitgebers, dass er mit seiner Begründung durchdringt?
Ganz entschieden schlecht. Er muss beweisen, dass Herr Winkler trotz der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht arbeitsunfähig war. Dazu müsste er erst einmal Tatsachen vortragen, die es plausibel machen, dass Herr Winkler nicht krank war. Daran fehlt es hier schon: Nur eine sehr schwere oder besondere Krankheit hätte einem Einkaufsgang des Herrn Winkler entgegengestanden. Und selbst wenn: Es kann immer noch sein, dass Herr Winkler trotzdem krank war. Dem Arbeitgeber bleibt nur, den Arzt des Herrn Winkler vom Gericht befragen zu lassen. Aber was wird dieser 352wohl aussagen, nachdem er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt hat?
Häufig wird der Arbeitgeber aber in Kündigungsschutzprozessen Zeugen anbieten können, die aufgrund ihrer arbeitsvertraglichen Stellung seine Interessen vertreten, möglicherweise sogar auf der Arbeitgeberseite an dem Konflikt, der zur Kündigung geführt hat, beteiligt waren.
Herr Mikiadis ist technischer Leiter in einer kleinen Maschinenfabrik in einer hessischen Stadt. Als er vom Tod eines Familienmitglieds in Griechenland erfährt, bittet er den Betriebsleiter, ihm Urlaub für „eine oder zwei Wochen“ zu gewähren, damit er in seinen der Firma bekannten Heimatort nach Griechenland zur Teilnahme an den Trauerfeierlichkeiten fahren könne. Der Betriebsleiter macht zwar Einwendungen wegen der anfallenden Arbeit, stimmt aber letztlich zu. Weitere Personen sind bei diesem Gespräch nicht anwesend. Als Herr Mikiadis nach zwei Wochen aus Griechenland zurückkommt, findet er in seinem Briefkasten eine Kündigung vor. Diese wird damit begründet, dass er unberechtigt der Arbeit ferngeblieben sei. Nach Ablauf des einwöchigen Urlaubs sei er trotz des großen Arbeitsanfalls nicht zur Arbeit erschienen, man habe auch nicht gewusst, wo er zu erreichen sei. – Wie ist die Beweislage für Herrn Mikiadis in einem Kündigungsschutzprozess zu beurteilen?
Zwar muss der Arbeitgeber beweisen, dass die Behauptung des Herrn Mikiadis über die Zustimmung des Betriebsleiters zu einem Urlaub, der auch zwei Wochen dauern konnte, nicht zutrifft. Aber er wird Betriebsleiter Weber als Zeugen benennen. Wie dieser aussagen wird, kann natürlich nicht vorausgesagt werden, doch wird man bei der Einschätzung der Prozesschancen wohl eher eine für Herrn Mikiadis negative Aussage unterstellen müssen.
Wichtig:
Die verbreitete Meinung, dass Vorgesetzte des Arbeitnehmers nicht als Zeugen für den Beweis einer Behauptung des Arbeitgebers in Betracht kommen, ist falsch. Erkennbare Abhängigkeiten und Voreingenommenheiten eines solchen Zeugen sind vom Gericht bei der Würdigung der Aussage zu berücksichtigen.
353Ebenso wie die Beurteilung der Rechtslage ist auch die Einschätzung der Beweismöglichkeiten Sache Ihres Prozessvertreters. Sie sollten unbedingt darüber mit ihm reden. Sprechen Sie diese Fragen, falls er es nicht tut, von sich aus an. Sie müssen ja wissen, woran Sie sind. Nur so können Sie – auch unter Einbeziehung der zu erwartenden Kosten – eine begründete Entscheidung treffen, ob Sie den Prozess überhaupt führen.
Das Gericht entscheidet nicht nur über Ihr Begehren, sondern auch darüber, wer die Kosten des Verfahrens trägt.
Sie haben in einem Kündigungsschutzverfahren gewonnen. Das Urteil lautet:
(1) Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist.
(2) Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
In diesem Fall muss Ihr Arbeitgeber als „unterliegende Partei“ die Kosten des Verfahrens tragen.
Oder Sie haben den Prozess verloren. Das Urteil lautet dann:
(1) Die Klage wird abgewiesen.
(2) Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Jetzt sind Sie die „unterliegende Partei“ und müssen daher die Kosten des Verfahrens tragen.
Hierzu gehören zunächst die Gerichtskosten und die gerichtlichen Auslagen. Außerdem sind die der „obsiegenden Partei“ entstandenen Kosten zu erstatten. Davon gibt es eine für unseren Zusammenhang wichtige Ausnahme:
Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht (erste Instanz) hat die Partei, die den Prozess gewinnt, keinen Anspruch gegen die andere Partei auf eine Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten.
Obwohl im ersten der beiden Urteile unseres Beispiels der Arbeitnehmer gewonnen hat und der Arbeitgeber die Kosten des Verfahrens tragen muss, erhält der Arbeitnehmer seine Rechtsanwaltskosten nicht erstattet und bekommt auch nichts für die durch den Prozess entstandene Zeitversäumnis. Der Kostenausspruch im arbeitsgerichtlichen Urteil hat daher im Wesentlichen nur Bedeutung für die Tragung der Gerichtskosten.
Umgekehrt kann der Arbeitnehmer im zweiten Urteil des Beispiels, obwohl er verloren hat, nicht vom Arbeitgeber für dessen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen werden und muss diesem auch nicht die durch den Prozess entstandene Zeitversäumnis entschädigen.
Bei dem Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht und vor dem Bundesarbeitsgericht gilt diese Einschränkung der Kostenerstattung nicht. Wer beim Landesarbeitsgericht oder beim Bundesarbeitsgericht verliert, muss seinem Prozessgegner die Rechtsanwaltsgebühren bezahlen und ihm auch die Zeitversäumnis entschädigen.
Sowohl die Gerichtskosten als auch die Rechtsanwaltsgebühren werden wesentlich vom so genannten Streitwert bestimmt. Der Streitwert ist der wirtschaftliche Wert, um den es im Verfahren geht.
355Herr Meißner ist als Fliesenleger bei einer Ulmer Firma beschäftigt. Wegen einer angeblichen Schlechtleistung zieht ihm sein Arbeitgeber vom Lohn einen Betrag von 500 EUR ab. Meißner erhebt beim zuständigen Arbeitsgericht Klage mit dem Antrag, dass der Arbeitgeber zur Zahlung von 500 EUR verurteilt wird. – Wie hoch ist der Streitwert?
Streitwert ist in diesem Fall der Betrag von 500 Euro.
Nicht immer kann der Streitwert so einfach bestimmt werden. In Kündigungsschutzprozessen geht es nicht um eine bestimmte Summe Geld, sondern um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Dieser lässt sich nicht ohne weiteres in einem einsichtigen Geldbetrag ausdrücken. Der Gesetzgeber hat deshalb die Frage dahingehend geregelt, dass „höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts“ maßgebend ist. In der Praxis der Arbeitsgerichte wird – außer bei sehr kurzen Arbeitsverhältnissen – in Kündigungsschutzverfahren das Quartalseinkommen des gekündigten Arbeitnehmers als Streitwert angenommen.
Herr Weber war insgesamt drei Jahre als Kundenberater bei der D.-Bank beschäftigt und wurde dann gekündigt. Er hat monatlich 3.000 EUR brutto verdient. – Wie hoch ist der Streitwert, wenn er gegen die Kündigung klagt?
Sieht man einmal von jährlichen Einmalzahlungen wie zusätzliches Urlaubsgeld und 13. Monatseinkommen ab, die anteilig zu berücksichtigen wären, beträgt der Streitwert 9.000 Euro.
Da im Verfahren vor dem Arbeitsgericht (erste Instanz) kein Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten bei gewonnenem Prozess besteht, müssen Sie die Kosten „Ihres Rechtsanwalts“ in jedem Fall tragen.
Die Bezahlung eines Rechtsanwalts für seine Tätigkeit im Prozess hängt nicht vom Umfang der geleisteten Arbeit ab. Vielmehr ist entscheidend, welche Tätigkeit er dem Auftrag gemäß entfaltet. Vergütungsrechtlich relevant ist die Tätigkeit nur, wenn sie bestimmte Gebührentatbestände erfüllt. Es gibt eine Vielzahl von Gebührentatbeständen. Sie können hier nicht alle behandelt werden.
Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht kann der Rechtsanwalt bis zu drei Gebühren verdienen:
Den Gebührentatbeständen sind Gebührensätze zugeordnet. Der Gebührensatz einer vollen Gebühr beträgt 1,0, sonstige Gebühren werden mit dem x-fachen der vollen Gebühr ausgedrückt.
Die Verfahrensgebühr ermäßigt sich auf eine 0,8- Gebühr, wenn er Auftrag zur Prozessführung vorzeitig endet, also beispielsweise die 357Klage nicht erhoben worden ist, weil der Arbeitgeber die Kündigung zurückgenommen hat.
Die Gebühren steigen mit der Höhe des Streitwertes. Der Grund liegt darin, dass der Rechtsanwalt bei der Bearbeitung eines Falles mit einem höheren Streitwert eine größere Verantwortung hat und ein höheres Haftungsrisiko trägt.
Die Rechtsanwaltsgebühren können aus einer Tabelle abgelesen werden. Diese berücksichtigt auch die unterschiedlichen Vergütungssätze. Nachfolgend soll lediglich die Staffel der vollen Gebühren bei Gegenstandswerten bis EUR 380.000 wiedergegeben werden (Stand März 2014).
Wert bis |
volle Gebühr |
Wert bis |
volle Gebühr |
(Euro) |
(Euro) |
(Euro) |
(Euro) |
500 |
45 |
40.000 |
1.013 |
1.000 |
80 |
45.000 |
1.088 |
1.500 |
115 |
50.000 |
1.163 |
2.000 |
150 |
65.000 |
1.248 |
3.000 |
201 |
80.000 |
1.333 |
4.000 |
252 |
95.000 |
1.418 |
5.000 |
303 |
110.000 |
1.503 |
6.000 |
354 |
125.000 |
1.588 |
7.000 |
405 |
140.000 |
1.673 |
8.000 |
456 |
155.000 |
1.758 |
9.000 |
507 |
170.000 |
1.843 |
10.000 |
558 |
185.000 |
1.928 |
13.000 |
604 |
200.000 |
2.013 |
16.000 |
650 |
230.000 |
2.133 |
19.000 |
696 |
260.000 |
2.253 |
22.000 |
742 |
290.000 |
2.373 |
25.000 |
788 |
320.000 |
2.493 |
30.000 |
863 |
350.000 |
2.613 |
35.000 |
938 |
380.000 |
2.733 |
358Anhand der beiden Fälle Meißner und Weber soll Ihnen ein Eindruck von den Kosten der Durchführung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens erster Instanz mit anwaltlicher Vertretung gegeben werden (Stand: März 2014):
Abrechnung des Rechtsanwalts im Fall Meißner unter Zugrundelegung eines Streitwerts von 500 Euro:
Euro |
|
Verfahrensgebühr: |
58,5 (45 · 1,3) |
Terminsgebühr: |
54,– (45 · 1,2) |
Auslagenpauschale: |
20 |
Mehrwertsteuer (19%): |
25,65 |
Gesamt: |
160,65 |
Abrechnung im Fall Weber unter Zugrundelegung eines Streitwerts von 9.000 Euro:
Euro |
|
Verfahrensgebühr: |
659,1 (507,– · 1,3) |
Terminsgebühr: |
608,4 (507,– · 1,2) |
Auslagenpauschale: |
20,– |
Mehrwertsteuer (19%): |
244,62 |
Gesamt: |
1.532,12 |
Wurden die Verfahren durch Vergleich beendet, kann der Rechtsanwalt eine Einigungsgebühr abrechnen. Die Abrechnung im Fall Weber stellt sich dann wie folgt dar:
Euro |
|
Verfahrensgebühr: |
659,1 |
Terminsgebühr: |
608,4 |
Einigungsgebühr: |
507 |
Auslagenpauschale: |
20,– |
Mehrwertsteuer (16%): |
340,95 |
Gesamt: |
2.135,45 |
Die Kostenrechnungen des Rechtsanwalts können noch weitere Posten enthalten wie etwa Kopier- oder Fahrtkosten.
Wenn Sie den Prozess vor dem Arbeitsgericht, also in erster Instanz verlieren, müssen Sie zwar nicht die Gebühren des Rechtsanwalts des Arbeitgebers, aber die Gerichtskosten bezahlen. Auch die Gerichtskosten sind streitwertabhängig gestaffelt. So betragen etwa die Gerichtsgebühren im Fall Meißner bei dem angenommen Streitwert von EUR 500,-- insgesamt EUR 70,– und im Fall Weber bei dem angenommenen Streitwert von EUR 9.000,-- insgesamt EUR 444,--. Hinzu kommen noch die gerichtlichen Auslagen.
Kommt es zu einem Vergleich im arbeitsgerichtlichen Verfahren, entfällt die Gerichtsgebühr (nicht aber die gerichtlichen Auslagen). Da die Einigungsgebühr, die Sie Ihrem Rechtsanwalt zahlen müssen, höher ist als die Gerichtsgebühr, erhöht der Vergleich Ihre Kosten.
Gerade bei den Kosten ist es wichtig, von vornherein schon an die zweite Instanz zu denken. Ist nämlich ein Fall rechtlich oder tatsächlich problematisch, so bleibt er dies auch in der zweiten Instanz. Selbst wenn Sie vor dem Arbeitsgericht gewonnen haben, ist dies keine Garantie, dass auch das Landesarbeitsgericht so entscheidet. Durch die Einlegung der Berufung durch Ihren Arbeitgeber haben Sie im Grunde wieder das volle Prozessrisiko und ein gegenüber der ersten Instanz erhöhtes Kostenrisiko. Die Bestimmung, dass unabhängig vom Prozessausgang jede Partei ihre Anwaltskosten selbst trägt, gilt dann nicht mehr.
Verlieren Sie in zweiter Instanz, zahlen Sie:
Auch sind die Gerichts- und Anwaltsgebühren in zweiter Instanz höher.
Wenn Sie Mitglied einer Gewerkschaft sind, wird Ihnen nicht nur eine qualifizierte Prozessvertretung gestellt, auch die sonstigen Kosten des Verfahrens werden von der Gewerkschaft bezahlt. Allerdings sehen die Satzungen der im DGB zusammengeschlossenen Industriegewerkschaften Wartefristen (regelmäßig drei Monate) vor.
Wichtig:
Von Ihrer Gewerkschaft erhalten Sie nur dann Rechtschutz, wenn der den Prozess auslösende Konflikt nicht vor Ablauf der satzungsgemäßen Wartefrist entstanden ist. Werden Sie also nicht erst Gewerkschaftsmitglied, wenn „das Kind schon in den Brunnen gefallen“ ist!
Die Kostensorge sind Sie auch dann los, wenn Sie eine Rechtsschutzversicherung haben, die einen Kostenschutz in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten einschließt. Auch hier besteht regelmäßig eine dreimonatige Wartefrist. Bei zu häufiger Inanspruchnahme kann allerdings die Rechtsschutzversicherung den Versicherungsvertrag kündigen.
Die mit einem Gerichtsverfahren verbundenen Kosten, insbesondere die Kosten der Vertretung durch einen Rechtsanwalt, können dazu führen, dass eine Partei auch einen aussichtsreichen Prozess unterlässt. Dies ist dann der Fall, wenn die Kosten des Verfahrens die Partei finanziell überfordern. Die Prozesskostenhilfe (bis zum 31. Dezember 1980 „Armenrecht“) soll auch der „armen Partei“ die Prozessführung ermöglichen. Je nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen kann die Prozesskostenhilfe zu einem Erlass oder nur zu einer Kreditierung der Prozesskosten führen.
Die Prozesskostenhilfe bedeutet auch, dass Ihnen auf Ihren Antrag hin ein zur Prozessführung bereiter Rechtsanwalt beigeordnet wird. Diesen Rechtsanwalt können Sie selbst benennen.
Prozesskostenhilfe wird auf Antrag bewilligt, wenn
Der Schlüsselbegriff ist das „einzusetzende Einkommen“. Es wird errechnet, indem von Ihrem Bruttoeinkommen Beträge abgezogen werden, die Sie für den Lebensunterhalt benötigen oder die vom Einkommen kraft Gesetzes entrichtet werden müssen.
362In einem ersten Schritt wird eine Art Nettoeinkommen bestimmt. Dazu werden vom Bruttoeinkommen abgezogen:
In einem zweiten Schritt werden Freibeträge für Sie, Ihren Ehegatten, Kinder und sonstige unterhaltsberechtigte Personen abgezogen. Die Freibeträge ändern sich jedes Jahr entsprechend der Rentenentwicklung und werden vom Bundesministerium der Justiz im Bundesgesetzblatt bekannt gegeben. Derzeit (Stand 31.3.2014) gelten folgende Freibeträge.
Für die Partei selbst: EUR 452,00 EUR,
für die Ehefrau: ebenfalls EUR 452,00,
für ein Kind im Alter von 15 bis 18 Jahren: EUR 341,00,
für ein Kind im Alter von 7 bis 14 Jahren: EUR 299,00,
für ein Kind im Alter bis zu 6 Jahren: EUR 263,00,
für erwachsene unterhaltsberechtigte Personen: EUR 362,00.
Auf die Unterhaltsfreibeträge des Ehegatten und der sonstigen unterhaltsberechtigten Personen wird deren Einkommen angerechnet.
In einem dritten Schritt werden Ihre Kosten für Unterkunft (Miete und Mietnebenkosten) und Heizung abgezogen. Schließlich können auch Beträge für besondere Belastungen in einem angemessenen Umfange in Abzug gebracht werden, beispielsweise Mehrausgaben für körperbehinderte Familienmitglieder.
Ist das einzusetzende Einkommen geringer als EUR 20, -- wird Prozesskostenhilfe ohne Raten gewährt. Bei einem einzusetzenden Einkommen 363ab EUR 20,-- wird Prozesskostenhilfe mit Raten gewährt. Bis zu einem einzusetzenden Einkommen von EUR 600,-- beträgt die monatliche Rate die Hälfte des einzusetzenden Einkommens. Bei einem höheren einzusetzenden Einkommen beträgt die Monatsrate EUR 300,-- zuzüglich des EUR 600,-- übersteigenden Anteils des einzusetzenden Einkommens. Beträgt beispielsweise das einzusetzende Einkommen EUR 800 ist die Rate EUR 500 (300 + 200).
Die Anzahl der Monatsraten ist auf achtundvierzig beschränkt, auch wenn die anfallenden Kosten höher sind. Keine Prozesskostenhilfe wird gewährt, wenn die Kosten der Prozessführung vier Monatsraten voraussichtlich nicht übersteigen.
Wichtig: Auch bei Ratenzahlung liegt der Vorteil der Prozesskostenhilfe nicht nur darin, dass Ihre Liquidität geschont wird. Die Gebühren des beigeordneten Rechtsanwalts sind niedriger als die einer anwaltlichen Vertretung ohne Prozesskostenhilfe.
Auch wenn Ihnen nach der Tabelle Prozesskostenhilfe zu gewähren wäre, kann diese entfallen bzw. eingeschränkt sein, wenn Sie verfügbares Vermögen haben. Der Einsatz von Vermögen für die Prozesskosten wird Ihnen aber nur in begrenztem Umfange zugemutet. Die Einzelheiten können hier nicht behandelt werden.
Ist das Verfahren für Sie von vornherein aussichtslos, erhalten Sie auch dann keine Prozesskostenhilfe, wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind.
Angelika Hartl, ledig, unterhaltspflichtig für ein fünfjähriges Kind, ist seit 2010 in der Arztpraxis des Dr. Willig in Würzburg beschäftigt. Außer ihr sind dort nur noch eine weitere Arzthelferin, eine Auszubildende, eine Sekretärin und gelegentlich die Ehefrau des Arztes für Buchhaltungsarbeiten beschäftigt. Frau Hartl erhält eine Kündigung. Die Kündigungsfrist 364ist eingehalten. Frau Hartl will gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage erheben. Sie stellt einen Prozesskostenhilfeantrag und gibt in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (wahrheitsgemäß) an, dass sie ein Arbeitslosengeld von monatlich EUR 600,– erhält und für ihre 80-qm-Wohnung eine Miete von EUR 300,– zahlen muss. – Wird ihr Prozesskostenhilfe gewährt?
Nein. Zwar hat sie erkennbar kein einzusetzendes Einkommen (dem Arbeitslosengeld von 600,– EUR als einzigem Einkommen stehen Freibeträge für Frau Hartl selbst und ihr Kind von insgesamt 751,-- EUR sowie die Miete von 300,– EUR gegenüber). Die Prozesskostenhilfe scheitert aber daran, dass das Verfahren aussichtslos ist. Voraussetzung für den gesetzlichen Kündigungsschutz ist, dass der Arbeitnehmer in einem Betrieb mit mehr als zehn (für Arbeitsverhältnisse, die vor dem 1.1.2004 begründet worden sind: mehr als fünf) Arbeitnehmern beschäftigt ist. Das ist hier nicht der Fall.
Das Gericht darf sich allerdings bei der Frage, ob das Verfahren hinreichend Aussicht auf Erfolg hat, nicht als Hellseher betätigen oder bei Zweifelsfragen einen negativen Ausgang vorwegnehmen. Vielmehr ist eine großzügige Betrachtung anzustellen.
Frau Hartl ist im Laufe des Jahres 2011 in eine große Gemeinschaftspraxis eingetreten, in der sieben Arzthelferinnen (Frau Hartl eingeschlossen) und drei Sekretärinnen – alle in einem Vollarbeitszeitverhältnis – beschäftigt sind. Die Ehefrau eines der Chefs, Frau Willig, ist in der Woche etwa fünfzehn Stunden anwesend und macht Buchhaltungsarbeiten. Nach Ablauf der sechsmonatigen Probezeit wird Frau Hartl fristgemäß gekündigt. Sie erhebt Kündigungsschutzklage und verweist für die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes darauf, dass zusammen mit Frau Willig elf Arbeitnehmer in der Gemeinschaftspraxis beschäftigt sind. Die Ärzte bestreiten dies und behaupten, Frau Willig sei freie Mitarbeiterin. – Wie ist jetzt die Frage nach der Prozesskostenhilfe zu beantworten?
Da nicht ganz ausgeschlossen ist, dass Frau Willig Arbeitnehmerin ist, und daher das Kündigungsschutzgesetz zur Anwendung kommt, wird ihr das Gericht trotz der gegenteiligen Behauptung des Arbeitgebers die Prozesskostenhilfe gewähren.
Prozesskostenhilfe wird nur auf Antrag bewilligt. Der Antrag muss rechtzeitig gestellt werden. Ist das Urteil schon ergangen oder ist das Verfahren durch einen Vergleich beendet, kann der Antrag nicht mehr gestellt werden.
Zur Darlegung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse müssen Sie einen Vordruck verwenden. Dieser ist mit umfangreichen Erläuterungen verbunden, die Sie durchlesen sollten. Wichtig ist auch, die Belege zu Ihren Angaben beizufügen.
Die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen kann bei einer wesentlichen Veränderung der maßgeblichen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse geändert werden. Bei einer wesentlichen Verbesserung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse kann erstmals Ratenzahlung vorgesehen oder auch höhere Raten festgesetzt werden. Eine völlige Aufhebung der Prozesskostenhilfe aufgrund einer wesentlichen Verbesserung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist nicht möglich.
Bei einer wesentlichen Verschlechterung kann umgekehrt die Ratenzahlung aufgehoben und niedrigere Raten festgesetzt werden.
Wichtig:
Sie müssen damit rechnen, dass Sie auch nach Abschluss Ihres Prozesses vom Gericht (durch den Rechtspfleger) aufgefordert werden, erneut Ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen darzulegen. Es gibt immer wieder Fälle, in den die Betroffenen eine solche Aufforderung ignorieren. Das ist kein sinnvolles Verhalten, da bei verweigerter Mitwirkung die Prozesskostenhilfe aufgehoben werden kann.
Seit 1.1.2014 muss die Partei, der Prozesskostenhilfe gewährt worden ist, von sich aus jede Anschriftenänderung und jede wesentliche 366Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse unverzüglich dem Gericht mitteilen. Als wesentlich gilt dabei eine Einkommensverbesserung, wenn die Differenz zu dem bisher zu Grunde gelegten Bruttoeinkommen nicht nur einmalig 100 EUR übersteigt bzw. wenn abzugsfähige Belastungen in dieser Größenordnung entfallen.
Nach Ablauf von vier Jahren seit Abschluss des Verfahrens, für das die Prozesskostenhilfe gewährt worden ist, ist eine Abänderung des Prozesskostenhilfebeschlusses zu Ihren Ungunsten nicht mehr möglich.
Vor dem Arbeitsgericht, also in der so genannten ersten Instanz, können Sie auch selbst auftreten.
Diese Möglichkeit werden Sie allerdings erst in Erwägung ziehen, wenn feststeht, dass die Kosten eines Rechtsanwalts nicht von Ihrer Gewerkschaft, einer Rechtsschutzversicherung oder von der Staatskasse (Prozesskostenhilfe) übernommen werden. Aber auch dann bleibt die Frage, ob Sie nicht doch einen Rechtsanwalt mit der Prozessvertretung beauftragen. Dafür können wir keinen allgemein gültigen Rat geben. Die Kosten der Prozessvertretung müssen jedenfalls in einem vernünftigen Verhältnis zu dem zu erwartenden wirtschaftlichen Ergebnis des Prozesses stehen. In jedem Fall ist es empfehlenswert, sich zunächst von einem Rechtsanwalt über die Prozessaussichten beraten zu lassen. Er kann Sie vor einem unnötigen Prozess bewahren. Natürlich kostet auch eine solche Beratung Geld, der Betrag steht aber in keinem Verhältnis zu den Rechtsanwaltskosten des Verfahrens.
Nicht nur, wenn Sie selbst den Prozess führen wollen, sondern auch, wenn eine Klageerhebung durch einen Gewerkschaftssekretär oder einen Rechtsanwalt nicht rechtzeitig möglich ist, können Sie in die Situation kommen, eine Klage selbst einreichen zu müssen. Sie können die Klage durch ein Schreiben an das Gericht erheben. Dies ist normalerweise nicht zu empfehlen. Gerade bei der Klageerhebung ist auf viele Formalitäten zu achten. Machen Sie bei der Klageerhebung Fehler, kann dies irreparable Folgen haben. Davon wird noch die Rede sein. Vorzuziehen ist daher die Einreichung der Klage bei der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts.
Erkundigen Sie sich telefonisch, wann die Antragstellen Sprechstunden haben, und gehen Sie zu den entsprechenden Zeiten dorthin. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass die Geschäftsstellen der Arbeitsgerichte nicht zur Rechtsberatung befugt sind. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, Ihre Klage aufzunehmen. Wenn Sie die Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts aufsuchen, müssen Sie sich also im Klaren darüber sein, was Sie wollen.
Herr Kröh ist Arbeiter bei der Varia-Sanitäranlagen GmbH. Er ist der Auffassung, dass ihm seine Firma über einen Zeitraum von einem Jahr hinweg nicht den vollen Lohn ausbezahlt hat. Er nimmt alle Abrechnungen, die er noch findet, und verschiedene handschriftliche Belege über gezahlte Vorschüsse und legt diese dem Rechtspfleger beim Arbeitsgericht vor mit den Worten: „Prüfen Sie mal nach, ob ich alles bekommen habe, was mir zusteht.“ – Was wird ihm der Rechtspfleger antworten?
Wenn er nicht von der besonders gutmütigen Sorte ist, wird er Herrn Kröh auffordern, eine verständliche Forderungsberechnung zu erstellen und dann wiederzukommen.
Wenn Sie bei der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts eine Klage gegen Ihren Arbeitgeber erheben wollen, müssen Sie die genaue Bezeichnung Ihres Arbeitgebers und seine Adresse mitbringen. Bei Firmennamen von Gesellschaften ist dies manchmal gar nicht so einfach.
368Sie sind bei einer Firma Hans Rosenmeier GmbH & Co. KG beschäftigt. Sie haben zwar einen schriftlichen Vertrag unterschrieben, wovon Ihnen allerdings keine Ausfertigung ausgehändigt worden ist. Bei der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts, wo Sie gegen eine Kündigung klagen wollen, geben Sie an, dass Sie „beim Rosenmeier“ beschäftigt sind. Befragt nach dem genauen Firmennamen, sagen Sie, der Hans Rosenmeier hat mich eingestellt. Die Klage wird gegen Herrn Hans Rosenmeier gerichtet. – Ist damit die Klage korrekt erhoben?
Nein. Sie haben den Falschen verklagt. Herr Rosenmeier ist nicht identisch mit der Firma Hans Rosenmeier GmbH & Co. KG. Daran ändert nichts, dass Hans Rosenmeier Geschäftsführer dieser Firma ist. Auch die Firma Hans Rosenmeier GmbH wäre die falsche Beklagte gewesen. Sie werden meinen, das sei doch alles nicht so schlimm, da Sie ja im Prozess diesen Fehler korrigieren können. Vielleicht vertrauen Sie darauf, dass Ihnen das Gericht schon helfen wird.
Die falsche Bezeichnung des Arbeitgebers, den Sie verklagen wollen, kann verhängnisvolle Folgen haben. Es kann sein, dass Sie mit einer späteren Richtigstellung Fristen (Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage, tarifliche Verfallfristen) nicht mehr einhalten können. Sie müssen daher bei der Erhebung der Klage auf diese Frage höchste Sorgfalt verwenden. Schauen Sie vor Ihrem Gang zur Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts Ihre Unterlagen durch, ob sich hieraus die genaue Bezeichnung Ihres Arbeitgebers einschließlich der Vertretungsverhältnisse ergibt. Und nehmen Sie diese auch mit! Das Gleiche gilt selbstverständlich für die Vorbereitung eines der Klageerhebung dienenden Besprechungstermins bei einem Rechtsanwalt oder einem Gewerkschaftssekretär.
Was die Vertretung Ihres Arbeitgebers anbelangt, so kann auch diese Frage Schwierigkeiten bereiten. In unserem Beispiel wird die Firma Hans Rosenmeier GmbH & Co. KG durch die persönlich haftende Gesellschafterin Firma Hans Rosenmeier GmbH und diese wiederum durch Herrn Hans Rosenmeier als Geschäftsführer vertreten. Alles das muss in der Klage angegeben werden.
Bestehen Unsicherheiten bei der genauen Bezeichnung des Namens und der Vertretungsverhältnisse, können diese durch einen Anruf 369beim Handelsregister geklärt werden. Dies wird Ihnen zwar der Urkundsbeamte beim Arbeitsgericht, ebenso der mit der Klageerhebung beauftragte Rechtsanwalt oder Gewerkschaftssekretär abnehmen, sorgen Sie aber selbst dafür, dass möglichst auf einfachere Weise anhand Ihrer Unterlagen die genaue Bezeichnung Ihres Arbeitgebers festgestellt werden kann.
Wichtig:
Wenn Sie bei der bei der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts eine Klage ergeben wollen, dürfen Sie nicht mit leeren Händen kommen. Sie müssen alle Unterlagen, die von Bedeutung sein können, mitbringen.
Dazu gehört immer ein bestehender schriftlicher Arbeitsvertrag einschließlich etwaiger Änderungen. Ebenso gehören dazu immer, auch wenn nicht Gehalt oder Lohn eingeklagt werden soll, Unterlagen, die über die Höhe Ihres Gehalts oder Lohns Auskunft geben, also normalerweise die letzten Lohn- oder Gehaltsabrechnungen. Eine Vorkorrespondenz, die Sie selbst in dieser Angelegenheit mit Ihrem Arbeitgeber geführt haben, müssen Sie ebenfalls dabei haben. Ansonsten hängt das, was Sie mitbringen müssen, vom Einzelfall ab. Jedenfalls sollten Sie sich überlegen, was für die Geltendmachung Ihres Rechts notwendig ist. Sie ersparen sich damit, dass Sie nach Hause geschickt werden, um die notwendigen Unterlagen beizubringen.
Mit der Klageerhebung haben Sie das arbeitsgerichtliche Verfahren in Gang gebracht. Das Gericht muss über Ihren Klageantrag nach Durchführung eines ganz genau vorgeschriebenen Verfahrens entscheiden. Beachten Sie: Die Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts, bei der Sie die Klage zu Protokoll gegeben haben, hat mit diesem Verfahren nichts zu tun. Mit der Protokollierung der Klage ist die Aufgabe der Geschäftsstelle erledigt, und die Klage wird an das Gericht weitergeleitet, das über sie entscheiden muss. Manchmal ist nach dem Besuch der Rechtsantragstelle des Arbeitsgerichts zu hören, das 370Arbeitsgericht habe die Klage angenommen, also könne sie nicht unbegründet sein. Das ist eine verfrühte Hoffnung. Die Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts prüft nicht, ob Ihnen das begehrte Recht zusteht!
Das Arbeitsgericht sucht nicht unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts nach der besten Lösung für Sie. Es entscheidet nur über den von Ihnen gestellten Antrag. Es kann Ihnen nicht mehr und auch nicht etwas anderes zubilligen als das, was Sie beantragt haben.
Herr Schaude ist bei der Salomon-Autovermietung in Berlin beschäftigt. Er hat zwanzig Jahre lang ohne vertragliche Grundlage immer im November eine Betriebsleiterprämie in Höhe von 3.500 EUR erhalten. Die Firma teilt ihm mit, dass die Prämie zukünftig nicht mehr gezahlt werde. Herr Schaude erhebt Klage mit dem Antrag, dass ihm die Firma 3.500 EUR zahlen muss. – Kann das Gericht die Salomon-Autovermietung verurteilen, Herrn Schaude die Prämie auch in Zukunft zu zahlen?
Nein. Herr Schaude hat dies nicht beantragt. Nehmen wir an, Herr Schaude gewinnt den Prozess. Die Firma zahlt zwar die geforderten 3.500 Euro, verweigert Herrn Schade aber auch in den folgenden Jahren die Prämie. Dann muss Herr Schaude erneut klagen. Eine andere Frage ist, ob in die Klage die zukünftigen Prämienzahlungen einbezogen hätten werden können. Unter bestimmten – hier nicht weiter zu erörternden – Voraussetzungen kann auch auf „zukünftige Leistung“ geklagt werden. Jedenfalls kann das Gericht nicht über den gestellten Antrag hinausgehen.
Der Antrag richtet sich auf die Feststellung durch das Gericht, dass die Kündigung unwirksam ist oder darauf, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Nicht aber auf Zahlung einer Abfindung. Wie schon gesagt, besteht normalerweise ohnehin kein Anspruch 371auf eine Abfindung, so dass die Stellung eines entsprechenden Antrags nicht sinnvoll ist. Besteht aber ausnahmsweise ein solcher Anspruch, so muss auch im Antrag Zahlung einer Abfindung gefordert werden. Das Gericht kann nicht von sich aus den Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung in einen Antrag auf Zahlung einer Abfindung umwandeln.
Ist die Klage eingereicht, findet im arbeitsgerichtlichen Verfahren zunächst ein Gütetermin statt. Dieser lässt zumeist nicht lange auf sich warten. Sie – oder, wenn Sie vertreten werden, Ihr Prozessvertreter – erhalten hierzu eine Ladung. Auch wenn Sie vertreten werden, kann das Gericht ihr persönliches Erscheinen anordnen. Das Gericht will sich dann durch Ihre Anwesenheit ein unmittelbares Bild von der Angelegenheit machen und Sie auch in die Vergleichsgespräche einbeziehen. Wenn Sie aus irgendeinem Grunde dieser Anordnung nicht Folge leisten können, müssen Sie dies dem Gericht mitteilen und sich ausreichend entschuldigen. Sprechen Sie die Entschuldigung mit Ihrem Prozessvertreter ab!
Die Güteverhandlung dient – wie der Name schon sagt – den Bemühungen um eine gütliche Einigung. Weder werden Beweise erhoben, noch kann ein Urteil ergehen. Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn eine Partei unentschuldigt nicht erscheint. Dann kann auf Antrag der erschienenen Partei das Gericht ein Urteil erlassen, ohne dass die Einwendungen des Gegners berücksichtigt werden (Versäumnisurteil).
Die Güteverhandlung kann – vielleicht für Sie überraschend – kurz sein, wenn eine Partei kategorisch erklärt, sie sei nicht zum Abschluss eines Vergleichs bereit. Dann ist die „gütliche Einigung“ gescheitert.
Juristen definieren den Vergleich als ein gegenseitiges Nachgeben. In arbeitsrechtlichen Angelegenheiten sind vielfältige Vergleiche vorstellbar.
372Ursula König ist viele Jahre als Apothekenhelferin in der Marienapotheke in Unna beschäftigt. Ohne ausdrückliche Vereinbarung hat sie im letzten Jahr vor der Kündigung erstmals ein Weihnachtsgeld in Höhe eines Monatsgehalts erhalten. Im Jahr der Kündigung wollte der Apotheker das Weihnachtsgeld nicht mehr bezahlen, obwohl das Arbeitsverhältnis noch bis zum Jahresende bestand. König einigt sich mit ihrem Chef auf die Hälfte des zuletzt bezahlten Weihnachtsgeldes.
Christine Kirchmeier ist als Sekretärin bei einer Firma Myka, einer Vertriebsfirma für technische Einrichtungen zur Behandlung von Gasen und Flüssigkeiten, mit einer Wochenstundenzahl von 40 Arbeitsstunden beschäftigt. Die Firma Myka kündigt das Arbeitsverhältnis aus „betrieblichen Gründen“ unter Einhaltung der Kündigungsfrist. Zur Begründung führt sie an, die Schreibarbeiten für Beteiligungsgesellschaften, die Frau Kirchmeier bisher zu erledigen hatte, seien weggefallen. Frau Kirchmeier wendet ein, dass es sich dabei nur um einen ganz kleinen Teil ihrer Arbeit handle. Zu 90% arbeite sie für die Personalabteilung. In der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht schlägt der Richter vor, dass das Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird, Frau Kirchmeier aber nur noch 35 Stunden arbeitet.
Hans Hellmer ist als Arbeiter seit zwanzig Jahren bei der Fleischwarenfabrik Brauhoff beschäftigt. Sein Monatslohn beträgt 2.000,– Euro. Wegen wiederholter krankheitsbedingter Fehlzeiten kündigt die Firma fristgerecht. Im Gütetermin einigen sich Herr Hellmer und die Firma Brauhoff auf folgendes: 1. Das Arbeitsverhältnis endet aufgrund betrieblicher Gründe zum vorgesehenen Zeitpunkt. 2. Herr Hellmer erhält eine Abfindung von 20.000,– Euro.
Vergleiche sind natürlich nicht nur im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens (so genannte Prozessvergleiche) möglich, sie können vor und auch während des gerichtlichen Verfahrens ohne gerichtliche Protokollierung (außergerichtliche Vergleiche) abgeschlossen werden. Auch als gerichtliche Vergleiche sind sie keinesfalls auf die Güteverhandlung beschränkt, sondern können in jedem Gerichtstermin abgeschlossen werden. Die Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht ist allerdings schon aufgrund ihrer Zweckbestimmung ein bevorzugter „Ort“ für den Abschluss eines Vergleichs.
Der Ausgang eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens kann oft nicht sicher vorausgesagt werden. Auf die Gründe haben wir in diesem Kapitel (S. 306 ff.) schon hingewiesen. Dies bedeutet, dass Sie auch damit rechnen müssen, den Prozess zu verlieren.
Wichtig:
Ein Vergleich beendet das Verfahren ohne gerichtliche Entscheidung. Er beseitigt damit das Risiko des Prozessverlustes (natürlich nimmt er Ihnen auch die Chance, den Prozess zu gewinnen). Im Einzelfall müssen Sie zwischen dem Prozessrisiko und dem Ergebnis des Vergleichs abwägen.
In unserem Beispiel ist Frau König sicher nicht schlecht beraten, sich mit der Hälfte des zuletzt bezahlten Weihnachtsgeldes zufrieden zu geben. Sie hat keine schriftliche Zusage für eine Weihnachtsgratifikation. Ob sich der Apotheker mit der einmaligen Zahlung auch für die Zukunft gebunden hat, ist doch mehr als fraglich.
Mit der Beseitigung der Unsicherheit über den Prozessausgang hängt ein weiterer Vorteil des Vergleichs zusammen. Da der Vergleich das arbeitsgerichtliche Verfahren abschließt, können durch dieses Verfahren auch keine weiteren Kosten entstehen. Dies vermag Sie im Fall der Prozessvertretung durch einen Rechtsanwalt auf den ersten Blick vielleicht nicht zu überzeugen, da der Vergleich zu einer zusätzlichen Gebühr für den Rechtsanwalt führt. Aber bedenken Sie: Ohne Vergleich kommt es vielleicht zu einem Berufungsverfahren mit dem oben geschilderten erheblichen Kostenrisiko.
Der Vergleich ist manchmal die einzige Möglichkeit, ein interessengerechtes Ergebnis zu erreichen. Dies gilt besonders für den Kündigungsschutzprozess, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses von beiden Parteien, also auch vom Arbeitnehmer, nicht mehr gewünscht wird. Wie wir gesehen haben, kann eine Abfindungslösung mit einem Urteil normalerweise nicht erreicht werden.
Der gerichtliche Vergleich kann wie ein Urteil mit den vorgesehenen Zwangsmitteln, etwa mit einer Pfändung von Gegenständen durch den Gerichtsvollzieher, durchgesetzt (vollstreckt) werden. Er hat damit die gleiche Wirkung wie ein rechtskräftiges (oder vorläufig vollstreckbares) Urteil. Aus einem außergerichtlichen Vergleich kann dagegen nicht vollstreckt werden.
Hilde Meuser wird zum Personalchef gerufen. Dieser erklärt ihr, man werde ihr wohl kündigen müssen. Es bestehe allerdings Bereitschaft, noch zwei Monatsgehälter zu zahlen, wenn sie mit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses einverstanden sei. Frau Meuser unterzeichnet ein Papier mit diesem Inhalt. Nachdem sie ausgeschieden ist, wartet sie vergeblich auf die Abfindung. Sie hört, dass die Firma in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist. – Was kann sie tun, um ihren Anspruch durchzusetzen?
Sie muss ein arbeitsgerichtliches Verfahren einleiten, um ein Urteil zu erhalten, mit dem sie die Zahlung erzwingen kann.
Dem Urteil geht eine mündliche Verhandlung voraus, die im Gegensatz zur Güteverhandlung als Streitverhandlung bezeichnet wird. Im Streittermin findet sozusagen die Entscheidungsschlacht statt. Auf diesen Termin ist das ganze Verfahren ausgerichtet.
Möglicherweise schon in der Güteverhandlung wird das Gericht von den Parteien fordern, zu bestimmten Punkten Stellung zu nehmen oder allgemein den Anspruch zu begründen oder auf die Ausführungen des Gegners zu erwidern.
375Wichtig:
Oft werden vom Gericht auch Fristen gesetzt. Diese müssen Sie unbedingt beachten. Bei entsprechender Belehrung über die Folgen einer Verspätung kann das Gericht spätere Ausführungen unberücksichtigt lassen.
Sie müssen alle Tatsachen dem Gericht unterbreiten, die notwendig sind, damit das Gericht Ihren Anspruch als begründet ansehen kann. Ein Laie kann oft nicht erkennen, was hierzu alles gehört. Gerade hier sollten Sie daher das Gericht schon im Gütetermin um entsprechende Aufklärung bitten.
Rosalinde Veigel ist nach langjähriger Beschäftigung bei der Feinwohn GmbH aufgrund eigener Kündigung wegen ständiger Überlastung ausgeschieden. Sie erhebt gegen die Feinwohn eine Klage auf 3.400 EUR und begründet sie damit, dass sie in den letzten drei Monaten vor dem Ausscheiden insgesamt 200 Überstunden gemacht hat. In der Güteverhandlung erklärt ihr der Richter, dass ihre Klage bisher nicht ausreichend begründet sei. Als Frau Veigel nachhakt und fragt, was denn noch fehle, gibt der Richter zu Protokoll: „Der Klägerin wird aufgegeben, unter Beweisantritt darzulegen, wann die behaupteten Überstunden gemacht worden sind und woraus sich ergibt, dass sie von der Feinwohn GmbH angeordnet oder genehmigt oder geduldet worden sind.“ – Was muss nun Frau Veigel alles im Prozess vortragen?
Wenn Frau Veigel eine Aufstellung ihrer Überstunden hat, wird es ihr leicht fallen, darzulegen, wann die Überstunden gemacht worden sind. Wenn nicht, muss sie den Anfall der Überstunden rekonstruieren. Vielleicht lassen sich die Überstunden bestimmten Ereignissen zuordnen. In jedem Fall dürften in diesem Teil der Auflage des Gerichts erhebliche Schwierigkeiten für Frau Veigel stecken.
Aber Frau Veigel soll auch Beweis anbieten für die Ableistung der Überstunden. Hat sie sich ihre Überstundenaufstellung von ihrem Vorgesetzten abzeichnen lassen, ist auch dieser Teil der Auflage nicht schwer zu erfüllen. Ist dies nicht der Fall, muss sie Arbeitskollegen 376oder, wenn nicht anders möglich, den Vorgesetzten als Zeugen benennen.
Oft werden Überstunden nicht ausdrücklich angeordnet oder genehmigt, sie ergeben sich einfach aus der anfallenden Arbeit. War es so, wird es für Frau Veigel noch einmal schwieriger. Sie muss dann überlegen, wie sie dem Gericht klar machen kann, dass ihr Vorgesetzter von den Überstunden gewusst hat und ihm auch bekannt war, dass die anfallende Arbeit nicht in der normalen Arbeitszeit erledigt werden konnte. Dabei müsste sie ganz konkrete Umstände benennen und wiederum Beweise hierfür anbieten.
Auch wenn der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweispflicht hat, wie etwa bei Kündigungen, treffen Sie bestimmte Erklärungspflichten.
Der Arbeitgeber begründet eine Kündigung mit der zurückgegangenen Arbeit aufgrund der schlechten Auftragslage. Sie haben zu dieser Behauptung keine Information und wollen sich daher nicht dazu äußern. – Verhalten Sie sich richtig?
Nein. Sie müssen die Behauptung Ihres Arbeitgebers in Abrede stellen, juristisch ausgedrückt: „bestreiten“.
In einem Verfahren wegen einer außerordentlichen Kündigung begründet der Arbeitgeber diese damit, dass der Arbeitnehmer seinem Vorgesetzten, der ihm seine schlechte Leistung vorhielt, androhte, er wolle ihn bei nächster Gelegenheit zusammenschlagen. Der Arbeitgeber schildert hierzu den Vorfall in allen Einzelheiten. Der betroffene Arbeitnehmer begnügt sich im Prozess damit, die Behauptung des Arbeitgebers als „glatt erlogen“ zu bezeichnen. – Reicht dies aus, damit das Gericht die Behauptung des Arbeitgebers als bestritten ansieht?
Das Gericht wird hierin kein ausreichendes Bestreiten sehen und den Vorwurf als richtig unterstellen. Der Arbeitnehmer muss im Einzelnen darstellen, wie das Gespräch mit dem Vorgesetzten aus seiner Sicht war.
Möglicherweise hält das Gericht, um zu einem Ergebnis zu kommen, die Durchführung einer Beweisaufnahme, insbesondere eine Zeugenvernehmung, für erforderlich. Nach Abschluss der Beweisaufnahme und nachdem die Parteien ihre Anträge gestellt haben, wird das Gericht eine Entscheidung verkünden: das Urteil.
Die Durchsetzung eines Urteils hä ngt von seinem Inhalt ab. Das Urteil kann zB den Arbeitgeber zur Zahlung einer bestimmten Summe oder zur Beschäftigung verpflichten.
Karin Bien war als Krankenschwester in einem privaten Krankenhaus „Haus am Himmelberg“ beschäftigt. Sie wurde wegen ständiger Auseinandersetzungen mit der Pflegedienstleitung ordentlich gekündigt. Im Kündigungsschutzprozess hat sie folgende Anträge gestellt:
Am Ende der letzten mündlichen Verhandlung verkündet das Arbeitsgericht ein Urteil, mit dem es allen Anträgen der Frau Bien stattgibt. Frau Bien ist sehr erfreut und will von ihrem Prozessvertreter wissen, ob das Krankenhaus jetzt das Urteil befolgen muss.
Zunächst wird der Prozessvertreter Frau Bien erklären, dass auch Urteile nicht „automatisch“ wirken, sondern durchgesetzt – in der Juristensprache: „vollstreckt“ – werden müssen. Er wird ihr weiter erklären, dass die Durchsetzung nicht aufgrund der Urteilsverkündung erfolgen kann, sondern abgewartet werden muss, bis die Urteilsurkunde vorliegt.
Die Vollstreckung bedeutet, dass Sie die gesetzlich vorgesehenen Zwangsmittel einsetzen können, damit der Schuldner – in unserem Zusammenhang der Arbeitgeber – das Urteil befolgt. Allerdings ist nicht jedes Urteil zur Zwangsvollstreckung geeignet, und je nach der Art des Gegenstandes sind auch die Zwangsmittel unterschiedlich.
Die im Fall der Frau Bien vom Gericht getroffene Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst worden ist, kann nicht vollstreckt werden. Sie bewirkt aber, dass der Arbeitgeber gegenüber Ansprüchen der Frau Bien für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht einwenden kann, das Arbeitsverhältnis sei wirksam beendet worden.
Die Verurteilungen des Krankenhauses zur Zahlung und zur Weiterbeschäftigung können dagegen vollstreckt werden. Ist das private Krankenhaus nicht bereit, den Betrag von 12.245,– EUR zu zahlen, kann die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Krankenhauses (zB Sachpfändung durch den Gerichtsvollzieher, Forderungspfändung durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss) betrieben werden. Besteht keine Bereitschaft, Frau Bien weiter zu beschäftigen, erfolgt die Zwangsvollstreckung dadurch, dass das Krankenhaus Zwangsgelder zahlen muss.
Obwohl dann das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, kann die Vollstreckung betrieben werden. Juristisch ausgedrückt, ist das Urteil „vorläufig vollstreckbar“. Wenn allerdings Frau Bien den Betrag von 12.245,– EUR aufgrund eines nicht rechtskräftigen Urteils erhält, muss sie sich bewusst sein, dass sie diesen Betrag wieder an das Krankenhaus zurückzahlen muss, wenn das Landesarbeitsgericht das Urteil aufhebt.
Hätte Frau Bien den Prozess verloren (das Urteil hätte dann schlicht und einfach gelautet: Die Anträge werden abgewiesen), könnte sie in die Berufung gehen.
Die Berufung kann sie allerdings nicht selbst einlegen. Sie muss entweder einen Rechtsanwalt beauftragen oder, wenn sie Gewerkschaftsmitglied ist, einen für die Prozessführung qualifizierten Gewerkschaftssekretär.
Wichtig:
Für die Einlegung der Berufung gilt eine Frist von einem Monat seit Zustellung der Urteilsurkunde. Innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Zustellung der Urteilsurkunde (nicht nach Einlegung der Berufung) muss die Berufung begründet werden. Auch wenn die Urteilsbegründung nicht vorliegt, gibt es eine zeitliche Grenze für die Einlegung der Berufung. Sie müssen daher rechtzeitig zu einem Rechtsanwalt oder Gewerkschaftssekretär gehen, damit diese Fristen auch eingehalten werden können. Bei verzögerter Zustellung der Urteilsbegründung sollte dies spätestens vier Monate nach der Urteilsverkündung geschehen.