Honor vermutete sofort ein falsches Spiel, als Monica ihr auf Lady Barclays Teeparty von Georges verzweifeltem Glücksspiel berichtete. „Warum erzählst du mir das?“, fragte sie und sah sie misstrauisch an.
Monica zuckte mit den Schultern. „Ich dachte, dass du es wissen solltest.“ Es lag nichts in Monicas Gesichtsausdruck oder in ihrer Haltung, das irgendeinen Verdacht hätte bestätigen können. Honor verstand Monica einfach nicht mehr. Es kam ihr so vor, als habe sich ihre frühere Freundin über Nacht vollkommen verändert. Sie war plötzlich freundlich und zuvorkommend zu Honor und ihren Schwestern. Und ganz besonders zu ihrer Mutter.
„Und was soll ich jetzt tun?“, fragte Honor, die die Neuigkeiten frustrierend fand.
„Das weiß ich auch nicht“, sagte Monica. „Aber wenn es irgendjemand weiß, dann doch du.“ Sie lächelte und ging zu ihren Freundinnen hinüber.
Honor fragte sich, was Monica wohl im Schilde führte, doch später bei derselben Teegesellschaft bekam sie zufällig mit, wie Lady Vickers über Easton redete. Sie lachte ihn in Wirklichkeit eher aus. Offensichtlich hatte Lord Vickers denselben Spielsalon besucht und gesehen, wie man George von den Tischen verwiesen hatte, weil niemand mehr darauf vertrauen wollte, dass er seine Schulden bezahlte.
„Das kann doch nicht sein“, warf Lady Stillings ein. „Zumindest hat er meinem glücklosen Herrn Gemahl eine ganz erhebliche Summe abgenommen.“ Die Damen kicherten.
Noch Tage später musste Honor immer wieder daran denken. Nach einer langen, schlaflosen Nacht fiel ihr plötzlich ein, wie sie Easton dazu bringen konnte, ihr die Wahrheit zu sagen und aufzuhören, sein ganzes Geld zu verspielen. Er war ein Spieler; er würde niemals von sich aus etwas so Persönliches einsetzen, wie sie es getan hatte, als sie ihm ihre Liebe gestand. Sie kannte ihn außerdem gut genug, um zu wissen, dass er sich zuallererst selbst beweisen musste, dass er es verdient hatte, glücklich zu sein.
Als Honor das aufgegangen war, wusste sie genau, was sie zu tun hatte. Sie ging ein großes Risiko ein; wenn es schiefging, würde sie ihren Ruf für immer ruinieren. Doch Honor hatte sich noch nie davor gefürchtet, Risiken einzugehen, und wenn sie richtiglag, würde sie auf diese Weise endlich zu ihrem Glück finden. Wenn sie falschlag, ja dann … Sie konnte sich ja immer noch mit ihrer Mutter zusammen in Sankt Asaph einsperren lassen, wenn sie der Gesellschaft oder sonst jemandem zu gar nichts mehr nütze erschien. Was dann mit ihr geschah, war ihr vollkommen gleichgültig.
An diesem Abend zog sie noch einmal das pfauenblaue Kleid an, das sie zusammen mit der Haube getragen hatte, die Monica eigentlich für sich bestellt hatte. Sie rief Prudence zu sich, um ihr beim Zuknöpfen zu helfen.
„Wo gehst du hin?“, wollte Prudence wissen. „Darfst du denn schon wieder solche Farben tragen? Wir sind doch noch in Trauer.“
„Ich glaube, der Earl hätte nichts dagegen“, antwortete Honor.
Prudence machte einen Schritt zurück, um sie ansehen zu können. „Aber … wo willst du denn nur hin?“, fragte sie mit großem Ernst.
Honor lächelte ihre Schwester aufmunternd an. „Du hattest vollkommen recht, Pru.“
„Wie bitte? Wann denn?“
„Als du gesagt hast, ich solle nur aus Liebe heiraten.“
Prudence schnappte entsetzt nach Luft. „Du willst doch nicht etwa durchbrennen?“
„Natürlich nicht. Aber ich werde um Mr Eastons Hand anhalten.“
Prudence blieb vor Verblüffung der Mund offen stehen. Sie sah so entsetzt aus, dass Honor nicht anders konnte als loszuprusten. „Wünsch mir Glück, Liebes. Wenn er ablehnt, dann werde ich nie wieder einen Heiratsantrag bekommen. Aber ich will auch ganz bestimmt keinen anderen Mann.“
Prudence verschränkte die Arme vor der Brust und sah Honor lange schweigend an. „Wie könnte er denn ablehnen?“, sagte sie dann feierlich. „Und wenn er es doch tut, dann solltest du ihn ohnehin nicht heiraten, denn dann ist er ein verdammter Idiot.“
Honor umarmte ihre kleine Schwester mit einem Lächeln voller Dankbarkeit. „Danke. Ich brauche jede Unterstützung, die ich bekommen kann, denn meine Knie zittern und mein Magen ist ein einziger großer Klumpen.“
„Soll ich mitkommen?“, fragte Prudence.
Honor schüttelte den Kopf. „Ich möchte nicht, dass du irgendetwas mit dem zu tun hast, was ich heute Abend vorhabe.“
Auf ihrem Weg nach draußen sah Honor noch einmal nach ihrer Mutter. Lady Beckington lächelte vor Vergnügen über den Aufzug ihrer Tochter. „Oh ja“, sagte sie und nickte wohlwollend, „du siehst wirklich wunderschön aus, Liebling.“
„Danke, Mama!“, erwiderte Honor. Sie war froh darüber, dass sie ihre Mutter in einem ihrer lichten Momente erwischt hatte. Sie ging zu ihr hinüber und hockte sich neben sie. „Mama, ich möchte dir sagen, dass ich vorhabe, aus Liebe zu heiraten.“
„Wirklich?“, fragte ihre Mutter und strich Honor über das Haar. „Das ist schön, alles andere wäre eine Verschwendung deiner besten Jahre.“
Voller Überraschung blinzelte Honor, als sie ihre Mutter ansah.
Die Mutter lächelte. „Jetzt schau doch nicht so verwirrt. Ich habe auch einmal aus Liebe geheiratet.“ Sie sah zu Hannah hinüber und sagte: „Oder stimmt das etwa nicht, Mutter?“
Hannah lächelte. „Doch, das ist wirklich wahr.“
„Danke, Mama.“ Soweit es Honor betraf, hatte sie den Segen ihrer Mutter, eben soweit diese in der Lage war, ihn ihr zu geben.
Jonas sah sie missbilligend an, als sie ihm sagte, dass sie nach Southwark wolle, doch Honor kümmerte sich nicht weiter um ihn. Sie lehnte sich in den Polstern der Kutsche zurück und hielt ihr Handtäschchen fest umklammert. In ihrem Magen rumorte es heftig vor lauter Aufregung. Sie versuchte immer wieder, tief einzuatmen, um ihr rasendes Herz zu beruhigen. Ihr ganzes Leben hatte sich auf diesen besonderen Abend zubewegt. Sie hoffte, dass sie sich an alles erinnern konnte, was sie gelernt hatte, dass sie den Mut aufbrachte, mit beiden Händen nach der einen Sache zu greifen, die sie wirklich wollte – von ganzem Herzen zu lieben und geliebt zu werden, komme, was wolle.
Komme, was wolle.
Als sie in Southwark ankamen, bat sie Jonas zu warten. „Es kann eine Weile dauern“, sagte sie.
Er sah das Haus an, vor dem sie hielten, und dann zu ihr hinunter. „Sind Sie ganz sicher, Miss? Vielleicht sollte ich lieber mit hineinkommen?“
„Vielen Dank, aber ich gehe besser alleine.“ Sie war sich ganz und gar nicht sicher, dass es das Beste war, aber es schien ihr, als müsse sie es alleine durchstehen. Sie betrat den matt erleuchteten Club und wurde sich bewusst, dass die Männer, die hier versammelt waren, sie alle anstarrten. Sie sah Entsetzen, Missfallen, Erstaunen und Lust auf den Gesichtern, die vor ihren Augen zu tanzen begannen. Sie kam sich selbst mindestens so verdächtig vor, wie sie ihnen erscheinen musste – ein Fisch auf dem Trockenen, eine Frau, die eine Grenze überschritten hatte.
Bitte, lieber Gott, lass ihn jetzt hier sein. Honor hob den Kopf und ging durch den Raum, dabei inspizierte sie jeden der Spieltische.
„Miss Cabot!“
Es war Mr Jett und Honor wäre vor lauter Erleichterung darüber, ein freundliches Gesicht zu sehen, beinahe in Ohnmacht gefallen.
„Was tun Sie denn hier?“, fragte er energisch und sah zur Tür hinüber. „Sind Sie ganz allein?“
Sie nickte.
„Oh nein, Miss Cabot. Das geht nun wirklich zu weit“, rief er, als ob sie das nicht wüsste. Als ob sie irgendwie versehentlich in einen Spielclub gestolpert sei.
„Ist Mr Easton heute Abend hier?“, erkundigte sie sich.
Über Mr Jetts Gesicht huschte ein seltsamer Ausdruck, der aber gleich wieder verschwunden war. „Ich glaube, dieses Mal sind Sie wirklich zu weit gegangen, Miss Cabot“, sagte er leise.
„Mr Jett … ist er hier?“, fragte sie noch einmal eindringlich.
Er seufzte und warf einen Blick hinter sich. „Am letzten Tisch“, sagte er, „wie jeden Abend.“
„Vielen Dank.“
Mr Jett schüttelte den Kopf und ging wieder an seinen Tisch zurück, so als wolle er nichts mit ihr zu tun haben.
Sie konnte ihm deswegen kaum einen Vorwurf machen. Sie sah keinen der Männer an, die sie betrachteten wie eine potenzielle Jagdtrophäe, sondern hielt den Blick gesenkt, während sie einem oder zwei Männern auswich, die sich ihr mit Absicht in den Weg stellten, als sie in den hinteren Teil des Raumes lief.
George bemerkte sie zunächst nicht – er konzentrierte sich nur auf seine Karten, auf die Münzen, die in der Mitte des Tisches aufgestapelt waren. Er sah dünner aus als bei ihrer letzten Begegnung. Sein Haar war lange nicht geschnitten worden und an seiner rechten Hand trug er einen Verband.
Als Honor an seinen Tisch trat, warf sein Gegenspieler gerade seine Karten auf den Tisch. „Zum Teufel“, rief er und sagte noch etwas, das Honor nicht verstehen konnte, das aber in ihren Ohren ziemlich übel klang. Der Herr hob sein Bierglas zum Mund, sah Honor und verschüttete dann einen Teil, weil er sich beeilte aufzustehen. „Madam.“
Bei diesen Worten blickte George hoch. Er sprang auf und Honor sah dabei einen Funken Gefühl in seinen Augen aufblitzen. Er wurde sofort wieder von Überraschung und Wut verdrängt, aber sie hatte es gesehen und ihr war klar, dass er sie noch immer liebte.
Dieses Wissen gab ihr die nötige Sicherheit. Als er von ihr wissen wollte, was sie an diesem Ort zu suchen hatte, sagte sie: „Ich bin hier zum Spielen, Mr Easton. Sie können sich sicher vorstellen, dass mein Taschengeld nach dem Ableben meines Stiefvaters nicht gerade gewachsen ist.“
„Auf keinen Fall“, sagte er und zeigte auf die Tür. „Gehen Sie. Sofort. Dies hier ist kein Ort für ein Dame.“
Honor zeigte ihm ihr Handtäschchen und bemerkte dabei, dass einige der Gentlemen an ihren Tisch herangetreten waren, um zu sehen, was vor sich ging. „Ich habe zweiundneunzig Pfund und ich möchte spielen.“
„Du lässt dir doch von einem Mädchen keine Angst einjagen, Easton, oder doch?“, rief jemand und die Herren fingen an zu lachen.
George sah sie aus zusammengekniffenen Augen an und Honor war froh, dass Blicke nicht töten konnten und dass sie nicht alleine waren.
„Hier gibt es keine Spiele für Debütantinnen“, sagte er abweisend. „Der Mindesteinsatz beträgt zehn Pfund.“
Honor schluckte einen Kloß hinunter, der ihr im Hals festsaß. „Ich habe zehn Pfund.“
Die Gentlemen um sie herum johlten. Honor fühlte, wie sich immer mehr Menschen hinter ihrem Rücken versammelten, ohne sich dafür umzusehen. Es war furchteinflößend. Sie hatte nicht bedacht, wie unheimlich es sein würde, die einzige Frau in einem Raum mit lauter Männern zu sein, die Geld hatten und reichlich dem Alkohol zusprachen. George wurde sich dessen anscheinend auch gerade bewusst, denn er rückte einen Stuhl zurecht und machte eine ausladende Geste, mit der er sie zum Sitzen aufforderte.
Honor nahm Platz und legte ihr Handtäschchen auf den Schoß.
„Sind Sie verrückt geworden?“, fragte er leise, als er sich wieder hingesetzt hatte.
„Nein“, sagte sie. „Und Sie?“
Er starrte sie wütend an, während er nach einem der Lakaien winkte. „Wein, Madam?“
„Nein, vielen Dank, Mr Easton, ich möchte gerne einen klaren Kopf behalten.“
Verstohlen sah er sie von oben bis unten an, und wenn sich Honor nicht sehr täuschte, spielte ein winziges Lächeln um seine Mundwinkel.
„Darf ich annehmen, dass Sie nichts gegen eine Partie Commerce einzuwenden haben?“, fragte er und sammelte die Karten auf.
„Ganz und gar nicht.“ Sie nahm zehn Pfund aus ihrem Täschchen und legte sie auf den Tisch.
„Darf ich Ihnen Mr MacPherson vorstellen?“, sagte George und während Honor sich mit ihrem Mitspieler bekannt machte, verteilte er die Karten.
Der Aufruhr um sie herum wurde immer größer und Honor kam es so vor, als ob doppelt so viele Menschen um den Tisch herumstanden wie zu dem Zeitpunkt, als sie hereingekommen war. Sie fühlte sich ein wenig schwach, als sie ihre Karten in die Hand nahm und feststellte, dass sie ein Paar Asse bekommen hatte.
Die erste Runde spielten sie schweigend. Honors Vater hatte ihr beigebracht, wie man Karten spielte. Er fand nichts dabei, seinen Töchtern die Grundzüge des Glücksspiels näherzubringen, und hatte sein Vergnügen daran, ihnen dabei zuzusehen, wie sie kichernd seine Freunde aufs Kreuz legten. Sie konnte sich noch immer an den einen oder anderen Trick erinnern, den sie von ihm gelernt hatte.
Es wurde schnell deutlich, dass Mr MacPherson es weder mit ihr noch mit George aufnehmen konnte, er spielte schwerfällig und setzte blind auf irgendwelche Karten, selbst dann noch, als Honor ausgestiegen war.
Als George seinen Gewinn einstrich, sah er Honor an und fragte sich im Stillen, was sie wohl vorhaben mochte.
Sie spielten eine weitere Runde, und obwohl Honor ein gutes Blatt hatte, mit dem sie eigentlich hätte gewinnen müssen, gestattete sie George, die Runde für sich zu entscheiden. Doch als er seinen Gewinn einstrich, sah er sie mit misstrauisch zusammengezogenen Augenbrauen an. „Sie sind heute Abend leichtsinnig, Miss Cabot.“
„Bin ich das?“, fragte sie arglos.
„Wie viel ist denn noch übrig von Ihren sagenhaften zweiundneunzig Pfund?“, wollte er wissen.
„Genug“, erwiderte Honor kurz angebunden. „Wie viel Geld haben Sie denn eigentlich?“
Die Männer, die um sie herumstanden, johlten vor Begeisterung und selbst George gestattete sich ein Lächeln. „Genug“, erwiderte er ebenfalls.
Als George auch die dritte Runde gewonnen hatte, obwohl sie eindeutig die besseren Karten hatte, bedachte er sie mit einem entrüsteten Blick. „Ich weiß zwar nicht, was Sie vorhaben, aber wenn Sie mir Ihr Geld schenken wollen, dann geben Sie es mir und verschwinden Sie. Lassen Sie die Männer hier in Ruhe ihr eigenes Spiel spielen.“
Jetzt war der Moment gekommen. Sie war mit Geben an der Reihe. Honors Hand zitterte, als sie die Karten entgegennahm, die man ihr hinhielt. „Sollen wir den Einsatz ein wenig erhöhen, Mr Easton?“, fragte sie scheinbar beiläufig. „Vielleicht beschleunigt das die Sache ein wenig.“
Er lachte. „Und wie wollen Sie das tun? Ich habe schon den größten Teil Ihrer Barschaften gewonnen.“
„Ich dachte an etwas anderes als an Geld.“
Es war deutlich zu hören, wie einigen Anwesenden die Luft wegblieb. Honor war klar, dass die letzten Reste ihres guten Rufs sich soeben in Rauch aufgelöst hatten. Sie musste das nächste Spiel gewinnen. Ihr Herz raste, ihre Handflächen wurden feucht. Sie hatte soeben alles aufs Spiel gesetzt, was sie je gehabt hatte – alles. Ihr Herz, ihre Zukunft, ihre Aussichten.
George musterte sie, als sei er gerade dabei, ein schwieriges Rätsel zu lösen. „Fahren Sie fort.“
„Wenn Sie gewinnen“, sagte sie in einem Ton, als sei dies alles ein Kinderspiel, „werde ich diese Spielhölle hier verlassen und Sie werden mich niemals wiedersehen.“
Die Männer um sie herum schrien laut vor Vergnügen und riefen George zu, dass er ein Idiot sei. Er jedoch beugte sich vor und fragte: „Und wenn Sie gewinnen?“
Honor musste schlucken und schaffte es dennoch, die Karten zu mischen, ohne dass ihre Hände zitterten. „Wenn ich gewinne …“, sie hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen, „… dann werden Sie um meine Hand anhalten.“
Diese Bemerkung wurde mit eisigem Schweigen quittiert. Zumindest für einen Moment. Dann brach die Hölle los. Plötzlich schrien alle durcheinander, die Männer riefen sich gegenseitig zu, dass sie kommen und sich das ansehen sollten, andere drängten Honor, sie solle sofort den Club verlassen und den Namen Beckington nicht weiter in den Schmutz ziehen.
Aber George … George … Er sah sie gleichmütig an, sein Blick bohrte sich in ihre Augen. „Das ist unmöglich. Ich habe es doch gesagt, Cabot – es geht nicht.“
„Nur weil Sie sich weigern, an die Möglichkeiten zu glauben.“
„Ich spiele da nicht mit“, sagte MacPherson und erhob sich. „Ich werde bei dieser Sache nicht mitmachen … Was sie auch sein mag.“
Weder Honor noch George bemerkten, dass er sich entfernte.
„Ihr Einsatz ist ungeheuerlich und idiotisch“, sagte er zornig.
„Das finde ich überhaupt nicht.“
„Dann lassen Sie mich Ihnen erklären, wie idiotisch er ist“, fuhr er fort. „Wenn Sie gewinnen, werde ich allerdings um Ihre Hand anhalten. Und das wird Sie dazu zwingen, ein Leben zu führen, das Sie so noch nie kennengelernt haben. Damit meine ich, dass es kein Hauspersonal geben wird. Keine Abendroben. Keine hübschen Kleinigkeiten. Vielleicht haben Sie nicht einmal ein Dach über dem Kopf.“
Sie hoffte sehr, dass sie nicht zitterte.
„Ach was, Easton, ein hübsches Ding gibt es doch“, sagte jemand und die Umstehenden lachten.
Alles stand auf Messers Schneide, aber sie war entschlossen, jetzt nicht klein beizugeben. Es gab keinen anderen Mann für sie, niemanden, der sie so gut verstand, der wusste, was für eine Frau sie war. Sie sehnte sich nicht gerade nach einem Leben voller Entbehrungen, aber sie fürchtete sich auch nicht davor. Ihr Herz klopfte immer schneller. Honor war bis zum Ende der Planke gegangen und sie würde jetzt bestimmt nicht umkehren. Sie verteilte die Karten.
„Niemand wird Sie in die vornehmen Salons von Mayfair einladen“, fuhr er fort. „Vielleicht können Sie nicht einmal Fleisch auf den Tisch bringen.“
Honor war mit dem Verteilen der Karten fertig und nahm ihr Blatt auf. „Wollen Sie spielen oder plaudern, Mr Easton?“
Er strich seine Karten ein und sagte: „Gentlemen aus gutem Hause werden sich nicht mehr so leicht für Ihre Schwestern interessieren.“
Honors Herz hörte einen Augenblick zu schlagen auf. Doch sie nahm allen Mut zusammen und spielte die erste Karte, eine Zwei.
George sah sie an und seufzte. „Gott möge Ihnen helfen, Honor Cabot. Sie wissen ja gar nicht, was für einen Fehler Sie begehen.“
Sie spielten. Mehr als einem Zuschauer fiel auf, dass Honors Hände zitterten. Das lag daran, dass George sie aufmerksam beobachtete, genau wie sie befürchtet hatte. Das machte sie sehr nervös. Gerade als es schien, dass sie verloren hatte, zögerte Honor einen Augenblick, ehe sie ihre letzten Karten ausspielte. „Wenn ich das sagen darf, Mr Easton, mir ist es vollkommen gleichgültig, wer Ihr Vater ist und ob Ihr Vermögen groß oder klein ist.“
Die Menge schwieg, um zu hören, was sie zu sagen hatte.
„Mir ist es gleichgültig, ob ich schöne Kleider habe oder auf Bälle gehen kann, und auch wenn meinen Schwestern einige Schwierigkeiten bevorstehen, bin ich sicher, dass sie alle ihrem Herzen folgen und stark bleiben werden. Das ist es, was wir Cabots tun. Wir treffen Entscheidungen. Ich habe meine Entscheidung getroffen und festgestellt, dass das Einzige, das mir etwas bedeutet, du bist. Nur du.“ Sie legte ihre Karten auf den Tisch, einen Dreier mit Damen.
Die Menge brach in lauten Jubel aus. George sah auf die Karten hinab und seufzte, als habe er nichts anderes erwartet. „Ich weiß nicht, wer Ihnen die Kunst des Glücksspiels beigebracht hat, Madam“, sagte er und fing an, seine eigenen Karten auf den Tisch zu legen. Ein König, zwei. „Aber Ihr Lehrer hat offensichtlich vergessen, Ihnen beizubringen, dass man nicht versuchen sollte zu betrügen.“ Er legte einen dritten König ab und dann einen vierten. „Es sei denn, man weiß genau, wie es gemacht wird.“
Die Menge wurde plötzlich ganz still, alle beugten sich vor, um zu sehen, welche Karten er auf der Hand gehabt hatte. Honor war sprachlos. Sie fühlte, wie alles Gefühl und alle Spannung aus ihrem Körper wichen, sie wurde ganz schwach. Sie sah zu, wie George aufstand, sein Geld einstrich und es in die Tasche steckte. Er sah auf sie herab, sein Blick war finster und schwer zu deuten. Als er den Tisch verließ, schob er rücksichtslos einen Mann zur Seite.
Honor konnte nicht mehr atmen, geschweige denn sich bewegen. Sie fühlte sich, als sei sie einmal in der Mitte durchgebrochen. In ihr war nur noch Leere. Nichts anderes mehr. Wie hatte er das gemacht? Und wieso hatte er sie so öffentlich bloßgestellt, indem er sie zurückwies?
Sie merkte nicht einmal, dass Mr Jett an ihrer Schulter rüttelte, bis er sie mit lauter Stimme ansprach. Sie sah zu ihm auf. Er runzelte sorgenvoll die Stirn, in der Hand ihr Täschchen. „Kommen Sie“, sagte er und nahm sie am Arm, um sie aus dem Sessel zu ziehen, in dem sie saß.
Honor stolperte so gut wie blind hinter ihm her. Alles, was sie sah, war das Blatt, mit dem George sie besiegt hatte, und wie er aufgestanden war und den Tisch verlassen hatte, ohne sich noch einmal umzusehen. Er hatte sie zurückgelassen. Er hatte ihren öffentlichen Antrag abgewiesen, hatte sie verlassen. Er hatte ihr das Herz gebrochen und diesen Schmerz konnte sie einfach nicht ertragen.
Mr Jett begleitete Honor zu ihrer Kutsche. Sie weinte auf der gesamten Fahrt nach Mayfair und dann weinte sie an Augustus’ Schulter weiter, nachdem Jonas sie in seine Obhut übergeben hatte. Sie weinte in ihr Kopfkissen, während Prudence und Mercy ihr den Kopf tätschelten und versuchten, sie zu beruhigen.
Niemand konnte ihr jetzt mehr helfen. Es gab keine Hoffnung mehr. Jetzt hatte Honor wirklich alles verloren.