5

Sie entdeckte den jungen Lehrer, als er über den leeren Schulplatz sprintete, die Kapuze seiner Regenjacke tief ins Gesicht gezogen, denn urplötzlich hatte ein heftiger Wolkenbruch eingesetzt. Zoe selbst duckte sich Schutz suchend in einen Torbogen und äugte missmutig zum Himmel hoch, dem sie seinen Verrat übel nahm. Ausgerechnet jetzt, wo sie ein Fahrrad gemietet hatte, musste es wie aus Kübeln gießen.

»O hallo.« Edwards Miene hellte sich auf, als er sie sah. »Sie haben sich leider den falschen Tag für eine Radtour ausgesucht.«

»Ja, nicht wahr?« Zoe strich sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht. »Was ist das bloß für ein Wetter, das von einer Stunde zur anderen umschlägt?« Sie klopfte auf den Fahrradsattel. »Der Typ, bei dem ich soeben diesen Drahtesel für einen Monat gemietet habe, hat mir wohlweislich verschwiegen, dass jetzt Monsunzeit ist. Meinen Sie, ich könnte mein Geld zurückverlangen?«

»Wenn er für jeden Tag, an dem es hier regnet, Geld zurückerstatten würde, wäre er längst pleite. Aber mal im Ernst. Bei dem Wetter können Sie nicht die ganze Strecke mit dem Fahrrad fahren. Sie sollten abwarten, bis der Regen vorbei ist – hier wechselt es schnell.«

»Das sehe ich.« Zoe schlang sich ihren Schal fester um den Hals. »Ich muss meine Einkäufe nach Hause bringen. Mit Taxis hat man es hier in der Gegend offenbar nicht so.«

Er lachte. »Äh, nein, eher nicht.«

»Ich nehme an, das heißt für mich, zurück zum Buchladen, bis es aufklart.« Sie sah die Straße hoch. »Ihr Professor wird glauben, dass ich es auf ihn abgesehen habe. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob ich es mir auf Dauer leisten kann, ihn mit Brötchen zu bezahlen.«

»Sie können bei mir warten, wenn Sie mögen.« Er sagte es eine Spur zu schnell und zu bemüht, um beiläufig zu klingen. »Ich wohne auf der anderen Seite des Dorfangers im Lehrerhaus.«

Sein Finger wies vage in die Richtung, doch bei dem dichten Regen war nicht viel zu erkennen.

Zoe runzelte die Stirn. »Wollten Sie nicht irgendetwas erledigen?«

»Nichts Dringendes. Ich habe Kekse und Kaffee«, fügte er hinzu, als müsste er sie überreden.

Unwillkürlich drängte sich ihr der Gedanke auf, er könnte sie vom Fenster aus beobachtet haben und eigens ihretwegen herausgekommen sein. Die Vorstellung löste ein leichtes, wohliges Kribbeln bei ihr aus.

»Na ja, das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen. Sind Sie sicher, dass ich nicht störe?«

»Natürlich. Charles wird sowieso seinen Laden bald schließen, insofern können Sie auch gleich mit zu mir kommen.«

Er streckte die Hand nach dem Fahrrad aus und schob es, nachdem sie die Einkaufstüte vom Lenker genommen hatte. Dann liefen sie gemeinsam über den Dorfanger, die Köpfe eingezogen, während der Regen rings um sie herum mit unveränderter Härte niederprasselte und die Rinnsteine sich in reißende kleine Flüsschen verwandelten.

Sie warf einen verstohlenen Blick auf sein Gesicht, als er umständlich die Eingangstür des Lehrerhauses aufschloss. Harmonische Züge, schöne Zähne, eine glatte Haut, abgesehen von einer leichten Falte zwischen den Brauen, die auf eine nachdenkliche, vielleicht grüblerische Neigung hindeutete. Sie schrak zusammen. Irgendetwas tief drinnen sagte ihr, dass sie die Schwelle zu seiner Welt nicht übertreten sollte, dass sie, falls sie es tat, einen Fluch heraufbeschwören würde. Aber sogleich schüttelte sie diesen Gedanken mit dem Regen ab und folgte ihm in seine Wohnung.

Das Lehrerhaus war im neunzehnten Jahrhundert aus dem gleichen grauen Stein errichtet worden wie die Schule. Die Möblierung war spärlich, geblümte Vorhänge und verblichene, abgewetzte Polstermöbel, ein Teppich, der so abgelaufen war, dass man das Muster kaum mehr erkannte. Zumindest bislang hatte der junge Lehrer seiner Bleibe keinen persönlichen Stempel aufgedrückt. Es sei denn, man betrachtete den kabellosen verchromten Lautsprecher auf der Walnusskommode als ein solches Attribut. Oder den Notenständer unter dem schmalen Fenster und den Geigenkasten. Nein, irgendwie wirkte alles, als wäre er hier noch nicht richtig angekommen.

Eine Ausnahme bildeten vielleicht die sorgfältig geordneten Bücherregale. Da gab es zeitgenössische Romane und Gedichte ebenso wie die bedeutendsten Werke der Klassiker. Und dazu jede Menge Sachbücher, die sie auszugsweise im New Yorker gelesen hatte. Als sie die Buchrücken betrachtete, fühlte sie sich ein wenig eingeschüchtert von der Belesenheit dieses jungen Mannes.

»Tee? Kaffee?«

Er nahm seine vom Regen beschlagene Brille ab und putzte sie umständlich. In diesem Moment wirkte er so jung, so linkisch. Zu Collegezeiten hätten sie und ihre Freundinnen keinen Blick an einen Typen wie ihn verschwendet. Jetzt war sie diejenige, die befürchtete, nicht wahrgenommen zu werden.

»Tee, danke. Ohne Milch. Wenn ich noch mehr Kaffee trinke, werde ich durch die Decke schießen.«

»Aha, Sie waren also schon bei Charles?«, rief er durch die offene Küchentür. »Hat er Sie mit Schauergeschichten versorgt?«

»Ich habe ihn nach dem Haus gefragt.«

»Trotz Micks Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen?«

»Ja, was ist das denn?«

Sie nahm eine gebundene Rilke-Ausgabe aus einem Regal, das sich unter einer nach oben führenden Treppe befand, und blätterte darin. Ein paar Seiten waren an den Ecken umgeknickt, und hier und da entdeckte sie am Rand Bleistiftnotizen. Vermutlich hatte er den Band auf dem College benutzt, nahm sie an, und ein seltsamer Anflug von Zärtlichkeit überkam sie bei dem Gedanken, dass das bei ihm gar nicht lange her sein konnte.

»Hat Mick jedem hier die Anweisung gegeben, mir nichts von den Geheimnissen des Hauses zu stecken?«

»Mehr oder weniger.« Edward trat in den Türrahmen, einen Wasserkocher in der Hand. »Er hat Angst, Sie könnten sich dadurch verscheuchen lassen. Er mag es generell nicht, wenn über seine Familiengeschichte geredet wird und erst recht nicht vor zahlenden Gästen.«

»Ist das nicht ein bisschen paranoid? Jedes alte Haus hat schließlich seine Geschichten. Und was wäre ein Schloss ohne sein Gespenst? Wenn ich so leicht zu erschrecken wäre, hätte ich nie im Leben ein derart einsames und für mich allein eigentlich viel zu großes Haus ausgesucht.«

»Trotzdem«, entgegnete er in einem um Vermittlung bemühten Ton. »Manche Leute hätten ein großes Problem damit, in so einem Haus zu leben, in dem eine Frau ihr Kind getötet hat. Und dann, nach der Geschichte vom letzten Jahr … Ich kann ihn schon verstehen.«

Wie von der Tarantel gestochen, fuhr Zoes Kopf herum.

»Sie hat ihr Kind getötet? Und was bitte ist letztes Jahr passiert?«

Ein schuldbewusster Ausdruck huschte über seine Miene.

»Scheiße. Ich dachte, Charles hätte es Ihnen erzählt?«

»Bis zu dem Teil ist er offenbar nicht gekommen«, erwiderte sie und fuhr flehentlich fort: »O bitte, Sie können mir das nicht einfach so hinwerfen und es dann nicht erklären. Wer hat sein Kind getötet? Ailsa McBride?«

Edward seufzte. »Jetzt habe ich mich verplappert. Warten Sie wenigstens, bis der Tee fertig ist, okay?«

Ungeduldig tigerte sie durchs Zimmer, während er in der Küche hantierte und dabei eine Melodie summte, die ihr bekannt vorkam. Dann setzte sie sich hin und schlug erneut den Rilke-Band auf, fand eine Widmung, die vom letzten Sommer datierte.

Mein Darling Ed – wir werden immer Prag haben! Auf die vielen Sommer, die noch kommen werden! All meine Liebe, L. xxxx, stand da in einer rundlichen, mädchenhaften Handschrift.

Sie warf einen verstohlenen Blick zur Küche, wo Edward gerade sprudelndes Wasser in eine Teekanne goss. Wer war L.? Nichts an diesem bescheidenen Cottage wies auf die Existenz einer Freundin hin. Wo war L. jetzt, fragte sie sich. Was war aus all den Sommern, die noch kommen sollten, geworden?

Er kam ins Zimmer, trug die Becher vor sich her wie Votivgaben. Zoe legte das Buch rasch zurück auf den Stapel – falls es ihm aufgefallen war, sagte er nichts. Gelassen stellte er ihren Becher auf einem Bücherstapel neben dem Sofa ab und ließ sich selbst in die andere Ecke fallen, zog ein Bein an und beobachtete sie, die Hände um seinen Becher gelegt, über den Rand seiner Brille hinweg.

»Hören Sie, eigentlich ist Charles derjenige, den Sie danach fragen sollten«, begann er halb entschuldigend, halb abwehrend. »Ich kenne allein das, was er mir erzählt hat, und das allgemeine Geschwätz.«

»Dann erzählen Sie mir eben das Geschwätz«, ermunterte sie ihn. »Ailsa McBride hat ihr Kind getötet, ist es das?«

Er sah mit einem Seufzer hinunter auf seinen Tee, als würde er in den Teeblättern nach einer Antwort suchen.

»Angeblich ist sie verrückt geworden, oder sie war besessen oder irgendetwas in der Richtung. Es heißt, dass sie ihren Sohn und dann sich selbst tötete. Den Jungen hat man allerdings nie gefunden.«

»Woher weiß man dann, dass sie ihn getötet hat?«

»Sie haben ein paar seiner Kleidungsstücke gefunden, sie wurden bei den Felsen angespült.« Er biss sich auf die Lippen. »Ich sollte Ihnen das nicht erzählen.«

»Zum Teufel mit Mick«, entgegnete Zoe.

»Es ist nicht wegen Mick. Ich habe an Sie gedacht, weil Sie wieder allein dorthin zurückmüssen.«

»Könnte es nicht sein, dass beide ermordet wurden?«

Edward legte den Kopf schräg und dachte darüber nach.

»Das wurde meines Wissens nie in Erwägung gezogen, ich weiß auch nicht, warum.«

»Weil die ganze Insel sich offenbar auf Ailsa eingeschossen hatte. Eine finanziell unabhängige Frau, die ihr Kind ohne Mann großzieht, musste ja verrückt sein. Und als beide tot waren, konnte es bloß die verrückte Hexe gewesen sein. Fall abgeschlossen.«

»Klingt ein bisschen wie Wicker Man, oder?«

Edward fing ihren Blick auf, und in diesem Moment spürte Zoe, wie es Klick machte und zwischen ihnen eine Verbindung hergestellt wurde. Von nun an, erkannte sie mit einem Anflug von Erleichterung, würde sie nicht länger allein hier sein, sondern einen Verbündeten haben.

»Und was ist aus Ailsa geworden?«, fragte sie.

»Ihr Leichnam wurde weiter oben an der Küste angespült, vollständig bekleidet und ohne irgendwelche Verletzungen. Daher kam man zu dem Schluss, dass sie ins Wasser gegangen war, nachdem sie ihren Sohn getötet hatte.«

»Wenn der Junge nie gefunden wurde, wie konnte man sich da wirklich sicher sein, dass er überhaupt getötet wurde? Vielleicht ist er ja einfach weggelaufen.«

Edward zuckte die Schultern. »Wie gesagt, da waren Kleidungsstücke, die angespült wurden. Außerdem wäre er ansonsten irgendwie aufgetaucht, die Insel ist schließlich nicht groß. Die Leute scheinen jedenfalls die Ailsa-Version als Tatsache akzeptiert zu haben. Andere Gerüchte besagen, auf dem McBride-Land liege ein Fluch.«

»Inwiefern?«

»Offenbar hatte Tamhas McBride die Reste einer verfallenen Kapelle abreißen lassen, um genau an der Stelle sein Haus zu bauen – unter Verwendung der alten Fundamente und Steine. Aber das war nicht alles. Die Kapelle war über einem heidnischen Heiligtum errichtet worden, um dieses als christliche Stätte umzuweihen, und der Abriss entweihte sie wieder. Daher der Fluch.«

Er grinste, schien das Ganze fast witzig zu finden und streckte die Beine bequem von sich.

»Na toll. Dann wohne ich also in einem Haus mit einem uralten Fluch, das von einer Hexe heimgesucht wird, die ihr Kind getötet hat.«

Edward lachte. »Genauso ist es – und in diesem Sinne einen schönen Urlaub.«

Zoe lehnte den Kopf gegen ein Sofakissen und lachte mit. Nach wie vor trommelte der Regen gegen die Fensterscheiben, der Wind heulte durch den Schornstein und rüttelte an Türen und Fensterläden. Die Dämmerung hatte eingesetzt, und im Zimmer war es dunkler geworden. Schatten schlichen sich aus den Ecken und legten sich über die Möbel und über ihre Gesichter. Edward drückte auf den Schalter einer Stehlampe, die den Bereich, wo das Sofa stand, in einen weichen, bernsteinfarbenen Schimmer tauchte. Sie schwiegen beide, doch es war ein einvernehmliches, angenehmes Schweigen. Zoe verspürte keine Lust zu gehen, fühlte sich so wohl, dass sie sich hier glatt verlieren könnte.

»Ich verstehe einfach nicht, warum Mick das alles vertuschen will«, griff sie schließlich das Thema erneut auf. »Viele Leute würden ein Vermögen hinblättern, um in einem Haus mit einer solchen Geschichte zu wohnen.«

»Genau, Leute mit absonderlichen Vorlieben. Mit einem Spleen für ungelöste Mordfälle. Schräge Vögel, die glauben, dass man paranormale Aktivität wie Funkwellen messen kann.« Er zupfte an einem losen Faden des Polsters. »Er hat sich viel Ärger im Dorf eingehandelt, als er das Haus instand zu setzen begann. Es gab nämlich eine stillschweigende Übereinkunft zwischen den Drummonds und den Inselbewohnern, dass man das Haus dem Verfall überlassen wollte, damit die Geschichte in Vergessenheit geriet.« Er streckte den Rücken durch und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Die Sache wird nach wie vor als Makel betrachtet, als rufschädigend für die ganze Insel. Die Leute nehmen solches Gruselzeug sehr ernst, und sie wollen es vor allem nicht an die große Glocke hängen. Mick hat lange gebraucht, um die Einheimischen davon zu überzeugen, dass er die Familiengeschichte nicht als Publicitygag benutzen wird und Kapital daraus schlagen will.«

»Das heißt, alle sind zur Verschwiegenheit verpflichtet.« Sie richtete sich auf und legte die Hände um ihren Becher. »Hat Mick Ihnen das alles erzählt?«

Edward schüttelte den Kopf. »Er redet nicht gern darüber. Das meiste weiß ich von Charles und von Annag Logan, dem Barmädchen.«

Zoe dachte mit einem Anflug von Groll an ihren Lippenstift und machte eine vage Handbewegung, die eine Verbindung andeutete.

»Sind Sie beide …?«

Erst musterte er sie verwirrt, dann empört.

»Gott, nein. Dachten Sie allen Ernstes …?« Er richtete sich auf, fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Nicht unbedingt mein Typ. Und überhaupt, sie ist erst sechzehn.«

»Wirklich?« Zoe war verblüfft. »Ich hätte sie älter geschätzt. Außerdem wollte ich Sie nicht beleidigen«, fügte sie rasch hinzu. »Es ist nur … Es dürfte hier draußen nicht allzu viele junge Frauen geben.«

»Ich bin eigentlich nicht hergekommen, um Frauen kennenzulernen.« Seine Mundwinkel zuckten, und seine Stimme nahm einen etwas dunkleren Ton an, der ihre Neugier weckte. »Ganz im Gegenteil, um genau zu sein.«

»Heißt das, Sie sind hergekommen, um Männer kennenzulernen?«

Er brauchte einen Moment, um das Funkeln in ihren Augen zu bemerken, dann warf er mit einem Kissen nach ihr und lachte.

»Ja, genau. Stämmige Fischer und Bohrinselarbeiter. Gott, ich liebe dieses Ölzeug.«

»Und wie läuft das für Sie?«

»Ehrlich gesagt, bin ich den Heringsgeruch leid.« Er schnitt eine Grimasse. »Und die Typen sind so oft fort. Ich bin eine Heringswitwe.«

Als Zoe das Kissen in seine Richtung zurückwarf, brachte er seinen Becher nicht rechtzeitig aus der Schusslinie, und der Kaffee schwappte auf eines der Polster.

»Hey, Vorsicht mit dem Sofa! Das ist ein unbezahlbares Erbstück.«

»Es ist eindeutig historisch«, spottete sie und rieb mit einem Finger über den abgewetzten braunen Stoff.

Dann schwiegen sie wieder, lauschten dem Fauchen des Windes in den Schornsteinen und dem Klappern der Fensterläden, die der Sturm abzureißen drohte. In der Ferne erklang dumpfes Donnergrollen.

»Soll ich Feuer machen?« Edward sah sie fragend an, und als sie mit den Schultern zuckte, sprang er sogleich auf. »Normalerweise kehre ich den Kamin morgens aus und mache alles für den Abend bereit, jetzt wo die Nächte kälter werden«, erklärte er und nahm ein paar Scheite aus einem Korb neben dem Kamin.

Es war etwas, das ihre Großmutter hätte sagen können. Zoe beobachtete seine umsichtigen, methodischen Bewegungen, und auf einmal fand sie die Vorstellung total rührend – wie er morgens die kalte Asche vom Abend gewissenhaft auskehrte und sein kleines Feuer für den langen, dunklen Abend mit Musik und Gedichten vorbereitete. Sie fragte sich, wie er das aushielt, diese Einsamkeit. Das Zimmer schien im Halbdunkel geschrumpft zu sein, zusammengedrückt von Wänden und Decke. Das McBride-Haus war ebenfalls einsam, aber seine Abgeschiedenheit besaß wenigstens eine gewisse Erhabenheit, und seine stolze, dem offenen Meer zugewandte Erscheinung verlieh der Einsamkeit etwas Entrücktes. Dieses Cottage hingegen war nichts als düster und trist.

Sie beobachtete Edward, während er sich vorbeugte und alte Zeitungen um das Anmachholz verteilte. Bei jeder Bewegung rutschte sein Hemd hoch und entblößte eine Handbreit nackter Haut über dem Bund seiner Unterhose, straffe Muskeln zu beiden Seiten seines Rückgrats. Zoe verspürte ein Kribbeln zwischen ihren Beinen, eine vage Erinnerung an jenen schwülen, unzüchtigen Traum, der jetzt ein heißes, heftiges Verlangen in ihr auslöste. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie das Gesicht ihres Traumliebhabers zu erkennen, doch als sie versuchte, es vor ihrem inneren Auge erstehen zu lassen, verschwand es wieder in den Schatten. Sie presste die Schenkel zusammen und umklammerte ihren Becher fester.

»Warum bist du wirklich hergekommen?«, hakte sie nach und merkte gar nicht, dass sie wie selbstverständlich zum vertraulichen Du übergegangen war.

Er kommentierte es nicht, wippte auf den Fersen und wandte ihr sein offenes und unglaublich junges Gesicht zu.

»Ich habe mich von jemandem getrennt. Eigentlich wollte ich ein paar Jahre in Oxford bleiben, bis sie ihren Doktor gemacht hat … Na ja. Sie hat jemand anderen kennengelernt.« Er drehte die Streichholzschachtel zwischen den Fingern. »Daher wollte ich einfach möglichst weit weg. Und als ich die Anzeige für diese Stelle gesehen habe und mich bewarb, dachte ich nicht, dass sie mich nehmen würden. Ich hatte ja eben erst meinen Abschluss gemacht. Wider Erwarten nahmen sie mich. Vermutlich haben die Bewerber ihnen nicht gerade die Türen eingerannt. Ein Ort wie dieser ist nichts für jedermann, nehme ich an.«

»Und für dich?«

»Im Augenblick ist es okay. Allerdings würde ich hier keine Wurzeln schlagen wollen.«

Er starrte in den Kamin und stieß einen langen Seufzer aus. Erneut senkte sich Stille über das Zimmer. Nichts als das Knacken und Knistern des Feuers, das er zum Brennen gebracht hatte, war zu hören. Wärme und der Geruch nach verbranntem Holz erfüllte das Zimmer. Zufrieden lehnte er sich im Schneidersitz zurück und richtete den Blick auf sie.

»Und was ist mit dir?«

»Was soll mit mir sein?«

Ihre Worte klangen schroffer als beabsichtigt, als würde sie sich so eine Frage verbitten.

»Warum bist du auf diese einsame Insel gekommen?«

Sie überlegte. Wie viel sollte sie von sich preisgeben? Konnte sie ihm alles sagen, was im vergangenen Jahr passiert war? Konnte sie den dünnen Faden der Ereignisse, die sie an diesen Ort geführt hatten, abspulen? Wie viel davon würde dieser dunkeläugige, ernste Junge verstehen? Der Drang, ihr Herz auszuschütten, wurde übermächtig, und sie war schon drauf und dran, sich alles von der Seele zu reden, als sie eine Kehrtwende vollzog und sich im letzten Moment aus der Gefahrenzone brachte.

»Ich wollte etwas Ruhe«, erklärte sie lahm. »Einen Ort zum Malen.«

»Dafür bist du ganz schön weit gereist.« Edward schlang die Arme um seine Knie. In seinen Worten lag keine Kritik, kein Urteil, eher eine halbe Frage. Als Zoe keine weiteren Erklärungen abgab, fügte er hinzu: »Und hast du einen Partner?«

Der Feuerschein spiegelte sich in seiner Brille, sodass sie seine Augen nicht klar erkennen konnte. Sie zögerte mit der Antwort – nicht weil sie ihre Privatsphäre schützen wollte, sondern weil sie nicht mehr sicher war, was sie sagen sollte.

»Ich hatte einen«, murmelte sie nach einer Weile, den Blick auf das flackernde Feuer gerichtet.

Edward nickte, als würde er es verstehen.

»Dann hatte der Professor also recht«, meinte er. »Wir laufen letztlich alle weg.«

Zoe sah kurz zu ihm hoch mit einem angedeuteten Lächeln, schlang die Arme um ihren Oberkörper und zog die Knie an. Edward nahm ihren Becher vom Boden.

»Willst du noch einen Tee? Oder …« Fast schüchtern sah er sie an. »Ich habe irgendwo eine Flasche Wein, wenn dir das lieber ist?«

Was nun, überlegte sie. Irgendwie fühlte sie sich unbehaglich, weil sie seine Motive nicht durchschaute. Wenn ein Mann ihres Alters denselben Vorschlag gemacht hätte, wäre das vermutlich okay für sie gewesen – was Edward hingegen in ihr sah und von ihr wollte, war ihr schleierhaft. War er einfach freundlich zu einer Fremden? Brauchte er jemanden zum Reden und wäre entsetzt von der Vorstellung, dass sie es anders auffassen könnte?

Eine Frau, die altersmäßig seiner Mutter näher stand als ihm.

Sie wandte den Blick zum Fenster: Der Himmel hatte die Farbe von nassem Schiefer angenommen, und der Regen trommelte weiter unablässig gegen die Scheiben. Ausgeschlossen, dass sie jetzt mit dem Fahrrad zurückfuhr. Ein Teil von ihr wollte nichts lieber als bleiben, einen Wein trinken mit diesem hübschen Jungen, die Wirkung des Alkohols spüren: die träge Schwere in ihren Gliedern und die sorglose Leichtigkeit in ihrem Kopf. Wie gern würde sie einen Abend lang so tun, als wäre sie wieder so jung wie er – trinken und rauchen, Musik hören und bis in die frühen Morgenstunden auf dem Boden sitzen. Sich dann an ihn kuscheln, nur zur Gesellschaft, um die Wärme eines anderen Körpers zu spüren und zu wissen, dass sie noch immer begehrenswert war.

Zoe schloss die Augen, kniff sich in den Nasenrücken. Genau das war die Situation, die sie unbedingt hatte vermeiden wollen. Wenn sie jetzt nicht aufpasste, würde sie irgendwann anfangen zu reden und alles aus sich herauslassen – alles, was sie so mühsam unterdrückt hatte. Ein geduldiger Zuhörer wie er könnte die Schleusen öffnen. Er hatte so eine stille Art, die Vertrauen schuf, seine Schüler himmelten ihn bestimmt an, Caleb jedenfalls würde es tun.

Sie verscheuchte die Gedanken, bevor sie sich verfestigen konnten. Außerdem verspürte sie allmählich einen seltsamen Drang, zum Haus zurückzukehren – es war, als würde es sie rufen.

»Fürs Erste kannst du sowieso nicht mit dem Fahrrad fahren«, redete er ihr zu. »Später fahre ich dich zurück, nach einem oder zwei Glas ist das kein Problem.«

»Nein!«

Das Wort entfuhr ihr unvermittelt, hart und schnell wie ein Schuss und hallte von den Wänden wider. Edward starrte sie entgeistert an. Sie atmete tief durch, war erschrocken über sich selbst und sah ihn betreten an.

»Sorry, ich meinte bloß, du solltest gar nichts trinken, wenn du fährst«, sagte sie und merkte, dass ihr bei dieser Lüge die Röte ins Gesicht stieg. »Man kann nie wissen bei diesem Wetter …«

Sie brach ab, weil sie mit ihm redete wie mit ihrem Sohn. Edward schien es nicht zu stören.

»Nein, du hast recht. Woanders würde ich das nie tun, aber es ist verführerisch, wenn man weiß, dass man hier nicht angehalten wird. Wie wär’s denn mit noch mehr Tee?«

Als sie schwieg, wechselte er das Thema, versuchte sie auf diese Weise zum Bleiben zu bewegen. So schien es ihr zumindest.

»Ich habe dir noch gar nicht erzählt, was letztes Jahr passiert ist.«

Ihre Kopfhaut begann zu kribbeln. Inzwischen war sie sich nicht mehr sicher, ob sie mehr von diesen Geschichten hören wollte. Charles hatte recht: Alles würde eine andere Gestalt annehmen, wenn sie allein im Haus war, und sich nicht mehr aus ihrem Gedächtnis löschen lassen. Etwas nicht zu wissen, konnte auch ein Segen sein. Dennoch nickte sie und folgte ihm mit seinen Blicken, als er auf Socken in die Küche schlurfte, um Teewasser aufzusetzen.

»Ein Kind ist im McBride-Haus verschwunden«, begann er, als er zurückkam.

Dann schwieg er erst mal, reichte ihr einen Becher und machte es sich auf dem Boden in der Nähe des Kamins bequem, den Rücken gegen das Sofa gelehnt. Sein Kopf war so nah, dass Zoe ihm übers Haar hätte streichen können. Einen Moment lang geriet sie in Versuchung, doch dann steckte sie ihre freie Hand fest unter ihren Schenkel.

»Verschwunden?« Ihre Stimme klang seltsam schrill. »Wie denn das?«

»Das weiß man nicht so genau.« Er trank ein paar Schlucke von dem heißen Tee. »Es ist etwas über ein Jahr her, passierte Ende August. Mick hatte ein paar Monate zuvor mit der Renovierung begonnen, und das Haus war eine einzige Baustelle. Gerade dadurch war das Haus wieder ins Gerede gekommen, und zwei Dorfjungen, die die alten Geschichten aufgeschnappt hatten, beschlossen, eine Nacht dort draußen zu verbringen und auf Geisterjagd zu gehen. Als Mutprobe sozusagen. Einer von ihnen ist nicht zurückgekehrt.«

Zoe war so entsetzt, dass die feinen Härchen auf ihren Armen sich aufstellten.

»Mein Gott. Was ist passiert?«

»Robbie Logan zufolge – das ist der Junge, der überlebt hat, Annags Bruder übrigens –, haben sie sich anfangs gemeinsam am Strand versteckt. Aber dann verließ Robbie der Mut, und er weigerte sich, das Haus zu betreten. Er blieb also unten bei den Felsen, während Iain Finlay, der andere Junge, allein losmarschierte.« Edward legte eine wirkungsvolle Pause ein, bevor er weitersprach. »Robbie sagte, er habe Iain schreien gehört und ihn weglaufen sehen, hoch zu den Klippen. Allerdings ist fraglich, ob er das in der Dunkelheit deutlich erkennen konnte, zumal er sich selbst unten in den Felsen zusammengekauert hatte.«

»Und der andere Junge ist von den Klippen gestürzt?«

»Das vermutet man. Wenn er zur Landspitze hochgelaufen ist, weg von dem Haus, könnte er im Dunkeln leicht den Halt verloren haben. Dort geht es zwanzig Meter tief hinunter, und bei Flut reicht das Wasser bis an die Felsen. Die Polizei jedenfalls war der Meinung, dass der Körper von den Wellen ins Meer gespült wurde.«

»Und Robbie: Hat er wirklich keine Ahnung, was in dem Haus geschehen ist?«

Edward schüttelte den Kopf. »Anscheinend nicht. Obwohl …«, er zögerte, rieb sich mit dem Daumen übers Kinn, »darüber gab es viel Gerede. Wie viel Robbie wusste.«

»O Gott. Das kann ich mir denken.«

»Die Polizei hatte große Schwierigkeiten, überhaupt etwas aus ihm herauszukriegen. Die Familie bekam eine Sozialarbeiterin zur psychologischen Betreuung zugewiesen – sie hat mir das alles erzählt, als ich an der Schule anfing. Robbie tauchte erst am nächsten Morgen zu Hause auf – er war die ganze Nacht umhergestreift, draußen im Moorland, sagte er. Er sprach kaum, und wenn, erzählte er lediglich die immer gleiche Version. Die Sozialarbeiterin schien der Ansicht zu sein, dass er traumatisiert war …« Er hob zum Zeichen des Zweifels seine Hände.

»Nicht alle haben ihm geglaubt, stimmt’s?«

»Er war zwar erst zehn, doch ein kräftiger Bursche und dafür bekannt, dass er andere gerne schikanierte. Die jüngeren Kinder hatten regelrecht Angst vor ihm. Deshalb haben ihm die Leute nicht wirklich abgenommen, dass ausgerechnet er sich unten am Strand versteckt hat. Außerdem heißt es, dass Iain, körperlich wie mental der Schwächere, immer getan habe, was Robbie ihm anschaffte.«

»Warum haben die Eltern eigentlich nicht Alarm geschlagen?«, wollte Zoe wissen. »Wie konnte es ihnen verborgen bleiben, dass ihre Kinder die ganze Nacht weg waren?«

»Offenbar haben sich die Jungs aus dem Haus geschlichen, nachdem alle anderen zu Bett gegangen waren. Bei Robbie ist es sowieso kein Wunder – seine Mutter ist tot, sein Vater ist als Lastwagenfahrer ständig unterwegs, hatte damals gerade eine Fuhre aufs Festland. Und seine Schwester hat erst am Morgen bemerkt, dass er nicht da war.«

»Das heißt, die Leute glauben insgeheim, dass er seinen Freund über die Klippe gestoßen hat?«

»Gar nicht nur insgeheim. Offenbar ging selbst die Polizei eine Zeit lang von einem Streit zwischen den Jungen aus, fand indes keinerlei Beweise. Trotzdem wirkt die Sache nach: Iains Familie ist bald danach weggezogen, und ein paar andere haben ihre Kinder aus der Dorfschule genommen. Ehrlich gesagt, glaube ich sogar, dass diese Geschichte der alten Lehrerin den Rest gegeben hat – dass sie die Vorstellung nicht verkraftet hat, einer ihrer Schüler könnte ein Mörder sein.« Er beugte sich vor und schürte das Feuer so heftig, dass die Funken stoben. »Andererseits glauben mindestens genauso viele Leute im Dorf, dass der Fluch des McBride-Hauses an Iains Verschwinden schuld ist. Ein verschwundener Junge am Schauplatz eines berühmten Kindermords, das war ein gefundenes Fressen für die schottischen Boulevardzeitungen – und damit war die alte Geschichte zum Ärger der Inselbewohner wieder in aller Munde.«

»Gott. Jetzt begreife ich, warum Mick so empfindlich ist«, meinte sie gedehnt und verfiel in ein gedankenverlorenes Schweigen.

»Er war so froh, dass du nichts davon gehört hattest, und ich hätte dir diese schreckliche Geschichte auch gar nicht erzählen sollen. Selbst wenn du an das alles nicht glaubst, ist es dennoch …« Verunsichert brach er ab.

»Was meinst du mit das alles?«

»Na ja. Geister. Flüche.«

Sie lachte zum Zeichen, dass sie darüberstand, aber es klang zu laut und gewollt. »Ich habe nichts gegen eine Geistergeschichte. Es sind die Lebenden, vor denen man sich fürchten muss.« Sie brach ab, als sie seine Miene sah, hoffte, dass sie nicht paranoid klang. »Ich meine, wenn man die Nachrichten sieht und erfährt, was alles so passiert in der Welt …«

Er nickte. »Stimmt. Es gibt in der Tat genug Böses auf der Welt, ohne dass man sich zusätzlich etwas ausdenken muss. Wie auch immer, ich hoffe jedenfalls, es wird dich nicht vertreiben«, fügte er hinzu und sah sie fragend an.

Erneut hatte sie das Gefühl, eine merkwürdige Schwingung wahrzunehmen – ein Signal, das sie angesichts ihres Altersunterschieds als unpassend empfand. Eine reife Amerikanerin, die sich mit einem jungen Mann vergnügte. Das fehlte gerade noch in einem Kaff, in dem die Gerüchteküche Hochkonjunktur hatte.

»Es bräuchte schon etwas wirklich Grauenhaftes, um mich in die Flucht zu schlagen«, entgegnete sie bewusst cool, um die Sache sodann noch ins Lächerliche zu ziehen. »Zum Beispiel einen verstopften Abfluss.«

Jetzt war sein Lachen irgendwie gezwungen. Als wäre er nicht sicher, ob sie ihm gerade eine Abfuhr erteilt hatte. Das Gespräch schien versiegt zu sein, ein anderes, persönliches Thema anzusprechen, schien ihr nicht ratsam. Zu neugierig, zu verfänglich. Und so saßen sie schweigend da, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Bis ihr Blick auf den Geigenkasten fiel.

»Dieses Lied, das du gestern Abend gespielt hast, das so beschwörend war …, wie hieß das?«

»Sie sind alle beschwörend.« Er wandte sich mit einem Lächeln zu ihr um, offenbar froh, dass das Schweigen gebrochen war. »Das ist die Spezialität der Gegend. Irgendwelche anderen Anhaltspunkte?«

»Es war genau vor der Pause, bevor wir auf eine Zigarette in den Hof gegangen sind.«

»Ach, du meinst Ailein Duinn?« Er summte ein paar Takte, und sie nickte zustimmend. »Ja, das geht den Leuten jedes Mal nahe. Vor allem die Art, wie Kaye es singt. Es ist eine Wehklage um einen Schiffskapitän, der ertrank, und wurde angeblich von seiner Verlobten komponiert. Sie verlor schließlich vor lauter Trauer den Verstand und ertränkte sich ein paar Monate später. So berichtet es jedenfalls die Legende. Der Text ist echt ein bisschen schaurig.«

Er zögerte, als wollte er sie vor weiteren unangenehmen Geschichten bewahren.

»Erzähl ihn mir.«

»Sie wendet sich an ihren Verlobten, den braunhaarigen Alan, und singt davon, dass sie gerne mit ihm ins Meer gehen und sogar das Blut seines Herzens trinken würde, wenngleich alle das verabscheuen.«

Zoe versuchte sich zu erinnern, wie es sich anfühlte, eine solch verzweifelte Leidenschaft für jemanden zu empfinden, dass man ihm bereitwillig in den Tod folgt. In der ersten Zeit war sie hemmungslos verliebt in Dan gewesen – oder glaubte es zu sein, was vielleicht auf dasselbe hinauslief, doch wenn sie sich an das Gefühl zu erinnern versuchte, war es, als würde sie an einen Film denken, den sie vor langer Zeit gesehen hatte. Irgendwann hatte es nur noch Caleb gegeben.

Ich könnte dich auffressen vor Liebe, hatte sie ihm als kleinem Jungen zugeflüstert, wenn sie ihn nach dem Baden sauber und nach Puder riechend in die Arme genommen und spielerisch an seiner weichen Haut geknabbert hatte, bis er vor Vergnügen kreischte. Manchmal spürte sie nach wie vor dieses Verlangen, ihn an sich zu drücken, aber inzwischen schob er sie weg.

»Die älteren Leute können dieses Lied nicht oft genug hören«, fuhr Edward fort. »Wir müssen es jedes Mal spielen. Ich nehme an, weil die Menschen auf der Insel noch wissen, wie es ist, jemanden ans Meer zu verlieren.«

Es klang wie die Geschichte von Ailsa McBride, dachte Zoe. Hatte sie ebenfalls vor Trauer um ihren ertrunkenen Ehemann den Verstand verloren und war ihm ins Meer gefolgt? Nachdem sie ihren Sohn getötet hatte, den sie aus irgendeinem irrigen mütterlichen Instinkt heraus nicht allein lassen wollte? Allerdings setzte das voraus, dass Ailsa tatsächlich verrückt und ihr Wahnsinn mehr gewesen war als ein gehässiges Geschwätz. Zu gerne wüsste sie, was tatsächlich vor so vielen Jahren mit Ailsa und ihrem Sohn passiert war.

»Würdest du es für mich spielen?«

»Jetzt?«

Sie deutete zum Himmel. »Bevor ich gehe.«

Offensichtlich behagte ihm ihre Bitte nicht. »Ich kann es nicht singen, weißt du«, wand er sich. »Es ist irgendwie nicht dasselbe ohne Kaye.«

»Dann eben bloß die Musik.«

Sie lächelte ihn aufmunternd an, und nach einem Moment des Zögerns sprang er mit einer einzigen federnden Bewegung vom Boden auf. Griff nach der Geige, stimmte sie und zupfte jede Saite, den Kopf seitlich geneigt, als würde er auf Echos lauschen, die allein er zu hören vermochte.

Während sie ihn beobachtete, fragte Zoe sich, was der Grund für ihre Bitte war. Was bezweckte sie damit, ein so trauriges Lied, das an eine noch traurigere Begebenheit erinnerte, erneut hören zu wollen? Am Ende würde es ihr zusammen mit den Schauergeschichten, die sich um das Haus rankten, nur den Schlaf rauben. Oder bildete sie sich etwa ein, sich von all ihren unheimlichen Assoziationen und Ahnungen dadurch befreien zu können, indem sie sich bewies, dass es einfach ein Lied wie andere war und es keinerlei Verbindungen zwischen den verschiedenen Geschichten gab.

Doch sobald er die ersten Takte anstimmte, wurde ihr bewusst, dass sie einen Fehler begangen hatte.

Dämmerung senkte sich unversehens über das Zimmer, die letzten Streifen Licht verschwanden am Himmel, wurden verdeckt von schnell dahinziehenden Wolken. Die schwermütigen Klänge der Geige schwebten in der Luft. Zu ihrem Erstaunen fielen ihr sogar Bruchstücke des gälischen Textes ein, obwohl sie diese uralte Sprache weder kannte noch verstand.

Ein merkwürdiger Druck begann sich in ihr aufzubauen. Das Lied füllte sie so vollständig aus, dass es keinen Raum ließ für andere Worte, für andere Gedanken. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und eine gewaltige Welle der Trauer schwappte über sie hinweg, nahm an zerstörerischer Kraft zu wie eine schwarze Wasserwand, die alles unter sich zu begraben drohte und alles Leben erstickte.

Sie musste hier weg, musste der Musik entkommen, bevor sie gänzlich in sie hineingezogen wurde und sich verlor.

Mit einer einzigen gewaltigen Willensanstrengung sprang Zoe vom Sofa auf und stürzte aus dem Zimmer, schnappte sich auf dem Weg nach draußen ihre Jacke und kämpfte im Flur mit ihrem Fahrrad, versuchte es rückwärts durch die Tür zu ziehen. Mit bestürztem Gesicht, den Bogen noch in der Hand, folgte Edward ihr.

»Was hast du denn? Was ist los?«

Verwirrt und ratlos schüttelte sie den Kopf, in dem nach wie vor die Musik widerhallte, sehnsuchtsvoll und wehmütig. Sie wollte nichts als weg von hier, als könnte sie dadurch die Stimmen und Töne in ihrem Kopf zum Schweigen bringen.

Vergeblich versuchte er sie zurückzuhalten, sie missachtete seine Proteste, seine Warnungen wegen des Wetters und der Dunkelheit, stolperte mit ihrem Fahrrad nach draußen, schwang sich in den Sattel und fuhr den Dorfanger hinunter. Die Plastiktüte mit ihren Einkäufen schlug hart gegen ihr Schienbein, der Wind peitschte ihr die Haare in die Augen und zerrte an ihrer offenen Jacke.

Etwa eine Meile hinter dem Dorf wurde sie langsamer, denn es ging jetzt bergauf. Erschwerend kam hinzu, dass das Tageslicht inzwischen fast völlig verschwunden war – dabei war es nicht später als vier. Straßenlaternen gab es außerhalb des Ortes keine. Erschöpft stieg sie ab, um wieder zu Atem zu kommen und das Pochen in ihren Schläfen zu beruhigen.

Fluchend, weil sie in der Eile ihren Schal vergessen hatte, schloss sie die Jacke bis zum Hals und sah sich um. Noch hoben sich die Rücken der Hügel dunkler vor dem Himmel ab, bald würden sie mit ihm verschmelzen. Die Straße hingegen war bereits jetzt kaum noch zu erkennen, sodass sie sich auf die schwache Fahrradbeleuchtung verlassen musste. In dieser Situation bedauerte sie entgegen ihren bisherigen Beteuerungen, dass es hier keinen Handyempfang gab. Wie gerne hätte sie Mick angerufen und ihn gebeten, mit dem Landrover zu kommen und sie abzuholen.

Aber es half nichts. Sie hatte diese Abgeschiedenheit gewollt und musste jetzt damit klarkommen.

Das Haus war keine fünf Meilen entfernt, und zumindest ein schwacher heller Schimmer zeigte sich noch am Horizont. Und soweit sie sich erinnerte, verlief die Straße geradewegs bis zur Bucht. Was sollte da problematisch sein? Entschlossen stieg Zoe wieder auf ihr Rad und trat in die Pedale.

Als sie die Kuppe des Hügels erklommen hatte, überkam sie ein unbeschreibliches Triumphgefühl, das jedoch sogleich wieder verschwand, als die die Straßengabelung sah. Die musste ihr gestern völlig entgangen sein, und keine der Abzweigungen war beschildert. Was nun? Unentschlossen schaute Zoe sich um. Die Straße, die nach links abbog, war schmaler, weniger befahren, während die Abzweigung nach halbrechts eher wie eine Fortsetzung der Hauptstraße wirkte. Sie musste sich entscheiden – darauf zu hoffen, dass jemand vorbeikam, den sie hätte fragen können, war illusorisch.

Zoe wandte sich nach rechts.

Inzwischen fiel wieder leichter Regen, schlug ihr feucht ins Gesicht und lief in den Kragen ihrer Jacke. Ihre Finger, die die glitschigen Gummigriffe der Lenkstange umklammerten, wurden allmählich taub. Fünfzehn Minuten lang ging es durch eine eintönige Hügellandschaft, Heide und Moor, dazwischen das blasse Band der Straße, gesäumt von gelegentlichen Felsbrocken. Die Meilen schienen sich endlos zu dehnen, und schon war sie versucht, gegen besseres Wissen auszuprobieren, ob sich nicht eine Handyverbindung herstellen ließ, als sie ein Stück vor sich eine Gestalt erspähte, die mit festen Schritten am linken Straßenrand in die gleiche Richtung wie sie marschierte.

Im ersten Moment verkrampfte sich ihr Herz vor Angst, dann sah sie genauer hin und glaubte zu erkennen, dass es sich um eine in einen langen Mantel oder Umhang gehüllte Frau handelte. Vermutlich eine dieser hartgesottenen Kleinbäuerinnen, die trotz des Regens unterwegs war, um Torf zu sammeln oder was immer die Leute hier oben taten.

»Hallo!«, rief sie, ohne dass eine Reaktion erfolgte. Entweder war sie zu weit entfernt, oder der Wind war zu laut. Also verdoppelte Zoe ihre Anstrengungen und trat mit aller Kraft in die Pedale. Hoffte dabei, dass die Weinflasche in der Einkaufstüte, die ihr bei jeder Bewegung gegen die Beine schlug, nicht zu Bruch ging.

Nach einer Weile rief sie erneut. Wieder vergeblich. Die Gestalt wandte sich nicht einmal um und verschwand hinter der Kuppe.

Zoe nahm es gelassen. Auf der abschüssigen Strecke würde sie sie locker einholen, wenngleich diese sonderbare Frau ungewöhnlich schnell zu laufen schien. Aber als sie die Steigung bewältigt hatte und nach unten blickte, war die Straße leer. Sosehr sie ihre Augen auch anstrengte, entdeckte sie nichts als Moor und Heide und im Hintergrund den Kamm der höheren Hügel.

Sie rief ein drittes Mal, ohne dass sie eine Antwort erhielt. So langsam wurde ihr die Sache unheimlich. Sie konnte sich das schließlich nicht eingebildet haben, völlig unmöglich. Die Frau war vielleicht fünfzig, sechzig Meter entfernt gewesen. Irrtum ausgeschlossen. Und in Luft löste sich ebenfalls niemand auf. Die einzig plausible Erklärung wäre, dass die Frau einen Weg abseits der Straße eingeschlagen hatte. Wobei sie ihr Rufen eigentlich trotzdem hätte hören müssen.

Es ergab alles keinen Sinn.

Der Regen nahm zu, drang in ihre Kleidung, durchnässte sie. Ein modriger Geruch stieg von der schweren, sumpfigen Erde auf. Zoe versuchte zu überlegen – das Schlimmste, was sie tun konnte, war, hier Zeit zu verschwenden und über Probleme nachzugrübeln, die sie im Augenblick nicht ändern konnte. Wenn Dan sie jetzt sähe, würde er sich vollkommen bestätigt fühlen in seiner düsteren Prophezeiung, dass sie alleine gar nicht zurechtkommen werde. Allerdings begriff sie mittlerweile, dass es ein Teil seiner Strategie war, ihr den Schneid abzukaufen und sie in einer für ihn bequemen Unselbstständigkeit zu halten. Ohne Caleb hätte sie sich bestimmt viel früher von ihm gelöst. Doch stimmte das wirklich, oder war es eine bloße Schutzbehauptung? Inzwischen war sie sich da nicht mehr sicher.

Heiße Tränen des Selbstmitleids brannten in ihren Augen, die sie mit dem Handrücken wegwischte. Sie war nass, ihr war kalt, und sie spürte ihre Hände und Füße nicht mehr. Und noch immer lag eine gute Strecke vor ihr. Ihr blieb keine andere Wahl, als weiterzufahren.

Nachdem sie die Frau aus den Augen verloren hatte, klammerte sie sich an die schwache Hoffnung, irgendwo auf eine menschliche Behausung zu stoßen. Irgendwohin musste die einsame Wanderin ja unterwegs gewesen sein. Gerade wollte sie verzagt wieder losradeln, als sie in der Ferne die Motorgeräusche eines Autos hörte und zwei verschwommene Lichtkreise sah, die durch den Wolkenbruch näher kamen.

Dann hielt der Landrover neben ihr, und Mick beugte sich zum Fenster hinaus.

»Da sind Sie ja. Großer Gott.« Er sprang heraus bei laufendem Motor und riss die Hecktür auf. »Geben Sie mir das Fahrrad und steigen Sie ein«, forderte er sie schroff auf.

Sie nahm die Einkaufstüte, während er das Fahrrad auf die Ladefläche hob, und sackte erschöpft auf dem Beifahrersitz zusammen, fast kamen ihr die Tränen vor Erleichterung und Scham.

»Was zum Teufel haben Sie sich dabei gedacht?«, fuhr Mick sie an und knallte die Tür zu. »Sie kennen die Straße nicht und riskieren es, sich den Hals zu brechen. Oder sich eine Lungenentzündung zu holen, eines von beidem. Warum haben Sie mich nicht angerufen?«

»Ich wollte Ihnen keine Umstände machen.«

»Es macht keine Umstände, hab ich Ihnen das nicht deutlich gesagt? Weniger jedenfalls, als wenn Sie die ganze Nacht schwer verletzt im Straßengraben liegen.« Er atmete schwer, war sichtlich aufgebracht. »Sie hatten verdammtes Glück, dass Ed mich angerufen hat. Er sagte, Sie seien ganz allein losgestürmt und«, er hielt kurz inne, »ein bisschen durcheinander gewesen.«

»Mit mir ist alles in Ordnung. Ich hatte es eben eilig, nach Hause zu kommen bei dem Wetter«, wehrte Zoe sich leicht ungehalten.

Schließlich hatte sie nicht den Atlantik überquert, um sich hier ebenfalls von irgendwelchen Kerlen bevormunden zu lassen. Mick musste kapieren, dass sie erwachsen genug war, sich um sich selbst zu kümmern. Er war für das Haus verantwortlich, für mehr nicht. Und für Edward galt das Gleiche. Wie kam er überhaupt dazu, ihr Mick hinterherzuschicken? Und wenn er schon besorgt war, warum war er dann nicht selbst gekommen?

Sie merkte, dass sie ungerecht war, denn im Grunde ihres Herzens war sie gottsfroh über Micks Auftauchen.

»Ich dachte nicht, dass es so schnell dunkel werden würde«, fügte sie entschuldigend hinzu.

»Ja, na klar.« Mick umklammerte das Lenkrad mit beiden Händen. »Die meisten Stadtleute sind das nicht gewohnt. Sie glauben zu wissen, wie die Nacht aussieht, und denken nicht daran, dass hier alles völlig anders ist. Unwetter ohne jede Vorwarnung. Manchmal binnen Minuten.«

»Das sehe ich. Ich dachte, ich würde genug Zeit haben, bevor es ganz schlimm wird.«

Er lachte trocken auf und wies mit einer Handbewegung durch die Windschutzscheibe auf das undurchsichtige Dunkel dahinter.

»Ich sag’s Ihnen ja ungern, aber Sie waren zu allem Überfluss auf der falschen Straße unterwegs. An der Abzweigung links wäre richtig gewesen – so hätten Sie auf der Küstenstraße in einer Schleife zurückfahren müssen, und das wäre in der Dunkelheit nicht empfehlenswert gewesen.«

»Scheiße. Ich bin ein Idiot.« Sie presste eine Hand an die Stirn. »Es tut mir so leid, Mick, wirklich. Wie lange hätte ich überhaupt gebraucht, wenn ich hier weitergefahren wäre?«

»Sie wären gar nicht angekommen, diese Strecke ist viel zu lang, und es gibt kein einziges Haus. Sie wären vermutlich erfroren«, sagte er widerwillig besänftigt.

»Komisch, ich habe eine Frau ein Stück vor mir gesehen. Deshalb dachte ich, es gebe ein Cottage.«

Sein Kopf fuhr herum. »Eine Frau? Hier draußen?«

»Ich habe sie aus den Augen verloren – vermutlich ist sie von der Straße abgebogen. Ich habe ihr etwas zugerufen, doch sie hat mich nicht gehört.«

Mick starrte sie sichtlich verwirrt an. »Ich kann mir nicht vorstellen, wer das sein sollte. Oben in den Hügeln gibt es ein paar alte Schutzhütten – vielleicht haben Sie einen der Schäfer gesehen.«

»Möglich«, räumte sie ein. »Die Person trug einen langen Mantel mit einer Kapuze.«

Im Nachhinein vermochte sie nicht zu sagen, warum sie so sicher gewesen war, dass es sich um eine Frau handelte, zumal sie ihr nie wirklich nahe gekommen war.

»Am besten bringe ich Sie jetzt nach Hause«, beendete Mick das Thema, löste die Handbremse und fuhr los.

Erneut lehnte sie sein Angebot, für sie Feuer zu machen, den Herd in Gang zu bringen und ihr eine Tasse Tee aufzugießen, freundlich und dennoch entschieden ab.

»Na ja, wenn Sie sicher sind, dass Sie zurechtkommen«, meinte er, knetete die Hände und zögerte es immer wieder hinaus zu gehen.

Er ließ sich erst hinauskomplimentieren, nachdem sie ihm versprochen hatte, morgen seinen Freund wegen des Mietwagens aufzusuchen.

Ohne das Licht in der Diele einzuschalten und ohne die nassen Klamotten auszuziehen, nahm sie das Telefon von seinem Konsolentisch und rief zu Hause an. Ihre Finger waren nach wie vor so taub, dass sie sich zweimal verwählte, bis Tausende Meilen entfernt das Freizeichen ertönte. Sie stellte sich vor, wie jetzt das Telefon zu Hause in ihrer Küche klingelte, und heiße Tränen rannen ihr über die Wangen. Dann Dans Stimme, so nah und vertraut in ihrem Ohr, doch es war lediglich der Anrufbeantworter: Wir sind im Moment nicht zu Hause, bitte hinterlassen Sie eine Nachricht, danke!

Nach dem Signalton legte sie schweigend auf. Sie könnte versuchen, ihn auf seinem Handy zu erreichen, überlegte sie, bezweifelte aber, dass er dort abnahm. Außerdem wusste sie nicht, was für eine Nachricht sie hinterlassen sollte. Es gab zu viel zu sagen oder gar nichts.

Unschlüssig blieb sie in der dunklen Diele stehen, die Hand noch auf dem Hörer, und hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte. Plötzlich spürte sie voller Entsetzen, dass sie nicht allein war. Da war wieder dieses Wesen, das sie in der Nacht zuvor wahrgenommen hatte, ohne zu wissen, um wen oder was es sich handelte. Jedenfalls wurde sie beobachtet, und zwar nicht wohlwollend. Eine Gänsehaut lief ihr über den Körper. Sie spannte sich an, fürchtete sich davor, erneut dieses Kratzen zu hören, doch diesmal war nichts zu vernehmen bis auf ihren eigenen Atem, das Ticken der Uhr und das gleichmäßige Tropfen des Wassers von ihrer Jacke.

Trotzdem, irgendjemand war da.

Sie meinte sogar den Hauch eines fremden Atems zu spüren, der sich ihrem Rhythmus anzupassen schien. Ihre Gliedmaßen fühlten sich mit einem Mal bleischwer an, sie wagte es nicht, den Kopf zu drehen, und wusste zugleich, dass sie es tun musste. Aber ein Anfall puren Entsetzens lähmte sie bei dem Gedanken, dass das Grauen unmittelbar bevorstand. Und bloß unter Aufbietung all ihrer Willenskraft schaffte sie es, einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich auf den Lichtschalter zuzubewegen, obwohl sie jetzt dicht an ihrem Nacken wieder das gleiche Geräusch vernahm wie am Abend zuvor, halb Schluchzen, halb Gelächter.

Und bevor das Licht aufflammte und die Diele erhellte, nahm sie für den Bruchteil einer Sekunde ein blasses Gesicht im Fenster wahr.

Panisch schrie Zoe auf, bis sich ihr Gehirn einschaltete und ihr sagte, dass es sich um ihr eigenes Spiegelbild handelte. Das Haus war so leer, wie sie es zurückgelassen hatte.