Ungläubig starrte Darby auf das schmale Doppelbett, das das Zimmer in der Armadillo Lake Lodge beherrschte.
„Vergiss es“, warnte Blake. Er stützte die Hände in seine Hüften und musterte ebenfalls das Bett. „Ich schlafe auf keinen Fall auf einem Stuhl.“
Er dachte, sie wollte ihn nicht im Bett haben? Was würde er wohl sagen, wenn sie ihm gestand, dass sie sich vorstellte, wie es mit ihnen beiden in diesem Bett wäre? Fantasierte, das Wochenende mit ihm im Bett zu verbringen? Lachen, sich necken … etwas mehr …?
Wahrscheinlich würde er sie auslachen und ihr sagen, sie solle ernst sein.
Seufzend schüttelte sie die Dose mit fruchtig duftendem Desinfektionsmittel, das sie auf die kitschige braun-orange Decke gesprüht hatte, die wahrscheinlich in Gebrauch war, seit die Lodge eröffnet worden war.
„Ich habe nichts davon gesagt, dass du auf einem Stuhl schlafen musst.“
Wenn sie sich das Bett nicht teilten, würde sich das wie ein Lauffeuer herumsprechen. Das hier war Armadillo Lake. Jeder wusste über jeden Bescheid. Nachdem sie das Zimmer aufgeräumt hatte, würde Gertrude Johnson das pikante Detail jedem erzählen, der ihr zuhörte.
Solange Darby denken konnte, führten die Johnsons das einzige Hotel in einem Umkreis von dreißig Meilen. Wenn es den Tearoom nicht geben würde – das einzige gute Restaurant der Stadt – und den großen Festsaal, in dem alle großen Veranstaltungen der Stadt stattfanden, wäre die Lodge wohl schon vor Jahren pleitegegangen. Armadillo Lake zog einfach nicht viele Touristen an.
Nur nichts ahnende Frauen, die für ihr Highschoolklassentreffen hierherkamen, um den Mann ihrer Träume davon zu überzeugen, dass sie die Frau seiner Träume waren.
Sie drehte sich zu ihm um. Trotz der sechsstündigen Fahrt wirkte er frisch, nicht eine Falte war auf seiner Kleidung zu sehen. Nur ein einziges Mal würde sie ihn zu gern zerzaust sehen.
Dann blickte sie schnell wieder auf das Bett.
Okay, sie wollte ihn also zerzausen und das gründlich. Mehr als einmal. Eine Frau durfte schließlich träumen, oder?
Darby schluckte.
Sie musste ihre Fantasie im Zaum halten. Blake war hier, um ihr zu helfen. Wenn er sie endlich als Frau wahrnahm, dann war es eben so, aber sie würde sich ihm nicht an den Hals werfen. Entweder wollte Blake eine Beziehung mit ihr oder eben nicht.
Ihr Blick fiel wieder auf das Bett.
„Es ist groß genug für uns beide. Wir teilen es uns.“ Ihre Augen wurden schmal. „Du bleibst auf deiner Seite, und ich bleibe auf meiner. Ich nehme diese hier.“ Darby deutete auf die Bettseite in der Nähe des Bades.
Er lachte, als sie die Decke anhob und Desinfektionsmittel aufs Laken sprühte. „Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der Hotelbetten desinfiziert.“
Darby zuckte die Schultern. Sie hatte einfach zu viele Fernsehsendungen darüber gesehen, was in Hotelbetten herumkrabbelte, und sie brachte generell ihr eigenes Kissen mit.
„Hier.“ Sie warf ihm die Spraydose zu. „Du bist ja ein großer Junge. Desinfizier deine Seite selbst.“
Grinsend fing er die Dose auf, während sie ihre Sachen auspackte. Mit angehaltenem Atem zog sie ein schwarzes Spitzenteil aus ihrem Koffer und ließ es in die Schublade fallen, die sie auch bereits desinfiziert hatte.
Sie sah gerade rechtzeitig auf, um Blakes Blick zu bemerken, der ihren Bewegungen folgte, während sie ein Paar winziger Slips in die Schublade warf.
Er schluckte und zupfte am Kragen seines Polohemds.
Wenn dieses Wochenende auch sonst nichts brachte, aber Blake hatte endlich gemerkt, dass sie eine Frau war.
Eine Frau mit einem Faible für raffinierte Unterwäsche.
In diesem Augenblick wollte Blake sie.
Und jetzt? Konnten ihre Fantasien wahr werden oder führten ihre Hoffnungen nur ins Chaos?
Blake hängte seine Sachen in den winzigen Hotelschrank und kämpfte noch immer mit seiner Reaktion auf die knappe Seidenunterwäsche, die Darby aus ihrem Koffer gezogen hatte.
Wie hätte er ahnen können, dass sie eine Vorliebe für sexy Dessous hatte?
Aber woher auch? Ihre Beziehung war anders. Sie unterhielten sich nicht über Boxershorts oder Slips, Liebestöter oder feine schwarze Seide. Sie waren Geschäftspartner – und das sollte er im Hinterkopf behalten, anstatt sich vorzustellen, wie die Spitze ihren Po bedeckte.
Im Bad fiel etwas auf den Boden, und Darby fluchte leise.
Er musterte seinen Anzug und hängte ihn schließlich neben Darbys strahlend blaues Kleid. Mit den Fingerspitzen strich er über den weichen Stoff.
Vielleicht sollte er anbieten, auf dem Stuhl zu schlafen. Denn mit Darby im selben Zimmer würde er sowieso kein Auge zumachen.
Noch nie hatte er ein Wochenende mit einer wunderschönen Frau in einem Hotel verbracht, mit der er nicht schlief.
Besonders, wenn er mit ihr schlafen wollte.
Aber Sex mit Darby wäre nie einfach nur Sex. Sie war seine Geschäftspartnerin, seine Freundin, jemand, den er mochte.
Alles Gründe, warum Sex keine gute Idee war.
So gern er Darby auch in diesen winzigen Seidenteilen sehen wollte, Sex würde alles ruinieren. Sie war nicht für lockeren Sex zu haben, und er wollte nichts anderes.
Die Badezimmertür wurde geöffnet, und Blake sah sich der Frau gegenüber, die er sich gerade in ihrer Unterwäsche vorgestellt hatte. Der Dampf der Dusche streifte seine Haut. Ihm wurde heiß, als er daran dachte, was sie mit ihrer Kleidung verhüllte. Sie trug jetzt weiße Shorts, die ihre gebräunten Beine betonten, und ein modisches Top, das ihre vollen Brüste gekonnt in Szene setzte und ihre Taille unglaublich schmal wirken ließ. Sie hatte ihre blonden Haare mit einer gezackten Haarspange zusammengenommen, die auch gut als Folterinstrument dienen konnte.
„Ich bin in ein paar Stunden wieder da.“ Sie wich seinem Blick aus. „Warte nicht auf mich.“
Welches dieser Seidenteile trägt sie unter ihren Sachen?
Er schluckte schwer. Liebestöter, Blake. Sie trägt große, hässliche Omaschlüpfer. Sag dir das einfach immer wieder vor, und irgendwann wirst du vergessen, was du an Darbys kurvigem Körper sehen möchtest.
„Blake?“ Besorgt runzelte sie die Stirn. „Geht es dir gut?“
Gut? Nein, überhaupt nicht. Seine Fantasie lief auf Hochtouren. Dann drangen ihre Worte durch sein von Dessous berauschtes Hirn.
„Wenn du ausgehst, komme ich mit.“ Sie konnte ihn nicht allein in diesem Hotelzimmer lassen, mit ihrer Unterwäsche und seiner überaktiven Vorstellungskraft. Auf keinen Fall!
„Nein“, sagte sie bestimmt. „Tust du nicht.“
„Wenn du denkst, dass ich allein in einem Hotelzimmer sitze, während du ausgehst, liegst du falsch.“ Er schloss die Schranktür. Zum ersten Mal gefiel ihm ihre bestimmte Art überhaupt nicht. „Wohin willst du eigentlich?“
„Zu meinen Eltern, und du kommst nicht mit. Ende der Diskussion.“
Ihre Eltern? Natürlich. Darbys Familie lebte hier. Nur weil seine Mutter Umzüge als Hobby sah, bedeutete das nicht, dass normale Familien jährlich ihre Adresse änderten. Warum hatte er nicht bedacht, dass sie ihre Familie besuchen würde, während sie in Armadillo Lake war?
„Ich komme mit“, erwiderte er energisch, weil er wusste, dass er diese Auseinandersetzung gewinnen würde, „und du solltest dankbar dafür sein.“
Bingo. Verwirrt sah sie ihn an. „Bitte?“
Er lächelte selbstzufrieden. „Wie würde es denn aussehen, wenn der Mann, der verrückt nach dir ist, deine Eltern nicht trifft, Darby?“, schimpfte er und verschränkte seine Arme. „Du wolltest doch, dass wir echt wirken. Im Hotelzimmer Däumchen zu drehen, während du deine Familie besuchst, funktioniert nicht.“
Blake beobachtete ihr herzförmiges Gesicht, als ihr klar wurde, dass er recht hatte. Sah, wie sie verzweifelt nach plausiblen Gründen suchte, warum er doch nicht mitkommen konnte, und jeden wieder verwarf.
„Ich möchte nicht, dass du mitkommst.“ Sie ließ sich undamenhaft auf das Bett fallen, was bei ihm wieder Gedanken an die knappe Unterwäsche aufblitzen ließ. „Meine Eltern wissen nicht, dass du mit mir hier bist.“ Ihre Stimme klang ungewöhnlich weinerlich. „Du kannst nicht mitkommen.“
„Hattest du vor, mich im Hotel zu verstecken, während du den obligatorischen Besuch bei deinen Eltern absolvierst?“ Die Schuldgefühle, die ihr deutlich ins Gesicht geschrieben standen, sagten alles. „Ich bin ein entspannter Mensch, Darby, das weißt du. Aber ich halte mich nicht an den Zimmerservice, während du zu deinen Eltern fährst.“ Er runzelte die Stirn. „Wir sind seit fast vier Jahren Partner, und ich habe deine Familie noch nie getroffen. Warum eigentlich?“
Darby hatte seine Mutter bei den seltenen Gelegenheiten kennengelernt, zu denen Cecelia Knoxville besucht hatte, doch aus Darbys Familie hatte er noch niemanden getroffen. Nicht einmal zur großen Eröffnung ihrer Praxis.
„Okay, dann komm mit.“ Sie stand auf und musterte ihn, als würde sie lieber eine Kanalratte küssen, als ihn ihrer Familie vorzustellen. „Vergiss nicht, dass du darauf bestanden hast, mitzukommen, und ich dir das Drama ersparen wollte.“ Dann funkelten ihre Augen amüsiert. „Oh, und ganz nebenbei, Stadtjunge, es gibt dort Hühnerställe. Vier insgesamt. Hoffentlich hast du großen Hunger auf Mommas Hühnchen mit Klößen. Mmm, lecker.“
Darby zuckte zusammen. Ihre Mutter hatte nicht gerade ihr Shirt hochgezogen, weil sie Blakes Meinung zu den „Insektenstichen“ auf ihrem Bauch wissen wollte. Nicht am Esszimmertisch. Nicht vor der versammelten Familie. Und schon gar nicht beim Essen.
Doch genau das hatte Nellie Phillips getan, aber man musste Blake zugutehalten, dass er locker mit ihrer Familie umging – mit allen zweiundzwanzig Anwesenden, die überall im Farmhaus verteilt saßen. Tatsächlich schien ihn das typische Chaos im Hause Phillips zu amüsieren.
Während ihre Mutter dastand, ihr Shirt mit Blumenmuster hochgezogen, zeigte sie einen kleinen Streifen dicker weißer Baumwolle und viel blasse weiße Haut. Der untere Brustkorb war übersät von leuchtend roten Bläschen, die sich auf der linken Seite über den Rumpf verteilten.
Als Darby die „Insektenstiche“ sah, wurde die Peinlichkeit von Sorge verdrängt. „Bist du sicher, dass dich was gebissen hat?“
Blake untersuchte den Ausschlag. „Das sieht eher wie Herpes Zoster aus.“
Darby stimmte ihm zu. Diese entzündeten Stellen beschränkten sich auf ein einziges Dermatom und stammten nicht von einem Insekt.
„Herpes Zoster? Ist das was Ernstes?“, fragte einer ihrer Brüder und beugte sich vor, um seine Mutter genauer anzusehen. „Siehst du, Mom, ich hätte dich doch nach Pea Ridge zum Arzt fahren sollen.“
Nellie brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. „Mach dich nicht lächerlich. Herpes Zoster ist nur eine hochtrabende Bezeichnung für Gürtelrose.“
„Gürtelrose?“, fragte Darbys Vater von seinem Platz am Kopf der Tafel. Er stellte sein Glas Eistee ab und kratzte seinen ergrauenden Kopf. „Earl Johnson, ein Stück weiter die Straße hoch – erinnerst du dich an ihn, Darby? Er hatte im Frühling Gürtelrose. Habe meinen Hahn für ihn umgebracht.“
Weil sie wusste, dass Blake bestimmt nichts über Hausmittelchen für bestimmte Wehwehchen hören wollte, rutschte Darby ihren Stuhl näher an den Tisch heran und griff nach der Schüssel mit den Röstkartoffeln. „Mom, wie lange hast du den Ausschlag schon? Nimmst du etwas, um ihn auszutrocknen?“
„Erzähl Darby von den Anfällen, die du hast.“
Darby sah von ihrer Mutter zu ihrem ältesten Bruder und wieder zurück. „Welche Anfälle?“
Ihre Mutter winkte ab. „Nichts Schlimmes. Nur leicht stechende Schmerzen. Ich dachte, das kommt von den Insektenstichen.“
Sorge machte sich in Darby breit. „Was für Schmerzen? Fühlst du dich nicht wohl?“
„Mir geht es gut. Ich bin kerngesund.“ Ihre Mutter wich Darbys Blick aus und reichte stattdessen Blake die Schüssel mit dem Gemüse. „Meine Mutter hatte auch die Gürtelrose, und sie hatte noch große Schmerzen, nachdem der Ausschlag längst verschwunden war. Monatelang hat sie über ihre schmerzende Seite geklagt.“
„Schmerzen sind bei Gürtelrose normal.“ Blake nahm die Schüssel und musterte den Inhalt misstrauisch. Vorsichtig nahm er sich einen kleinen Löffel voll. „Sie sollten einen Termin bei ihrem Arzt machen, damit Sie ein antivirales Präparat und Schmerzmittel bekommen.“
„Ich mag keine Pillen. Mochte ich noch nie.“ Nellie lächelte Blake an. „Da bin ich wie meine Mutter.“
Ein kleines Mädchen kam in die Küche gerannt und kreischte, dass ihr Bruder seinen Saft umgekippt hatte. Rosy sprang auf, um sich darum zu kümmern, aber Nellie hielt ihre Schwiegertochter zurück. „Lass mich.“
Darby folgte ihrer Mutter ins Wohnzimmer und half ihr, die Saftpfütze aufzuwischen. Dabei musterte sie ihre Mutter. Die dunklen Ringe unter ihren Augen waren ihr vorher nicht aufgefallen – wahrscheinlich weil sie zu sehr damit beschäftigt gewesen war, sich über Blakes Reaktion auf ihre Familie und umgekehrt Sorgen zu machen. Ihr fiel auf, wie müde ihre Mutter aussah, sie bemerkte die tiefer werdenden Falten, das leichte Zittern ihrer Hand, als sie den Boden aufwischte.
Ihre Mutter hatte Gürtelrose. Das war nicht das Ende der Welt, aber wie lange litt sie schon und ignorierte die Schmerzen? Warum hatte sie sich nicht von Jim nach Pea Ridge fahren lassen, um sich untersuchen zu lassen? Warum hatte sie nichts von dem Ausschlag erwähnt, als sie mit Darby telefonierte? Selbst wenn ihre Mutter nicht verstand, warum sie Ärztin geworden war, wusste sie doch, dass ihre Tochter eine verdammt gute Ärztin war.
Als sie die letzten Saftreste vom abgenutzten Holzboden gewischt hatten, begegnete Darby dem Blick ihrer Mutter und fühlte sich, als wäre sie wieder fünf Jahre alt.
„Mom“, begann sie, bevor sie die Küche betraten, „du hättest Blake nicht wegen des Ausschlags fragen müssen. Ich hätte ihn mir auch angesehen.“
„Unsinn.“ Ihre Mutter winkte ab. „Er ist ein echter Arzt.“ Sie warf Blake, der sich mit Darbys Vater unterhielt, einen bewundernden Blick zu. „Warum solltest du dir Sorgen über einen kleinen Ausschlag machen?“
Ein echter Arzt. Was war sie dann? Eine Scheinärztin?
Schon möglich, schließlich täuschte sie an diesem Wochenende alles andere vor.
Blake musste kein Raketenwissenschaftler sein, um zu sehen, dass sich Darby über ihre Familie ärgerte.
Als Jüngste von fünf Kindern und einziges Mädchen behandelte ihre Familie sie, als könne sie nichts allein tun. Selbst wenn sich Darby nur Tee nachschenken wollte, erledigte das jemand für sie. Sahen sie denn nicht, was für eine talentierte junge Frau sie war? Wie sehr sie das ärgerte?
Ein Teil von ihm beneidete sie um diese große Familie, den Lärm, den herzlichen Umgang miteinander.
Als kleiner Junge hatte er seinem Großvater begeistert zugehört, wenn er von riesigen Familientreffen auf Malta erzählte, aber nur Vic Di Angelo war in die Staaten gekommen, um sein Glück zu machen. Er hatte eine hübsche junge New Yorkerin kennengelernt, die bei der Geburt ihres einzigen Kindes – Blakes Mutter – gestorben war. Cecelia Di Angelo war als Teenager schwanger geworden, und obwohl sie mehrmals heiratete, blieb Blake ein Einzelkind.
Seit dem Tod seines Großvaters bestanden Familienessen aus Blake und seiner Mutter in einem netten Restaurant in der Stadt, in der sie gerade wohnte, mit Small Talk, während sie an Wein nippten und so taten, als hätten sie etwas anderes gemeinsam als den schroffen alten Mann, den sie beide geliebt hatten.
„Noch etwas Bananenpudding, Dr. Di Angelo?“, fragte eine von Darbys Schwägerinnen. Er konnte sich nicht daran erinnern, welcher ihrer Brüder mit der großen Rothaarigen verheiratet war, aber sie war offensichtlich die Mutter der drei rothaarigen Kinder, die immer wieder ins Esszimmer rannten.
Er war ein wenig eifersüchtig auf die Freiheit, die die Kinder genossen. Verglichen mit den schicken Wohnungen, in denen er immer gewohnt hatte, musste es fantastisch sein, an einem Ort wie diesem aufzuwachsen.
„Nennen Sie mich ruhig Blake, und nein danke, keinen Pudding mehr.“ Er klopfte auf seinen flachen Bauch. „Ich wünschte, ich könnte noch, aber ich bin voll.“
„Hat er gerade gesagt, er ist toll?“ Eine weitere Schwägerin kicherte auf der anderen Tischseite und fächelte sich Luft zu.
Blake grinste. Oh ja, er mochte Darbys Familie. Sehr.
„Da muss ich dir zustimmen“, sagte eine andere, während sie ihre drei Monate alte Tochter im Arm hielt, um sie zu stillen.
Als sie in letzter Minute eine Babydecke über ihre Schulter und die entblößte Brust legte, spürte Blake Darbys Erleichterung deutlich. Um sie zu beruhigen, zwinkerte er ihr zu.
„Es tut mir leid“, flüsterte sie ihm zu.
Ihr warmer Atem kitzelte sein Ohr, schickte Gänsehaut über seinen Körper und ließ sein Herz schneller schlagen.
„Was?“ Entschuldigte sie sich dafür, dass er nur ihren blumigen Duft roch, obwohl auf dem Tisch noch immer köstliches Essen stand? Oder dafür, dass er ihr, immer wenn er sie ansah, ihre Kleidung abstreifen wollte, um zu erforschen, was sie darunter trug?
„Dass ich dich dazu gebracht habe, Hühnchen zu essen, natürlich“, neckte sie ihn, aber er las die Wahrheit in ihren Augen. Sie machte sich Sorgen, weil sie dachte, dass er ihre Familie nur ihretwegen ertrug und es kaum aushielt.
Für Darby würde er jede Unannehmlichkeit auf sich nehmen – schließlich waren sie Geschäftspartner. Aber er genoss ihre Familie.
Allerdings konnte er auf die Art, wie ihre Brüder ihn anstarrten und verfängliche Fragen zu seinen Absichten bei ihrer kleinen Schwester stellten, gut verzichten.
Blake hatte keine kleine Schwester, sonst wäre er vielleicht genauso hart zu jedem Mann, den sie mit nach Hause brachte. Und weil er wusste, was er sonst mit den Frauen anstellte, wäre er vielleicht noch härter. Wenn ihre Brüder wüssten, was er mit Darby tun wollte, würden sie mit ihm hinter eine der großen Scheunen gehen.
„Ich finde es ja so romantisch, ihr beide arbeitet zusammen und habt euch verliebt“, seufzte die rothaarige Schwägerin verträumt und hob ein genauso rothaariges Kleinkind auf ihren Schoß.
„Wir haben bei dem Gemeinschaftsprojekt in der Highschool zusammengearbeitet. Das findest du nicht romantisch“, protestierte ihr Ehemann und erinnerte Blake so daran, zu welchem Bruder sie gehörte. Soweit sich Blake erinnerte, war Jim Darbys ältester Bruder und der einzige, der wie sie dunkelblaue Augen hatte.
„Weil sich so viele dabei verlieben. Man hört einfach selten, dass sich zwei Ärzte verlieben.“ Sie seufzte erneut und lachte über den kleinen Jungen, der mit seinen Händen in ihr Gesicht patschte. „Das sieht man sonst nur im Fernsehen.“
„Was sie meint“, erklärte die brünette Schwägerin, die gerade ihr Baby stillte, „ist, dass es in Armadillo Lake keinen Arzt gibt, von zweien gar nicht zu reden. Deswegen sieht man nur im Fernsehen, dass sich zwei Ärzte verlieben.“
Blake blinzelte. „Hier gibt es keinen Arzt?“
„Der nächste ist in Pea Ridge, etwa dreißig Meilen entfernt. Dort ist auch das nächste Krankenhaus.“ Sie deutete auf die Decke, die ihr trinkendes Baby versteckte. „Ich dachte, ich müsste ihn im Stall bekommen.“
Im Stall? Wollte er das wirklich wissen? Er wandte sich an Darby, die betont auf ihren leeren Teller starrte. „Mich überrascht, dass du hier keine Praxis aufgemacht hast.“
Darby runzelte die Stirn.
„Wir haben alle gehofft, dass sie in der Nähe bleibt. Sie hat das alte Herrenhaus dort unten am Armadillo Lake immer geliebt“, erklärte eine andere Schwägerin. „Aber das war vor der Sache mit Trey.“
Ruckartig hob Darby den Kopf und bedeutete ihr, still zu sein, doch die hübsche Brünette ignorierte sie.
„Er ist übrigens wieder Single. Mit seiner Frau hat er in der Nähe von Gadsden gewohnt, aber letzten Herbst haben sie sich scheiden lassen“, fügte eine weitere Schwägerin hinzu. „Dieses Jahr ist er wieder hergezogen und hat eine Klempnerei eröffnet. Die Geschäfte laufen sehr gut, habe ich gehört. Er hat die alte Jenson Farm gekauft und ist ein ziemlich guter Fang.“
„Welche Sache?“, fragte Blake. Sein Magen zog sich zusammen, als er hörte, dass Trey Nix Single und ein „guter Fang“ war. Warum köderte Darbys Familie sie mit Trey wie ein Kaninchen mit einer Karotte? Sollte sie nach Hause gelockt werden?
Sie hatte doch ein Zuhause. In Knoxville. Bei ihm.
„Als Trey ihr das Herz gebrochen hat. Highschool-Quarterbacks sind hier dafür berüchtigt, dass sie die Herzen der Mädchen stehlen.“ Die Brünette sah zu ihrem Mann, der sie frech anlächelte. Offensichtlich war Darbys jüngster Bruder der Quarterback gewesen, der ihr Herz gestohlen hatte.
„Hallo? Ich sitze hier“, erinnerte Darby ihre Familie und legte klirrend ihr Besteck auf ihren Teller. „Und Blake möchte nichts über Trey hören.“
Eigentlich doch. Aber er hatte Mitleid mit ihr, als er die Verzweiflung in ihren Augen sah. Es würde sowieso nicht lange dauern, bis er wusste, was zwischen seiner liebreizenden Partnerin und ihrem Highschoolquarterback passiert war.
Aber für den Moment würde er seine Rolle spielen.
„Darby hat recht. Ich möchte nichts über die Männer in ihrer Vergangenheit hören, weil sie nicht wichtig sind.“ Er nahm ihre Hand und verschränkte ihre Finger, sodass alle es sehen konnten. „Jetzt gehört sie mir, und ich werde sie behalten.“
Darbys Mutter strahlte, ihre Schwägerinnen seufzten verträumt, ihre Brüder tauschten Blicke, und ihr Vater zuckte die Schultern.
Blake unterdrückte ein Lächeln. Er mochte Darbys Familie. Warum hatte sie sie ihm nicht schon eher vorgestellt?
Neben ihm atmete Darby hörbar ein und sah ihn fragend an. „Bist du sicher, dass du keinen Nachtisch mehr möchtest?“
Er zwinkerte ihr zu und zeigte ihr so, dass er alles unter Kontrolle hatte. Sie konnte ihm später für ihre Rettung danken.
Dann wandte er sich an Darbys Mutter und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Was ich wirklich gern sehen würde, sind Darbys Babyfotos. Haben Sie welche, die Sie mir gern zeigen würden?“
Darby versuchte zu ignorieren, dass Blake seine Hand besitzergreifend auf ihren Rücken gelegt hatte. Oder dass sich ihre Schwägerinnen verschwörerisch zulächelten und ihre Brüder Blake misstrauisch musterten, weil sie nicht genau wussten, was sie von ihm halten sollten. Und dass sich ihre Eltern überschlugen in der Hoffnung, dass er ihr Baby vor ihrem jugendlichen Leichtsinn rettete, in dem sie die Medizin einer Ehe und Kindern vorgezogen hatte.
Sie scheiterte kläglich.
Kein Wunder. Sie und Blake saßen zusammengepresst nebeneinander auf demselben Sofa, auf dem sie schon gesessen hatte, als sie noch Windeln trug. Ihre Mutter saß Blake gegenüber, blätterte durch ein Familienfotoalbum und zeigte ihm begeistert verschiedene peinliche Fotos von ihrer Tochter.
Darby schüttelte den Kopf, als Blake interessiert alle Fotos ansah – besonders ihre „Dilly“-Fotos.
„Die Jungs haben sie einfach überall mit hingeschleppt. Sie ist Traktor gefahren, hat geholfen, Heu zu schleppen – was ihre Brüder auch gemacht haben, Darby war immer dabei. Kein Wunder, dass sie so ein Wildfang war.“
Grübchen bildeten sich in Blakes Wangen, und seine Augen funkelten frech. „Du warst ein Wildfang?“
Sie zuckte die Schultern. „Für eine Weile.“
„Dann hat sie die Bücher entdeckt und sich in ihrem Zimmer versteckt und gelesen, anstatt ihre Aufgaben zu erledigen“, erzählte Jim.
„Ich glaube, sie hat jedes Buch unserer Stadtbibliothek gelesen. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so gern liest.“ Darbys Mutter schüttelte verwirrt den Kopf. „Immer wieder habe ich ihr gesagt, dass davon kein Essen auf den Tisch kommt.“
„Aber es hat sich ausgezahlt. Schau sie dir jetzt an – eine Ärztin“, sagte Rosy und lächelte Darby an. „Wir sind alle so stolz darauf, was sie erreicht hat. Stimmt’s?“
„Sicher“, ächzte Jim, als ihm seine Frau ihren Ellbogen in die Rippen stieß.
Darby lächelte Rosy dankbar an. Auch wenn sie ihr nicht glaubte. Ihre Eltern wären stolz gewesen, wenn sie gleich nach der Schule geheiratet, jetzt ein halbes Dutzend Kinder hätte und in der Landwirtschaft arbeiten würde. Ärztin zu werden und sechs Stunden entfernt zu leben machte sie nicht stolz.
Sie waren nicht einmal zu ihrer Abschlussfeier gekommen.
Oder zur Eröffnung von Blakes und ihrer Praxis.
Allerdings hatte Rosy an diesem Wochenende auch ihr Baby bekommen – wofür sie sich immer wieder entschuldigt hatte. Als hätte sie Einfluss darauf gehabt, wann ihr Sohn auf die Welt kam. Aber wahrscheinlich wären ihre Eltern auch sonst nicht gekommen. Soweit sie wusste, hatten sie Alabama noch nie verlassen.
„Sie ist eine erstaunliche Frau, oder?“ Blake drehte sich zu ihr, strich ihr die Haare aus dem Gesicht und schenkte ihr einen Blick, der sie beinahe hier auf dem Sofa ihrer Mutter dahinschmelzen ließ.
„Ich kann mir mein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen“, sprach er mit leiser, verführerischer Stimme weiter. Er zog ihre Hand an seinen Mund und presste einen sanften Kuss auf ihre Finger.
Ihr Atem stockte. Sie konnte den Blick nicht von ihm wenden.
Den ganzen Abend schon übertrieb er. Ständig berührte er sie, lächelte und sah sie an, als würde er sie mit Blicken ausziehen und ihm gefallen, was er dabei entdeckte.
Obwohl sie wusste, dass er nur schauspielerte, prickelte ihr Körper an Stellen, die auf dem Sofa ihrer Mutter nicht zu prickeln hatten.
Sie wollte, dass er sie bemerkte, als Frau wahrnahm, aber war sie wirklich bereit, die Konsequenzen zu tragen für das, was sie in Gang setzte? War sie bereit, das zu verlieren, was sie hatten – in der Hoffnung, in der Liebe den Jackpot zu knacken?