«B rüder, ich habe es euch gesagt. Ich habe gesagt: Sie werden kommen, um über uns zu richten. Jetzt waren sie da. Nicht mit Steinen sind sie gekommen, sondern mit Feuer, wie die Teufel selbst!»
Ich stehe vor ihnen, meinen Schäfchen, diesen Doofköppen, in würdevoller Haltung und in meinem Gewand, weil ich auch nach all dem, was passiert ist, immer noch ihr Priester bin. Idioten brauchen immer einen Anführer, der ihnen das Denken abnimmt.
«Es ist Zeit zu handeln! Jetzt, solange die Kohlenreste noch schwelen! Unten im Tal werden sie annehmen, die betrunkenen Scheißkerle selbst hätten die Antenne in Brand gesteckt. Sie sind mit Feuer zu uns gekommen, und jetzt werden wir mit Feuer antworten!»
Ich brülle meine Worte gewaltig in die Runde und breite die Arme aus wie ein Heeresführer in einem Fantasyfilm. Ich habe früher gerne diese Art von Filmen geschaut. Die mit dem mächtigen Anführer, der auf einem Pferd vor den Männern auf und ab reitet, um sie in die alles entscheidende Schlacht zu schicken. Es braucht eine starke Persönlichkeit, um diesen Effekt zu erzielen. Und die habe ich, das wusste ich schon immer. Schon lange bevor ich in dieses Nest gekommen bin. Ich wäre keiner von denen gewesen, die im Gefängnis von den anderen Insassen gefickt werden. Ich wäre derjenige gewesen, der einen Ausbruch organisiert hätte, wie es ihn in der Geschichte noch nie gegeben hat.
Ich ziehe die Pose ein wenig in die Länge, um den Moment auszukosten, klappe dann die Bibel zu und trete vom Turm zurück. Die weiße Kapuze rutscht herunter, als ich den Kopf in den Nacken lege, um zuzusehen, wie sie am Turm hochklettern, meine Schützlinge, diese Affen. Der eine ist Jesse, der dank meiner Überzeugungskraft endlich auch der Ansicht ist, dass die Antenne letztendlich schuld am Verschwinden seiner kleinen Freundin ist. Und der andere ist Abel, bei dem die Hennen immer noch keine vernünftigen Eier gelegt haben. Der Hornochse ist so knauserig mit dem Futter, dass seine Tiere völlig runtergehungert sind. Natürlich legen sie keine Eier. Eine Frau, die du nicht ordentlich fütterst, kann dir auch keine Kinder gebären.
Jesse und Abel haben Brennstoff dabei und eine Scheißwut im Gesicht, so wie alle, die um den Mast versammelt sind. Ich hätte sie heute alle dort hinaufschicken können, jeden Einzelnen von ihnen. Ich hätte nur mit dem Finger schnippen müssen. Aber ich habe die zwei mit den gesündesten Armen und Beinen gewählt. Die mit der größten Desillusion in den Augen. Enttäuschung macht gefügig und hörig.
Zwei Häuser sind abgebrannt und ein Stall. Das Dreckspack aus den Dörfern war das Zünglein an der Waage, das es noch gebraucht hat. Ich müsste ihnen fast dankbar sein, dass sie hergekommen sind, um diese beschissene Siedlung abzufackeln.
Die Antenne beginnt zu qualmen und fängt endlich Feuer. Das Feuer folgt Jesse und Abel, als sie den Turm wieder herunterklettern.
Ich habe kein Weihwasser, aber Spucke tut’s auch. Mit dem Finger male ich Abel ein feuchtes Kreuz auf die Stirn, als er wieder unten ist, obwohl hinter dieser Stirn bekanntlich nicht viel los ist und ein Kreuz da kaum helfen wird. Jesse aber will sich von mir nicht segnen lassen. Er springt den letzten Meter vom Turm ins Gras und marschiert an mir vorbei.
Ich beschließe, ihm diese Dreistigkeit ausnahmsweise durchgehen zu lassen. Denn jetzt, als die Arbeit endlich getan ist, fühle ich zum ersten Mal so etwas wie Frieden.
Vor mir brennt die Antenne wie eine Fackel in der Nacht. Eine Fackel des Triumphs, ein olympisches Feuer. Mir, Isaiah, ist gelungen, was so viele vor mir vergeblich versucht haben und noch versuchen werden.
Ich habe die Zeit bezwungen.
«Brüder, nehmt das Feuer als ein Zeichen, als einen Leuchtturm in der Nacht, der uns den Weg weisen wird, wenn wir diesen Ort verlassen müssen!», rufe ich, um auch diesen Samen schon mal zu säen. Denn natürlich werden wir uns ein neues Jakobsleiter suchen müssen, jetzt wo ein ganzer Landstrich weiß, wer wir sind.
Sie hören mir nur mit halbem Ohr zu und können den Blick nicht von dem Feuer abwenden, das die Antenne frisst. Die Faszination eines Scheiterhaufens, auf dem man die Hexe verbrennt.
Wenn ich es will, dann folgen sie mir sogar ins Mittelalter.
So ein Anführer bin ich.