17

Das Tageslicht begann zu schwinden, als sie durch die weite, einsame Landschaft zurück zum Haus fuhr. Am Horizont deutete sich ein leuchtender Sonnenuntergang an, denn inzwischen war die Wolkendecke aufgerissen. Feurige Rot- und Goldtöne, Einsprengsel in Orange, Rosa und Violett schufen ein spektakuläres Himmelsgemälde, das sich in dem wie poliertes Metall glänzenden Wasser der Bucht spiegelte. Eigentlich müsste sie dieses Naturschauspiel auf einem Foto festhalten, dachte Zoe, und es später auf eine Leinwand übertragen.

Sobald sie den Wagen abgestellt hatte, stürzte sie zu der Galerie im ersten Stock, wo sie ihre Malsachen verstaut hatte, und kramte die Kamera hervor. Eigentlich hatte sie vorgehabt, zum Strand zu gehen und von dort aus den Sonnenuntergang zu fotografieren, aber umrahmt von den dunklen Umrissen der hohen gotischen Fenster würde das Bild ungleich dramatischer aussehen. Sie knipste drauflos, kontrollierte zwischendurch immer wieder die Ergebnisse auf dem Display und stutzte plötzlich.

Eindeutig war da eine im Türrahmen lehnende Gestalt zu erkennen, die sich im Fenster spiegelte. Doch als sie sich umdrehte, war dort niemand. Ganz wie sie es erwartet hatte. Als sie das Bild heranzoomte, sah sie, dass der Schatten einen Umhang trug wie der vermeintliche Schäfer, den sie zweimal im Moor gesehen hatte. Das Gesicht hingegen blieb verschwommen, sosehr sie das Foto auch vergrößerte.

Sie wunderte sich, wie ruhig sie diesmal blieb und nicht panisch nach einer logischen Erklärung suchte. Seit dem Fund des Vorhängeschlosses glaubte sie zu wissen, was hier ablief. Sie packte die Kamera weg, ging wieder nach unten und schaltete im Vorübergehen alle Lampen an. Horace saß geduldig am Fuß der Treppe und schnupperte, vermutlich witterte er den fauligen Geruch, der nach wie vor in der Luft hing. Sie kraulte ihn zwischen den Ohren.

Oder war es das Paranormale, das er wahrnahm?

Nein, das glaubte sie nicht. Er gehörte eher nicht zu der Sorte Hund, die man in Filmen sah und die sich durch erhöhte Sensibilität unerklärlichen Phänomenen gegenüber hervortat und mit gesträubtem Fell winselte und bellte. Vielleicht schränkte Charles ja seinen Fernsehkonsum zu sehr ein, und Horace wusste es nicht besser, diagnostizierte sie sein Fehlverhalten amüsiert. Immerhin blieb er treu an ihrer Seite, wie sein Herrchen es ihm angeschafft hatte, und folgte ihr, als sie sich in der Küche ein großes Glas Wein einschenkte und es mit auf die Veranda nahm.

Die Sonne war erstaunlich rasch untergegangen, lediglich ein paar wenige orangerote Streifen zogen sich am dunklen Horizont entlang. Gleichzeitig hatte der Wind aufgefrischt und peitschte ihr ins Gesicht. Möwen warfen sich den Böen entgegen, um sich von den wechselnden Strömungen treiben zu lassen. Ohne die Flügel zu bewegen, schossen sie durch den Himmel.

Auch Zoe fühlte sich irgendwie in der Schwebe. Fast fatalistisch saß sie da, wusste nicht, was sie erwartete, und empfand dennoch eine Art Frieden. Einzig die Aussicht, dass Edward bald hier sein würde, beschleunigte ihren Herzschlag und sorgte für einen kleinen Hitzeschwall in der Lendengegend.

Als es ihr kalt wurde, kehrte sie in die Küche zurück, schloss die Tür sorgfältig hinter sich ab und schenkte sich noch ein Glas ein. Sie überlegte, ob sie Dan anrufen und ihn wegen seiner indiskutablen Einmischung in ihre Angelegenheiten zur Rede stellen sollte. Sie entschied sich dagegen, denn irgendwie war es ihr bereits zuwider, nur seine Stimme hören zu müssen.

Um erst gar kein schlechtes Gewissen aufkommen zu lassen, handelte sie mit sich selbst einen Kompromiss aus und drückte auf die Wiedergabetaste des Anrufbeantworters, der eine neue Mitteilung anzeigte. Die konnte sie zur Not abwürgen, wenn sie die Nase vollhatte. Aber die Nachricht war nicht von Dan, sondern von ihrer Mutter. Was ebenfalls nicht besser war. Ein Vorwurf folgte auf den anderen. Zoe nahm lediglich Wortfetzen wahr, weil sie vorbeugend auf Durchzug geschaltet hatte: einfach egoistisch – so kann eine Ehe nicht funktionieren – meinst du nicht, dass Daniel schon genug damit zu tun hatte, dass

Das reichte. Sie drückte auf Löschen, bevor sie noch mehr hören musste. Die zweite Nachricht würde sie sofort unterbrechen, falls es sich um eine Fortsetzung der mütterlichen Anklageschrift handelte. Doch statt der zänkischen Stimme ertönte wie am Abend zuvor dieses seltsame Knistern, das an eine alte Schallplatte erinnerte. Sie wollte den AB schon ausschalten, als leise und undeutlich eine weibliche Stimme einsetzte, die immer wieder denselben Satz auf Gälisch wiederholte. Irgendwoher meinte sie die Worte zu kennen, sie zumindest mal gehört und übersetzt bekommen zu haben. Plötzlich wusste sie, was sie bedeuteten. Zeit zu gehen, sagte die Frau unablässig. Zeit zu gehen.

Zoe durchlief es kalt. Sie streckte eine Hand nach der Löschtaste aus, besann sich indes eines Besseren. Wenn jemand ihr mit Telefonterror Angst einzujagen versuchte, dann war diese Aufzeichnung ein Beweisstück für die Polizei, nicht anders als das Vorhängeschloss, das leider nach wie vor verschollen war. Ein Geräusch in der Küche ließ sie zusammenzucken. Grundlos, es war bloß Horace, der einen Stuhl umgeworfen hatte. Sie kniete sich neben ihn und vergrub das Gesicht in seinem drahtigen Fell, und er ließ es wie alles andere geduldig über sich ergehen. Anschließend griff sie sich die Weinflasche und begab sich nach oben in die Galerie. Edward würde bald hier sein. Es gab nichts, wovor sie Angst haben musste.

Sie musste eingenickt sein, denn als sie die Augen aufschlug, schien das Zimmer seltsam erhellt, und sie brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass draußen die Nacht hereingebrochen war. Mühsam richtete sie sich auf. Sie saß auf einem Tagesbett am Rande der Galerie, so viel konnte sie erkennen, der Rest verschwand in einem diffusen Licht. Ringsum auf Tischen und Bänken flackerten Öllampen, die die Galerie in einen gelblichen Schimmer tauchten. Ein seltsam rauchiges Aroma lag in der Luft, vermischt mit einem bitteren pflanzlichen Geruch, und sie hörte das leise Murmeln einer männlichen Stimme.

Sie rieb sich die Augen und erkannte eine hochgewachsene Gestalt, die ihr den Rücken zugewandt hatte, die Hemdsärmel bis über die Ellenbogen hochgekrempelt, und sich über einen Arbeitstisch beugte, auf dem gläserne Becher sowie Mörser und Stößel aufgereiht waren. Reflexartig tastete sie mit einer Hand nach der Kette, die Kaye ihr gegeben hatte, doch als sie sie berührte, stellte sie fest, dass nicht mehr der schwarze Turmalin daran hing, sondern ein silbernes Keltenkreuz. Die Entdeckung versetzte ihr einen Schrecken; sie sah an sich hinunter und stellte fest, dass sie barfuß war und ein bodenlanges, mit Schleifen über der Brust zusammengebundenes Baumwollkleid trug. Ein wollenes Tuch lag um ihre Schultern, und ihre Haare fielen offen herunter.

Zoe schüttelte den Kopf, als könnte sie damit ihren Blick klären – sie träumte, so viel war ihr selbst im Traum klar, und dennoch fühlte sie sich zugleich auf eine seltsame Weise bei Bewusstsein. Der Mann am Tisch wandte sich zu ihr um, hielt ihr ein Glas hin.

Sie versuchte sich auf sein Gesicht zu konzentrieren, es blieb unscharf, als würde sie es durch ein verschmiertes Objektiv betrachten. Allerdings nahm sie wahr, dass es sehr behaart war. Buschige Augenbrauen, lange Koteletten und ein dichter Schnurrbart, alles sehr dunkel. Als er zu sprechen begann, klang seine Stimme, als käme sie aus weiter Ferne oder unter einer Wasseroberfläche hervor.

Er drängte sie zu trinken, und zu ihrer Verblüffung gehorchte sie. Das Gebräu schmeckte leicht brackig nach pflanzlicher Materie und abgestandenem Wasser; sie würgte mehr als einmal, während sie trank, und irgendwo in einem hinteren Winkel ihres Verstands fragte sie sich, wie es sein konnte, dass in einem Traum ihre Geschmacksnerven aktiviert wurden.

Dann legte er sie behutsam hin, ihre Sicht verschwamm zunehmend, Schwindel brachte sie aus dem Gleichgewicht, und sie war dankbar, dass die feste Unterlage sie davor bewahrte, ins Bodenlose zu gleiten. Wehr dich nicht dagegen, sagte der Mann nicht unfreundlich mit einem breiten schottischen Akzent und löste sodann die Bänder ihres Kleides, wenngleich sie einen schwachen, halbherzigen Versuch unternahm, seine Hand wegzuschlagen.

Braves Mädchen, Ailsa, flüsterte er und entfernte sich ein paar Schritte, um die Lichter bis auf einen mehrarmigen Kandelaber zu löschen. Sie wollte den Kopf heben, aber der fühlte sich erschreckend schwer an. Er stand über ihr und murmelte beschwörende Worte in einer Sprache, die sie nicht verstand, vor der ihr jedoch instinktiv grauste, zumal der Tonfall anschwoll, der Sprachrhythmus sich beschleunigte, drängender wurde, bis die Worte wie eine Einladung klangen, die man nicht ausschlagen konnte. Die Kerzen erloschen alle auf einmal, und sie spürte, wie ihr Körper sich veränderte: Ihre Brüste wurden schwerer, die Haare zwischen ihren Beinen drahtiger, und ein Kälteschauer durchlief sie, als würde eisige Luft durchs Fenster hineinwehen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit vernahm sie ein Geräusch, das zunehmend lauter wurde. Es erinnerte sie an einen Sturm, der mit einer kleinen Brise begann und sich zum wütenden Orkan steigerte. Als sie die Augen aufschlug, sah sie eine zweite Gestalt aus den Schatten auftauchen, die neben ihrem Lager niederkniete.

Und sie wusste, dass es der war, auf den sie gewartet hatte. Er, der so atemberaubend schön war, dass sie ihm nicht ins Gesicht sehen durfte.

Jetzt teilte er den Stoff ihres Kleides, und sie spürte, wie sein Atem ihr eine Gänsehaut über den Körper jagte. Seine Finger umkreisten ihre Brüste, dann berührte er sie mit seinem Mund, erst die eine, dann die andere, fing ganz sanft an, wurde grober, bis er schließlich mit seinen scharfen Zähnen an ihnen zog, während sie unter ihm liegend ihren Körper dem seinen entgegenreckte. Zoe spürte, wie ihre Erregung zunahm, und wusste, dass sie im Begriff war, eine Schwelle zu überschreiten, hinter der es kein Zurück mehr geben würde.

Und dieses Wissen machte ihr Angst, da sie sich nicht sicher war, wer ihr das Versprechen einer unvergleichlichen Erfahrung gegeben hatte. War es jemand, dem sie trauen konnte? Hatte Ailsa es gewusst, fragte sie sich, denn irgendwo im Grenzbereich zwischen Schlafen und Wachen war ihr klar, dass das hier nicht primär ihre Gedanken waren, sondern die von Ailsa.

Er glitt mit dem Mund an ihrem Körper hinunter und schob ihr das Kleid bis zur Taille hoch. Sie schloss die Augen und legte ihre Hände um seinen Kopf, als er mit der Zunge in sie eindrang, sich zurückzog, kreisende Bewegungen vollführte, sie gekonnt ihrem Höhepunkt entgegentrieb. Ihr war bewusst, dass sie auf irgendeiner Ebene den Atem anhielt, sich ihm widersetzte, sich weigerte loszulassen, voller Angst vor dem, was danach kommen würde.

So ist’s gut, gib dich hin, hörte sie eine Stimme sagen, die dem hemdsärmeligen Mann gehörte, der die ganze Zeit in einer dunklen Ecke gestanden und sie genau beobachtet hatte. Die Erkenntnis dämpfte ihr Verlangen keineswegs, im Gegenteil. Sie stachelte sogar ihren Ehrgeiz an, sich als gelehrige Schülerin zu erweisen und alles besonders gut zu machen.

Als sie sich ihrem Höhepunkt näherte, öffnete sie die Augen, er drang in sie ein und sah ihr für die Dauer eines Herzschlags ins Gesicht. Ihre Finger tasteten nach dem Kreuz um ihren Hals, und der Schrei, der ihr entfuhr, drückte gleichermaßen überwältigende Lust wie namenloses Entsetzen aus.

Als sie aufwachte, war ihr eiskalt. Sie lag auf der Couch in der Galerie, die eingeschalteten Lampen warfen Schatten an die Wand. Sie sah an sich hinunter und stellte erleichtert fest, dass sie ihre eigenen Sachen anhatte. Allerdings war der Reißverschluss ihrer Jeans geöffnet und ihr T-Shirt über ihre Brüste hochgeschoben. Ihr Kopf fühlte sich benebelt an, ihr Mund war ausgedörrt und klebrig, und als sie sich aufzusetzen versuchte, stieß sie mit dem Fuß gegen eine leere Flasche.

Irgendetwas Schlimmes war passiert, ahnte sie dunkel, ohne dass sie sich sogleich erinnern konnte. Hatte sie etwa allein die ganze Flasche Wein gekippt? Zumindest deutete einiges darauf hin. Und was sollte das mit der unordentlichen Kleidung? Sie fuhr mit der Hand in ihre Unterwäsche, aber da war nichts Verdächtiges festzustellen, außer dass sich ihre Haut am ganzen Körper wie schockgefrostet anfühlte. Ihr Zustand erinnerte sie an früher, wenn sie nach einer ausgiebigen Kneipentour den Eindruck hatte, man könnte ihr K.-o.-Tropfen in einen Drink geschüttet haben. Doch das kam hier ja kaum infrage. Schließlich war sie allein gewesen, oder nicht?

Langsam dämmerte ihr, dass Tamhas und Ailsa Gegenstand ihres Traumes gewesen waren. Mehr noch, sie glaubte Tamhas’ Experimente mit Ailsas Augen gesehen zu haben: den Trank, die Beschwörung, die Heimsuchung. Alles unwirklich natürlich. Ihre fieberhafte Fantasie hatte offenbar Schilderungen aus dem Tagebuch mit ihren eigenen Überlegungen und Charles’ mythischen Theorien verquickt und sie in Bilder umgesetzt.

Während Zoe noch ihre Gedanken zu ordnen versuchte, nahm sie auf einmal ein Geräusch hinter der Tür wahr, ein beharrliches Kratzen von Nägeln auf Holz, das ihr bekannt vorkam. Und da sie diesbezüglich eher an menschliche Plagegeister glaubte als an Geister, versuchte sie es mit einem rüden »verschwinde«.

Ein Winseln kam als Antwort – den armen Hund hatte sie total vergessen. Noch leicht benommen, erhob sie sich und wankte zur Tür.

»Gott, entschuldige, Horace – du musst ja am Verhungern sein.«

Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war oder wie lange er hier bereits wartete. In diesem Augenblick fiel ihr siedend heiß Edward ein, den sie zum Essen eingeladen hatte. Wie peinlich. Bestimmt hatte er vergeblich geklopft und geklingelt – so langsam würde niemand mehr glauben, dass mit ihr alles in Ordnung war. Einschließlich sie selbst.

Um nicht zur Krönung des Abends auch noch die Treppe hinunterzufallen, stieg sie vorsichtig die Stufen hinunter, sich dabei am Treppengeländer festhaltend. Nach wie vor war sie desorientiert vom Trinken und Schlafen.

Die Standuhr in der Diele zeigte zehn vor elf. Im Haus war es beklemmend still, dafür fegte draußen der Wind mit einem unheimlichen Heulen um die Ecken.

Neben dem Telefon hielt sie inne und überlegte Edward anzurufen. Um sich zu entschuldigen und ihm eine Erklärung zu geben. Bloß welche. Das mit dem Wein sowie das mit dem Traum stellte gleichermaßen ihre Zurechnungsfähigkeit infrage. Nicht einmal sie selbst kam ja damit klar. Der Traum hatte sie wie die vorherigen völlig aus dem Lot gebracht. Sie fühlte sich postorgastisch, jedoch ausgelaugt und nicht im Geringsten beglückt oder befriedigt. Außerdem wurde sie wieder mal das Gefühl nicht los, dass sie nicht allein in der Galerie gewesen und ihr irgendwas angetan worden war, dessen Folgen sich als unumkehrbar erweisen würden.

Außerdem erinnerte sie ihr rumorender Magen daran, dass sie seit dem Morgen kaum etwas gegessen hatte. Kein Wunder, wenn ihr schwindlig war und sie sich mit einer Hand an der Wand abstützen musste. Eine neue Nachricht blinkte auf dem Anrufbeantworter auf. Edward, dachte sie und drückte den Knopf. Erst absolute Stille, dann das knisternde Rauschen … Zoe schaltete ab, bevor sie wieder diese ferne, kehlige Stimme hörte.

Es war zu viel für ihre Nerven.

Trotz der späten Stunde und trotz ihres Erklärungsnotstands beschloss sie Edward anzurufen. Aber als sie den Hörer in die Hand nahm, war die Leitung tot. So hektisch sie auch drückte, es kam kein Freizeichen. Vielleicht der Wind, redete sie sich ein, wenngleich sie daran nicht wirklich glaubte. Sie würde mit ihrem Handy zu den Klippen hochgehen müssen, falls sie wirklich noch telefonieren wollte, doch selbst da war es keineswegs sicher, dass sie Empfang hatte.

Zunächst musste sie sich sowieso um den hungrigen Horace kümmern. In der Küche war der Geruch nach Fäulnis stärker geworden, ohne dass es einen erkennbaren Grund dafür gab. Sogar den Hund schien es zu stören, denn winselnd und jaulend schnupperte er an Fußbodenleisten und Heizkörpern. Sie würde Mick bitten müssen, sich darum zu kümmern.

Gerade biss sie von ihrem Erdnussbuttersandwich ab, als ein Geräusch sie aufschreckte. Ein schwerer Gegenstand war auf den Boden gefallen, so hörte es sich zumindest an. Zoes Blick wanderte zu der niedrigen Tür am anderen Ende der Küche, die in den Keller führte. Jemand war dort unten. Also hatte sie richtiggelegen mit ihrer Vermutung, dass Dougie Micks Abwesenheit nutzen würde, um sie weiter an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Und bestimmt war er ebenfalls für die tote Telefonleitung verantwortlich.

Zoe starrte auf die Tür wie das Kaninchen auf die Schlange, war unfähig, sich zu rühren, und wartete voller Panik auf das Erscheinen des Einbrechers.

Ein gewaltiger Krach, das Scheppern von Metall, verstärkt durch das Poltern von Gegengeständen, die irgendwo herunterfielen, riss sie aus ihrer Trance. Sie spurtete zur Kellertür, griff sich den altmodischen Eisenschlüssel, der daneben an einem Haken hing und sperrte mit zitternden Fingern ab. Dann nichts wie weg auf die Veranda hinaus und die Stufen hinunter, mit nackten Füßen durch den feuchten, kalten Sand um das Haus herum zur Kellerluke. Sie fand sie geschlossen, aber nicht abgesperrt vor, ganz wie sie vermutet hatte.

Zum ersten Mal, seit sie sich in diesem Haus mit allerlei Absonderlichkeiten konfrontiert sah, fühlte sie sich nicht hilflos. Jetzt saß nicht sie in der Falle, sondern ihr Gegenspieler, wer immer es sein mochte. Inzwischen würde er auf der Hut sein, wohlwissend, dass der Lärm ihr nicht entgangen sein konnte. Und sobald er feststellte, dass er vom Keller nicht in die Küche gelangen konnte, musste er zur Luke zurückkehren.

Dennoch hatte ihr Plan einen Schönheitsfehler. Ihre Absicht war es gewesen, ihn im Keller einzusperren und Hilfe aus dem Ort zu holen, doch dummerweise hatte er das Vorhängeschloss eingesteckt.

Ratlos blickte sie sich um. Sie wollte schon ins Haus zurückgehen, als sie mit dem Fuß gegen das lange, kräftige Stück Treibholz stieß, das sie eigentlich für ein Stillleben verwenden wollte. Jetzt musste es erst mal als Waffe herhalten. Immerhin war es ein durchaus respektabler Prügel. Sie hob es hoch und schwang es durch die Luft. Es würde seinen Zweck erfüllen, dachte sie zufrieden.

Ganz davon abgesehen, war es alles, was sie hatte.

So gut es ging, verbarg sie sich neben dem schrägen Holzverschlag, voll konzentriert und alle Sinne aufs Äußerste angespannt. Noch bevor sie etwas sah, hörte sie, wie jemand die enge Stiege heraufkam und von innen die Tür öffnete. Eine Gestalt mit hochgezogener Kapuze kam herausgeklettert, eine Taschenlampe in der Hand, und ehe sie entdeckt werden konnte, ließ sie das Holz mit aller Kraft von hinten auf den Übeltäter niedersausen. Mit einem schrillen Aufschrei ging er zu Boden.

Zoe warf das Holz hin und kniete sich in den kalten Sand, zog die Kapuze unsanft zurück und wurde selbst so kreidebleich wie die Gestalt am Boden.

»Mein Gott, Robbie. Was zum Teufel tust du denn hier?«

Der Junge gab keine Antwort, schluchzte lediglich heftig. An seinem Hinterkopf klebte Blut. Eine geballte Faust hatte er in den Mund gesteckt.

»Scheiße.« Sie hockte sich auf die Fersen, strich sich die Haare aus dem Gesicht und blickte sich spähend um, als würde sie fürchten, jemand könnte sie beobachten. »Bringen wir dich ins Haus.«