10. KAPITEL

„Ich muss auflegen“, erklärte Blake der Krankenschwester, mit der er telefonierte. Sein Blick wich keinen Millimeter von Darbys schuldigem Gesicht. „Ich kümmere mich um alles andere, wenn ich im Krankenhaus bin.“

Er legte auf und starrte auf die blasse Frau, die vor seinem Büro stand und ihn mit wachsendem Entsetzen ansah.

War sie …?

Ihr Mund öffnete sich, als hätte sie seine stumme Frage gehört, aber sie brachte keinen Ton heraus. Ihre Hand lag schützend auf ihrem Bauch. Das war die einzige Antwort, die er brauchte.

Darby war schwanger.

Seine Hände zitterten.

Sein Magen zog sich zusammen.

Sein Kopf pochte schmerzhaft.

Sein Herz wurde zusammengepresst.

Darby war schwanger.

Unsicher, ob seine Beine ihn tragen würden, rollte er mit seinem Stuhl zurück, und als er aufstand, hielt er sich an einer Ecke seines Schreibtisches fest.

Er wurde Vater.

Blake hatte immer gedacht, dass er irgendwann heiraten würde, Kinder haben und den Namen seines Großvaters weitergeben würde – aber jetzt?

„Darby?“

Sie schüttelte den Kopf. Ihre Augen wirkten wie aufgewühlte tiefblaue Seen.

Dachte sie, er wäre wütend auf sie?

Niemals.

Wenn überhaupt, dann auf sich selbst. Schließlich konnte er nur sich selbst die Schuld für den Fehler geben. Sein Blick fiel auf ihren Bauch, und er zuckte zusammen.

Von seinem Kind, seinem Baby, als Fehler zu denken versetzte ihm einen unerwarteten Schlag.

Sein Großvater würde sich vor Schande im Grab umdrehen. Nichts war wichtiger als die Familie.

Wenn Darby schwanger war, würden sie es irgendwie hinkriegen.

„Wir müssen uns unterhalten.“

Weil ihre Stimme versagte, nickte sie stumm und betrat sein Büro.

Blake schloss hinter ihr die Tür, ihr Gespräch sollte niemand mitbekommen. „Du bist schwanger.“

Unsicher sah sie ihn an, dann nickte sie.

Er fragte nicht, ob es sein Baby war. Fragte nicht, wie lange schon. Es war unwichtig.

Seine Gedanken überschlugen sich, als er auf die Kante seines Schreibtisches sank. „Wie fühlst du dich dabei?“

Sie verzog ihr Gesicht. „Wie meinst du das? Ich bin sprachlos.“

Blake starrte sie an. Hatte er das Falsche gesagt? Aber was wäre das Richtige in dieser Situation? Sollte er ihr versprechen, jeden Schritt mit ihr gemeinsam zu gehen? Dass er sie zu Geburtsvorbereitungskursen begleiten und im Kreißsaal bei ihr sein würde? Dass er aktiv am Leben seines Kindes teilnehmen würde? Sollte er ihr sagen, dass er genauso sprachlos war wie sie, aber dass es ihr Baby war und er der Vater sein würde, den er nie gehabt hatte?

Unzählige Gedanken und Fragen gingen ihm auf einmal durch den Kopf. Nur hatte er keine Antworten darauf.

„Was erwartest du von mir?“ Sollte er ihr einen Antrag machen? Damit ihr Kind legitim war?

Darby blinzelte. „Erwarten?“

„Was willst du, dass ich tue, Darby? Soll ich dich heiraten? Dich finanziell unterstützen?“ Blakes Hals schnürte sich zu, seine Hände wurden feucht, und sein Herz hämmerte. „Sag mir, was du von mir erwartest, damit ich weiß, was ich tun muss.“

Machte Blake Witze? Darby starrte den Mann an, der an seinem Schreibtisch lehnte, und fragte sich, ob sie ihn je wirklich gekannt hatte. Hatte er eben wirklich gefragt, was sie von ihm erwartete?

„Nichts.“ Sie wünschte, sie könnte etwas nach ihm werfen. Etwas Hartes. „Ich erwarte gar nichts von dir.“

„Jede Frau erwartet etwas von dem Mann, der sie geschwängert hat.“

„Du hast bereits mehr als genug getan.“

„Es ist zu spät, um jetzt mit dem Finger auf jemanden zu zeigen, Darby. Ich übernehme die volle Verantwortung. Ich weiß, dass es mein Kind ist.“

Sie presste ihre Fingerspitzen an ihre schmerzhaft pochenden Schläfen. „Du willst wissen, was ich fühle? Was ich erwarte? Ich weiß es nicht, Blake. Ich habe gerade erst den Test gemacht.“

„Hast du den Test gemacht, weil deine Periode ausgeblieben ist?“

Wow, Sherlock hat sich einen Keks verdient.

„Ich bin eine Woche überfällig.“ Sie sah ihn an und versuchte, bei seinem angespannten Gesicht nicht zusammenzuzucken. Wie konnte er so vertraut und gleichzeitig so fremd wirken? „Ich habe mir eingeredet, dass es am Stress liegt, aber …“

„Das war es nicht.“

„Nein.“ Sie kramte in ihrer Tasche, zog den Test aus der Verpackung und reichte ihn Blake.

Er musterte den Plastikstab. Dabei wirkten seine Augen dunkler als sonst. So dunkel, dass der Nachthimmel dagegen verblasste.

„Du bist schwanger.“

Ja, das hatten sie bereits festgestellt.

Weil ihre Knie weich wurden, setzte sie sich auf die Kante seines Schreibtisches, neben ihn. „Ich bin schwanger.“

Der Rest von Blakes Abend verging wie im Flug.

Kein Wunder.

Er wurde Vater.

Wie war das passiert?

Er wusste, wie es passiert war, nur … Blake klopfte an Darbys Wohnungstür und wünschte, sie würde sich beeilen und ihn in ihr Apartment lassen.

Ein Apartment, das nicht groß genug war für sie und ein Baby.

Sie würde mehr Platz brauchen – einen Ort mit einem Garten, der Platz für eine Schaukel und einen Sandkasten bot.

Als sie die Tür öffnete, zog sich sein Herz schmerzhaft zusammen, als er ihre roten geschwollenen Augen sah. Den ganzen Tag war er mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt gewesen. „Du hast geweint.“

Leise schniefend rollte sie mit den Augen. „Und? Schwangere Frauen weinen.“

Das stimmte wahrscheinlich. „Lässt du mich rein?“

Seufzend trat sie einen Schritt zurück, damit er eintreten konnte, bevor sie die Tür wieder schloss.

Er setzte sich auf ihr Sofa und sah sich um, damit er sich auf etwas anderes konzentrieren konnte als auf die Frau, die er in den Arm nehmen und der er versprechen wollte, dass alles in Ordnung kam. Irgendwie.

„Du hast gesagt, wir müssen uns unterhalten“, erinnerte sie ihn. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Blake, also musst du das Reden übernehmen.“

Nur wusste er nicht, wo er anfangen sollte.

„Es tut mir leid, dass ich dich in diese Situation gebracht habe.“

Sie sank auf einen Stuhl, der neben dem Sofa stand. „Du warst nicht der Einzige in diesem Hotelzimmer. Es hat uns beide gebraucht, damit ich schwanger werde.“

Das stimmte allerdings. Blake erinnerte sich lebhaft daran, was genau sie beide getan hatten, damit sie schwanger wurde. Die Erinnerungen verfolgten ihn jedes Mal, wenn er die Augen schloss, jedes Mal, wenn er sie sah.

„Wir können die Vergangenheit nicht ändern.“

„Nein“, stimmte Blake ihr zu. Wann war es so schwer geworden, mit Darby zu sprechen? Er sehnte sich nach ihrer unkomplizierten Freundschaft zurück. Leider hatte sie recht, sie konnten die Vergangenheit nicht ändern. „Also können wir nur das Beste aus der Zukunft machen.“

Darby sah auf ihre Hände. „Stimmt.“

„Ich weiß, dass dich meine Frage vorhin aufgeregt hat, aber sie war berechtigt.“ Er rutschte ans Ende des Sofas und griff nach ihrer Hand, doch sie zuckte zurück und schüttelte heftig den Kopf.

Er redete sich ein, dass Darbys Zurückweisung nicht der Grund für den scharfen Schmerz in seiner Brust war, und bat: „Sag mir, was du möchtest, Darby.“

Was will ich? fragte sich Darby.

„Ich möchte, dass es zwischen uns wieder so ist, wie es war“, gestand sie, schließlich hatte sie nichts mehr zu verlieren. Sie hatte bereits das Beste in ihrem Leben verloren, das, was sie seit Jahren gehabt und auch wieder nicht gehabt hatte – ihn. „Ich vermisse meinen Partner und Freund.“

Blake nickte, als würde er verstehen. „Ich habe dich auch vermisst.“

„Wirklich? Den Eindruck hatte ich in den letzten Wochen nicht.“

„Unsere Freundschaft und Geschäftsbeziehung waren für mich etwas Besonderes. Es gefällt mir nicht, dass wir zugelassen haben, dass Sex alles kaputt macht.“

Freundschaft. Geschäftsbeziehung. Sex.

Darby zuckte zusammen.

„Unsere Beziehung wird nie wieder dieselbe sein, Darby. Egal, wie sehr wir es versuchen, dahin können wir nie wieder zurück.“

Eigentlich wollte sie nicht das, was sie vorher gehabt hatten, sondern was sie in Alabama gehabt hatte. Sie wollte, dass Blake sie wirklich liebte.

Sie wollte ihm in die Augen schauen und Verlangen und Liebe sehen. Er sollte für sie so fühlen wie sie für ihn.

„Ich möchte nicht dahin zurück.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Nicht? Aber hast du nicht gerade …?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich dachte, das wäre, was ich will, aber ich will mehr.“

Die Augen zusammengekniffen, schluckte Blake. „Mehr?“

So viel war in den letzten Stunden passiert, dass es bestimmt nicht klug war, jetzt große Entscheidungen zu treffen, aber Darby tat es trotzdem. In ihrem Herzen wusste sie, dass sie das Richtige tat.

„Ich möchte dir meine Hälfte der Praxis verkaufen, Blake. Ich gehe nach Hause zurück.“

„Nein.“ Eiserne Entschlossenheit stand in seinen Augen.

Darby runzelte erst die Stirn, dann zuckte sie die Schultern. „Okay. Dann finde ich einen anderen Arzt, der meine Hälfte kauft. Unser Geschäftsvertrag sagt nur, dass wir dem anderen ein Vorkaufsrecht einräumen müssen, das habe ich getan.“

„Ich kaufe deine Hälfte der Praxis nicht, weil du sie nicht verkaufst.“ Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch.

Fassungslos starrte Darby ihn an, aber seine Reaktion bestärkte sie nur darin, dass sie die richtige Entscheidung für sich und ihr Baby traf. „Doch, das tue ich. Ich gehe zurück nach Hause.“

„Knoxville ist dein Zuhause.“

„Nein“, seufzte sie. „Das ist es nicht. Ich gehöre nach Armadillo Lake. Sie brauchen mich dort.“

„Was ist mit mir?“

Wegen ihm war sie in Knoxville geblieben. Um in seiner Nähe zu sein. Trotzdem musste sie jetzt daran denken, was für ihr Baby richtig war.

„Was soll mit dir sein?“

Gute Frage. Und Blake konnte sie nicht beantworten. Er hatte auf nichts eine Antwort. Er wusste nur, dass er nicht wollte, dass Darby Knoxville verließ.

Ihn verließ.

Darby mochte das Gefühl haben, dass sie nicht hierhergehörte, aber Blake schon. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er einen Ort, an den er gehörte, sich zu Hause fühlte.

Das durfte sie nicht einfach kaputt machen. Das würde er nicht zulassen.

„Ich habe auch Rechte, weißt du.“

Sie runzelte die Stirn. „Rechte?“

„In Bezug auf deine Schwangerschaft. Ein Umzug betrifft nicht nur dich, er beeinflusst auch meine Beziehung zu unserem Kind.“

Überrascht blieb Darby der Mund offen stehen. „Ich würde dich nie davon abhalten, unser Baby zu sehen. Das solltest du wissen, Blake.“

„Sollte ich? Woher weiß ich denn, dass du nicht nach Hause ziehst, um mit Nix und meinem Baby heile Familie zu spielen? Hast du das in Alabama gemacht, während ich deine Patienten übernommen habe? Hast du ihn gesehen?“

Darby blinzelte. „Du machst Witze, oder?“

„Nein.“

„Ich habe mit Trey zwar gesprochen, aber nicht so, wie du andeutest.“

„Und Mandy? Hast du mit ihr gesprochen?“

„Ja.“

„Und?“

„Wir haben Frieden geschlossen. Das weißt du. Du warst an dem Nachmittag im Krankenhaus dabei, mit ihr und Trey.“

„Ja, das war ich“, brummte er.

Verständnislos starrte sie ihn an. „Was ist los mit dir? Trey und Mandy gehen wieder miteinander aus, und ich freue mich für die beiden. Sie gehören einfach zusammen.“ Sie runzelte die Stirn. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, du bist eifersüchtig.“

„Wie gut, dass du es besser weißt.“

„Wie recht du hast.“ Darby schüttelte den Kopf. „Ich möchte nicht mit dir streiten, aber ich werde meine Hälfte der Praxis verkaufen. Wenn du mich abfinden willst, okay. Wenn nicht, würde ich gern sagen, ich gehe auch so, aber ich brauche das Geld, um mein Leben in Alabama zu beginnen.“

Geld? Sie wusste wirklich nicht, wie reich er war, oder? Jedes Kind von ihm hätte darauf Anspruch. Darby müsste keinen Tag mehr arbeiten, wenn sie nicht wollte.

„Du wirst mich wirklich verlassen? An dem Tag, an dem du entdeckst, dass du mit meinem Kind schwanger bist, verkündest du, dass ich deine Hälfte unseres gemeinsamen Lebens kaufen soll, damit du sechs Stunden weit wegziehen kannst?“

Sie zuckte nicht zusammen, zeigte nicht die geringste Reue. „Ja.“

„Glaubst du, das ist mir gegenüber fair?“

„Ich muss daran denken, was das Beste für mich und unser Baby ist, und das ist, nach Hause, nach Armadillo Lake, zu gehen.“

„Warum?“

„Weil meine Familie dort ist, und ich sollte dort auch sein.“

„Du gehörst zu mir.“

Auf ihren überraschten Blick fügte er hinzu: „Nach Knoxville, in unsere Praxis. Wir haben etwas Gutes, Darby. Eine florierende Praxis.“

„Es war nicht mehr gut, seit wir miteinander geschlafen haben, und das weißt du. Du erträgst es ja kaum, mich anzusehen.“

„Das stimmt nicht.“

„Doch“, beschuldigte sie ihn, stand auf und ging in ihrem Wohnzimmer auf und ab. Aufgebracht sprach sie weiter: „Seit dem Wochenende meidest du mich, und ich ertrage es nicht länger.“

„Deshalb willst du umziehen? Um mich dafür zu bestrafen, dass ich mit dir geschlafen habe?“

„Das habe ich nicht gesagt, Blake. Ich komme einfach nicht damit klar, wie es jetzt zwischen uns ist.“

„Weil wir alles ruiniert haben, als wir Sex hatten?“

„Scheinbar ja.“ Darby verschränkte die Arme über ihrer Brust.

Dieses Wochenende hatte die Basis ihrer Beziehung bröckeln lassen, und jetzt stürzte seine Welt um ihn herum ein.

„Was soll zwischen uns sein, Darby? Was hast du erwartet?“

„Ich habe es dir schon gesagt, Blake, ich erwarte nichts von dir.“

„Du musst etwas erwartet haben, sonst würdest du mich jetzt nicht verlassen.“ Als er die Worte laut aussprach, hallte ihre Wahrheit in ihm nach. Sie hatte etwas von ihm erwartet, etwas, das er nicht geben konnte.

„Du verdrehst meine Worte. Ich verlasse nicht dich.“

„Wie kannst du das sagen? Du lässt alles zurück, was wir zusammen haben.“

„Nicht alles, Blake.“ Sie legte ihre Hand auf ihren Bauch. „Es gibt etwas, das ich nie im Stich lassen werde. Darauf kannst du dich verlassen.“

Sein Blick fiel auf ihren Bauch, und er wurde blass. Darby bekam sein Baby, aber sie wollte ihn nicht in ihrem Leben haben, wollte keine Familie mit ihm.

Blake hatte genug. „Wenn du wegziehen willst, mache ich es dir leicht. Setz einen Vertrag für deine Hälfte der Praxis auf, und ich unterschreibe ihn. Du willst mit meinem Baby weit wegziehen … okay. Ich werde dich nicht aufhalten, aber du wirst von meinem Anwalt hören, denn ich werde eine Rolle im Leben meines Kindes spielen.“