2001–2005: KATHARINA
NOCH EIN KIND

Nach der Hochzeit wurde gänzlich umgebaut, da die Familie im Erdgeschoß nicht mehr genug Platz hatte. Die leer stehende Mühle baute Arthur um und errichtete darin eine zweistöckige Wohnung mit eigenem Eingang für sich, sodass Julius, Katharina und die drei Kinder den ersten Stock des Hauses dazubekamen. Aus den zwei bisher getrennten Wohnungen wurde eine große gemacht.

Arthur finanzierte den Umbau alleine, Katharina merkte, dass Julius darunter litt, er war gereizt und angespannt. Als Leonora mit vier Jahren in den Kindergarten kam, suchte sie sofort nach einer Arbeit, sie wollte Geld verdienen, um das Familienbudget aufzubessern.

»Ich muss mir eine Ganztagesstelle suchen«, sagte sie zu Arthur, »wir brauchen einfach das Geld.«

»Tu das«, sagte Arthur, »das wird dir bestimmt guttun. Ich brauche bald niemanden mehr im Büro.«

»Aber warum denn? Ich kann dir am Wochenende oder am Abend die Rechnungen tippen«, meinte Katharina.

»Ich werde nächstes Jahr fünfundsechzig und will in Pension gehen«, sagte Arthur und Katharina betrachtete ihn überrascht, sie konnte sich ihren Schwiegervater ohne seine Arbeit kaum vorstellen. Seit sie in der Bergmühle wohnte, kannte sie Arthur nicht anders als in seinem Büro über seinen Plänen sitzend oder mit seinen Kunden vor dem Haus Kaffee trinkend und Ideen diskutierend oder zu seinem Auto eilend, weil er dringend auf eine Baustelle musste und schon zu spät dran war. Er wirkte immer noch jung und voller Energie auf sie.

»Dann machen wir einen Tausch«, lachte er, »du beginnst zu arbeiten und ich höre auf. Na ja, ganz werde ich nicht aufhören, ein paar kleinere Sachen möchte ich weiterhin machen. Die Kinder müssten dann nicht jeden Nachmittag im Hort und Kindergarten bleiben, weil ich ja Zeit habe. Wär das ein Deal?«

Katharina schossen Tränen in die Augen und sie umarmte Arthur.

»Vielen, vielen Dank, Arthur, das würde mir sehr helfen«, flüsterte sie.

»Ich glaube nicht, dass es nur wegen des Geldes ist. Scheint so, als wärst du endlich bereit, das sichere Nest zu verlassen«, formulierte es Doris.

Sie hatte zwei Jahre nach ihrer Tochter noch einen Sohn bekommen, doch nebenbei die Tierarztpraxis vormittags immer offen gehabt, da ihre Mutter in der Zeit auf die Kinder aufpasste.

Die Freundin hatte recht, jahrelang hatte sich Katharina gerne zu Hause verkrochen, hatte sich zu schwach, zu verletzlich gefühlt, um sich in der Arbeitswelt zu behaupten. Mit drei kleinen Kindern zu Hause, die oft krank waren, hätte sie die Kraft nicht aufgebracht, jetzt war sie bereit, mehr als bereit, die Kinder waren groß genug.

Am liebsten hätte sie in einer Werbeagentur gearbeitet, sie wollte eine kreative Arbeit machen und wusste, dass sie Talent hatte, um Werbungen jeglicher Art zu kreieren. Für einen Notar oder Rechtsanwalt Briefe und Bescheide abtippen, das wollte sie nicht.

Sie marschierte mit ihrer Bewerbungsmappe in alle Agenturen in der näheren Umgebung und stellte sich vor. Sie hatte Glück, eine davon rief sie tatsächlich nach ein paar Tagen an, sie würden eine neue Projektleiterin brauchen, Katharina konnte es kaum glauben.

Harald Hoch, der Chef, erklärte ihr, als sie den Arbeitsvertrag unterschrieben: »Ich will kein junges Ding, das dann gleich wieder in Babypause geht. Bei Ihnen scheint das Kinderkriegen abgeschlossen zu sein. Willkommen in unserem Team.«

Für Katharina begann eine anstrengende Zeit, doch sie liebte es, am Morgen schön gekleidet aus dem Haus zu gehen, ihre kleine Welt zu verlassen und in einer neuen – aufregenden – anzukommen. Der Chef persönlich schulte sie ein und er merkte von Anfang an, dass sie ein gutes Gespür nicht nur für Texte, sondern für das Gesamtkonzept einer Werbekampagne hatte. Katharina avancierte schnell zu Hochs Liebling, er nahm sie mit zu den Kunden, um die Konzepte vorzustellen, und ging mit ihr oft essen. Katharina stellte erstaunt fest, dass sie dieses Prickeln zwischen sich und ihrem Chef als angenehm empfand. Zu Hause erschien ihr alles eng und lästig und oft spürte sie Julius’ prüfenden Blick auf sich.

Und dann plötzlich verabschiedete sich das Glück wieder über Nacht: Katharina wurde ungewollt schwanger.

Als sie den positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt, drehte sich alles um sie, sie musste sich auf den Badewannenrand setzen, so schwindlig war ihr. Tagelang war sie am Boden zerstört. Sie wusste, dieses Mal würde sie das Kind nicht austragen, sie konnte einfach nicht mehr, sie hatte drei Kinder, die ihr neben der Arbeit alles abverlangten. Die Zwillinge waren zehn, Leonora war fünf Jahre alt, sie liebte ihren Mann, sie liebte ihre Arbeit, ihre Yogaabende, die Urlaube mit Doris und Andreas. Es war perfekt, so wie es war, sie würde keine Änderung zulassen, sie bestimmte über ihr Leben, auch wenn ihr der Entschluss nicht leicht fiel, sie kam sich moralisch verkommen vor, war zittrig und fahrig. In der Nacht betrachtete sie ihre schlafenden Kinder. Hatte sie ein Recht, ihnen den Bruder, die Schwester vorzuenthalten? Sie durften es nie erfahren, auch Julius nicht, sie wusste nicht, wie er reagieren würde. Nach einigen Monaten würde sie nicht mehr daran denken, hoffte sie.

Der Termin beim Arzt stand bereits fest, als Julius sie am Abend, die Kinder schliefen, in der Küche umarmte und sagte: »Du bist schwanger, nicht wahr?«

Sie zuckte dermaßen zusammen, dass an Leugnen nicht mehr zu denken war. Stammelnd gab sie es zu und Julius freute sich überschwänglich: »Das ist doch großartig, Katharina! Ein Nachzügler! Er oder sie wird der krönende Abschluss. Lass es uns gleich den Kindern und Arthur sagen.«

Katharina konnte ihn nur mit Mühe davon abhalten und schilderte ihm ihre Bedenken, die vor allem finanzieller Natur waren, sie würde wieder jahrelang keinen Gehalt nach Hause bringen. Warum reduzierte sie es auf das Geld? Das war es doch nicht, alles in ihr schrie: Ich will das nicht mehr! Jetzt bin ich an der Reihe!

»Ist das so wichtig?«, strahlte Julius, »so schlecht verdiene ich auch nicht. Du bekommst ja Kindergeld und kannst wieder ein paar Wochenstunden bei Arthur arbeiten.«

»Julius«, sagte sie eindringlich, »hör zu, ich möchte es einfach nicht mehr. Wir haben ja schon drei Kinder! Ich will nicht mehr schwanger sein und kein viertes Kind haben! Ich will keine Windeln mehr sehen, ich will –«

Er unterbrach sie, indem er ihr seinen Zeigefinger auf den Mund legte und sie dann sanft küsste. Er bat sie, mit der Entscheidung einfach ein paar Wochen abzuwarten und sie wusste, dass ein Warten in diesem Falle das Schlechteste war. Es würde wachsen, bald alle Glieder ausgebildet haben, ein richtiges Kind für sie sein.

Julius blieb weiterhin sanft und fürsorglich, verwöhnte sie, wo es nur ging, sie selbst fühlte sich zerrissen und elend, wenn sie mit ihm und den Kindern zusammen war. Im Büro wusste sie eindeutig, was sie zu tun hatte, zu Hause schämte sie sich dann dafür. Einmal besuchte er sie mit den Kindern im Büro, sie waren adrett angezogen, und offensichtlich hatte er sie vorher angewiesen, sich besonders nett und freundlich zu benehmen, sie schmolz tatsächlich dahin. Und sie erkannte seine Absicht. Kann es dir wirklich das ersetzen?, wollte er damit sagen.

Einige Tage später grinsten die Kinder beim Frühstückstisch und fragten ihre Mutter: »Was glaubst du? Wird es ein Bub oder ein Mädchen?«

Katharina tobte. Julius redete wieder beruhigend auf sie ein: »Wir sind verheiratet und haben drei Kinder, Katharina. Wir sind eine Familie! Du kannst es nicht wegmachen lassen, du würdest es für immer bereuen! Ob drei oder vier ist jetzt auch schon egal, es geht ja dann so schnell. Du wirst sehen, wupp, geht es in den Kindergarten und du kannst wieder arbeiten gehen.«

Obwohl sich in ihrem Inneren alles dagegen sträubte, ließ sich Katharina von Julius überzeugen, das Kind zu behalten. Da die ganze Familie schon von der Schwangerschaft wusste, sah sie keine andere Möglichkeit mehr, sie fühlte sich in die Enge getrieben. Schließlich musste sie es Hoch mitteilen, es war für sie wie ein Gang zum Schafott, noch nie war ihr etwas so unangenehm gewesen. Hoch schaute sie nur verwundert an und sagte kein Wort, aber Katharina kam es vor, als drückte sein Blick nicht nur maßlose Enttäuschung, sondern auch Verachtung aus. Die nächsten Monate waren qualvoll, Hochs Blicke unerträglich. Schnell wurde sie ersetzt, die Neue war wie sie groß und blond. Sie erinnerte sich daran, wie sie vor elf Jahren in Wien das Gleiche erlebt hatte und sie hatte das Gefühl, als würde sich bei ihr immer wieder alles wiederholen.

Mein Gott, ich stecke in einer Endlosschleife.

Die Leichtigkeit, die Katharina in den letzten Jahren empfunden hatte, war wie weggeblasen. Die Schwangerschaft verlief schwierig, ebenso die Geburt. Das Kind kam an einem warmen Nachmittag im Juni 2006 zur Welt, es war ein Mädchen und bekam den Namen Luisa. Nach der Geburt bekam Katharina schwere Depressionen, sie zog sich zurück, auch von Doris.

Um halb drei Uhr früh stillte sie das Baby. Um halb sechs Uhr morgens stillte sie das Baby. Um sechs Uhr stand sie auf und bereitete das Frühstück und die Jausenbrote für die anderen drei Kinder zu. Um halb sieben weckte sie die Zwillinge, um sieben weckte sie die Mittlere. Am Vormittag räumte sie jedes Zimmer auf, saugte, wischte den Boden, wurde aggressiv dabei, schmiss eine Tasse an die Wand und schrie, schrie, schrie, wusch Wäsche, bügelte, fuhr einkaufen, dazwischen stillte sie die Kleine. Zu Mittag kochte sie, aß gemeinsam mit Leonora, machte mit ihr die Hausübung, während sie stillte. Um zwei wärmte sie das Essen für die Zwillinge auf und hörte sich ihre überdrehten Erzählungen von Lehrern (»Die checken echt gar nichts!«) und von Mitschülern (»Der ist so was von bescheuert!«) an. Sie spielte mit Leonora an die hundert Mal UNO, während die Zwillinge die Hausaufgaben machten. Dabei war sie hundemüde und hätte am liebsten eine Stunde geschlafen. Sie kontrollierte die Hausaufgaben, während sie stillte. Sie hörte sich ein Referat über Marienkäfer (Victoria) und eines über Eichhörnchen (Vincent) an. Sie spielte Stadt, Land, Fluss mit den Älteren. Sie verlor den Kampf gegen den Computer und hatte ein schlechtes Gewissen. Sie ging mit dem Kinderwagen eine Runde spazieren und schleifte Leonora gegen ihren Willen mit. Sie kochte das Abendessen und aß mit ihrer Familie zu Abend. Sie räumte die Küche auf, weil Julius dazu zu müde war und lieber auf dem Sofa die Zeitung las.

Was, um Himmels willen, hatte dieses Leben für einen Sinn und Zweck? Wozu war es gut? Für vier Leben zu sorgen, wenn man kein eigenes hat?, dachte sie jeden Abend und musste ihre Tränen zurückhalten.

Dann erfuhr sie es.

Wann sagt man nicht mehr Zufall, sondern Schicksal?

Hätte Vincent beim Frühstück nicht lautstark verkündet, er wolle endlich zu Mittag wieder einmal ein Schnitzel essen, wäre Katharina an diesem Tag überhaupt nicht zum Supermarkt gefahren, oder wäre Luisas Windel beim Einsteigen ins Auto nicht voll gewesen, wäre Katharina einige Minuten früher dort gewesen und hätte es nie erfahren. Das Ganze wäre nie passiert. Sie hätten nicht monatelang heftig gestritten und Julius wäre nie nach Tirol gegangen, um dort als Pharmareferent zu arbeiten. Alles wäre anders gekommen.

Diese Gedanken hatte Katharina nach Julius’ Tod sehr oft.

Im Supermarkt in der Kleinstadt traf Katharina auf Robert, Julius’ ehemaligen Arbeitskollegen in der Versicherungsgesellschaft. Robert hatte vor zwei Jahren einen schweren Skiunfall gehabt und saß seither im Rollstuhl, die junge Freundin hatte ihn daraufhin sofort verlassen und die Exfrau hatte ihm, als er sie bat, wieder im ehemals gemeinsamen Haus wohnen zu dürfen, nur ins Gesicht gelacht: »Sicher nicht! Dir geschieht das Ganze recht!« Seither wohnte Robert alleine in einer verdreckten Einzimmerwohnung und betrank sich jeden Tag bereits am Morgen. Julius war der Einzige, der ihn ab und zu besuchte.

Im Supermarkt kam Robert in seinem Rollstuhl um die Ecke und rammte beinahe Katharinas Einkaufswagen. Er entschuldigte sich bei ihr und sie brauchte eine Weile, bis sie ihn erkannte, so ungepflegt sah er aus. Sie merkte, dass er betrunken war und verabschiedete sich schnell. Da sah er Luisa im Einkaufswagen sitzen, die Kleine starrte ihn mit ihren großen blauen Augen an, und er begann zu lachen. Katharina wandte sich angewidert ab und er lallte: »Brauchst gar nicht so dreinschauen, feine Dame.«

Sie ging weiter und er rief ihr nach: »Süß die Kleine, die dir hast anhängen lassen von deinem Mann. Hast es nicht geschnallt, hm? Dein Flirten mit dem Chef hat ihm gar nicht gepasst! Ein Hausmütterchen wollte er wieder haben! Voll und ganz zu seiner Verfügung.«

Katharinas Herz schlug schneller, als sie mit dem Einkaufswagen zur Kasse eilte. Robert schien in Fahrt zu sein, er schrie ihr nach: »Und recht hat er gehabt! Ihr Frauen seid einfach das Letzte! Das Letzte!«

Einige Leute drehten sich bereits zu ihm um und Katharina wäre am liebsten im Erdboden versunken.

Im Auto merkte sie, dass ihre Hände und ihre Knie zitterten, und zu Hause angekommen begann sie zu weinen. Sie wusste, dass Robert die Wahrheit gesagt hatte, es bestand kein Zweifel daran, sie spürte einfach, dass es so gewesen sein musste. Wie hatte sie so blind in die Falle tappen können? Wie Schuppen fiel es ihr vor den Augen und so vieles wurde ihr im Nachhinein bewusst. Ihre Gedanken überschlugen sich, ihr Kopf schmerzte.

Julius’ eigenartige Fragerei zu ihrer Periode (nie hatte ihn das Thema vorher interessiert!), zu ihrem Eisprung, sein Überreden zur Pillenpause, zu der die Frauenärztin schon länger gedrängt hatte, sein Versprechen, währenddessen gewissenhaft ein Kondom zu verwenden. Was er auch immer getan hatte. Außer –

Der Abend fiel ihr ein, der Abend, an dem sie mit Doris und Andreas zusammen Julius’ Geburtstag gefeiert hatten, sie hatte viel getrunken und als sie ins Bett gegangen waren, hatten sie begonnen, sich zu küssen.

An mehr hatte sie sich nicht erinnert, das war ihr vorher noch nie passiert. Sie hatte den ganzen Tag im Bett bleiben müssen, so übel war ihr gewesen, und übel wurde ihr jetzt wieder, wenn sie daran dachte, was vermutlich passiert war. Julius hatte an diesem Abend die Cocktails gemixt. Und danach – warum hatte er gewusst, dass sie schwanger war, obwohl sie sich nichts hatte anmerken lassen?

Da war Leere in ihr, dann maßloser Zorn. Als Julius nach Hause kam, konfrontierte sie ihn sofort mit ihrem Vorwurf und merkte an seinem Gesichtsausdruck, dass es stimmte, was sie ihm auf den Kopf zusagte. Er stritt es ab. Stundenlang schrien sich die beiden an, während sich die Kinder ängstlich in ihre Zimmer verdrückten.

»Robert ist ein Säufer, der Blödsinn redet«, sagte er mehrmals, doch sie ließ sich nicht beruhigen.

Sie konnte nicht fassen, was ihr Julius angetan hatte. Sie stritten wochenlang weiter und feindeten sich an, und eines Tages schrie Katharina den Satz, der ausschlaggebend dafür war, dass Julius seine Arbeit in der Werkstätte kündigte und sich einen Job weit weg von zu Hause suchte.

»Ich hasse dich!«, schrie sie, »ich hasse dich, ich hasse dich! Hätte ich dich doch nie kennengelernt, du verlogenes Arschloch!«

Die Wochen vergingen, wurden zu Monaten. Katharina war von Montagmorgen bis Freitagabend allein und sie beruhigte sich tatsächlich. Dass das Sprichwort »Die Zeit heilt alle Wunden« seine Berechtigung hatte, erfuhr sie nun am eigenen Leib. Luisa wuchs heran und es war bald unvorstellbar, dass es sie nicht geben könnte, die Gründe und Umstände ihrer Zeugung wurden unwichtig. Einmal sah sie Hoch mit der großen blonden Frau in einem Café sitzen und musste über das Scharwenzeln ihrer Nachfolgerin um den Chef innerlich lachen. Ihre eigene Eitelkeit und ihr Wunsch, ihn unbedingt beeindrucken zu wollen, erschienen ihr im Nachhinein kindisch.

Als Arthur sie fragte, ob sie sich denn nicht wieder in einer Werbeagentur bewerben wolle, jetzt, da Luisa zwei Jahre alt war und er sie beaufsichtigen könne, wehrte Katharina lachend ab: »Nein, Arthur, ich möchte keine Werbungen mehr machen, irgendwie kommt mir das jetzt alles so oberflächlich vor. Ich werde etwas anderes machen, etwas, das ich zu Hause machen kann. Vier Kinder sind eine Menge Arbeit, das geht nicht mehr so nebenbei. Ich weiß, du würdest es schaffen, aber ich hätte ein schlechtes Gewissen. Es ist nämlich ganz schön viel los hier an den Nachmittagen.«

Die Zwillinge waren dreizehn Jahre alt und besuchten das Gymnasium, das schon Julius besucht hatte. Mit Vincent musste Katharina am Nachmittag oft lernen und üben, Leonora besuchte die zweite Klasse Volksschule und brauchte ihre Mutter zum Hausaufgabenmachen, Luisa lief überallhin und musste mit Argusaugen überwacht werden.

Dennoch war Ruhe eingekehrt. Katharina fühlte eine Nähe zu ihren Kindern wie nie zuvor. Sie musste zugeben, es war angenehm, dass Julius nicht da war, sie musste nicht mehr streiten, die Anspannung war von ihr abgefallen. Entscheidungen traf sie alleine, das ersparte ihr zermürbende Diskussionen. Endlich hatte sie Zeit für sich und sie genoss es. Arthur unterstützte sie, wenn sie Hilfe brauchte, mit Doris unternahm sie viel. Einsam fühlte sie sich kein bisschen.

Ein Jahr später begann sie als Biografin zu arbeiten. Es war Claudia, die ihr den Tipp gegeben hatte.

»Vor Kurzem hat eine Patientin zu mir gesagt: Ich würde so gerne mein Leben aufschreiben lassen, für meine Kinder und Enkelkinder! Das ist doch so wichtig, dass das alles erhalten bleibt, was wir erlebt haben! Aber ich kann es nicht, ich kann nicht gut schreiben und kann nicht einmal tippen wegen der Arthritis«, erzählte Claudia eines Abends, als Katharina Doris besuchte und sie zu dritt ein Glas Wein tranken, »da habe ich an dich gedacht, Katharina. Wie wäre es mit Biografin? Das könnte ich mir bei dir sehr gut vorstellen. Du kannst gut schreiben und das machst du auch gern, nicht wahr, warum sollte das nicht dein neuer Beruf werden? Es gibt so viele alte Menschen, die gern ihr Leben aufschreiben lassen würden, damit es die Enkel lesen können. Dazu brauchst du nur einen Computer und eine Website.«