„Bleib bitte aufrecht sitzen
und lass die Arme einfach nach unten fallen. Dein Blick richtet sich nach vorn.“ Riley legte ihre Hände auf seine Schulter und drückte ihn sanft nach unten, bis er vollkommen gerade auf dem Stuhl saß. Diese Position behagte Hunter nicht wirklich, weil er sich ziemlich ausgeliefert fühlte – er auf dem Stuhl, sozusagen mit den Füßen an den Stuhlbeinen gefesselt, während Riley hinter ihm stand.
Nun gut, im Grunde hätte er nichts dagegen gehabt, von ihr gefesselt zu werden und sich ganz in ihrer Gewalt zu befinden, aber das Ambiente stimmte für dieses Vorhaben nicht. Für Fesselspiele hätte er die Zurückgezogenheit eines Schlafzimmers vorgezogen, aber nicht den leicht muffig riechenden Trainingsraum, in dem vor einer halben Stunde noch Al und Eddie trainiert hatten.
„Während du das Bein streckst und beugst, muss der Rücken unbedingt gerade bleiben. Genau so“, lobte Riley ihn, trat neben ihn und bückte sich, um in einer Augenhöhe mit seinen Oberschenkeln zu sein, was ihn ein bisschen nervös machte.
Und dass sie ihre Hand ausstreckte und auf sein nacktes Knie legte, machte die ganze Situation nicht besser. Beim letzten Mal, als ihr Gesicht seinem Unterkörper so nah gewesen war und als sie ein nacktes Körperteil von ihm berührt hatte, waren sie beide nackt gewesen und hatten versucht, sich gegenseitig mit multiplen Orgasmen umzubringen.
„Wichtig ist, dass du nicht nur in jeder Position vier bis fünf Sekunden verharrst, sondern dass du auch dein Knie nicht verdrehst. Nur so spürst du eine starke Spannung in deinem Oberschenkel und trainierst die Stabilität des Knies. Genau hier solltest du die Spannung im Oberschenkel fühlen.“ Sie ließ sein Knie los und legte ihre Hand auf seinen Oberschenkel. „Spürst du das?“
Er spürte nur, dass ihm heiß wurde – sogar sehr heiß. Immerhin sprach sie mit ihrer sexy Stimme, berührte ihn und war, wie er aus eigener Erfahrung wusste, unglaublich beweglich und fantasievoll. Und was sie alles mit ihrem Mund …
„Hunter?“
„Hm?“
„Kannst du die Spannung in deinem Oberschenkel spüren?“, wiederholte sie geduldig.
„Ja, kann ich“, krächzte er, denn mehr hätte er nicht sagen können.
Sein angespannter Oberschenkel war nichts im Vergleich zu der pulsierenden Erregung, die prompt in ihm aufstieg, als sie sein nacktes Bein berührte.
Riley schien nicht zu ahnen, dass er gegen eine ausgewachsene Erektion kämpfte, sondern verfolgte sehr konzentriert, wie er sein linkes Bein beugte und streckte, während es mit einem dehnbaren Fitnessband umwickelt war, das am hinteren Stuhlbein befestigt war. Hunter verstand nicht, dass sie völlig abgeklärt und unbeteiligt war, während er die Zähne zusammenbeißen musste.
Es war erst drei Wochen her, dass sie eine wahnsinnig heiße Nacht miteinander verbracht hatten, aber Riley gab sich völlig … normal. Sie benahm sich, als wäre nichts zwischen ihnen passiert und als wäre alles wie immer. Er war der Patient und sie war die Therapeutin – freundlich, zuvorkommend und absolut professionell. Sehr bedächtig und ausführlich erklärte sie jede Übung, gab ihm Hilfestellungen und wirkte keinesfalls verlegen, wenn sie ihn anfasste.
Dabei hätte man doch erwarten können, dass es merkwürdig für sie sein müsste, ihn anzufassen!
Doch Riley zierte sich nicht, errötete nicht und wirkte nicht einmal fahrig. Stattdessen verhielt sie sich zupackend und routiniert.
Genauso gut hätte sie einen neunzigjährigen Komapatienten anfassen können!
Tief in ihm drinnen grollte er, denn es gefiel Hunter überhaupt nicht, dass Riley einfach zur Tagesordnung übergegangen war, während er Schwierigkeiten damit hatte, sie nicht ständig anzustarren, wenn sie sich über den Weg liefen.
Er war nicht
anhänglich. Nicht er! Wenn er erst einmal mit einer Frau geschlafen hatte, dann war es für ihn kein Problem, anschließend zur Tagesordnung überzugehen, die Frau zu vergessen oder sie gegebenenfalls nett zu grüßen, wenn sie sich über den Weg liefen. Er schlief selten öfter als einmal mit derselben Frau, weil er es hasste, wenn seine Sexpartnerin anhänglich wurde und klammerte. Hunter schaffte lieber von Anfang an klare Verhältnisse, indem er klarstellte, dass er lediglich an einem One-Night-Stand interessiert war. Frauen entwickelten keine utopischen Zukunftsfantasien von einem Haus, einem Minivan und einem Familienhund namens Dexter, wenn es der Mann bei einer einzigen Nacht beließ.
Seine längste Beziehung hatte drei Monate gehalten und war in die Brüche gegangen, weil er keine Lust gehabt hatte, Black Swan
im Kino zu sehen. Stattdessen hatte er mit seinen Kumpels im Keller von Mark Portman Billard gespielt und verbotenerweise ein paar Bierchen gezischt, woraufhin er sich mit seiner Freundin Samantha derart gestritten hatte, dass sie getrennte Wege gegangen waren. Eine Woche später war sie mit dem Vorsitzenden des Debattierclubs gegangen, und Hunter hatte fast wöchentlich eine andere Cheerleaderin dazu gebracht, mit ihm auf die Rückbank seines Autos zu klettern.
So gesehen hatte er durchweg schöne Erinnerungen an die Highschool.
Seit damals beließ er es bei unkomplizierten und unbedeutenden Bettgeschichten, die ihn nicht von seinem Job ablenkten und ihn nicht einengten. Außerdem verlor er sowieso das Interesse an einer Frau, wenn er erst einmal mit ihr geschlafen hatte.
Deshalb hätte er eigentlich froh und erleichtert sein sollen, dass Riley sich benahm, als wäre nichts Weltbewegendes zwischen ihnen geschehen. Dass sie beide ganz gelassen hier sitzen und eine Therapiestunde abhalten konnten, hätte ihn freuen sollen. Offenbar beeinträchtigte der One-Night-Stand nicht seinen Job. Das war doch ein Grund, sich zu freuen, oder etwa nicht?
Aber Hunter freute sich nicht.
Stattdessen war er gekränkt, auch wenn er nicht wusste, weshalb.
Vielleicht störte es ihn, dass
sie sich benahm, als wäre nichts Weltbewegendes zwischen ihnen passiert, denn ihre gemeinsame Nacht stand zumindest ihm noch sehr deutlich vor Augen. Der Sex war der pure Wahnsinn gewesen, und Hunter war nur allzu froh gewesen, dass sein eigenes Zimmer nicht weit entfernt gelegen hatte, weil ein Kondom einfach nicht gereicht hatte. Nach ihrem ersten Mal war er über den Flur geschlichen und hatte gleich die ganze Packung mitgenommen, die er vorsichtshalber eingepackt hatte. Es hätte nicht viel gefehlt und sie beide hätten die Packung komplett aufgebraucht.
„Das sollte reichen“, unterbrach Riley seine Gedanken und klopfte ihm sacht gegen das Knie, bevor sie sich vor ihn hinkniete und das elastische Gummiband von seinem linken Fuß löste.
Seine Kehle wurde trocken, während er auf ihren zerzausten Pferdeschwanz hinabblickte und sich daran erinnerte, wie er seine Hand in ihrer Haarpracht vergraben und sie angefleht hatte, nicht aufzuhören, als sie in einer ganz ähnlichen Position vor ihm gekniet hatte. Nur waren sie beide da nackt gewesen.
Unvermittelt musste er die Zähne zusammenbeißen, weil diese Situation seine Selbstkontrolle ziemlich auf die Probe stellte. Und das Schlimmste daran war, dass Riley nichts davon merkte, sondern kühl und gelassen das Gummiband an seinem anderen Knöchel anbrachte.
„Die gleichen Übungen machen wir jetzt mit rechts“, erklärte sie schlicht und stellte sich wieder neben ihn. „Und denk dran: Bleib aufrecht sitzen und verdrehe dein Knie nicht. Wir wollen schließlich keine Überdehnung riskieren.“
Er antwortete nicht, sondern führte lediglich die Übung aus. Wenn er den Mund aufgemacht hätte, hätte er vermutlich etwas gesagt, was er anschließend bereuen würde, und Riley sollte nicht denken, dass ihm ihre gemeinsame Nacht mehr bedeutet hatte als ihr. Wenn sie den fantastischen Sex einfach vergessen konnte, dann konnte er das auch! Schließlich war nicht er derjenige, der nicht mit einem bedeutungslosen One-Night-Stand umgehen konnte, das waren normalerweise die Frauen. Nein, er mochte unkomplizierte Sexgeschichten und benahm sich im Anschluss nie wie ein Klammeraffe, der unbedingt einen Nachschlag wollte.
Aus einem bestimmten Grund störte es ihn jedoch, dass sich Riley nicht wie besagter Klammeraffe benahm und keine Anstalten machte, sich unbedingt einen Nachschlag von ihm holen zu wollen.
„Warum schauen
wir noch einmal diese Sendung?“
„Weil das hier mein Fernseher ist und ich Fixer Upper
einfach liebe.“ Nick legte seine Füße auf dem Couchtisch ab und balancierte die Bierflasche zwischen seinen Knien. „Also sei ruhig und lass mich zuschauen, was sie aus dem alten Farmhaus machen.“
Riley kuschelte sich in das Sweatshirt hinein, das Nick ihr geliehen hatte und das ein paar Nummern zu groß war, während sie mit untergeschlagenen Beinen neben ihm auf der Couch saß. Für einen Mann, der eine TV-Show liebte, in der es um geschmackvolle Inneneinrichtung und Renovierungsarbeiten an Häusern ging, hatte er selbst keine große Leidenschaft für seine eigene Wohnung, immerhin saßen sie auf einem uralten Ikea-Sofa und hatten den scheußlichen Perserteppich seiner Großtante vor Augen.
„Das ist doch bestimmt eine Wiederholung, die du längst gesehen hast. Heute spielen die L.A. Dodgers und …“
„Ich werde mir kein Baseballspiel ansehen“, unterbrach Nick sie und brachte die Fernbedienung in Sicherheit, bevor Riley danach greifen konnte. „Ich will Fixer Upper
schauen. Chip und Joanna heitern mich immer auf, und nach dem heutigen Tag bei der Arbeit brauche ich ein bisschen Aufmunterung.“
„Chip und Joanna?“, wiederholte Riley belustigt. „So gut kennt ihr euch also, ja?“
Von der Seite warf er ihr einen dieser Blicke zu, die wirklich nur Schwule besonders gut draufhatten und die ihr sagen sollten, dass sie nervtötend war. „Nein, tun wir nicht, aber ich würde die beiden nur allzu gern kennenlernen. Chip ist genau der Typ, für den ich meinen Status als Single überdenken könnte, und Joanna könnte ich mir wunderbar als beste Freundin vorstellen. Sie hat einfach ein wahnsinniges Händchen für Design.“
„Hey“, empörte sie sich. „Ich
bin deine beste Freundin!“
„Ja, aber du hast überhaupt kein Händchen für Design.“
Riley schnaubte, stieß ihm in die Seite und brummte: „Warte nur ab, bis deine neue beste Freundin herauskriegt, dass du auf ihren Mann abfährst! Ich könnte mir denken, dass sie diese hässliche Couch, die du dein Eigentum nennst, abfackelt. Obwohl, wenn ich es recht bedenke … Das wäre gar keine schlechte Idee.“
„Darf ich dich daran erinnern, dass du auf dieser hässlichen Couch mehr als einmal deinen Rausch ausgeschlafen hast?“
„Ja, und das ist unter anderem fünf Jahre her, Nick! Vielleicht wird es mal Zeit für etwas Neues?“
„Zufällig mag ich meine hässliche Couch“, entgegnete er und hob die Bierflasche an seinen Mund, um einen Schluck daraus zu nehmen.
Riley kannte diesen Ton und lehnte sich mit einem innerlichen Seufzer zurück. Hier ging es um sehr viel mehr als um die Couch, und sie vermutete, dass es etwas mit Nicks Exfreund zu tun hatte, der in der gleichen Klinik arbeitete wie er – deshalb hatte er vermutlich auch davon gesprochen, dass er heute etwas Aufmunterung brauchte. Das Gefühl kannte Riley. Nach dem heutigen Tag im Verein verspürte auch sie das Bedürfnis nach Aufmunterung.
„Willst du darüber sprechen?“, fragte sie ihn vorsichtig, weil sie wusste, wie empfindlich Nick war, wenn es um sein Liebesleben ging.
„Nein, lieber nicht“, wehrte er düster ab. „Davon würde meine Laune nur schlechter werden.“ Er leckte sich etwas Bier von der Unterlippe ab, zögerte sichtlich und murmelte schließlich: „Anscheinend hat er einen neuen Freund.“
Das musste hart für Nick sein, der noch immer an der Trennung zu knabbern hatte, weshalb sie an ihn heranrutschte und ihr Gesicht gegen seinen Oberarm schmiegte. Auf dem Bildschirm des Fernsehers stritten sich Chip und Joanna offenbar darum, wer den Bodenbelag für das Badezimmer aussuchen durfte. „Das tut mir leid“, flüsterte sie.
Er zuckte mit den Schultern, als wäre es keine große Sache für ihn, obwohl Riley wusste, dass es ihm sehr wohl zusetzte. „Früher oder später musste es passieren.“
„Dir wäre es nur lieber gewesen, wenn es später passiert wäre, oder?“
„Ja, sehr viel später.“ Seufzend wandte er den Kopf in ihre Richtung und küsste sie auf den Scheitel. „Wer weiß, wofür es gut war. Vielleicht kreuzt ja morgen mein Traummann auf – du weißt schon, handwerklich begabt wie Chip, redegewandt wie Anderson Cooper und so sexy wie Hunter Stone. Apropos, hat besagter sexy Footballspieler dir mal wieder während einer Therapiesitzung seinen Penis in die Hand gedrückt?“
Besaß Nick irgendein Radar oder konnte er Gedanken lesen?
Seit drei Wochen verheimlichte sie ihrem besten Freund, was auf der Hochzeit in den Hamptons vorgefallen war, weil sie nicht darüber reden wollte, dass sie entgegen ihrer guten Vorsätze dennoch mit Hunter ins Bett gegangen war. Das war ihr alles andere als leichtgefallen, denn das Bedürfnis, mit irgendjemandem darüber zu reden, dass ihr Leben das reinste Chaos war und dass sie es zu allem Überfluss jetzt noch komplizierter gemacht hatte, wurde mittlerweile so groß, dass es sie bald erdrückte.
Riley hatte das Gefühl, mit niemandem mehr über all das reden zu können, was sie beschäftigte, weil sie dann reinen Tisch hätte machen müssen. Sie hätte Nick erzählen müssen, was wirklich hinter ihrem Umzug nach New York steckte und warum es plötzlich dieses merkwürdige, distanzierte Verhältnis zu ihrer Mom gab. Oder warum sie mit fünfundzwanzig Jahren ihr ganzes Leben hinterfragte.
Weil sie selbst von all dem, was in den vergangenen Monaten ans Licht gekommen war, noch derart überwältigt und verunsichert war, hielt sie jedoch die Klappe. Nick hätte sie vermutlich analysiert. Und vielleicht würde ihr nicht gefallen, was er dabei herausfand. Noch konnte sie nicht mit ihm darüber reden, was sie auf dem Dachboden ihrer Mom gefunden hatte, als sie eigentlich nur auf der Suche nach Fotos aus ihrer Grundschulzeit gewesen war. Und darüber, welche Auswirkungen dieser Fund auf ihr bisheriges Leben hatte, konnte und wollte sie auch nicht reden.
Aber nach der an den Nerven zerrenden und anstrengenden Therapiestunde mit Hunter wollte sie wenigstens über diese Sache mit ihrem besten Freund sprechen. Zu viele Geheimnisse brachten sie noch um den Verstand!
Sie räusperte sich und antwortete auf Nicks vorherige Frage sehr sachlich: „Nein, hat er nicht.“ Jetzt nahm sie einen Schluck aus ihrer Bierflasche und fügte anschließend hinzu: „Jedenfalls nicht während einer Therapiesitzung.“
„Aha!“ Nick klang merklich zufrieden und verlangte gleich darauf: „Einzelheiten! Ich will Einzelheiten.“
Für jemanden, der gerade noch behauptet hatte, einen schlechten Tag hinter sich zu haben, klang er ausgesprochen fröhlich.
Riley rieb ihre Lippen aufeinander und gab sich völlig gelassen, als sie erklärte: „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Wir waren auf der Hochzeit von Blake O’Neill und …“ Sie stockte, weil sie ihm nicht sagen konnte, wie aufgewühlt sie durch den Vater-Tochter-Tanz und den Anblick der tanzenden Paare gewesen war und dass sie so schnell wie möglich den Saal hatte verlassen wollen, als sie gesehen hatte, wie …
„Und? Du kannst mich doch nicht einfach in der Luft hängen lassen, Riley!“
Sie schüttelte ihre Gedanken und das schmerzhaft bohrende Gefühl in ihrer Magengegend ab. „Und es kam, wie es kommen musste“, fuhr sie fort. „Wir haben beide etwas zusammen getrunken, saßen lange beieinander und haben uns gut verstanden.“ Sie holte Luft und machte eine schwache Geste mit der Hand. „Und als er mich zu meinem Zimmer brachte, habe ich ihn hineingebeten.“ Nun ja, das stimmte zwar nicht ganz, kam der Wahrheit jedoch sehr nahe.
„Und weiter?“ Ungeduldig schaute er sie an. „Was ist dann passiert?“
Riley schnitt eine Grimasse und kniff dabei die Augen zusammen. „Muss ich dir erklären, wie heterosexueller Geschlechtsverkehr funktioniert?“
„Nein, danke!“ Nick schnaubte auf und schüttelte sich. „Den habe ich bereits hinter mir – Jenny MacGuire, Highschool, Abschlussjahrgang“, fügte er in einem abgehackten Tonfall hinzu, als würde er einer Stenografin diktieren. „Demütigende elf Minuten im Bett meiner Eltern, als die verreist waren. Spätestens, als ich sie da unten anfassen sollte, schwante mir, dass ich schwul bin.“
„Da unten
hat einen Namen, Nick. Es heißt Vagina“, belehrte sie ihn und erinnerte ihn nicht daran, dass sie die Geschichte seiner demütigenden elf Minuten bereits kannte. Wann immer Nick ein bisschen zu viel getrunken hatte, erzählte er ihr nämlich, wie er erkannt hatte, dass er auf Männer stand. Die arme Jenny MacGuire kam bei der ganzen Geschichte nicht gut weg.
„Ich weiß, Schlaubergerin“, erwiderte er mit einem Näseln. „Aber zurück zu Hunter und eurem heterosexuellen Geschlechtsverkehr.“
Bei der Erinnerung an besagten heterosexuellen Geschlechtsverkehr wurde sie ein bisschen rot.
Sie hatte schon vorher guten Sex gehabt, sehr
guten Sex, und sie war der Meinung gewesen, dass sie wusste, wie sich ein richtig befriedigender Orgasmus anfühlte. Aber Sex mit Hunter war viel mehr als sehr guter Sex
gewesen. Er war fantastisch gewesen – bombastisch und bewusstseinserweiternd. Zwischendurch hatte Riley geglaubt, im nächsten Moment zu sterben, und die Vorstellung war nicht einmal sonderlich erschreckend gewesen, weil es sich einfach nur großartig angefühlt hatte.
Dass der Sex so wahnsinnig gut gewesen war, hatte nicht etwa nur daran gelegen, dass Hunter ganz offensichtlich wusste, was er tat, sondern auch daran, dass Riley in seiner Nähe keinerlei Hemmungen gespürt hatte. Hunter hatte ihr das Gefühl gegeben, schön und verführerisch zu sein, und das hatte ihr wiederum so viel Selbstvertrauen ermöglicht, dass sie sich problemlos hatte fallen lassen können.
Und obwohl er ihr in jener Nacht gezeigt hatte, wie schön und verführerisch er sie fand, hatte er mittlerweile kein Problem mehr, sie kaum zu beachten, wenn sie sich sahen. Heute war es nicht anders gewesen. Ihre Therapiestunde hätte nicht kühler, distanzierter und ruhiger sein können. Hunter hatte sie nicht einmal angeschaut, und geredet hatte er sogar noch weniger.
Während Riley verzweifelt darum bemüht gewesen war, sich höflich, freundlich und professionell zu benehmen, hatte Hunter sie schlichtweg ignoriert. Sie hätte für ihn auch Luft sein können.
Seine charmante, witzige Art, mit der er sie betört hatte, bevor sie gemeinsam ins Bett gegangen waren, war verschwunden. Nachdem er mit ihr geschlafen und das bekommen hatte, worauf er es die ganze Zeit abgezielt hatte, war sie anscheinend so uninteressant für ihn geworden, dass er seinen Charme und seinen Humor nicht mehr an sie verschwenden wollte.
Natürlich hatte Riley geahnt, dass er ein Aufreißer war, der nichts anbrennen ließ, nichtsdestotrotz hatte sie an seiner sehr offensichtlichen Gleichgültigkeit zu knabbern. Selbst nach einem unkomplizierten One-Night-Stand war es doch nicht zu viel verlangt, wenigstens höflich zu sein und miteinander zu reden, wenn man sich sah.
„Wir hatten Sex“, berichtete sie leichthin, weil Nick noch immer auf eine Antwort wartete. „Und am nächsten Morgen haben wir uns darauf geeinigt, es bei der einen Nacht zu belassen, weil wir schließlich beide bei den Titans arbeiten. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“
„Eigentlich hatte ich auf schmutzige Details zu eurer heißen Nacht gehofft“, erkundigte er sich nicht sehr subtil.
„Die schmutzigen Details bekommst du aber nicht zu hören.“ Sie sah ihn mit nach oben gezogenen Augenbrauen an. „Für dich wären die Details zu traumatisierend, es ging da unten
nämlich sehr zur Sache.“
Nick gluckste auf. „Schon verstanden. Du willst also nicht darüber reden.“
„Ganz genau. Ich will nicht darüber reden“, entgegnete sie und starrte in den Fernseher hinein, wo Chip Gaines gerade mit einem Vorschlaghammer eine Wand einriss. Diese Szene hätte Nick eigentlich gefallen müssen, schließlich trug Chip kein Hemd und war ziemlich verschwitzt.
„Also habt ihr beide euch darauf geeinigt, aus Rücksicht auf eure Jobs kein weiteres Mal miteinander zu schlafen?“
Musste sie es ihm aufschreiben? „Ja.“
„Mhm. Aber ihr würdet es wieder tun, wenn ihr nicht miteinander arbeiten müsstet?“, wollte er listig wissen.
„Es war nur ein One-Night-Stand“, betonte Riley und hoffte, dass Nicks aufdringliche Fragen bald ein Ende hätten. „Eine einmalige Sache, okay?“
„Einmalig. So, so.“
„Ja, einmalig
.“ Sie starrte ihn finster an und deutete auf den Fernseher. „Könntest du jetzt endlich ruhig sein? Auch wenn du dich nicht dafür interessierst, würde ich zu gern wissen, was sie mit diesem Kamin anstellen, aber bei deinem Gequatsche bekomme ich überhaupt nichts mit!“
Mit einer ausholenden Geste tat er so, als würde er seinen Mund verschließen. Dabei grinste Nick jedoch breit.
Männer!
Sogar wenn sie schwul waren, konnten sie einer Frau den letzten Nerv rauben.