Fotografie: Selbstporträt der vierzehnjährigen Chrystja, ihr Spiegelbild in einem Fenster des Hauses, hinter ihr Hof, Zaun und Stachelbeersträucher

Wasyl Frasuljak beobachtete, wie die deutschen Truppen über den Hügel im Westen kamen und sich wie Ameisen den Weg hinunter schlängelten. Kolonnen von Lastwägen, Autos, Motorrädern mit Beiwägen, eingehüllt in eine Wolke sepiabraunen Staubs. Sogar eine Staffel Fahrradfahrer war dabei. Es sah romantisch aus, doch bereits am selben Abend zerrissen Schreie, zerfetzte verzweifeltes Frauengebrüll die Stadt.

Der Nachbar beobachtete von der anderen Seite des Zauns, dass Wasyl nervös wie eine Füchsin, die voller Sorge um ihren Nachwuchs ist, vor seinem Haus auf und ab ging, mal lief er nah am Zaun und blickte durch die Zweige auf die Dächer unter ihnen, die Silhouette des Rathauses, die Türme des Klosters (alles so bekannt, dass es einem kaum auffiel; alles so ruhig und unverändert), dann wieder lief er zum Haus und die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf, um durch das Fenster nach seiner Frau und den drei Töchtern zu sehen, denen er befohlen hatte, drinnen zu bleiben und sich nicht vom Fleck zu rühren.

»Keine Angst«, krächzte der Nachbar, seltsam mit einem Auge blinzelnd, »die Unsrigen werden sie in Ruhe lassen. Außer man ist vielleicht Kommunist gewesen.«

Frasuljak spürte, wie sich faulige Übelkeit in seinem Magen zusammenbraute. Gereizt würdigte er den Nachbarn keines Blicks. Aber der machte sich nichts daraus. Er war gut gelaunt. Vielleicht hatte er schon etwas getrunken.

»Ich habe eine Idee«, flüsterte der Nachbar verschwörerisch, er hatte mit seinen dicken, braunen Fingern die Äste des Stachelbeerstrauchs auseinandergebogen, den Kopf hindurchgesteckt und sich dabei fast auf dem Zaun aufgespießt. »Ob ich wohl die Mirjam von den Holzers nehmen soll, damit die Deutschen sie nicht zu Gesicht bekommen. Ich könnte sie auf dem Dachboden verstecken, niemand wüsste, dass sie dort ist. Nur ist vor meiner Alten kein Geheimnis sicher.«

Und er lachte.

»Sie ist vierzehn«, presste Wasyl zwischen den Zähnen hervor.

»Schade um das Mädchen«, seufzte der Nachbar.

»Vielleicht passiert ja gar nichts«, sagte Wasyl und zwang sich zur Ruhe.