6. KAPITEL

Frisch geduscht saß Blake auf dem Hotelbett. Vor sich hin summend erinnerte er sich daran, wie Darby letzte Nacht an seinen Lippen gehangen hatte, als er für sie gesungen hatte, und zog seine schwarzen italienischen Schuhe an.

Vor etwa fünfzehn Minuten waren sie aus Pea Ridge zurückgekommen. Mit Cindy, Mandy und Trey hatten sie gewartet, bis Bobby in ein Zimmer in der Chirurgie verlegt worden war. Gleich am nächsten Morgen sollte er operiert werden.

Während Darby mit Bobby und seiner Mutter in der Notaufnahme gewesen war, musste Blake mit Mandy und Trey im Wartebereich sitzen. Die Stunde war ihm verdammt lang vorgekommen.

Aber zum Glück blieben die beiden im Krankenhaus, statt mit ihnen zurückzufahren.

Auf der Heimfahrt wirkte Darby sehr müde, und im Hotel hatte er sie gedrängt, sich hinzulegen und auszuruhen, während er duschte. Als Blake aus dem Bad kam, telefonierte sie, was nicht weiter überraschend war, und stellte unzählige Fragen darüber, wie es ihren Patienten im Knoxville Memorial Hospital ging.

Als sie fertig war, klappte sie ihr Handy zusammen. „Ich habe mit Dr. Kingston gesprochen. Er hat deine beiden Patienten heute Morgen entlassen.“ Mit einem Blick auf ihre Uhr fuhr sie fort: „Ich sollte mich fertig machen. Zum Glück müssen wir nur nach unten gehen.“

Sie stand von dem verschnörkelten Stuhl auf und sammelte ihre Sachen zusammen, um sie mit ins Bad zu nehmen.

„Darby?“

Sie drehte sich zu ihm um.

„Erzählst du mir, was zwischen dir und Mandy passiert ist, bevor wir nach unten gehen?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Und zwischen dir und Nix?“

„Wir kommen zu spät, wenn ich jetzt nicht dusche.“

Er seufzte. Letzte Nacht hatte er gehofft, dass sie es ihm erzählte. Und sie hatte alles mit ihm geteilt, außer ihrer Verbindung zu Trey und Mandy. „Wenn du bereit bist, darüber zu sprechen, bin ich für dich da.“

Bevor sie ihm den Rücken zudrehte, lächelte sie ihn an, aber das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. „Ich weiß“, antwortete sie. Blake war immer für sie da gewesen. Nicht, dass sie ihn oft brauchte, aber wenn, war er, ohne zu zögern, da.

Die Hand auf der Badtürklinke hielt sie inne und drehte sich zu ihm um. „Warum bist du so gut zu mir, Blake?“

Verwirrt sah er sie an. „Was meinst du?“

„Warum bist du dieses Wochenende hier? Du hattest doch sicher Besseres zu tun.“

„Du hast mich erpresst, erinnerst du dich?“

Sie umfasste die Türklinke fester. „Erpresst?“

„Gut, das ist vielleicht ein bisschen übertrieben“, gab er amüsiert zu. „Ich schuldete dir einen Gefallen, also bin ich hier.“

Damit sie ihr Gesicht wahren konnte vor Leuten aus ihrer Vergangenheit, die nicht mehr wichtig waren. Warum hatte sie ihnen so viel Macht über ihr Leben gegeben? Zugelassen, dass Treys Zurückweisung sie so traf?

Irgendwann hatten sich die Gründe dafür, sich das andere Geschlecht vom Leib zu halten, verändert. Aus der Angst vor Zurückweisung war das Warten geworden, dass Blake erkannte, dass sie eine Frau war.

Aber sie wollte nicht mehr warten.

Ihr fiel der Kuss ein. Als sie im Krankenhaus zu ihm in den Warteraum gekommen war, hatte er ihren Mund betrachtet. Hatte er sich an ihren Kuss erinnert? Oder für Mandy und Trey nur so getan?

Seufzend biss sie sich auf ihre Unterlippe. Sie hatte darum gebeten, dass er so tat als ob.

„Ich wäre auch so mitgekommen, wenn du mich gebraucht hättest, Darby.“ Blake musterte sie eindringlich. „Bedauerst du, dass ich hier bin?“

Blake kannte sie genau. Manchmal besser als sie sich selbst. Er half ihr, die Dinge klarer zu sehen, zuversichtlicher zu sein in Bezug auf die Frau, die sie war und die sie sein wollte.

„Nein, das bedaure ich nicht. Ganz im Gegenteil“, antwortete sie ehrlich. Sie vertraute Blake mehr als jedem anderen Menschen, den sie kannte. Mit ihrer Praxis, ihrem Ruf und ihrer Vergangenheit. „Du bist ein netter Mann, Blake Di Angelo.“

„Nett?“ Er hustete. „Das glaubst du, Dilly.“

Sie rollte mit den Augen. Den Spitznamen würde er sie wohl nie vergessen lassen.

Nett? Darby fand ihn nett?

Kopfschüttelnd schaltete Blake den Fernseher ein, um die Nachrichten zu sehen. In Bezug auf Darby fühlte er sich alles andere als nett.

Obwohl es in ihrer Beziehung nicht um Sex ging, drehten sich seine Gedanken im Moment ununterbrochen um sie, und egal, wie sehr er sich zusammenreißen wollte, seine Lust weigerte sich zu kooperieren.

Nach dem glühenden Kuss, den sie geteilt hatten, war er doch mehr als „nett“, oder? Dieser Kuss hatte ihn in Brand gesetzt, und für sie war er nur ein netter Mann?

Als die Badezimmertür geöffnet wurde, war Blake noch immer empört. Er war nicht nett – und es passte ihm nicht, dass Darby so über ihn dachte. Was die Frage aufwarf, wie sie über ihn denken sollte. Hatte er gewollt, dass dieser Kuss Darby in Brand setzte? Sollte sie mehr in ihm sehen als ihren Geschäftspartner?

Mit einem Blick zur Tür beantwortete sein Körper die Frage für ihn. Er wollte, dass Darby ihn begehrte, hoffte, dass ihr sein Kuss Sterne in die Augen zauberte.

Er pfiff begeistert. Sie hatte ihre Haare raffiniert hochgesteckt, was ihren zarten Nacken entblößte. Das blaue Kleid schmiegte sich genau an den richtigen Stellen an ihren Körper, und seine Libido schlug Purzelbäume.

Und ihre Schuhe. Hatte er sie jemals mit solchen Absätzen gesehen? Sexy, schwarze Stilettos mit einem breiten Fesselriemen. Mit Blicken streichelte er ihre Beine, während ihm die Zunge am Gaumen klebte. Sie war so klein, aber ihre Beine wirkten endlos lang. „Du siehst toll aus.“

Sie drehte sich, damit er ihr Outfit ganz bewundern konnte, und brachte ihn damit, ohne es zu wissen, in Bedrängnis. Sein Körper spannte sich an, und er wurde hart. Zufrieden lächelte Darby ihn an, dabei leuchteten ihre Augen wie blaue Edelsteine, und ihre vollen rosa Lippen wirkten noch verführerischer.

„Danke.“ Sie musterte seine schwarze Hose, das passende Jackett, das blaue Hemd, das sie vorgeschlagen hatte, und die silberne Krawatte mit dem Rautenmuster. „Du siehst auch nicht gerade schäbig aus, Stadtjunge.“

Unfähig, den Blick von ihr zu lösen, saugte er jeden verführerischen Zentimeter von ihr in sich auf. „Lass uns das Klassentreffen vergessen und hierbleiben, dann beweise ich dir, wie ich wirklich bin.“

Das hatte ihn getroffen. Welcher Mann wollte schon als nett beschrieben werden?

Lachend verdrehte sie die Augen. „Sei ernst, Blake.“

Es war ihm ernst.

Er wollte sie. War versucht, sie auf das Bett zu schubsen, den seidenen Saum ihres Kleides hochzuschieben, ihr das knappe, verführerische Stück Seidenunterwäsche auszuziehen, das sie trug, und sie zu küssen, bis sie darum bettelte, dass er sie nahm.

Blake erstarrte.

Das war Darby und keine seiner monatlich wechselnden Affären. Der knisternden Anziehung nachzugeben würde ihre Arbeitsbeziehung, ihre Freundschaft ruinieren. Ein kluger Mann sollte das bedenken.

Er stand vom Bett auf und seufzte übertrieben, um die Stimmung unbeschwert zu halten. Sie hatte heute Abend genug um die Ohren, auch ohne sein unerwünschtes Verlangen. „Da du dich weigerst, hierzubleiben und zu sehen, wie schnell ich dir dieses Kleid ausziehen kann, lass uns lieber gehen, bevor ich alles tue, um dich umzustimmen.“

Ihre Augen glitzerten vergnügt, als sie mit wiegenden Hüften, dank ihrer Stilettos, zum Bettende ging. „Du bist unglaublich gut für das Ego einer Frau.“

„So bin ich. Ein netter Egostreichler.“

„Das war als Kompliment gemeint“, warnte sie ihn und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel.

„Weil sich auch jeder Mann wünscht, dass eine Frau ihn nett findet.“

Nervös lachte sie, während sie ihr Kleid glatt strich. „Wir sind allein, Blake. Du musst solche Dinge jetzt nicht sagen.“

Neugierig musterte er sie und wunderte sich über ihr Unbehagen. „Zum Beispiel?“

„Dass ich schön bin.“ Sie wandte den Blick ab, Röte stieg ihr in die Wangen. „Oder dass du mich ausziehen möchtest. Du musst nicht schauspielern, wenn wir allein sind. Es wäre mir sogar lieber, wenn du das lässt, sonst glaube ich noch Sachen, die nicht wahr sind.“

Schauspielern? Machte sie Witze?

Er ging um das Bett herum und hob ihr Kinn, damit sie ihn ansehen musste. Beim Blick in ihre blauen Augen musste er dem Drang widerstehen, sie zu küssen, bis sie nicht mehr zweifelte, was gespielt war und was nicht.

Stattdessen streichelte er ihr Kinn, berührte zärtlich ihr Gesicht. Dann drehte er sie zur Kommode um, zu ihrem Spiegelbild. Er stand direkt hinter ihr, nah genug, um die Wärme ihres Körpers zu spüren, und war so erregt, dass es wehtat, aber hier ging es nicht um ihn, sondern um Darby.

Sogar mit ihren hohen Absätzen reichte sie ihm kaum ans Kinn, aber sie passten gut zusammen – ihre blonde blauäugige Perfektion neben seinen dunklen italienischen Zügen.

„Guck in den Spiegel, Darby“, drängte er. „Das ist die Frau, die ich sehe. Sie ist wunderschön. Alle Männer werden mich heute Abend beneiden, weil du mit mir hierher zurückkehren wirst.“ Blake legte seine Hand auf ihre Schulter, streichelte ihre weiche Haut, spielte mit dem dünnen blauen Spaghettiträger ihres Kleides. „Du bist eine wunderschöne, intelligente, witzige, begehrenswerte Frau, und jeder Mann würde sich glücklich schätzen, dich zu kennen. Ich tue das zumindest.“

Schweigend starrte sie auf ihre Reflektion, ihre großen blauen Augen suchten seinen Blick. Sie schluckte, holte schnell Luft, und ihre Lippen teilten sich. „Blake, ich …“

Er bekam keine Luft und dachte, er müsste ersticken an dem Druck, der sich bei seinem Geständnis auf seine Brust gelegt hatte, bei der Art, wie Darby ihn ansah, mit einer Mischung aus Verwirrung und Verlangen.

Blake musste aus diesem Hotel raus, weg von diesem schmalen Doppelbett, das ihn verführerisch lockte. Er brauchte frische Luft. Sofort.

Sonst würde er zum Neandertaler werden, sich Darby greifen und sich nehmen, was sein Instinkt verlangte.

„Komm schon, Dilly.“ Er umfasste ihr Handgelenk. „Bringen wir diese Scharade hinter uns.“

Bevor er vergaß, nett zu sein, und so schlimm war, wie er sein wollte.

„Wir könnten wirklich einen Arzt in der Stadt brauchen“, meinte eine leicht übergewichtige Brünette und schenkte Darby einen dramatischen Blick, während im Hintergrund eine Band Lynyrd Skynyrd spielte. „Stell dir nur vor, was mit Bobbys Arm passiert wäre, wenn du nicht da gewesen wärst. Aber zum Glück warst du es.“

Darby schenkte Leah ein Lächeln. Sie kannten sich seit der Grundschule, waren aber nie eng befreundet gewesen. Die beste Freundin, die sie je gehabt hatte, war ihr in den Rücken gefallen. Wegen Trey.

„Da stimme ich zu“, mischte sich ein großer, freundlich wirkender Mann ein und trat zu ihnen. Er nahm sein Bier in die andere Hand und reichte erst ihr und dann Blake die Hand. „Mark Lytle … schön, dich kennenzulernen. Hey, Leah.“

Darby schüttelte seine Hand, aber sie konnte ihn nicht einordnen.

Als er ihre Verwirrung sah, schmunzelte er. „Ich bin der örtliche Tierarzt. Ich bin vor ein paar Jahren aus Texas hergezogen, als Doc Tatum in Rente gegangen ist.“

„Mark Lytle“, wiederholte sie. Jetzt erinnerte sie sich. Ihre Familie hatte ihn erwähnt.

„Ich bin mit Debbie Earnhart hier. Sie arbeitet bei mir an der Anmeldung“, erzählte er mit einem freundlichen Lächeln. „Auch wenn ich dafür nicht ausgebildet bin, muss ich mich öfter kleineren menschlichen Problemen annehmen, als ihr denken würdet. Was kann ich tun, damit ihr eure Praxis hierher verlegt?“

Zuerst sagte Darby nichts, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte, aber dann erwiderte sie: „Wenn ich mich jemals entschließe umzuziehen, gebe ich dir Bescheid.“ Um ihr Unbehagen zu verstecken, lächelte sie. „Hast du die Tierarztpraxis vom alten Doc Tatum gekauft?“

Wie sie gehofft hatte, wandte sich das Gespräch Marks Tierklinik zu. Mehrere andere Pärchen gesellten sich zu ihnen.

Blake blieb an ihrer Seite und kümmerte sich aufmerksam um sie. Seine Hand lag besitzergreifend und beruhigend auf ihrem Rücken. Sie versicherte ihr, dass es nichts gab, wovor sie Angst haben musste, und dass er dachte, sie wäre schön.

Er musste die Worte nicht wiederholen. Sie konnte die Wahrheit in seinen Augen sehen, als er sie ansah. Das schauspielerte er nicht.

Das allein hielt das Lächeln auf ihrem Gesicht, machte ihr seine Nähe besonders bewusst.

Sie unterhielten sich mit Pärchen, aßen Fingerfood vom Buffet und mischten sich unter die Leute. Aber die ganze Zeit knisterte es zwischen ihnen, die Spannung stieg und stieg jedes Mal, wenn sich ihre Blicke trafen, ihre Finger den anderen streiften.

Spannung, die sich von dem Moment, als sie ihn gebeten hatte, so zu tun, als wäre er in sie verliebt, langsam aufgebaut hatte und ihren Höhepunkt erreichte, als Blake sie so besitzergreifend unter der Eiche küsste. Diese Anspannung drohte zu explodieren, wenn er nicht aufhörte, sie anzusehen, als wollte er sie von Kopf bis Fuß vernaschen.

Aufregung im vorderen Teil des Raumes ließ Darby dorthin sehen. Mandy und Trey. Zusammen. Ballkönigin und – könig. Kapitän der Cheerleader und Starquarterback. Ehemalige beste Freundin und ehemaliger Schwarm.

Wochenlang hatte sie befürchtet, dass dieser Anblick wie eine Kugel ins Herz wäre. Zu ihrer Überraschung bedauerte sie eher die verschwendete Zeit und den Herzschmerz. In der Highschool hatte sie ihre beste Freundin verloren – und warum? Wegen eines Mannes. Mit sechzehn war Trey für sie mehr als nur ein Mann, aber was wusste sie damals? Nicht viel.

Komisch, wie die Zeit die Dinge veränderte.

Wie ihre Beziehung zu Blake.

Denn dieses Wochenende hatte etwas zwischen ihnen verändert.

Bei seinem Kuss vorhin hatte sie bis zu ihren Zehen in Flammen gestanden. Jahrelang hatte sie davon geträumt, dass er sie küsste, und jetzt hatte er es wirklich getan.

Sie wollte Blake, wie sie noch niemanden sonst gewollt hatte – auch wenn er im Innersten ein Playboy war, wollte sie mehr, als er anderen Frauen gab. Sie war damit zufrieden gewesen, ihn als Freund und Partner zu haben, etwas, das er nur für sie reservierte. Aber an diesem Wochenende, an dem er seine Aufmerksamkeit auf sie konzentrierte, sie liebevoll ansah – da hatte sie angefangen, die Lügen zu glauben, und wollte Blakes Herz. So sehr, dass sie sich fragte, ob sie je dahin zurückkehren konnte, wie es vorher gewesen war.

„Darby?“ Er folgte ihrem Blick und umfasste ihren Ellbogen ein bisschen zu fest. „Alles okay?“

„Mir geht es gut“, log sie. Denn wenn sie ihre Beziehung zu Blake ruinierte, würde es ihr nie wieder wirklich gut gehen. „Ich hatte nicht damit gerechnet, sie zusammen zu sehen.“

Als Mandys Blick Darbys traf, kam sie lächelnd auf sie zu. Ihr glitzerndes goldbraunes Kleid schmiegte sich an ihre durchtrainierte Figur. „Ich wollte dir noch dafür danken, was du heute für den kleinen Bobby meiner Cousine getan hast.“

Gezwungen freundlich nickte Darby. „Gern geschehen. Wie geht es ihm?“

Mandy sah wunderschön aus, wirkte aber genauso hilflos. „Er schläft.“ Sie seufzte und schüttelte ihren friseurgestylten Kopf. „Cindy ist bei ihm. Sie hat als Mitglied des Klassentreffenkomitees so viel Arbeit investiert, damit die Feier ein Erfolg wird. Sie sollte nicht alles verpassen, wenn Bobby so unter Beruhigungsmitteln steht, dass er gar nicht mitbekommt, ob sie da ist oder nicht.“

Würde ihr Sohn in diesem Krankenhausbett liegen, hätte Darby ihn auch nicht allein gelassen.

Ihr Sohn?

Das Blut sackte in ihre Füße, und ihr wurde schwindelig. Woher kam dieser Gedanke? Die Medizin war immer ihr Traum gewesen. Warum spukten ihr dann plötzlich Bilder eines dunkeläugigen, dunkelhaarigen Kindes im Kopf herum?

Mandy plapperte weiter und wirkte dabei, als wüsste sie nicht, was sie als Nächstes sagen sollte. Sie hielt krampfhaft an ihrem Lächeln fest und erzählte mit ihrem süßesten Südstaatenakzent: „Aber schau dich an.“ Sie deutete auf Darby. „Du wolltest immer Ärztin werden, und das hast du geschafft. Du hast genau gewusst, was zu tun ist, als Bobby hingefallen ist. Du musst so stolz auf dich sein.“

Darby stutzte. Warum war Mandy so freundlich?

Verunsichert wollte Darby einen Schritt zurücktreten, aber Blakes Hand hielt sie an ihrem Platz, brannte durch den Stoff ihres Kleides, sagte ihr, dass er da war, wenn sie ihn brauchte, dass sie sich behaupten musste.

Verstand sie die Hoffnung in Mandys braunen Augen falsch?

„Ich habe das Krankenhaus erst vor einer Weile verlassen – weil ich mir die Haare machen lassen musste.“ Sie deutete auf ihre blonden Ponyfransen. „Der Arzt sagte, du hast dich fantastisch um Bobby gekümmert. Wir hatten Glück, dass du da warst. Du solltest wirklich nach Hause kommen.“

Armadillo Lake brauchte einen Arzt. Dringend.

Aber nicht sie.

Nach einem zu langen schweigsamen Moment lächelte Mandy Blake übertrieben strahlend an. „Nun, ich sollte mich unter die Leute mischen. Schließlich war ich Schulsprecherin und soll hier die Gastgeberin spielen.“

Unsicher, was sie davon halten sollte, sah Darby zu, wie Mandy sich in die Menge stürzte.

„Unglaublich“, flüsterte Blake ihr ins Ohr. „Sie hat versucht, mit dir zu sprechen, und du hast sie abblitzen lassen. Es ist offensichtlich, dass sie etwas bedauert.“

Stirnrunzelnd sah Darby zu ihm. „Hast du vergessen, was sie mir angetan hat?“

„Nein.“ Seine dunklen Augen bohrten sich in ihren Blick. „Ich kann es nicht vergessen, weil du es mir nicht erzählen willst. Warum hast du sie abblitzen lassen?“

Stellte er sich schon wieder auf Mandys Seite? Ließen sich Männer so leicht von einem hübschen Gesicht täuschen? Verteidigte der Typ, mit dem sie ausging, denn jedes Mal Mandy? Würde Blake den Abschlussball – das Klassentreffen – auch mit Mandy verlassen?

Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie würde nicht weinen. Nicht wegen der Vergangenheit. Nicht wegen der Gefühle, die in ihr wirbelten und sie dazu bringen wollten, sich an Blake zu klammern und ihn anzubetteln, sie nie zu verlassen, ihr Vertrauen nicht so zu zerstören, wie es ihr mit sechzehn passiert war.

Nie wieder würde sie sich so demütigen, so von einem Mann verletzen lassen.

Nicht einmal von Blake.

„Warum hältst du dich nicht aus Dingen raus, die dich nichts angehen?“, fauchte sie mit zusammengebissenen Zähnen. Sie brauchte unbedingt Abstand. Abrupt drehte sie sich um, weil sie etwas zu trinken suchte, und stieß in der Nähe der Bar mit Trey zusammen.

„Hey Süße.“ Er trank einen Schluck aus seiner Bierflasche. „Das hast du toll gemacht heute mit Bobby.“

Darby kochte noch immer wegen Blakes Kommentar und winkte Treys Lob abwesend ab. „Es war keine große Sache.“

„Schon, aber die meisten Leute könnten es nicht – jemandem das Leben retten. Ich bin beeindruckt.“

Sie blinzelte ihn an. „Ich habe schon vor Jahren aufgehört, dich beeindrucken zu wollen.“ Aber das stimmte nicht. Denn jeden Mann, den sie kennenlernte, mit dem sie ausgegangen war, sah sie durch den Filter der Verletzung, die Trey ihr zugefügt hatte. Sie vertraute ihren Worten oder ihren Gefühlen für sie nicht.

„Ich habe mich immer schlecht gefühlt wegen dem, was damals passiert ist.“ Er senkte den Blick und nestelte an dem silbernen Etikett herum. „Aber ich wusste nicht, wie ich mich bei dir entschuldigen soll. Ich habe nicht die richtigen Worte gefunden.“

„Ein einfaches ‚Es tut mir leid‘ hätte gereicht.“

„Es tut mir leid.“ Er grinste, und sie erinnerte sich wieder daran, was sie an ihm so anziehend gefunden hatte. „Verzeihst du mir?“

Trey wollte damals nur mit ihr ausgehen, um es Mandy heimzuzahlen. Es hatte funktioniert. Welche Differenzen sie auch gehabt hatten, als Mandy und ein anderer Junge zum See gefahren kamen, war Trey, Darbys Verabredung – der Junge, mit dem sie aufs Ganze gehen wollte –, aus seinem Auto gesprungen, hatte Mandys Verabredung verprügelt und sich mit ihr versöhnt. Darby musste an dem Abend selber sehen, wie sie wieder nach Hause kam.

„Um ehrlich zu sein“, fuhr er fort, „hast du mir Angst eingejagt. Du warst so klug und wusstest genau, was du vom Leben wolltest. Ich mochte dich, aber neben dir kam ich mir so dumm vor.“ Er seufzte. „Und dann war da Mandy.“

Ja, da war Mandy gewesen – die sich zur selben Zeit wie Darby in Trey verliebt hatte. Jahrelang hatten sie ihn aus der Ferne angehimmelt. Mit fünfzehn hatte sich Trey in Mandy verliebt, was dazu führte, dass Mandy ihre Freundschaft mit Darby wegwarf. Erst als seine Beziehung zu Mandy vorbei war, verabredete er sich mit Darby.

„Ich habe sie geliebt, weißt du.“ Er zuckte die Schultern. „Was ich dir angetan habe, war falsch, aber ich wollte dich an dem Abend nicht verletzen.“

Nein, er war nur bereit gewesen, alles zu nehmen, was sie ihm geben wollte – ihre Jungfräulichkeit, ihre Liebe, ihr naives Vertrauen –, und ihr in dem Moment den Rücken zu kehren, als er sich mit Mandy versöhnen konnte.

Aber wenn sie jetzt in Treys ernste Augen sah, glaubte sie ihm. Er war damals siebzehn gewesen, ein typischer Teenager. War es sein Fehler, dass sie seine Worte ernst genommen hatte?

„Okay, ich glaube dir, dass du mich nicht absichtlich verletzt hast.“

„Toll. Lass mich dir einen Drink ausgeben. Von Freund zu Freund.“

Sie waren keine Freunde und würden es wahrscheinlich auch nie werden. Aber Darbys Gefühle waren aufgewühlt, was schadete da ein Drink? Dazu war sie hergekommen, um der Missbilligung in Blakes Blick zu entkommen. Er hatte sich auf Mandys Seite gestellt. Ergriffen Männer nicht immer Partei für die Mandys dieser Welt?

Sie warf Blake einen schnellen Blick zu. Er saß an ihrem Tisch, sein Gesichtsausdruck so dunkel wie seine Augen. Er musste nichts weiter tun, um sie wissen zu lassen, dass er sie an ihrem Tisch zurückhaben wollte, weg von Trey. Aber nicht dieses Mal. Diesmal würde der Mann, mit dem sie ausging, zu ihr kommen und Anspruch auf sie erheben.

Entschlossen lächelte sie Trey an. „Warum nicht? Ich glaube, du schuldest mir einige.“

„Das stimmt wohl.“ Sein Blick strich über ihr Gesicht, und er schmunzelte träge. „Und ich habe vor, sie mit Zinsen zurückzuzahlen.“

Zum zweiten Mal an diesem Tag unterbrach Blake Trey Nix, als er sich an seine Frau heranmachte. „Ich übernehme.“

„Ich will nicht, dass du übernimmst“, protestierte Darby und klammerte sich an Nix’ Schultern.

„Was du nicht sagst. Du bist doch nur auf der Tanzfläche, damit ich abklatschen kann.“

Blake hatte sich im Hintergrund gehalten und sie schmoren lassen. Er sah zu, wie sie einen Drink nach dem anderen mit ihrer ersten Liebe trank, beobachtete, wie sie Blake trotzig anblitzte, ihn so herausforderte, zu ihr zu kommen, und dann mit Nix flirtete. Er hatte sich gezwungen, darauf zu warten, dass sie zur Besinnung kam, geduldig zu sein, aber als sie sich auf der Tanzfläche in die Arme eines anderen Mannes schmiegte, hatte Blake genug und mischte sich doch wieder in ihr Leben ein.

Darby runzelte die Stirn.

Blake sah sie genauso finster an und zog sie mit sich, um sie von Nix zu lösen.

„Darby?“, fragte Trey unsicher.

„Warte eine Minute, Trey.“ Sie wandte sich Blake zu. „Vielleicht solltest du dir auch eine Frau zum Tanzen suchen und mich in Ruhe lassen.“

„Keine Spielchen mehr, Darby. Wir wissen beide, mit wem du heute Abend hier bist und mit wem du wieder gehst. Mit mir.“ Er zog sie an sich und hielt sie so eng an sich gepresst, dass kein Zweifel blieb, wen er meinte.

„Bist du da so sicher?“ Ihre Augen flackerten ärgerlich, dann wurde ihr Blick weich, ein Lächeln spielte um ihre Lippen. „Hast du mich gerade angeknurrt?“

Er blickte in ihre glücklichen Augen – in deren blauen Tiefen er sich verlieren wollte. „Verklag mich doch deswegen.“

„Du bist Arzt – so was solltest du nie sagen“, warnte sie ihn lachend. Winkend verabschiedete sie sich von Nix, der noch immer dastand. Dann konzentrierte sie sich wieder auf Blake und legte ihm die Arme um den Hals. „Du solltest nie anbieten, was du nicht meinst. Irgendjemand könnte dich beim Wort nehmen.“

Er atmete ihren süßen Duft ein. Das frische, leicht blumige Aroma hatte ihn den ganzen Abend dazu gebracht, sich zu ihr zu beugen, hatte ihm Appetit gemacht. Jetzt war er geradezu ausgehungert.

„Du solltest dich nie so an einem Mann reiben, der dich küssen will, er könnte dich auch beim Wort nehmen.“

Sie hörte auf, sich gegen ihn zu bewegen. Ihr leicht verschleierter Blick sagte deutlich, dass sie nicht wusste, was sie getan hatte, aber dann lächelte sie. „Warum hast du so lange gebraucht, Blake? Ich dachte, du rettest mich nie.“

Warum er so lange gebraucht hatte? Sie retten? „Du hast mir doch gesagt, ich soll mich nicht in dein Leben einmischen“, erinnerte er sie, immer noch wütend über ihren unverfrorenen Flirt mit Nix.

„Das habe ich nicht so gemeint.“ Ernst sah er sie an. „Ich will dich immer in meinem Leben. Immer, Blake. Nur dich.“

Sein Magen schlug Purzelbäume. Nur ihn. Er bemerkte das Zittern ihrer Unterlippe, ihren fruchtigen Atem und musterte sie genauer. „Wie viel Alkohol hat dir dieser Idiot gegeben?“

„Alkohol?“ Sie blinzelte und schlang die Arme fester um seinen Hals, ihre Augen funkelten amüsiert, als sie mit seinen Nackenhaaren spielte. „Trey hat mir keinen Alkohol gegeben. Nur Punsch.“ Sie leckte über ihre Lippen. „Mmh, lecker. Der beste Punsch, den ich je getrunken habe.“

Er hätte vielleicht über ihre Arglosigkeit gelacht, wenn ihre rosa Zunge, die über ihre Lippen leckte, nicht seine volle Aufmerksamkeit verlangt hätte.

„Du bist betrunken, Darby. Ich sollte dich nach oben bringen.“

„Ich bin nicht betrunken.“ Sie fixierte seinen Mund. „Aber bring mich bitte nach oben.“ Ihre langen Wimpern streiften ihre Wangen. „Was willst du zuerst mit mir anstellen?“

Blake stolperte beinahe über seine Füße. Unzählige Dinge kämpften erbittert um den ersten Platz auf seiner „Was ich gerne mit Darby anstellen möchte“-Liste. Er wollte sie alle tun. Jede Fantasie ausleben. Mit ihr.

Er schluckte. „Vielleicht ist es keine so gute Idee, in unser Zimmer zurückzugehen.“

Darby schmollte. „Warum nicht?“

Er wollte es mit einem Lachen abtun, als würde er nicht glauben, dass sie es ernst meinte. „Ich könnte die Gelegenheit ausnutzen.“

„Ist das nicht der Plan?“ Ihre Finger griffen fester in seine Haare. Sie ging auf die Zehenspitzen und sah ihm tief in die Augen. „Gehen wir. Nutz mich aus.“

Jetzt war sie wieder bestimmend.

Wusste sie nicht, wie sehr ihn das anmachte? Dass sie ihn mehr als jede andere Frau anturnte? Ihm fielen ihre Worte von vorhin ein. Sie hatten ihn tief getroffen, aber es wäre besser, wenn er sie befolgte. Ein kluger Mann würde sich aus ihrem Leben heraushalten.

„Du weißt nicht, was du tust.“

„Doch, das weiß ich.“ Sie zog an seiner Hand und wiegte sich langsam gegen ihn. „Ich möchte, dass du mich liebst. Jetzt.“

Sie sprach laut – laut genug, dass die Pärchen um sie herum sie hörten und kicherten.

„Ich schätze, wir wissen jetzt, dass Darby nicht als Jungfrau stirbt.“

Blake wollte ihnen versichern, dass seine Partnerin die letzte Frau war, die als Jungfrau sterben würde. Aber obwohl sie gelegentlich ausging, hatte sie jeden ihrer Freunde auf Abstand gehalten, sie nie wirklich nah an sich heran gelassen, hatte an jedem Mann Fehler gefunden, um die Kontrolle zu behalten.

Ihre Kontrolle hatte er immer bewundert. Jetzt fragte er sich, ob das ihr Sicherheitsmechanismus gewesen war, ein Weg, um Männer aus ihrem Leben herauszuhalten, wenn sie ihr zu nahe kommen wollten.

Vermutlich wusste er mehr von ihr und stand ihr näher als jeder Mann, mit dem sie jemals ausgegangen war, und dabei hatte er sie bis heute noch nicht einmal geküsst. War sie noch Jungfrau?

Das konnte er sich nicht vorstellen. Auf keinen Fall war die heißeste Frau, die er kannte, noch Jungfrau!

Trotzdem ließ ihn die Möglichkeit nicht los – egal, wie oft er sie als lächerlich abtun wollte.

„Bist du?“

Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter und wiegte sich mit ihm im Rhythmus auf der Tanzfläche. „Bin ich was?“

„Jungfrau?“

Noch immer angeheitert lächelte sie ihn fröhlich an, ihre Augen leuchteten, ihre Lippen bettelten darum, geküsst zu werden. „Wenn ich eine wäre, würdest du mich dann erlösen?“