D ie Gedärme sind über die gesamte Wiese verteilt. Überall liegen sie im nassen Gras, wie nicht aufgeräumtes Spielzeug sieht das aus. Selbst hinten am Wolfstann, wo es bereits dunkel ist, kann ich noch was von dem blutigen Zeug entdecken. Der Kopf ist vom Körper abgerissen und hängt an dem Strick, dessen Ende um einen Pflock gebunden ist. Es sieht ein bisschen komisch aus, mit dem Kopf und dem Strick. Es muss ja wirklich niemand Angst haben, dass der jetzt noch davonrollt.
Unser Priester ist da, wie immer, wenn etwas gestorben ist. Er stößt mit dem Schuh gegen den toten, aufgerissenen Körper. Die Fliegen brummen verärgert und stieben auseinander, aber nur kurz, dann setzen sie sich wieder auf das Fleisch, in die Augen und die zerfetzte Kehle. Fliegen sind stur. Sie hören nicht auf unseren Priester. Nicht mal auf meinen Papa. In der Hütte müssen wir immer alles gut mit Tüchern abdecken, weil sie überall dran wollen. Am liebsten sitzen sie auf Fleisch. Auf verrottenden Früchten. Und auf allem, was tot ist. Fliegen können mit den Füßen schmecken. Fliegen legen ihre Eier auf alles, und wenn man die Eier aus Versehen mitisst, hat man Schmerzen im Bauch. Die kommen von den Maden, die nämlich aus den Fliegeneiern schlüpfen. Wenn man so eine weiße, gesichtslose Made ansieht, dann kann man sich gar nicht richtig vorstellen, dass da mal eine schwarze Fliege draus entstehen soll. Aber genauso ist es. Ich habe das beobachtet.
Fliegen können außerdem nicht wirklich fressen, sondern nur trinken, darum machen sie überall ihre Spucke drauf, und die Spucke löst das Fleisch dann auf, sodass sie es durch ihre Rüssel saugen können. Ich weiß viel über Fliegen. Ich weiß überhaupt sehr viel, auch wenn immer alle denken: Die Edith, die spricht ja gar nicht, und zur Schule geht sie auch nicht, die ist bestimmt ein bisschen dumm im Kopf. Aber es ist genau andersrum. Ich spreche nicht, weil ich so einiges kapiere. Man muss nicht in die Schule gehen, um ein schlaues Köpfchen zu sein.
Unser Priester wendet sich um und sieht hoch zum Antennenmast. Dann spuckt er auf den Boden. Mitten zwischen seine Füße spuckt er, wo die tote Ziege liegt. Als wäre er selbst eine Fliege, die das Fleisch trinken will.
«Es ist die Antenne», sagt er. «Nur wegen der beschissenen Antenne kommen die Viecher so nah an Jakobsleiter. Ich sage, wir reißen das Ding ab, bevor noch mehr von deinen Ziegen dran glauben müssen.»
Jesses Vater sagt lange nichts, weil er auch nicht so gern spricht. Aber dann knurrt er doch etwas durch die Zähne: «Erst mal knall ich das Scheißvieh ab.»
«Den Wolf?», fragt unser Priester. «Aber der ist nur der Schwanz deines Problems! Kapierst du’s denn nicht, Gabriel? Bevor nicht die verdammte Antenne verschwunden ist, wird der nächste Wolf durchdrehen und danach wieder einer. Das Ding muss weg, bevor wir vor die Hunde gehen.»
Ich schaue die beiden an. Ich weiß, was es heißt, wenn einer sagt, dass man vor die Hunde geht. Früher, da haben die Menschen mit Hundemeuten gejagt, auch hier oben am Berg. Hunde können sehr schnell sein. Sie springen das Opfer an und zerfetzen es. Ich hätte auch gerne so einen Jagdhund, aber Papa hat sein Gewehr und seine guten Augen, und er sagt, dass uns das reicht. Und außerdem hat er ja mich. Ich helfe ihm bei der Jagd, darin bin ich sehr gut, denn ich kann mich so leise anschleichen wie sonst keiner. Richtig mucksmäuschenstill kann ich sein. Manchmal, da probiere ich unten in Almenen aus, wie lange ich hinter jemandem herschleichen kann, ohne dass die Person sich umdreht. Ich bin so nah hinter ihnen, dass ich sie antippen kann, und dann bleiben sie plötzlich stehen und fassen sich in den Nacken, aber bis sie sich umdrehen, habe ich mich schon längst hinter einer Hausecke versteckt. Almenen ist voller guter Verstecke, fast so wie der Wald.
Noch einmal spuckt unser Priester zwischen die Füße. Einen richtigen Schleimklumpen spuckt er, es macht ihm gar nichts, dass da noch ein Kopf liegt. Er sagt: «Das Biest wird uns noch alle zugrunde richten, Gabriel.»