8. KAPITEL

Frisch geduscht und gerade fertig damit, ihre Sachen zu packen, sah Darby stirnrunzelnd auf die Nummer, die auf dem Display ihres Handys aufleuchtete.

Jim. Wollte er sie und Blake zum Sonntagsessen ihrer Mutter einladen? Ihre Mom kochte sonntags immer viel, damit sich die gesamte Familie nach dem Gottesdienst zusammensetzen konnte. Gestern hatte Darby angerufen, um zu hören, wie es ihr ging, aber jetzt fühlte sie sich schuldig. Sie hätte vor dem Picknick vorbeifahren sollen.

Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war, dass ihre Familie mitbekam, was zwischen ihr und Blake los war. Trotzdem nahm sie das Gespräch an. „Hey, was ist los?“

„Ich weiß, ihr seid wahrscheinlich schon fast auf dem Rückweg, aber ich glaube, du musst nach Mom sehen.“

Die Zimmertür ging auf, und Blake betrat den Raum. Er hatte bereits seine Tasche zum Auto gebracht und wollte jetzt ihre holen. Sein Blick traf ihren, aber schnell sah er weg. Kein Lächeln. Kein Zwinkern. Nur Bedauern.

„Warum?“, fragte sie ihren Bruder und beobachtete Blake, der durch den Raum ging und nachsah, ob sie auch nichts vergessen hatten. „Macht ihr ihre Gürtelrose heute stärker zu schaffen?“

„Dad hat angerufen, um Bescheid zu sagen, dass sie sich nicht gut fühlt, und zu fragen, ob ich die Tiere füttern kann. Danach habe ich nach ihr gesehen.“

Ein kalter Schauer lief Darby über den Rücken. „Und?“

„Sie sieht nicht gut aus. Ihre Haut ist ganz blass, und sie greift sich immer wieder an die Brust. Mom sagt, sie bekommt schlecht Luft und hat das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen, wenn sie steht. Sie ist den ganzen Morgen kaum vom Sofa hochgekommen, aber sie will sich nicht von mir nach Pea Ridge ins Krankenhaus fahren lassen.“

Darbys Blut gefror ihr in den Adern. „Ruf den Rettungsdienst an und gib ihr ein Aspirin. Ich bin gleich da.“

Blake warf Darbys Taschen in den Kofferraum seines SUV.

„Da ich den Weg kenne, fahre ich.“ Sie streckte ihre Hand aus. „Dann sind wir schneller da.“

Obwohl er lieber selbst gefahren wäre, besonders wo Darby so erschüttert wirkte, widersprach er nicht, reichte ihr einfach die Schlüssel und stieg auf der Beifahrerseite ein.

Er verstand, dass sie etwas tun musste. Irgendetwas. Er hatte sich mit sechs Jahren genauso gefühlt, als sein Großvater starb, und er seine Mutter gesehen hatte, die über dem Körper seines Großvaters weinte. Keiner von ihnen wusste, was sie tun sollten – in dem Moment hatte er beschlossen, Arzt zu werden.

Dieser Wunsch war die einzige Konstante in seinem ziellosen, verwöhnten Leben.

Seine Mutter hatte es nicht verstanden. Sein Großvater war ein reicher Mann gewesen, und diesen Reichtum hatte er seiner Tochter und seinem Enkel vererbt. Soweit Blake wusste, hatte seine Mutter keinen einzigen Tag in ihrem Leben gearbeitet. Sie flatterte nur von Stadt zu Stadt, von einem gesellschaftlichen Ereignis zum nächsten.

Blake hatte es gehasst, ständig umzuziehen, keine Wurzeln zu haben. Aber als er heute Morgen aufgewacht war, verstand er den Drang seiner Mutter, umzuziehen. Einfach die Taschen packen und losfahren, dann müsste er sich nicht dem stellen, was er getan hatte.

Eine Nacht voll Sex – verdammt gutem Sex – brachte sie beide in Schwierigkeiten, die sie ihre Freundschaft kosten konnten.

Dass er Darbys Jungfräulichkeit geraubt hatte – und das hatte er, trotz allem, was sie gesagt hatte – verkomplizierte alles nur noch mehr.

Darby war eine achtundzwanzigjährige Jungfrau gewesen, und er hatte ihr das genommen. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Er hätte sofort aufhören müssen, als er es bemerkte.

Sie war seine Partnerin, seine Freundin, seine Kollegin, mit der er Sex gehabt hatte. Und nun? Was erwartete sie von ihm? Sie hatte so getan, als wäre Sex zwischen ihnen keine große Sache, aber er hatte den Schmerz in ihren Augen gesehen, in seinem Innersten gespürt. Was bedeutete das?

Er wünschte sich zu dem Moment zurück, an dem sie ihn gefragt hatte, ob er sie zu diesem Wochenende begleitete. Dann hätte er seine Antwort zurückgenommen. Bestimmt wären ihm viele Gründe eingefallen, warum er nicht mit ihr nach Alabama fahren konnte.

Darby hupte das Auto vor ihnen an und schwenkte trotz der durchgezogenen Linie auf die andere Spur, um zu überholen.

Blake klammerte sich am Armaturenbrett fest. „Du hilfst niemandem, wenn du von der Straße abkommst.“

„Ich komme nicht von der Straße ab.“ Sie sah ihn nicht an, sondern flog weiter über die Landstraße.

Blake musterte ihr blasses Gesicht. Wie gern würde er sie trösten. „Du zitterst.“

„Und?“, fragte sie, während ein guter Teil seiner Reifen auf dem Asphalt zurückblieb, als sie in die lange Auffahrt zur Farm ihrer Eltern bog.

Er wollte sie also trösten, aber er wusste, dass er es nicht konnte. Sie brauchten Abstand, wenn sie ihre frühere Freundschaft retten wollten.

Warum musste er alles ruinieren, indem er mit ihr ins Bett ging?

Letzte Nacht war atemberaubend gewesen, der beste Sex seines Lebens, aber kein Sex der Welt war es wert, Darby zu verlieren. Und tief in seinem Innern wusste er, dass er sie verlieren würde.

Der Wagen kam abrupt zum Stehen, als Darby vor dem Haus scharf bremste. Ohne auf ihn zu warten, sprang sie aus dem Auto und lief die Stufen hinauf, über die breite Veranda und ins Haus.

Blake stieg aus, öffnete die hintere Tür und zog eine schwarze Arzttasche unter dem Rücksitz hervor.

Was ihn erwartete, als er das Haus betrat, ließ ihn erstarren.

Nellie Phillips lag auf dem Wohnzimmerboden, ihre Familie um sie gedrängt. Darby hockte auf ihr und versuchte sie wiederzubeleben, während ihr die Tränen über ihre kreidebleichen Wangen liefen.

Himmel!

Bitte stirb nicht, Mom. Bitte stirb nicht.

Darby betete stumm, während sie ihre ganze Kraft darauf verwandte, die Brust ihrer Mutter zusammenzupressen und lebensrettenden Atem in ihren Mund zu blasen.

Vage bemerkte sie, dass Blake sich neben sie kniete, in seiner Tasche wühlte und eine Spritze herausholte, um ihrer Mutter Adrenalin zu spritzen.

„Lass mich die Kompressionen machen.“

Obwohl sich ihre Arme wie Wackelpudding anfühlten, konnte sie nicht aufhören, ihren Rhythmus nicht unterbrechen.

Stirb nicht, Momma. Ich bin hier.

Sie konnte nicht für den Bruchteil einer Sekunde aufhören, aber als sie sich vorbeugte, um ihre Mutter zu beatmen, ersetzte Blake ihre Hände mit seinen und machte für sie weiter.

Wie durch Watte hörte Darby ihre Brüder sprechen, hörte Rosy weinen, die ängstliche Stimme ihres Vaters. Ihr Blick ging zu Blake. Sie beobachtete, wie seine Muskeln spielten bei jedem Versuch, das Herz ihrer Mutter wieder zum Schlagen zu bringen.

Wie betäubt beatmete sie den leblosen Mund ihrer Mutter. Betete. Sie wollte am liebsten weinen, einfach die Tochter sein, und nicht die Ärztin, die versuchte ihr Leben zu retten.

Atme, Momma, bitte atme.

„Erkundige dich, wie weit der Rettungsdienst noch entfernt ist“, befahl Blake. „Sag ihnen, wir brauchen sie sofort. Wir brauchen einen verdammten Defibrillator.“

„Sie haben einen Helikopter losgeschickt“, antwortete Jim. Er hielt eine weinende Rosy an seine Seite gepresst, während er in sein Handy sprach.

Das Herz ihrer Mutter schlug nicht, und sie hatten keinen Defibrillator.

Darbys eigenes Herz schmerzte.

Nein, ihre Mutter konnte nicht sterben.

Bitte, lieber Gott, bitte nimm sie uns noch nicht. Ich brauche meine Mom. Ich wusste nicht, wie sehr, aber ich brauche sie in meinem Leben.

„Ich habe einen Puls, Darby“, rief Blake und klang beinahe genauso erleichtert, wie Darby sich fühlte.

Ihre Mutter keuchte auf.

Erleichtert küsste Darby ihre Stirn. „Atme, Momma, hol Luft. Du musst atmen.“

Sie dankte Gott, als sie den leichten Atemzug an ihrer Haut spürte. „Sie atmet. Oh, Blake, sie atmet.“

Er nickte und beendete die Kompressionen. Sie überprüfte die Atmung ihrer Mutter, während er den Herzschlag kontrollierte.

Bitte, Momma, halte durch. Atme.

In der Ferne war das Surren eines Helikopters zu hören. Erleichtert seufzte Darby.

„Puls ist zweiundfünfzig“, sagte Blake. „Gott sei Dank ist der Helikopter hier.“

Ihre Mutter schlug die Augen auf und sah sie an. Ihre Lippen bewegten sich, aber Darby verstand nicht, was sie sagen wollte.

Sie beugte sich vor. „Was ist, Momma? Ich bin hier.“

„Zuhause.“ Das war das einzige Wort, das sie verstand. „Zuhause.“

Der Flugrettungsassistent eilte ins Haus und ließ sich von Blake und Darby berichten, was passiert war, während ein anderer Sanitäter eine Infusion legte und Medikamente verabreichte.

„Wir können im Helikopter nur noch einen weiteren Passagier mitnehmen.“

Darby sah zu ihrem Vater. Er wirkte selber krank, als würde kaum noch Blut durch seinen blassen Körper fließen.

„Begleite sie.“ Seine Stimme klang heiser vor Gefühlen. „Flieg mit und pass für mich auf sie auf.“

Darby wollte ihn umarmen, aber der Sanitäter würde nicht auf sie warten.

„Ich fahre deinen Vater zum Krankenhaus, Darby“, versprach Blake.

„Oder er kann mit Rosy und mir mitfahren“, meldete sich Jim zu Wort, der neben ihrem Vater stand.

Sie wartete nicht, bis geklärt war, wer mit wem fuhr. Schnell lief sie aus dem Haus und blieb neben der Trage, auf der ihre Mutter lag.

Das Herz ihrer Mutter schlug wieder, aber hatte der Sauerstoffmangel zu Hirnschäden geführt? War ihr Herz stark genug, um weiterzuschlagen?

Innerlich zerrissen verflocht Blake seine Finger mit Darbys, denn er wusste, dass sie sonst nicht lange auf dem Sofa im Wartezimmer sitzen bleiben würde. Sie war beinahe ununterbrochen auf und ab gegangen. Aber er wollte ihr zeigen, dass er trotz allem jetzt für sie da war. Er wünschte, er könnte ihr die Sorgen nehmen, und drückte sie sanft.

Dann überraschte sie ihn, indem sie näher rutschte und ihren Kopf auf seine Schulter legte.

Er kämpfte gegen die Panik in seiner Brust und legte seinen Arm um sie, zog sie an sich und nahm wieder ihre Hand. Sie brauchte ihn jetzt. Als Freund und Kollegen. Es war okay, sie zu halten und zu trösten. Nichts anderes hätte er getan, wenn sie nicht miteinander geschlafen hätten.

„Danke“, flüsterte Darby. „Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn du nicht bei mir gewesen wärst, Blake.“

„Du hättest alles getan, was nötig ist. So wie immer“, versicherte er ihr.

„Ich habe mich so hilflos gefühlt, so schwach, als würde nichts, was ich tue, einen Unterschied machen“, raunte sie so leise, dass er sie kaum hörte.

„Du hast ihr das Leben gerettet, Darby.“

„Wir beide.“ Sie holte tief Luft. „Ich bin froh, dass wir da waren.“

„Ich auch“, stimmte er ihr zu, obwohl er in Wahrheit wünschte, nie einen Fuß nach Armadillo Lake gesetzt zu haben. Aber jetzt war keine Zeit für Schuldzuweisungen. Jetzt brauchte Darby ihn, und er würde für sie da sein. Doch sobald sie wieder in Knoxville waren, würde er die Dinge zwischen ihnen ins Reine bringen. „Armadillo Lake braucht wirklich einen Arzt.“

„Sie darf nicht sterben, Blake. Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie stirbt.“ Darby schloss ihre Augen, ihr Körper spannte sich an, aber sie sagte nichts weiter.

Er sah auf, und sein Blick traf die blauen Augen von Darbys ältestem Bruder. Jim sagte nichts, doch als sich seine kleine Schwester an Blake lehnte, nickte er zustimmend.

Würde ihr Bruder es auch akzeptieren, wenn er wüsste, dass Blake seiner Schwester die Jungfräulichkeit gestohlen hatte?

Sein Magen zog sich zusammen vor Schuldgefühlen. Darby verdiente Besseres. Sie verdiente Rosen, Romantik und ein Happy End.

„Sie wird wieder gesund, oder?“ Darby sprach leise, und Blake verstand auch, warum. Den ganzen Tag war sie stark gewesen, nur bei ihm konnte sie Schwäche zeigen.

„Ja“, antwortete er und hoffte, dass er die Wahrheit sagte. Darbys Mutter hatte, nach Meinung des Unfallarztes, einen Herzinfarkt erlitten und wurde gerade vom diensthabenden Kardiologen untersucht. Blake streichelte Darbys Haare und küsste ihren Scheitel. „Sie wird wieder gesund, Liebling. Du wirst schon sehen.“

Blake wünschte sich, dass es wahr wurde, und versuchte nicht zusammenzuzucken, als er den Kosenamen benutzte. Im Moment würde er alles tun, um sie zu trösten und glücklich zu machen, aber offen gestanden jagte es ihm eine Heidenangst ein.

„Darby, wir müssen uns unterhalten …“

„Oh, Darby, ich habe gerade das von deiner Mutter gehört.“ Mandy Coulson und Trey Nix betraten den Warteraum. „Bobby wurde heute Morgen operiert“, fuhr Mandy fort, bevor jemand auch nur ein Wort sagen konnte. „Trey und ich waren bei Cindy; als wir uns etwas zu trinken holen wollten, sind wir Carla begegnet. Sie hat uns alles erzählt.“

Darby spannte sich in Blakes Armen an. Wegen Mandy? Wegen Nix? Aus Verlangen? Eifersüchtig hielt Blake sie fester.

„Es tut mir so leid, Darby“, sagte Nix, der unbeholfen neben ihnen stand.

Sie löste sich aus Blakes Armen, setzte sich auf und lächelte das Pärchen an. „Danke, das ist sehr nett von euch.“

Nett? Blake runzelte die Stirn.

„Können wir etwas tun?“ Mandy trat näher.

Darby schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht.“

Mandy senkte den Blick, dann nickte sie, als würde sie Darbys kühlen Tonfall verstehen. „Wir werden für sie beten.“

Mit ausdrucklosem Gesicht starrte Darby sie direkt an. „Danke.“

In dem Moment betrat der Kardiologe den Warteraum, und alle sahen zu ihm.

„Mrs Phillips hat einen akuten Herzinfarkt erlitten, zeigt aber bis jetzt keine Anzeichen von größeren bleibenden Schäden. Sie wird zur Beobachtung aufgenommen. Morgen werde ich ein Arteriogramm anfertigen, aber insgesamt hat sie großes Glück gehabt.“

Alle atmeten erleichtert auf.

Als der Kardiologe den Warteraum verließ, konnte Darby nicht widerstehen und sah nach, ob Blake die gebräunte Haut bemerkte, die Mandy mit ihren extrem knappen Hotpants zur Schau stellte. Ihr Blick prallte auf seinen dunklen.

Hatte sie wirklich die Nacht in seinen Armen verbracht und ihm ihr Herz und ihren Körper geschenkt? Hatte sie wirklich gefühlt, dass ihre Seelen verbunden waren? Konnte man wirklich etwas so Schönes mit einem Menschen teilen und nur wenige Stunden später nicht wissen, was man sagen sollte?

Es schnürte ihr den Hals zu. Was würde mit ihnen passieren? Aber jetzt war erst einmal wichtig, dass ihre Mutter wieder gesund wurde. Trotzdem konnte sie den Blick nicht von Blakes dunklen Augen wenden, konnte nicht anders, als sich zu wünschen, dass er sie liebte.

Als sie sich an ihn lehnte, hatte sie seine Anspannung gespürt, die Unbeholfenheit in der Art, wie er sie hielt. Alles zwischen ihnen hatte sich verändert, und es machte sie krank. „Ich brauche frische Luft.“

Blake stand auf, als wollte er ihr folgen, aber sofort sprang Mandy von ihrem Platz neben Trey auf und ergriff ihre Hand. „Ich begleite dich.“

Verwirrt starrte Darby ihre ehemalige Freundin an, aber sie sagte nichts, sondern verließ einfach den Warteraum.

„Ich bin froh, dass deine Mutter wieder gesund wird“, sagte Mandy, als sie vor dem Eingang zur Notaufnahme standen.

„Ich auch.“

„Es tut mir so leid, Darby.“ Ihre ehemals beste Freundin sah auf ihre Hände, holte tief Luft und sprach weiter: „Ich hatte nicht das Recht, das zu tun, was ich getan habe.“

Darby musste nicht fragen, was sie meinte. „Warum hast du es dann getan?“

„Trey.“

„Du hast ihn verlassen“, erinnerte Darby sie.

„Weil ich dachte, er hätte Gefühle für dich, und dann hat er dich ja auch zum Abschlussball eingeladen. Ich …“ Mandys braune Augen sahen besorgt zu Darby auf. „Es war falsch von mir, und ich kann zu meiner Verteidigung nur sagen, dass ich Trey immer geliebt habe.“

„Und trotzdem hast du ein zweites Mal mit ihm Schluss gemacht.“

„Nicht, weil ich ihn nicht liebe.“

„Warum dann?“

„Weil ich es nicht ertragen konnte, dass ich unsere Freundschaft wegen eines Jungen zerstört habe. Was am Abend des Abschlussballs passiert ist und in der Woche danach, war Gift für meine Beziehung zu Trey. Ich dachte, ich habe es nicht verdient, mit ihm glücklich zu sein, darum habe ich mich geweigert, glücklich zu sein.“ Mandy rang ihre Hände und zuckte die Schultern. „Wenn ich ihm nicht zuvorgekommen wäre, hätte er mich abserviert. Und das hätte ich verdient.“

„Ich dachte immer, ihr beide würdet heiraten“, erzählte Darby. „Als ich hörte, dass er weggezogen ist und eine andere geheiratet hat, war ich schockiert.“

„Ich habe mich wochenlang in den Schlaf geweint.“ Mandy griff in den dünnen Stoff ihres Shirts. „Ich weiß, es ist falsch, sich darüber zu freuen, wenn eine Ehe zerbricht, aber als ich hörte, dass Trey sich scheiden lässt, wusste ich, warum ich die ganze Zeit Single geblieben bin.“ Sie atmete hörbar aus. „Ich habe auf ihn gewartet. Nicht, weil ich dachte, dass er sich scheiden lässt, sondern weil ich außer ihm niemanden wollte. Aber auch, wenn er jetzt Single ist, kann ich ihn trotzdem nicht haben.“

„Warum nicht?“

„Mein Gewissen lässt es nicht zu.“

„Wegen dem, was mit mir passiert ist?“, fragte Darby überrascht. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. All die Jahre hatte sie angenommen, dass es Mandy egal war, wie sehr sie sie verletzt hatte.

„Erst gestern beim Picknick, als ich dich mit Blake gesehen habe, habe ich verstanden, dass du und Trey nicht füreinander bestimmt wart.“

War es erst gestern gewesen? Das Picknick schien so lange her zu sein.

„Du und Blake, ihr passt perfekt zusammen.“

Perfekt?

Letzte Nacht im Bett waren sie zusammen perfekt gewesen, und vor diesem Wochenende perfekte Partner. Aber jetzt?

„Ich beneide dich.“ Mandy verzog das Gesicht. „Ich muss dir noch etwas gestehen. Obwohl ich weiß, dass ich nicht mit Trey zusammen sein kann, habe ich gezögert, dir die Einladung zu schicken. Ich wollte dich aus so vielen Gründen hier haben, trotzdem hatte ich Angst davor, was passieren würde, wenn du nach Hause kommst.“ Mandy ergriff ihren Arm. „Kannst du mir je verzeihen?“

Überrascht sah Darby die Frau an, die einmal ihre beste Freundin gewesen war, und dachte an alles, was geschehen war. „Ich kann dir vergeben, aber ich bin mir nicht sicher, dass ich mehr tun kann. Dazu gab es zu viele Verletzungen.“

Mit Tränen in den Augen nickte Mandy.

„Darby, ist alles okay?“

Überrascht drehte sich Darby um. Hinter ihr standen Trey und Blake. Offensichtlich hatten beide Männer nicht länger warten wollen und hatten sie gesucht.

Weil sie sah, wie Treys Blick zu Mandy wanderte, nickte Darby. „Alles okay.“

Außer dass ihre Mutter in einem Krankenhausbett lag und um ihr Leben kämpfte und sie sich wieder einmal in einen Mann verliebt hatte, der sie nicht liebte.

Darby und Blake sahen Mandy und Trey nach, als sie gingen. Mandy drehte sich noch einmal um und winkte. Mit einem aufgesetzten Lächeln winkte Darby zurück.

„Was ist passiert?“

„Wir haben einige Dinge geklärt.“ Sie drehte sich zu Blake um und sah ihn an. Wie konnte sie ihn körperlich so intensiv wahrnehmen, wenn sie vor einem Krankenhaus standen? „Ich fahre heute nicht nach Knoxville zurück.“

„Das habe ich mir schon gedacht. Soll ich uns hier in Pea Ridge ein Hotelzimmer organisieren?“

Vielleicht könnten sie miteinander sprechen, wenn sie allein waren – einige Dinge klären. Wie die Tatsache, dass sie ihn liebte und nicht zu dem zurückkehren wollte, was vorher gewesen war.

„Das wäre schön.“

„Ich rufe Dr. Kingston an und frage ihn, ob er für uns einspringt. Und dann setze ich mich mit unserer Büroleiterin in Verbindung und gebe ihr Bescheid, damit sie unsere Termine für morgen verschiebt.“

Sie nickte. „Bist du sicher, dass es dir nichts ausmacht, noch eine Nacht hierzubleiben? Du könntest heute Abend nach Hause fahren.“

„Ich lasse dich das nicht allein durchstehen, Darby.“

„Danke.“ Sie erwähnte nicht, dass ihre Familie da war. Denn wenn sie heute Nacht ihre Augen schloss, wollte sie in seinen Armen liegen, damit er die schrecklichen Erinnerungen des Tages mit besseren ersetzte, Erinnerungen voller Hoffnung auf einen schöneren Morgen.

Aber als sie später im Hotel ankamen, ließ Blake sie allein und ging in sein Zimmer.

Darby weinte sich in den Schlaf.

Die Untersuchung ihrer Mutter am nächsten Tag verlief gut, und auch wenn sie mit gemischten Gefühlen nach Hause fuhr, wusste Darby, dass sie und Blake fahren mussten. Allerdings würde sie nur einige Sachen packen und allein nach Armadillo Lake zurückfahren. Blake konnte in der Praxis einspringen, solange es nötig war.

Jim begleitete sie zum Parkplatz.

Zum Abschied umarmte Darby ihren Bruder. „Ich habe mein Handy immer in Reichweite. Du rufst an, wenn sich etwas ändert?“

Er nickte. „Ich weiß gar nicht, warum du mir das sagst. Wenn sich etwas ändert, erfährst du es doch vor mir. Ich habe gesehen, wie du den Ärzten und Schwestern genaue Anweisungen gegeben hast, dass sie dich anrufen sollen.“

„Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei, jetzt zu fahren“, sagte sie zum x-ten Mal.

„Ich weiß.“ Jim legte seinen Arm um sie. „Aber der Arzt sagt, dass sie wieder gesund wird.“

Ihr Bruder hatte natürlich recht.

Sie wandte sich an Blake, bemerkte, dass er sie beobachtete, und kämpfte mit ihren widersprüchlichen Gefühlen. Am liebsten würde sie auf ihn einschlagen und sich gleichzeitig an seine breite Schulter lehnen.

Den ganzen Tag hatten sie kaum zwei Worte miteinander gewechselt. Er war bei ihr gewesen, hatte sich aber im Hintergrund gehalten. Würde es auch so sein, wenn sie nach Knoxville zurückkehrten?

Nachdem sie sich von ihrem Bruder verabschiedet hatte, lehnte Darby ihren pochenden Kopf an die Kopfstütze von Blakes Beifahrersitz.

„Hungrig?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Du hast seit dem Frühstück nichts mehr gegessen“, betonte er. „Ich bin am Verhungern.“

„Du kannst gern irgendwo halten, aber ich habe keinen Hunger.“

„Du musst etwas essen.“

Ihr Magen knurrte und gab Blake recht. „Okay.“

Blake hielt bei einem Sandwichladen, in dem sie Sandwiches, Obst und Getränke bestellten. Darby aß mehr, als sie gedacht hatte, und fühlte sich sofort besser. Ihre Kopfschmerzen hatten nachgelassen.

Wenn ihr Herzschmerz nur das Gleiche tun würde.

Blake starrte stur geradeaus, als wäre der entgegenkommende Verkehr der faszinierendste Anblick der Welt.

Als wäre ihm nicht bewusst, dass Darby es aufgegeben hatte, ein Gespräch anzufangen oder so zu tun, als würde sie schlafen, und ihn stattdessen beobachtete. Ohne den Blick abzuwenden.

Auch wenn er sie intensiv wahrnahm, tat er so, als würde er ihren Blick nicht bemerken. Er konnte sie nicht ansehen, ohne sie zu begehren.

Darum hatte er ihnen gestern getrennte Hotelzimmer besorgt. Darby war verletzlich gewesen, und das durfte er kein zweites Mal ausnutzen.

Er mochte Knoxville. Da er in seiner Kindheit so oft umgezogen war, hatte er nicht gewusst, was ihm fehlte, aber jetzt, nachdem er schon mehrere Jahre an einem Ort lebte, gefiel ihm das Gefühl dazuzugehören. Er wollte das Leben beschützen, das er sich eingerichtet hatte.

Ein Zuhause, eine Arbeit, eine Partnerin, auf die er zählen konnte. Das gute Leben, das er sich aufgebaut hatte, drehte sich um Darby. Sie teilten die gleichen Freunde von der Uni, Kollegen und eine Praxis.

Wenn er mit ihr etwas anfing, und es hielt nicht, würde dieses Leben um ihn zerbrechen.

Besser, er machte so weiter, wie er gestern angefangen hatte. Als wäre nichts weiter passiert, damit ihre Beziehung mit der Zeit wieder das wurde, was sie gewesen war, und er und Darby wieder Freunde sein konnten.

Jetzt musste er nur noch selbst glauben, was er sich einreden wollte.