REBEKKA

D raußen fährt ein Auto weg, ich hoffe, es ist seines. Ich hoffe, er fährt weg und kommt nie wieder. Ich liege mit dem Rücken an der kalten Kellerwand und spiele mit der Scherbe. Die eine scharfe Kante balanciert auf dem Boden, die andere sticht in die Kuppe meines ausgestreckten Zeigefingers. Ich drehe sie, wie eine kleine Tänzerin. Ich hätte sie längst gegen ihn einsetzen sollen. Hätte ihn schon in dem Moment umbringen können, als er mir den Rücken zugedreht und den Eimer mit Wischwasser abgestellt hat. Ihm die Scherbe in den Nacken rammen können, als er mir die frischen Kleider hingelegt hat, bestimmt hätte ich irgendetwas Wichtiges getroffen. So oft habe ich mir ausgemalt, wie ich ihn verletze, mit meiner Scherbe. Aber ich habe es nicht getan. In dem kurzen Moment, in dem ich hätte aufspringen und ihn angreifen können, habe ich gezögert, und dann war es zu spät, er hat sich umgedreht und mich angesehen.

«Das kann ja einmal passieren, Rebekka», hat er gesagt, als hätte ich lediglich versehentlich einen über den Durst getrunken. «Aber ich hoffe doch sehr, dass ich die Weinflaschen jetzt nicht anderswo lagern muss?»

Es war keine echte Frage. Mehr eine unausgesprochene Drohung, und da erst ging mir auf, wie sehr er betont hat, dass so was ja einmal passieren kann. Kein zweites Mal, das ist es, was er mir sagen wollte. Ich lebe jetzt lange genug in seinem Keller, um diese feinen Unterschiede zu erkennen.

Ich wollte das Wischwasser stehen lassen und die neue Kleidung nicht anrühren. Ich wollte trotzig sein, wollte, dass alles noch genauso ist, wenn er das nächste Mal zu mir kommt. Aber selbst dazu war ich nicht in der Lage. Mein Ekel vor mir selbst, vor meinem eigenen Gestank hat mich gebrochen. Und die Tatsache, dass er kurz darauf herunterkam, um mir noch ein Glas Wasser und eine Kopfschmerztablette zu bringen. Wie kann jemand mir all diese Dinge antun und gleichzeitig so fürsorglich sein? Ich wusch mir in dem Putzeimer Gesicht und Haare, bevor ich den Boden schrubbte, und weinte die ganze Zeit aus Wut über mich selbst.

Es stinkt auch jetzt noch in dem Keller. Der Wein ist zwischen die Fugen auf dem Boden gesickert, und der Geruch nach Erbrochenem sitzt in den Wänden, er sitzt unter meinen Fingernägeln. Wahrscheinlich wird auch das nächste Mädchen den Gestank noch riechen, wenn er sie herbringt. Wenn es nach mir ein nächstes Mädchen gibt, aber davon gehe ich aus. Hoffentlich ist sie schlauer als ich. Sie wird sich fragen, was passiert ist in diesem Keller. Und es wird niemanden geben, der es ihr sagen kann. Weil ich dann nicht mehr da sein werde. Schon traurig, wenn man sterben muss, und das Einzige, das man hinterlässt, ist der Geruch nach Kotze.

Aber vielleicht muss ja auch gar nicht ich sterben, sondern er. Ich stoße die Scherbe an, damit sie sich schneller dreht. Ich habe eine Waffe, und ich spiele keine Spiele mehr.