Am Montagmorgen saß Ava seit einer Minute in ihrem Büro, als die Tür aufschwang und Finn hereinstürmte.
„Was wollen Frauen?“
Ava sah von ihrer Post auf. „Dir auch einen guten Morgen, Finn.“
Eine ungeduldige Handbewegung, und er hatte die Höflichkeiten abgehakt. „Ich habe ihr ein Haus gekauft – ein gottverdammtes großes Haus –, und sie will immer noch nicht!“
„Und warum hast du ihr ein Haus gekauft? Weil du … sie liebst?“
„Mit Liebe hat das nichts zu tun. Ich habe ihr ein Haus gekauft, damit unser Sohn ein Dach über dem Kopf hat.“
„Aha … sie bekommt ein Haus von dir, aber du liebst sie nicht. Du meine Güte …“ Ava schnalzte mit der Zunge. „Sie ist wirklich undankbar.“
Finn starrte sie finster an. „Du musst nicht sarkastisch werden.“
Sie seufzte, als er vor ihrem Schreibtisch auf und ab tigerte. „Na schön. Hat sie gesagt, warum sie dir einen Korb gegeben hat?“
Er blieb abrupt stehen. „Sie hat gesagt, sie kann sich selbst ein Haus kaufen. Als hätte ich ihr zu verstehen gegeben, dass sie keine emanzipierte Frau ist.“
Natürlich hatte Evie das Geld für ein eigenes Haus. Auch ohne das Lockheart-Vermögen im Rücken. Jahrelange Erfahrung als Psychologin ließ Ava jedoch vermuten, dass mehr dahinter steckte als feministische Prinzipien.
„Was noch?“
„Was?“
„Was hat sie noch gesagt?“
Finn setzte seine rastlose Wanderung fort, und Ava lehnte sich im Sessel zurück. Wartete geduldig.
„Sie will, dass ich mich öffne“, zitierte er schließlich.
Ava unterdrückte ein Lächeln. Aus seinem Mund hörte es sich an, als hätte sie von ihm ein glitzerndes Einhorn oder etwas ähnlich Unsinniges von ihm verlangt.
„Und das möchtest du nicht?“
„Warum muss ich über meine Vergangenheit reden, damit wir zusammen unseren Sohn großziehen können? Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“
„Weil Paare das tun?“
„Wir sind kein Paar!“ Wieder blieb er stehen.
Sie warf ihm einen erstaunten Blick zu. „Und dann willst du sie heiraten?“
„Nichts von alledem ist wichtig für eine erfolgreiche gemeinsame Zukunft.“
Da lag er völlig falsch. Ava vermutete, dass er es im Grunde, tief verborgen unter Verletzungen und Ängsten, auch wusste. Aber es war nicht ihre Aufgabe, ihm zu sagen, dass er sich irrte. „Ist denn wichtig, was du denkst, oder wichtig, was sie braucht?“
„Verdammt, Ava! Kannst du mir nicht einen einzigen nützlichen Rat geben, statt jede Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten? Du bist Paartherapeutin. Solltest du nicht jede Menge praktischer Vorschläge haben, um Beziehungen in Ordnung zu bringen?“
„Okay.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann wirb um sie, Finn.“
Die Stirnfalte zwischen seinen Brauen wurde noch tiefer. „Um sie werben? Wo sind wir, zu Shakespeares Zeiten im guten alten England?“
„Du wolltest meinen Rat.“
„Sie bekommt ein Kind von mir … meinst du nicht, dass es ein bisschen spät ist, ihr den Hof zu machen?“
„Dafür ist es nie zu spät.“ Und es brauchte Zeit. Wenn Evie klug war, nutzte sie das zu ihrem Vorteil.
Verflucht, er hatte ihr ein Haus gekauft, jetzt sollte er sie auch noch umwerben? „Na, vielen Dank.“
Sie lächelte. Er machte ein Gesicht, als hätte ihm sein Zahnarzt kurz vor der Wurzelbehandlung eröffnet, dass ihm die Betäubungsspritzen ausgegangen seien. „Keine Ursache, Finn.“
Im Anzug, in einer Hand einen Blumenstrauß und in der anderen eine Tüte aus einem indischen Restaurant, klopfte Finn abends an Evies Wohnungstür. Er wusste, dass sie freihatte, weil er in der Mittagspause den Dienstplan der Notaufnahme studiert hatte.
Den ganzen Tag lag hatte er über Avas Vorschlag gebrütet. Als er am späten Nachmittag mit seiner OP-Liste fertig war, entschied er, dass er einen Versuch wert war. Zeit hatte er schließlich genug, und statt wie ein Bulle mit dem Kopf voran gegen das Gatter anzurennen, könnte er etwas subtiler vorgehen.
Aber er brauchte schnelle Ergebnisse. Komme, was wolle, er war fest entschlossen, mit ihr verheiratet zu sein, wenn das Baby da war!
Die Tür ging auf, und plötzlich fühlte er sich seltsam unbehaglich, mit Blumen in der Hand. Sonst kamen die Frauen zu ihm …
Evie blinzelte. „Finn?“
„Hier sind Blumen.“ Er drückte sie ihr in den Arm und hob die Tüte. „Und was vom Inder. Hast du schon gegessen?“
Sie schüttelte den Kopf. Der zarte Duft gelber Rosen und orientalischer Lilien stieg ihr in die Nase. „Ich war gerade beim … Yoga.“
„Verstehe.“ Finn hatte Mühe, sie nicht anzustarren. Sie trug knielange, hautenge Lycra-Leggings und ein Top mit rundem Ausschnitt und Spaghettiträgern, das sich genauso an ihren Körper schmiegte wie die Hose. An ihre vollen Brüste und den runden Babybauch. Die leicht zerzausten Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
„Komm rein.“
Finn folgte ihr ins Wohnzimmer. Auf dem Fußboden lag eine Yogamatte, aus der Stereoanlage drangen leise Klänge gregorianischer Gesänge. Evie deutete auf das dreisitzige Sofa, und er setzte sich, nahm eine Take-away-Box nach der anderen aus der Tüte. Evie verschwand irgendwohin mit den Blumen.
Er hörte Wasser laufen, dann, wie die Kühlschranktür geöffnet und wieder geschlossen wurde, das Klirren von Tellern und Klingen von Gläsern. Fast hätte er gerufen, sie sollte nur Besteck mitbringen, verkniff es sich aber. Um eine Frau zu werben bedeutete wahrscheinlich auch, nicht aus Pappschachteln, sondern von anständigen Tellern zu essen.
Ein paar Minuten später betrat Evie das Wohnzimmer, trug ein Tablett und die Vase mit den Blumen herein. Ihr schwirrte der Kopf. Was hatte Finn jetzt wieder vor?
Er hatte inzwischen das Jackett ausgezogen und stand nun auf, um ihr das Tablett abzunehmen. Sie stellte die Blumen oben auf ihren Fernsehschrank, griff nach der Fernbedienung und schaltete die Musik aus. Als sie sich umdrehte, hatte er Teller, Gläser und Besteck hingelegt, die roten Servietten – leuchtende Farbtupfer auf dem schneeweißen Porzellan.
Finn schenkte Mineralwasser ein und reichte ihr lächelnd ein Glas. Sein Lächeln traf sie mitten ins Herz, und es fehlte nicht viel, und sie hätte dem sehnsüchtigen Gefühl nachgegeben, sich dicht an ihn zu schmiegen.
Stattdessen setzte sie sich in die andere Ecke des Sofas, sehr darauf bedacht, mindestens eine Kissenbreite Platz zwischen ihnen zu lassen. Finn fragte sie, was sie haben wollte, füllte auf und gab ihr zuerst den Teller mit Besteck und dann die Serviette.
Schweigend wartete sie, bis er sich aufgefüllt hatte. Finn lächelte sie wieder an und fing an zu essen.
„Okay.“ Evie stellte ihren Teller auf dem Couchtisch ab. „Was ist los?“
Finn schluckte seinen Bissen hinunter und spülte mit einem Schluck Wasser nach, weil ihm das scharf gewürzte Lammcurry auf der Zunge brannte. „Ava meint, ich soll um dich werben.“
„Du warst bei Ava?“
„Ja. Nein … nicht so, wie du denkst. Wir … unterhalten uns manchmal.“
Evie fehlten die Worte. „Ich … verstehe …“
Seine Miene verdüsterte sich. „Es gefällt dir nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich wusste, dass es eine blöde Idee ist.“
„Nein, nein, ich bin nur …“ Ja, was? Von den Socken, geschockt, verblüfft? Weil Finn Kennedy nicht nur eine Psychologin um Rat gefragt, sondern diesen anscheinend auch noch beherzigt hatte! „Es ist … sehr nett … wirklich.“
„Toll.“ Missmutig setzte Finn seinen Teller ab. „Tätschle mir doch den Kopf und sag, dass ich mich trollen soll.“
Evie beobachtete, wie er sich durchs Haar fuhr. Vielleicht geschahen doch Zeichen und Wunder! Sie beugte sich vor. „Du musst nicht um mich werben, Finn.“
„Verstehe.“ Er lächelte schief. „Wahrscheinlich bin ich eine Niete.“
Evie lachte. „Nein, du machst es gut. Und mit ein bisschen Übung wirst du perfekt sein.“
„Aber es ist nicht das, was du willst, oder?“
Evie nickte. „Was hältst du von einem Deal? Ich heirate dich nach der Geburt des Kindes, wenn wir die nächsten Monate damit verbringen, uns richtig kennenzulernen.“
Sein Herz fing an zu hämmern. Das hatte sie auch schon von ihm verlangt, als er ihr das Haus zeigte – mit einem gewaltigen Unterschied: Sie versprach, ihn zu heiraten. „Du hast deine Haltung geändert.“
„Ich habe mit Lydia gesprochen. Sie findet, dass du es wert bist, etwas mehr Ausdauer aufzubringen.“
„Lydia?“
Evie fröstelte bei der tonlosen Frage. „Sie hat mir ein bisschen von dir und Isaac erzählt. Dass ihr bei Pflegefamilien aufgewachsen seid und was das Haus in der Lavender Bay für dich bedeutet. Ich soll dich nicht aufgeben, meinte sie. Ethan hat übrigens das Gleiche gesagt.“
Fast hätte er losgebrüllt. Wie konnten sie es wagen, hinter seinem Rücken über ihn zu reden? Über zutiefst persönliche Dinge? „Lydia und Ethan sollten endlich lernen, ihre große Klappe zu halten!“
„Sie sorgen sich um dich, Finn. Genau wie ich. Und ich komme dir auf halbem Weg entgegen, wie du es dir gewünscht hast – wenn du mir auch entgegenkommst. Ich möchte, dass wir uns kennenlernen. Richtig kennenlernen.“
„Was versprichst du dir davon, Evie? Dass ich dich lieben kann, wenn ich mein Inneres nach außen gekehrt habe? Vielleicht endet es damit, dass ich dir den Schachzug übel nehme.“
Es war erschreckend, wie überzeugt er davon zu sein schien. „Das Risiko gehe ich ein“, sagte sie. „Hier geht es nicht darum, dich dazu zu bringen, mich zu lieben.“
„Nein?“ Gefühle ballten sich in ihm zusammen wie ein drohendes Gewitter. „Was passiert, wenn wir fertig sind und du all die scheußlichen Einzelheiten aus meinem Leben kennst? Und ich dich nicht lieben kann, weil ich keine Ahnung habe, wie man liebt, weil ich ohne Liebe aufgewachsen bin? Bist du dann immer noch bereit, mich zu heiraten? Bist du das, Evie?“
Es kostete sie jeden Funken Willenskraft, nicht zusammenzuzucken. „Ja“, antwortete sie. „Ich möchte dich besser kennenlernen. Was ist daran falsch? Du wirst mein Mann sein, der Vater meines Kindes.“
Wie konnte sie nur so verdammt rational sein? Sie redeten hier über sein Leben, und da war nichts rational! Er stand auf und starrte wütend auf sie hinunter. „Du willst also wissen, wie es war, als Isaac in meinen Armen starb? Und wie trostlos meine Kindheit war, weil unsere Mutter uns im Stich gelassen hat?“
„Ja, Finn. Es muss nicht alles an einem Abend sein, wir können es langsam angehen lassen. Aber ja, ich möchte alles wissen.“
Das Gewitter war da, tobte in ihm wie entfesselte Naturgewalten. Finn fühlte sich verloren, hilflos herumgewirbelt. Er hatte gedacht, dass er sie einschüchtern würde, aber Evie zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sie hatte ihn in die Enge getrieben, und das machte ihn rasend.
Da schob Evie eine Hand in seine, und plötzlich legte sich der Sturm. Ein überwältigendes Bedürfnis, ihr alles zu erzählen, erfüllte ihn. Die Last von den Schultern schütteln, freier atmen zu können.
„Setz dich wieder hin“, bat sie sanft. „Iss dein Curry, es wird kalt.“
Er tat, was sie sagte, ließ sich von ihr seinen Teller geben und aß mechanisch, während ihm Gedanken durch den Kopf schossen wie Atome im Teilchenbeschleuniger.
„Was willst du wissen?“, fragte er schließlich, nachdem er zur Hälfte aufgegessen hatte und die Stille nicht länger ertrug.
„Schon gut“, sagte sie. „Wir müssen nicht heute Abend anfangen. Erzähl mir einfach, wie dein Tag war.“
„Mein Tag?“
Evie musste lachen, als er sie verblüfft ansah. „Genau. Darüber reden Ehepaare doch.“
Anfangs war es noch ein bisschen seltsam, aber bald redeten sie unbefangen über dieses und jenes, sichere Themen, die ihre Arbeit betrafen – seine OP-Liste für morgen, wie es Prinz Khalid ging, das hochmoderne Gerät, das er sich für die Herzkatheteruntersuchungen wünschte, und selbst über die neuen Salatangebote der Kantine. Und ehe sich’s Evie versah, waren zwei Stunden vergangen, und Finn saß vor seiner zweiten Tasse Kaffee.
Auch er wirkte überrascht, als er den letzten Schluck trank und auf seine Uhr sah. „Ich glaube, ich gehe jetzt besser“, meinte er und blickte Evie an, machte jedoch keine Anstalten, aufzustehen.
Bleib, hätte sie am liebsten gesagt. Verglichen mit den Querelen der letzten Zeit waren die vergangenen Stunden paradiesisch gewesen. Finn sah müde aus, mit seinen dunklen Bartstoppeln und den Schatten unter den Augen, und dabei so unwiderstehlich männlich, dass sie sich beherrschen musste, nicht in seine Arme zu sinken. Es war so lange her, dass sie ihn gespürt hatte, und sie sehnte sich danach.
Aber sie wollte es nicht komplizierter machen, als es ohnehin schon war.
Sex würde sie nur ablenken.
Plötzlich versetzte ihr das Baby einen Tritt, so stark, dass Evie unwillkürlich nach Luft schnappte und die Hand auf die Stelle legte.
Finn sah auf ihren Bauch, wieder einmal berührt von dem Wunder, das sich vor seinen Augen abspielte. Manchmal konnte er es nicht glauben, dass sein Sohn in ihr heranwuchs. „Baby wach?“, fragte er etwas verlegen.
Evie blickte auf, doch ihr schiefes Lächeln erstarb, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. Finn starrte auf ihren Bauch, auf ihre sanft kreisende Hand und wirkte so allein, so einsam und unnahbar. Wie immer, eigentlich, aber es griff ihr ans Herz.
„Möchtest du …?“ Sie zögerte, suchte nach den richtigen Worten. „Möchtest du fühlen, wie er sich bewegt?“
Sein Puls legte einen Takt zu, das Atmen fiel ihm schwerer. Sie berühren? Die Bewegungen seines Sohnes spüren?
Frauen anzufassen, diese Frau anzufassen, das war ihm vertraut. Als Vorspiel zu etwas anderem. Aber das hier? Davor scheute er zurück.
Ich werde meinen Sohn früh genug kennenlernen, sagte er sich. Ich brauche dies nicht, um Verantwortung zu übernehmen.
„Ach nein.“ Finn stand auf, griff nach Jackett und Krawatte und trat sicherheitshalber einen Schritt zurück. „Ich muss los.“
Evie versuchte, es nicht persönlich zu nehmen. Heute Abend hatten sie einen großen Schritt getan. Sie wollte Finn nicht verscheuchen, indem sie die Mummy herauskehrte. „Okay.“ Sie klebte sich ein Lächeln ins Gesicht und erhob sich.
Dann standen sie sich gegenüber. Finn vermied es, auf ihren Bauch zu sehen. Evie fixierte seinen Hemdkragen. Finn fluchte stumm. Der Abend war gut gewesen – und jetzt dieses unbehagliche Schweigen.
„Möchtest du morgen Abend mit mir essen gehen?“, fragte er.
Ihr Herz zitterte. Auf einmal fühlte sich Evie wie ein Teenager vor dem ersten Date. „Oh … ja, gern.“
„Ich hole dich um sieben ab.“
Die nächsten zwei Wochen verliefen ähnlich. Evie und Finn gingen aus oder verbrachten die Abende zu Hause und gewöhnten sich langsam daran, Zeit miteinander zu verbringen, ohne entweder erbittert zu streiten oder sich die Kleidung vom Leib zu reißen.
Eines Abends fragte Evie ihn nach seiner Zeit als Militärarzt, und er zögerte so lange, dass sie schon glaubte, er würde nicht antworten. Aber dann redete er doch, und jeden Abend wagte sie sich ein Stückchen weiter vor.
Finn musste Schreckliches gesehen und erlebt haben. Sie merkte es daran, dass er an manchen Stellen immer einsilbiger wurde. Doch nach und nach gab er mehr preis, erwähnte sogar ab und zu Isaac. Wenn es ihm dann bewusst wurde, verstummte er und wechselte das Thema.
Zwei Schritte vor, einer zurück, dachte Evie und wusste, dass sie sich damit zufriedengeben musste. Sie hatten ja Zeit, und sie war fest entschlossen, ihn nicht zu bedrängen.
Evie war in der achtundzwanzigsten Woche, als Finn anrief, weil er im Krankenhaus aufgehalten wurde. Sie hatten einen Tisch reserviert, aber das würde er nicht rechtzeitig schaffen. „Was hältst du davon, wenn ich unterwegs etwas zu essen hole, und wir machen uns einen gemütlichen Fernsehabend?“
Wie ein altes Ehepaar, dachte sie. Doch da sie nach einem anstrengenden Dienst ziemlich kaputt war, war sie sofort einverstanden.
„So schnell komme ich hier aber nicht weg“, warnte er noch.
„Komm, wann du kannst, ich freue mich“, sagte sie.
Erleichtert schälte sie sich aus ihrer Schwangerschaftsjeans und zog auch den BH aus, der ihr mehr und mehr wie eine Zwangsjacke vorkam. Es war eine Wohltat, einen weiten Pyjama anzuziehen. Das Oberteil neigte dazu, ihr von der Schulter zu rutschen, und die Hose war herrlich leicht und bequem.
Das war einer der Vorteile bei ihrer unkonventionellen Beziehung. Sie brauchte sich nicht aufzutakeln. Der Mann hatte schon alles gesehen, sie konnte in sackförmigen Schlafanzügen herumlaufen, und heiraten würde er sie so oder so.
Abgesehen davon glaubte sie nicht, dass er sie in ihrem Zustand besonders reizvoll fand. Finn vermied es tunlichst, ihren Bauch anzusehen, ihn zu berühren, geschweige denn, ihm überhaupt zu nahe zu kommen.
Natürlich wusste sie, dass das auch mit seiner Vergangenheit und den Narben auf seiner Seele zu tun hatte, aber sie machte sich nichts vor – sie hatte kräftig zugenommen, ihre Brüste waren doppelt so groß geworden, und ihr Bauch stand mächtig vor!
Nicht gerade sexy …
Seufzend machte sie es sich vor dem Fernseher bequem, legte die Beine auf den Couchtisch und wartete.
Kurz nach neun klopfte es an ihrer Tür. Evie war schon fast auf dem Sofa eingenickt, aber als sie Finn öffnete, knurrte ihr der Magen.
Doch der Hunger war vergessen, und ein anderer wurde wach, als Finn vor ihr stand. Niemand trug seinen Anzug so nachlässig wie er. Der oberste Hemdknopf stand offen, die Krawatte hing schief, aber bei Finn sah das so sexy aus, dass Evie ihn am liebsten gepackt und in ihr Schlafzimmer gezerrt hätte.
Sie beherrschte sich, holte Teller für die Pizza, die er mitgebracht hatte, und stellte ihm ein Glas für sein Bier hin. Während sie aßen, erzählte er ihr von dem Notfall, und danach sahen sie sich eine alte Fernsehshow an.
Finn schüttelte den Kopf, als Evie über eine alberne Szene lachte. „Ich fasse es nicht, dass wir uns so etwas ansehen.“
„He, ich liebe diese Show! Unsere Nanny hat Lexi und mir erlaubt, sie einzuschalten, wenn wir unsere Hausaufgaben gemacht hatten.“
„Und Bella nicht?“
„Doch, aber ohne Regeln. Wegen ihrer Fibrose hat niemand irgendetwas von ihr verlangt.“
„Arme Bella“, meinte er nachdenklich. „Wie war das für sie?“
Ihr lag schon eine lockere Bemerkung auf der Zunge, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass Finn sie nach etwas aus ihrem Leben fragte. Nachdem sie zwei Wochen lang sanft wie mit einer Feder gegen seine Widerstände angegangen war, schien er aufrichtig an ihrer Kindheit interessiert zu sein.
Sie lächelte ihn an. „Bella hat es ausgenutzt, wo sie nur konnte!“
Eine Stunde später war Evie an seiner Schulter eingeschlafen. Dicht an ihn gekuschelt lag sie da, und Finn beschloss, dass es Zeit war, zu gehen. Zum einen war sein Arm taub – genau der Stoff, aus dem seine Albträume gemacht waren, weil es ihn an die schreckliche Zeit erinnerte, als seine Kriegsverletzung fast das Aus für seine Karriere bedeutet hätte. Zum anderen hatte er in dieser Haltung den reizvollen Ansatz ihrer vollen Brüste direkt vor Augen.
In den letzten Wochen hatte er versucht, nicht an ihren Körper zu denken. Evie war schlank, fast athletisch, aber mit der Schwangerschaft hatte sie ein paar faszinierende Kurven bekommen. Es hatte ihn all seine Selbstbeherrschung gekostet, sie nicht zu berühren. Und jetzt, als sie warm und anschmiegsam dalag, mit offenen, leicht zerzausten Haaren, die zart nach Shampoo dufteten, fiel es ihm so schwer wie noch nie. Das Hemd war ihr von der Schulter gerutscht, entblößte halb eine cremeweiße Brust. Das einzige Licht im Zimmer kam vom Fernseher und verstärkte noch die intime Atmosphäre.
Finn aktivierte den letzten Rest Vernunft, bevor der sich endgültig verabschiedete, und entzog sich ihr vorsichtig. Aber sie ließ es nicht zu, murmelte etwas Unverständliches und drängte sich an ihn. Er spürte ihre weichen Brüste und flehte um Beherrschung.
„Evie“, flüsterte er und rüttelte sie sanft. „Evie?“
„Hmm?“
„Ich muss gehen“, sagte er leise und versuchte, aufzustehen.
Evie tauchte aus ihrer warmen Höhle auf, halb gefangen im Schlaf, verzaubert von Finns rauem Flüstern. Sie schlug die Augen auf, sah in sein Gesicht, und dann dämmerte es ihr: Sie lag an seiner Brust, die Arme um ihn geschlungen wie eine verrückte Stalkerin.
Sofort wich sie ein Stück zurück und lehnte den Kopf gegen das Sofa. „Entschuldige.“ Evie schenkte ihm ein schwaches Lächeln. „Ich bin immer so furchtbar müde.“
Ihre heisere Stimme strich wie zarte Fingerspitzen über seine Haut, ließ sein Blut schneller kreisen. „Macht nichts“, antwortete er genauso leise, während er sich bemühte, ihr nicht in den Ausschnitt, sondern ins Gesicht zu sehen.
„Danke für die Pizza, die war köstlich.“ Sie strich sich über den Bauch, zog dabei unbewusst das Hemd tiefer. Überrascht sah Evie, wie Finns Augen dunkler wurden.
Er konnte nicht anders, er musste hinsehen. Ihre Brüste waren so voll, so samtig, er müsste nur die Hand ausstrecken … Finn hob den Kopf. „Ich sollte wirklich gehen“, murmelte er.
Die Glut in seinen blauen Augen nahm ihr den Atem. Heiße Lust erfasste sie am ganzen Körper und vertrieb den letzten Rest Schläfrigkeit. „Musst du nicht.“
Er holte scharf Luft. „Evie …“
Sie beugte sich vor, bebend vor Erwartung. „Bleib“, flüsterte sie und küsste ihn. Sein Atem schmeckte nach Bier und Mann, und der Geschmack stieg ihr zu Kopf wie prickelnder Champagner.
Finn stöhnte auf, als ihre süßen Lippen seine berührten. Hitziges Verlangen packte ihn, und er griff mit beiden Händen in ihr Haar, erwiderte leidenschaftlich ihren Kuss.
Heftig atmend löste er sich schließlich von ihr, lehnte die Stirn an ihre. „Ich will dich“, sagte er heiser.
„Gut“, hauchte sie. „Ich dich auch.“
Als sie ihn wieder küssen wollte, hielt er sie zurück. „Warte. Nicht hier.“ Zu oft hatten sie es schnell und wild getrieben. Heute Abend nicht, dachte er. Nicht in ihrem Zustand. Er streckte die Hand aus. „Wo ist dein Schlafzimmer?“
Das Wohnzimmer hätte ihr auch genügt, selbst eine Wand oder der Fußboden, doch es berührte sie, wie rücksichtsvoll er sich verhielt.
Kaum waren sie jedoch im Schlafzimmer, küsste er sie hemmungslos und fordernd. Ihr wurde heiß, und sie konnte es kaum erwarten, seine nackte Haut zu spüren, seinen starken Körper zu berühren. Hemden, Hosen, Knöpfe, Reißverschlüsse waren nur kurz im Weg, dann standen sie nackt voreinander, und Evie wurde der Mund trocken, als sie sah, wie erregt Finn war. Er strich über ihren Bauch, sah ehrfürchtig dorthin, wo sein Kind heranwuchs.
Finn ließ die Hände höhergleiten, zu ihren Brüsten, die voller waren, als er sie in Erinnerung hatte. Er blickte Evie ins Gesicht. „Du bist schön“, flüsterte er.
Sie fühlte sich schön wie eine Märchenprinzessin, wenn er sie so ansah. Wenn er sie so berührte. „Du auch“, sagte sie leise und küsste seinen flachen, muskulösen Bauch.
Mit zärtlichen Fingern zog sie eine Spur zu seiner rechten Schulter, tiefer über seinen Bizeps, ging langsam um Finn herum, die Hand immer auf seiner warmen glatten Haut. Als Evie hinter ihm stand, streichelte sie die Narben, Zeugen seiner Schmerzen, die ihr das Herz schwer machten.
„Hast du die bekommen, als Isaac starb?“, fragte sie, tupfte einen Kuss auf jede einzelne und rieb ihre Wange sanft an der zerklüfteten Haut.
Finn schloss die Augen. „Evie …“
„Ich wünschte, du hättest das alles nicht durchmachen müssen“, flüsterte sie. „Dass du verwundet wurdest, dass dir dein Bruder genommen wurde.“
Das ist lange her, wollte er sagen, aber es tat genauso weh wie damals. „Ich konnte nichts tun.“
Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie hatte erwartet, dass er nicht antworten würde. Und der verzweifelte Unterton verriet ihr, wie sehr er noch immer litt. „Ich weiß, Finn.“ Evie küsste seinen Rücken. „Ich weiß.“
Dann trat sie vor ihn, küsste ihn innig und voller Leidenschaft.
Wenig später lagen sie eng umschlungen auf dem Bett, entdeckten einander von Neuem mit verführerischen Liebkosungen, erregenden Küssen und Berührungen.
Als sie es nicht mehr aushielten, sah Finn auf Evie herunter und streichelte ihren Bauch. „Ich will dir nicht wehtun …“
Leise lachend versetzte sie ihm einen leichten Schubs, sodass er auf dem Rücken lag, und setzte sich rittlings auf ihn. Finn hatte noch nie etwas Schöneres gesehen: Evie, schwanger mit seinem Kind, die langen Haare wie ein seidiger Vorhang, volle Brüste, die sich erotisch bewegten, und der stolze Bauch.
Langsam, jeden Moment auskostend, bewegten sie sich, höher und höher zum Gipfel hinauf. Als Evie kam, als Finn ihren Orgasmus spürte und die Lust sich in ihrem Gesicht spiegelte, wusste er, dass er diesen Augenblick nie vergessen würde.
Sie schmiegte sich an ihn, schwer atmend und erfüllt von süßer Erschöpfung. Finn hätte nicht sagen können, wie lange sie so dagelegen hatten, aber irgendwann löste er sich von ihr und zog sie an sich, sodass er hinter ihr lag, eine Hand auf ihrem Bauch. Er küsste sie auf den Nacken, genoss es, ihren weichen duftenden Körper an seinem zu spüren.
Und dann fühlte er, wie sich das Baby bewegte.
Der warme Kokon satter Zufriedenheit zerbrach.
Finn wartete. Auf einen Blitz, einen Lichtstrahl, irgendetwas Aufregendes. Doch da war nichts. Ein neues Leben, sein eigen Fleisch und Blut bewegte sich, wuchs unter seiner Hand heran, und er fühlte … nichts.
Panik durchdrang ihn wie ein eisiger Hagelschauer. Sollte er nicht etwas spüren? Mehr als das Bedürfnis, dieses kleine Wesen zu beschützen? Mehr als den überwältigenden Wunsch, für seinen Sohn zu sorgen?
Sollte er nicht Liebe fühlen, grenzenlose, bedingungslose Liebe?
Evie merkte, wie angespannt er auf einmal war. Als er sich zurückziehen wollte, hielt sie seine Hand fest. „Ist schon gut“, flüsterte sie. „Das Baby hat sich nur bewegt.“
Nichts ist gut! Finn rollte sich herum, setzte sich auf die Bettkante und stützte den Kopf in die Hände.
Evie drehte sich um, blickte auf seine Narben, und ihr wurde das Herz schwer. Sie richtete sich auf, rutschte zu ihm hinüber und schmiegte das Gesicht an seinen Rücken. „Was ist, Finn? Was hast du?“
Er wollte sie wegschieben, aber sie war so zärtlich, so sanft, dass er es nicht über sich brachte. „An dem Tag, an dem Isaac starb, ist in mir etwas gestorben, Evie. Ich glaube, ich kann nicht lieben.“
Als sie anfing zu protestieren, zwang er sich, aufzustehen, sich zu ihr umzudrehen. Sie sah wunderschön aus, herrlich nackt, mit ihrem runden Babybauch und den leicht geröteten Wangen und schimmernden Augen einer Frau, die gerade ein lustvolles Liebesspiel erlebt hatte.
Es war die einzige Liebe, die er geben konnte … „Und wenn ich ihn nicht lieben kann?“
Sie lächelte besänftigend. „Natürlich liebst du ihn. Wie alle Eltern ihre Kinder lieben.“
Der traurige Ausdruck in seinen blauen Augen schnitt ihr tiefer ins Herz als der Anblick seiner Narben.
„Nicht alle, Evie“, sagte er tonlos.