Remmidemmi im Rollstuhl
SO, FRAU SCHNECKENSCHUBER, DA WÄREN WIR.“ Pfleger Lenny schob die vierundachtzigjährige Patientin im Rollstuhl vor die Tür des Luisenhauses.
„Sie müssen nicht schreien, junger Mann, schwerhörig bin ich noch nicht, und ein schweres Mädchen war ich noch nie, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Frau Schneckenschuber zwinkerte dem Pfleger zu. Ihre dritten Zähne verrutschten dabei etwas.
„Stimmt ja, ’tschuldigung, da habe ich etwas verwechselt.“
„Bei all den Damen, die Sie hier glücklich machen, kann das schon mal vorkommen!“ Die Alte kicherte.
„Soll ich Ihnen was verraten, Frau Schneckenschuber?“ Lenny beugte sich zur Patientin, sodass seine langen, sonnengebleichten Haare ihre silbergrauen Haare berührten. „Sie sind mir von allen die Liebste.“ Er zwinkerte.
Frau Schneckenschuber errötete und für einen Moment konnte man trotz ihres hohen Alters wieder das Mädchen erkennen, das sie einst gewesen sein musste. „Na, Sie sind mir ja ein Schelm, mein lieber Scholli!“
„Lenny, ich heiße Lenny, nicht Scholli.“
Frau Schneckenschuber kicherte noch lauter und knuffte Lenny übermütig in die Seite. „Mensch, wir zwei wären ein duftes Paar, was? Wir wüssten, wie man ordentlich Remmidemmi macht!“
„Frau Schneckenschuber, Sie sind mir ja eine! Wir zwei sind doch schon ein duftes Paar. Jeden Abend zuckeln wir zusammen durch den Park.“
Lenny schob die Patientin immer vorm Schlafen eine Runde durch die Parkanlage rund ums Luisenhaus. Frau Schneckenschuber liebte frische Luft vorm Einschlafen. Und alle männlichen Angestellten des Hauses. Ganz besonders aber junge blonde Männer. Früher, als sie noch jung gewesen war, hätte sie sich gerne von eben solchen Männern über die Tanzfläche fegen lassen. Aber damals hatte sie nicht den Mut dazu. Heute traute sie sich alles, aber heute konnte sie nur noch im Sitzen tanzen.
„Von mir aus könnten Sie mich auch etwas weiter schieben“, sagte Frau Schneckenschuber. „Nur ein paar Meter flussabwärts gibt es doch dieses wunderschöne Ausflugslokal an der Bindau, wie heißt es doch gleich …?“
„Die Forellenquelle ist leider seit Jahren zu, Frau Schneckenschuber. Und Sie wissen doch: Wir dürfen die Parkanlage nicht verlassen.“
„Junger Mann, bei mir müssen Sie nicht brav sein.“
Lenny wollte gerade etwas erwidern, als sein Funkgerät piepte. Er sah auf das Display. „Ich muss noch mal kurz rein.“
„Und was wird aus unserem Ausflug zur Forellenlibelle?“
„Bin gleich wieder da, laufen Sie mir nicht weg!“ Lenny grinste und verschwand wieder im Luisenhaus.
„Die Jugend, die Jugend!“ Frau Schneckenschuber lächelte selig vor sich hin.