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„Du siehst ziemlich scheiße aus. Musstest du schon wieder Die Eiskönigin mit ihnen anschauen?“
Weil keines der Kinder anwesend war, zeigte John Brennan seinem Freund den Mittelfinger und ließ ihn schnell ins Haus hinein, bevor Jillians Katze Cinnamon entwischen konnte.
Das Vieh machte ihm das Leben schwer, seit sein vermaledeiter Bruder Josh bei dessen letztem Besuch vor drei Monaten das Katzenbaby mitgebracht und seiner Nichte präsentiert hatte. Jillian war natürlich Feuer und Flamme gewesen, und John war nichts anderes übrig geblieben, als loszuziehen und ein Katzenklo zu kaufen. Leider benutzte Cinnamon ihr fast einhundert Dollar teures Klo nur ungern und bevorzugte den Teppich in Seans Kinderzimmer, sodass sich John mehrmals in der Woche auf allen vieren wiederfand, um den Teppich im Zimmer seines Sohnes zu reinigen, während Cinnamon, das verwöhnte Vieh, auf der Couch verhätschelt und getätschelt und mit Lachshäppchen verköstigt wurde.
Sollte sein jüngster Bruder irgendwann einmal Vater werden, so schwor sich John, würde er seinem Neffen oder seiner Nichte ein komplettes Schlagzeug sowie eine ganze Horde inkontinenter Katzen schenken, um sich zu rächen.
Erst vor ein paar Tagen hätte John der räudigen Katze am liebsten das Fell über die Ohren gezogen, weil sie sich in sein Arbeitszimmer geschlichen hatte, dort an den Wandschrank gesprungen war und den Player of the Year -Award hinuntergeworfen hatte. Der größte und wichtigste Preis, den ein Spieler von der NFL verliehen bekommen konnte, hatte nun eine Delle und war ziemlich ramponiert. Irgendwie glaubte John, dass es die Katze mit Absicht gemacht hatte.
Als er diese Vermutung erst gestern Abend im Ehebett seiner lieben Frau gegenüber erwähnt hatte, war die in fröhliches Gelächter ausgebrochen und hatte ihm unterstellt, unter Verfolgungswahn zu leiden, weil er momentan unter enormem Stress stand. Dass die Katze seiner Meinung nach ein hinterhältiges Funkeln in den Augen hatte, wann immer sie John ansah, hatte er unerwähnt gelassen.
Tatsächlich hatte John schon mit dem Gedanken gespielt, eine Katzenhaarallergie vorzutäuschen, um Cinnamon einem anderen armen Trottel aufs Auge drücken zu können, aber weil Jillian das Fellungetüm heiß und innig liebte, hatte er den Gedanken schnell wieder verworfen. Solange seine Tochter glücklich war, würde er weiterhin Teppiche säubern, verbeulte Pokale in Kauf nehmen und das ganze Haus hermetisch abriegeln, damit Cinnamon nicht ausbüxen konnte.
„Als ich das letzte Mal nach ihnen gesehen habe, hatten sie Sean in ihrer Gewalt und haben ihn dazu gezwungen, mit ihnen Barbie zu spielen.“ John zuckte mit den Schultern und schloss die Haustür. „Der arme Junge durfte nicht einmal Ken sein.“
„Sean ist hart im Nehmen. Der hält das aus.“
Amüsiert schob John die Hände in die Taschen seiner Jeans und nickte in Richtung Küche. „Willst du ein Bier?“
„Ich bin mit dem Auto hier. Gib mir lieber einen Eistee.“ Julian Scott schlüpfte aus seiner Jacke und legte sie über das Treppengeländer, bevor er ihm durch das Wohnzimmer folgte. „Liv lässt schöne Grüße ausrichten und dankt euch, dass ihr auf Brianna aufgepasst habt. Ich hoffe, sie hat sich benommen.“
„Mustergültig“, erwiderte John und betrat die Küche, in der nach einem turbulenten Mittagessen, das aus Fischstäbchen und Fritten bestanden hatte, ein absolutes Chaos herrschte. Eigentlich hatte er längst aufräumen wollen, allein um seiner Frau zu beweisen, dass er die Situation daheim auch ohne ihre Anwesenheit meisterte, aber dann hatte Mitch ihn angerufen, um mit ihm die Trainingspläne der kommenden Woche zu besprechen, woraufhin es gekommen war, wie es kommen musste. Ungefähr zwanzig Minuten lang hatten sie sich wie zwei alte Waschweiber am Telefon gestritten, bevor John vernünftig und erwachsen reagiert und einfach aufgelegt hatte, anstatt seinem langjährigen Freund zu sagen, dass er ihn am Arsch lecken konnte.
Es war nicht immer einfach, Footballcoach zu sein.
„Gab es in der letzten Nacht auch kein Theater? Kein Heimweh?“
John öffnete den Kühlschrank und nahm eine Flasche Eistee heraus, bevor er nach zwei Gläsern griff und ihnen beiden einschenkte. Den getrockneten Apfelsaftfleck unter seinem linken Schuh, der sich klebrig anfühlte, ignorierte er und wusste, dass Julian das Chaos nichts ausmachte. Der war schließlich selbst Vater von zwei Kindern und kannte sich mit der ganz normalen Unordnung innerhalb einer Familienküche aus. „Brianna hat doch nie Heimweh, wenn sie bei Jillian schläft. Die beiden hatten viel Spaß und haben eine Höhle gebaut, in der sie geschlafen und in die sie Sean nicht hineingelassen haben.“ Er reichte Julian ein volles Glas und fuhr gleichmütig fort: „Warum hast du gestern nicht Levi mitgebracht? Er hätte Sean unterstützen können – zwei Jungen gegen zwei Mädchen.“
Sein Freund kratzte sich am Kopf. „Levi hat bei Claire und Grant übernachtet und dort mit Jamie gespielt. Ich wollte dir nicht zwei Kinder auf einmal auf den Hals hetzen, weil ich meine Frau mit einem romantischen Abend verwöhnen wollte.“ Er grinste ihn an. „Du hast es momentan sowieso schwer genug.“
John schnitt eine Grimasse und beobachtete, wie sein Freund, den er vor wenigen Jahren noch als Coach betreut hatte, bevor der in den Ruhestand gegangen war, das Glas an den Mund hob und einen großen Schluck nahm.
Weil er sich nach der Auseinandersetzung mit Mitch nicht schon wieder über das Thema unterhalten wollte, das ihm zurzeit den meisten Stress verursachte, ging er auf Julians Bemerkung nicht ein. Stattdessen nahm er ebenfalls einen Schluck Eistee, den Hanna selbst zubereitet hatte, weil sie den Zuckerkonsum der Kinder – und seinen – so minimal wie möglich halten wollte, und wollte anschließend von seinem Freund wissen: „Wohin hast du Liv ausgeführt?“
„Ins Delmonico’s.“
John pfiff anerkennend. „Nobel, nobel. Gab es einen speziellen Grund?“
„Nö.“ Julian, der ein überragender Spieler und einer der unkompliziertesten sowie loyalsten Menschen war, den John kannte, grinste eindeutig. „Mein liebes Eheweib war in letzter Zeit ziemlich gestresst, also wollte ich ihr als zuvorkommender und liebenswürdiger Ehemann eine kleine Auszeit gönnen, um sie zu verwöhnen und sie daran zu erinnern, welches Glück sie hat, mit mir verheiratet zu sein.“
„Mit anderen Worten wolltest du das Haus für euch haben, um es in jedem Zimmer zu treiben“, mutmaßte John trocken.
Das Grinsen wich keinen Millimeter von Julians Gesicht. „Sagen wir doch einfach, dass Liv sich heute Morgen krankgemeldet hat und wir erst um zwei Uhr mittags das Bett verlassen haben.“
„Dein Leben möchte ich haben“, beschwerte sich John, obwohl er eigentlich gar keinen einzigen Grund hatte, unglücklich zu sein. Er war mit der Liebe seines Lebens verheiratet, hatte zwei wunderbare Kinder und einen Job, der ihn erfüllte – von seiner ruhmreichen Karriere als aktiver Sportler einmal abgesehen. Er würde niemals in die Verlegenheit kommen, Geldprobleme zu haben, und er wusste, dass seine Familie sehr gut versorgt war.
In seinem Leben hatte er viel Glück gehabt, aber er hatte auch hart gearbeitet und wusste, dass Erfolg nichts war, was einem in den Schoß fiel. Selbst der talentierteste Mensch musste sich den Arsch aufreißen, um etwas zu erreichen. Das war seit jeher sein Credo gewesen. Leider wuchs momentan eine neue Generation von Spielern heran, die glaubten, dass ihnen der Erfolg in den Schoß fiel, ohne dafür einen Finger krumm zu machen, weil sie talentiert waren.
Spieler wie Hunter Stone, der John das Leben schwer machte, weil der Mistkerl sich für den größten Footballspieler unter der Sonne hielt und davon ausging, ein Recht darauf zu haben, aufgestellt und eingesetzt zu werden, obwohl er noch lange nicht begriffen hatte, dass man als Team spielte, gewann oder verlor.
John konnte Primadonnen nicht leiden.
In seiner bisherigen Trainerlaufbahn hatte er es mit einigen Spielern zu tun gehabt, die seine charakterlichen Anforderungen nicht erfüllt hatten, und John hatte nie ein Problem damit gehabt, diese auf die Bank zu setzen oder gar verkaufen zu lassen, wenn er der Meinung gewesen war, dass sie nicht ins Team passten. Bislang waren seine Entscheidungen niemals in Zweifel gezogen worden. Was jedoch Hunter Stone betraf, wurde er sich mit dem restlichen Trainerstab und der Chefetage des Vereins einfach nicht einig.
Das frustrierte ihn.
Mehr noch – es machte ihn rasend.
Aus diesem Grund war er in letzter Zeit auch ziemlich gereizt und genervt. Obwohl sich John nämlich als umgänglichen Menschen bezeichnete, hasste er es, wenn seine Entscheidungen in Zweifel gezogen wurden. Er erwartete Rückendeckung, stattdessen fiel man ihm in den Rücken. Da war es kein Wunder, dass er am liebsten die Wände hochgegangen wäre und Mitch in den Arsch getreten hätte. Wenn er nicht erst zweiundvierzig gewesen wäre, hätte er sich womöglich für zu alt für den Job gefunden.
„Du kannst uns gerne deine beiden Sprösslinge aufs Auge drücken, wenn du einen romantischen Abend mit Hanna verbringen willst“, bot Julian ihm gutmütig an. „Eine kleine Auszeit wirkt Wunder. Vielleicht bist du dann auch nicht länger so schlecht gelaunt und läufst mit einer Gewittermiene durch die Gegend.“ Sein Freund zwinkerte ihm zu. „Und Hanna hätte sicherlich auch etwas davon, schließlich muss sie es mit dir Griesgram aushalten.“
„Ich denke nicht, dass sich Hanna beschweren kann“, brummte er verteidigend. „Sie kann dir bestätigen, dass ich sehr romantisch bin. Außerdem bin ich kein Griesgram.“
Julian verdrehte die Augen. „Schau mal in einen Spiegel, John. Du bist zurzeit das Paradebeispiel eines Griesgrams.“ Lässig lehnte er sich gegen die Arbeitsfläche der Küche und musterte ihn aufmerksam. „Die Saison fängt doch gerade erst an! Es gibt keinen Grund, jetzt schon derart unter Anspannung zu stehen.“
Julian hatte ja keine Ahnung!
Oder vielleicht hatte er sie doch, weil er scharfsinnig nachhakte: „Geht es etwa um Hunter Stone?“
John spürte sofort, wie er die Zähne fletschte. So viel also dazu, ein umgänglicher Kerl zu sein …
„Es dreht sich nicht alles in meinem Leben um diese Primadonna.“
„Aha, ich hatte also recht.“
Sein Gesicht verschloss sich. Und obwohl er sich gerade noch selbst gesagt hatte, dass er nicht schon wieder über sein momentanes Sorgenkind sprechen wollte, brummte er gereizt: „Ich kann überhebliche Einzelkämpfer nicht ausstehen! Football ist ein Teamsport, und ich werde keinen Spieler aufstellen, der das nicht begreifen will. Stone besitzt nicht das Zeug dazu, sich selbst zurückzunehmen und das Wohl der Mannschaft über sein eigenes zu stellen. Wenn es hart auf hart kommt, werde ich mich nicht auf ihn verlassen können. Das Team wird sich nicht auf ihn verlassen können. Mit solchen Spielern kann ich nichts anfangen!“
Julian blieb die Ruhe selbst und balancierte das halbvolle Glas in seiner rechten Hand, mit der er im letzten Spiel seiner Karriere den Ball gefangen und somit den entscheidenden Touchdown gemacht hatte, der den Titans den Superbowl eingebracht hatte. „Stone spielt wie ein junger Gott. Gordon Fletcher hat ihn das Wunderkind des Footballs genannt.“
„Gordon Fletcher hat auch nie versucht, dieses Wunderkind zu coachen.“ Am liebsten hätte er sich die Haare gerauft. „Der arrogante Mistkerl lässt sich nichts sagen, sondern glaubt, dass er alles besser weiß und dass das Spiel nur dafür erfunden wurde, damit er auflaufen und sich als Footballgott feiern lassen kann. Er ist aber kein Footballgott, sondern nur ein von sich selbst überzeugter Spieler, der sich noch nie wirklich beweisen musste und heulend zu seiner Mama rennt, falls irgendetwas nicht so läuft, wie er es sich vorgestellt hat.“
Offenbar hatte er sich ziemlich in Rage geredet, denn Julian zog eine Augenbraue in die Höhe und betrachtete ihn neugierig. „Kannst du ihn nicht leiden?“
Weil er immerhin ein höchst professioneller Footballcoach war, ging er der Frage lieber aus dem Weg. Ein Lehrer würde schließlich auch niemals zugeben, wenn er einen seiner Schüler nicht mochte. „Er ist ein Aufschneider!“
Julian begann zu glucksen und stellte das Glas auf die völlig überfüllte Arbeitsfläche, die John leider noch nicht aufgeräumt hatte. Das Telefonat mit Mitch war ihm dazwischengekommen. „Nenn mir einen Spieler, der kein Aufschneider ist.“
John schnaubte, sagte jedoch nichts, denn irgendwie hatte Julian recht. Aber auch nur irgendwie.
„Ich habe ihn auf Duprees Geburtstagsparty kennengelernt und fand ihn sympathisch.“ Julian zuckte mit den Schultern. „Auf mich machte er einen ziemlich patenten Eindruck.“
„Du musst ihn auch nicht trainieren.“ Am liebsten hätte er die Hände in die Höhe geworfen. „Einen überheblicheren und verbohrteren Spieler hatte ich noch nie unter mir!“
Ein Grinsen machte sich auf dem Gesicht seines Freundes breit. „So etwas Ähnliches hast du gesagt, als du Brian in die Mannschaftsdusche gezerrt und mit ihm auf dem Boden gerauft hast, während du seinen Kopf unter den kalten Duschstrahl gedrückt hast. Und als du ausgeflippt bist, weil Blake und Ian auf dieser Pressekonferenz in Dallas darum gewettet haben, wer von ihnen die Nationalhymne besser rülpsen kann, während der Commissioner mit auf der Bühne saß, hattest du noch viel schlimmere Beschimpfungen auf Lager. Nicht zu vergessen dein legendärer Ausraster, als Delaney Teddys Sexvideo herumgereicht hat.“
„Deine Erinnerung lässt dich im Stich“, widersprach er Julian mit einem Grollen, als er an jene Begebenheit dachte, die mittlerweile fast sechs Jahre zurücklag. „Brian war derjenige, der Delaney die Fresse polierte und ihm einen Zahn ausschlug.“
„Ja, aber du hast ihn kurz darauf gefeuert“, erwiderte Julian geradezu belustigt. „Und seither hast du kein gutes Haar an ihm gelassen – auch dann nicht, als die Jets ihn haben fallen lassen und er seine Karriere beenden musste.“
Falls Julian glaubte, dass John Mitleid mit einem Hurensohn wie Mark Delaney hatte, dann war er auf dem Holzweg. „Der Mistkerl hatte keinen Charakter, sondern war ein Arschloch. Es tut mir bestimmt nicht leid, dass er heute im Supermarkt die Einkaufstüten packen muss.“
„Schwebt dir eine ähnliche Karriere für Hunter Stone vor?“
„Ganz und gar nicht, schließlich haben wir mehrere Millionen springen lassen, um ihn von Denver nach New York zu holen“, entgegnete er gepresst.
„Lass mich raten: Das hat dir nicht gepasst, richtig?“
Unwirsch hob John eine Hand und ließ sie gleich darauf wieder sinken. „Können wir das Thema wechseln? Ich habe wirklich keine Lust, auch noch in meiner Freizeit über diesen großspurigen Idioten zu sprechen.“
Glucksend fragte Julian nach: „Seit wann hast du denn Freizeit?“
„Du als hauptberuflicher Hausmann hast gut reden“, brummte John. „Vor lauter Freizeit weißt du doch überhaupt nicht mehr, wie Arbeit aussieht.“
Anstatt zu antworten, lachte sein Freund und zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. Falls John gehofft hatte, Julian dazu zu bekommen, mit ihm vor die Tür zu gehen und seine Frustration in einer guten, alten Handgreiflichkeit zu bereinigen, wurde er enttäuscht, denn bevor er erneut das Wort ergreifen konnte, betrat seine Frau den Raum, begrüßte Julian mit einem Kuss auf die Wange, schaute sich neugierig den chaotischen Zustand der Küche an und stellte sich anschließend mit einem Lächeln auf dem Gesicht auf die Zehenspitzen, um ihn auf den Mund zu küssen.
Nach sieben Jahren Ehe schaffte es Hannas Lächeln noch immer, dass sein Herz schneller schlug und dass der Stress von ihm abfiel. Ja, er war ein echter Glückspilz.
„Lass mich raten: Du hast den Kindern Fischstäbchen gemacht.“ Amüsiert rümpfte sie die Nase, ohne besonders aufgebracht zu wirken, obwohl sie sicherlich einen anstrengenden Tag an der Uni hinter sich hatte. Momentan bereitete sie einige ihrer Studenten auf deren Abschlussprüfungen vor und arbeitete an einem Lehrplan für das kommende Semester, was bedeutete, dass sie mehrmals in der Woche an diversen Konferenzen und Besprechungen teilnehmen musste, was wiederum den sorgfältig und akribisch zusammengestellten Familienplan über den Haufen warf. Aber wer war John, sich über Hannahs Job zu beschweren? Als Trainer eines NFL-Teams war er oft unterwegs, schlug sich ständig Nächte im Verein um die Ohren und kam in der Saison manchmal nur nach Hause, um sich eine Mütze voll Schlaf zu genehmigen. Nein, er hatte kein Recht, sich über Hannas Job zu beschweren, sondern wollte ihr den Rücken freihalten, was ihre Karriere betraf.
Heute war er an der Reihe gewesen, sich um die Kinder zu kümmern. Dass sie Fischstäbchen anstatt eines nahrhaften Eintopfs bekommen hatten, bereitete ihm kein schlechtes Gewissen, aber im Vergleich zu Julian, der als perfekter Ehemann seine Frau gestern Abend mit einem romantischen Date überrascht hatte, kam sich John gerade ziemlich beschissen vor. Hanna hatte mehr als ein paar labberige Fischstäbchen und eine chaotische Küche samt getrockneter Apfelsaftflecken auf dem Boden verdient.
„Brianna wird sich sicherlich nicht beschwert haben, was die Fischstäbchen betrifft, immerhin muss das arme Kind in der Gewissheit aufwachsen, dass seine Mom eine grauenhafte Köchin ist“, witzelte Julian.
„So schlimm kocht Liv überhaupt nicht“, wandte Hanna ein und übernahm Johns Glas, um einen Schluck des Eistees zu nehmen, den sie heute Morgen selbst zubereitet hatte, bevor sie zur Uni gefahren war. Das schlechte Gewissen begann in Johns Magen zu rumoren. „Die kleinen Quiches, die es erst letztens bei euch gab, waren richtig gut.“
„Die kleinen Quiches hatte ich kurz vorher bei Katz’s gekauft“, erwiderte Julian trocken. „Gleich nachdem ich mir beinahe einen Zahn an Livs Quiches abgebrochen hätte.“
„Ups.“ Hannas fröhliches Lachen schallte durch die Küche. „Vergiss einfach, dass ich etwas gesagt habe.“ Sie nahm einen Schluck und öffnete anschließend die Spülmaschine, um das Glas hineinzustellen.
Erst jetzt fiel John ein, dass die Spülmaschine bereits voll und noch nicht ausgeräumt war. Er hatte die fertige Ladung schlichtweg vergessen und stattdessen am Trainingsplan gearbeitet. Verdammt, so hatte der Tag nicht laufen sollen! Er wollte schließlich nicht zu den Arschlöchern von Ehemännern gehören, die ihren Frauen die Hausarbeit überließen und es sich mit einer Flasche Bier vor der Glotze gemütlich machten.
Also nahm er Hanna das Glas wieder ab und schloss die Spülmaschine, damit sie nach einem langen Tag an der Uni nicht damit begann, hier Klarschiff zu machen, obwohl das heute seine Aufgabe gewesen wäre. Vermutlich sollte er sich Julians Rat zu Herzen nehmen und mit Hanna irgendetwas Schönes unternehmen.
Nach sieben Jahren Ehe, mit zwei kleinen Kindern im Haus, einer verschlagenen Katze an der Backe und dank zwei zeitintensiven Jobs blieb die Romantik leider ab und zu auf der Strecke. Zwar hatten sie erst in der vergangenen Nacht Sex gehabt, aber um ganz ehrlich zu sein, war an der ziemlich hastigen Nummer nichts romantisch gewesen, schließlich hatten sie beide auf Geräusche von draußen gelauscht, nachdem Sean vor zwei Wochen in ihr Schlafzimmer geplatzt war und mehr mit angesehen hatte, als für einen Vierjährigen gut war. Dummerweise hatte der Handwerker das kaputte Türschloss noch immer nicht reparieren können, und John hatte keine Lust mehr auf Sex unter der Dusche, weil das Badezimmer der einzige Raum im Haus war, den man abschließen konnte.
„Ich mache das schon, Liebling“, murmelte er und erntete zu seiner absoluten Freude ein Lächeln, das ihm bewies, dass seine Frau die beste Frau von allen war und es ihm nicht krummnahm, ein absoluter Versager als Hausmann zu sein.
Er legte ihr einen Arm um die Schulter und lächelte automatisch, als sie wiederum einen Arm um seine Taille schlang und sich an ihn presste. Hoffentlich würde das heiße Glücksgefühl in seiner Brust niemals vergehen, sobald sie ihm nahe war.
Julian und Hanna rissen weiterhin ein paar Witze über Liv und deren kulinarische Katastrophen, während John gedankenverloren Hannas Oberarm streichelte und darüber nachdachte, sie mit einem romantischen Wochenende zu überraschen, um sie für den Stress und das Chaos der letzten Zeit zu entschädigen. Die Kinder würde er problemlos irgendjemandem aufs Auge drücken können, und Cinnamon könnte von einem Nachbarn gefüttert werden, aber wenn er nicht gerade sein Handy zu Hause lassen würde, hätte er keine Chance auf ein ruhiges Wochenende. Irgendetwas passierte schließlich immer im Verein.
Bevor er den Gedanken zu Ende gesponnen hatte, vibrierte sein Handy in der Hosentasche. Doch dieses Mal ging er erst gar nicht ran.
Stattdessen lauschte er dem Getrampel von oben, das die Ankunft der Kinder ankündigte, die Sekunden später in die Küche stürmten und für noch mehr Chaos sorgten, als die sechs Jahre alte Brianna an ihrem Dad hoch und runter sprang, Sean unbedingt auf Hannas Arm wollte und Jillian beinahe das schmutzige Geschirr von der Arbeitsfläche geworfen hätte, weil sie darauf klettern wollte, um an die Keksdose zu kommen. Die bewahrte Hanna im obersten Küchenschrank auf, was die Kinder jedoch nicht davon abhielt, in halsbrecherischer Manier die Küchenplatte zu erklimmen und an den köstlichen Snack zu kommen.
Wie die Ruhe selbst pflückte John seine sieben Jahre alte Tochter von der Arbeitsplatte und legte seine Arme um sie, während er einen Kuss auf ihr zerzaustes Haar drückte. Dass sein kleines Mädchen mittlerweile in die zweite Klasse ging, sich nicht mehr von ihm die Schuhe zubinden lassen musste und ihm gestern beim Frühstück eröffnet hatte, dass sie jetzt einen Freund hatte, den ebenfalls sieben Jahre alten Noah aus der gleichen Klasse, machte ihm ziemlich zu schaffen. Es war doch erst wenige Monate her, seit er ihr das Laufen beigebracht und sie auf seinem Arm in den Schlaf gewiegt hatte! Nicht mehr lange und sie würde abends mit ihren Freundinnen ins Kino gehen, stundenlang am Telefon hängen, Auto fahren und darüber nachdenken, auf welches College sie gehen wollte.
Dazu war John noch nicht bereit!
Und diesen Noah würde er morgen ganz genau unter die Lupe nehmen, wenn er Jillian zur Schule brachte!
„Daddy“, protestierte sie lachend und wand sich in seiner Umarmung. „Wir wollen einen Keks haben!“
Offenbar hatte er heute seinen sentimentalen Tag, weil er sich daran erinnerte, wie sie ihn zum ersten Mal mit ihrem lispelnden Stimmchen Daddy genannt hatte, als sie knapp ein Jahr alt gewesen war. John hatte damals beinahe zu heulen angefangen – mitten auf dem Kinderspielplatz, wo Jillian und er im Sand gesessen und miteinander gespielt hatten.
„Wenn ihr einen Keks haben möchtet, könnt ihr die Haferkekse essen, die ich vorgestern gebacken habe“, warf Hanna ein und deutete auf die gläserne Dose, die gleich neben dem Kühlschrank stand und die von ihnen allen ignoriert wurde. Selbst gebackene Haferkekse schmeckten nämlich genau so, wie sie klangen. John war nur zu höflich, um das seiner lieben Ehefrau ins Gesicht zu sagen. Welcher normal denkende Mann grub sich schon selbst das Wasser ab?
Jillian dagegen hatte keine Skrupel, ihrer Mom mitzuteilen, dass sie sich die Mühe nicht hätte machen und die trockenen Kekse nicht hätte backen müssen.
„Nein, danke. Mom, deine Haferkekse schmecken überhaupt nicht. Sie sind viel zu trocken.“ Sie schmatzte übertrieben und rümpfte dabei die kleine Stupsnase.
Eher neugierig als verärgert legte Hanna den Kopf schief und musterte Jillian, die sich an John klammerte und ihre Beine um seine Hüften geschlungen hatte.
Zu seiner absoluten Freude war Jillian von Anfang an ein Papa-Kind gewesen, auch wenn Hanna schon seit Jillians Geburt zu bedenken gab, dass sie ihn später mühelos um den kleinen Finger wickeln würde. Natürlich sagte sie nichts, was er nicht schon wusste, aber was sollte er tun? Er war seiner Tochter von dem Moment an verfallen gewesen, als die Hebamme ihm das kleine Bündel in den Arm gelegt hatte.
„Du findest, dass meine Kekse trocken schmecken?“ Hanna räusperte sich und verdrehte dabei die Augen, während sie Sean über den Kopf streichelte. Sein vier Jahre alter Sohn schmiegte sich an seine Mom und schielte dabei zu seiner Schwester, nach der er sich ständig orientierte und der er immer nacheiferte, was John vor Stolz manchmal fast platzen ließ. Zu seinen eigenen Brüdern hatte er ein tolles Verhältnis und verfolgte deshalb mit Freude, wie gut sich seine Kinder miteinander verstanden. Als Sean seinen Blick suchte und ihm ein Lächeln schenkte, das die große Zahnlücke zeigte, lächelte John zurück und zwinkerte ihm zu.
„Ja, totaaaaaal trocken!“ Jillian stieß ein dramatisches Seufzen aus. „Sie bleiben im Mund kleben. Einmal musste ich davon ganz schlimm husten. Weißt du noch, Daddy? Du warst dabei und hast gesagt, dass wir lieber die gekauften Kekse essen sollen, um nicht zu ersticken.“ Glucksend lachte sie auf, als hätte sie einen furchtbar komischen Witz erzählt.
Hanna lachte nicht. Sie zog lediglich eine Augenbraue in die Höhe und sah ihn bedeutungsvoll an. Und John kniff die Augen zusammen, weil er seinem liebsten Eheweib bisher versichert hatte, wie gut ihr die Haferkekse gelungen waren, obwohl sie tatsächlich trocken waren, am Gaumen klebten und beinahe zu einem Erstickungstod führten.
„Okay, das war wohl unser Stichwort, Brianna. Lass uns nach Hause fahren.“ Julian räusperte sich, lachte unterdrückt auf und tätschelte seiner Tochter die Schulter. „Wir kennen die Anzeichen, wenn Ärger ins Haus steht, sobald die Kochkünste einer Frau in Zweifel gezogen werden.“
Die Tochter seines Kumpels, die ein Jahr jünger als Jillian war, verdrehte die Augen und erklärte voller Ernst: „Ja, dann ist die Kacke am Dampfen.“
Niemand schalt das kleine Mädchen für seine Ausdrucksweise, denn – mal ehrlich – die Kinder von Footballspielern bekamen sehr viel schlimmere Wörter zu hören. Dampfende Kacke gehörte sozusagen noch zur gehobenen Sprache.
„Grüß Liv von mir“, bat Hanna Julian, während der Brianna nach oben schickte, um ihre Tasche zu holen.
„Das mache ich“, versicherte er, während sie sich allesamt in Richtung Haustür bewegten. „Warum kommt ihr nicht bald zum Abendessen vorbei? Ich werde auch dafür sorgen, dass Liv die Finger vom Herd lässt, damit wir das Essen genießen können.“
Im geradezu liebenswürdigen Tonfall erklärte Hanna an Julian gewandt, während sie John ansah: „Solange das Essen nicht so trocken ist, dass wir daran ersticken müssen, werden wir kommen. Danke für die Einladung.“
John schnitt eine Grimasse. Er konnte sich täuschen, aber Julian wirkte ein bisschen schadenfroh, als er sich mit Brianna kurz darauf von ihnen verabschiedete und das Haus der Brennans verließ.
Jetzt war Schadensbegrenzung angesagt, also drehte sich John zu seiner Ehefrau um und fragte bemüht interessiert nach: „Wie war dein Tag, Liebling? Bist du mit dem Lehrplan fürs kommende Semester weitergekommen?“
Da Hanna alles andere als dumm war, durchschaute sie ihn sofort. „Trocken also? Hast du mir nicht noch vor ein paar Tagen vorgeschwärmt, wie köstlich meine Kekse wären?“
Ganz und gar nicht reumütig grinste er und kam auf sie zu, um mit den Händen ihre Oberarme zu umfassen und sie auf die Nase zu küssen. Mit gesenkter Stimme gab er zu: „Da habe ich gelogen, schließlich bist du in der Nacht zuvor besonders freigiebig gewesen, und ich hoffte, dass wir das in der darauffolgenden Nacht wiederholen könnten.“
Obwohl die Kinder längst lärmend in der oberen Etage verschwunden waren, errötete Hanna und schnalzte leichthin mit der Zunge, während sie den Blick senkte. Diese zurückhaltende Art hatte ihn von Anfang an bezaubert. Früher, während seiner Zeit als Quarterback, hatte er genügend Frauen kennengelernt, die aufmerksamkeitsheischend, laut und geradezu aggressiv in ihren Versuchen gewesen waren, einen dicken Fisch an Land zu ziehen, um versorgt zu sein. Seine Hanna war völlig anders. Und dafür dankte er dem Allmächtigen jeden Tag.
Ihre Mundwinkel zuckten. Bedächtig sah sie ihm in die Augen und zwinkerte ihm zu. „Zu dumm, dass unsere Schlafzimmertür noch immer nicht repariert ist.“
Augenblicklich wurde sein Mund trocken. „Hanna …“
Sie löste sich von ihm und seufzte gespielt betrübt auf. „Wer weiß, in welcher freigiebigen Stimmung ich später wäre, wenn du die Spülmaschine ausräumen, die Kinder ins Bett packen und uns eine Pizza mit Anchovis bestellen würdest?“
Obwohl er Anchovis nicht besonders gern aß, fand er, dass seine Frau niemals zuvor eine bessere Idee gehabt hatte.
Außerdem könnte er einen Stuhl unter den Türknauf klemmen …