Vollbremsung
Baby Franz liebte Wohnwagenfahren. Er flatterte von einer Seite der Fahrerkabine zur anderen, ließ sich ab und zu vom Rückspiegel baumeln oder setzte sich mit seinem Windelpopo auf die Armaturen. Die waren sowieso das Spannendste. Da gab es etliche Knöpfe und Hebel. Franz wollte sie alle ausprobieren. Er hatte schon den Knopf für den Scheibenwischer gefunden, einen Hebel, der dem Fahrer ein Taschentuch ins Gesicht drückte, und einen Schalter, der die Frontscheibe verdunkelte – woraufhin sie beinahe in den Straßengraben gefahren wären. In letzter Sekunde konnte Dirk van Kombast den Wohnwagen zurück auf die Straße steuern.
„Lass das!“ Der Vampirjäger drückte energisch auf einen Knopf und die Verdunklung der Frontscheibe wurde wieder eingefahren. Da tauchte es endlich vor ihnen auf. Das Luisenhaus! In etwa einhundert Metern Entfernung stand es oben am Uferhang der Bindau und hob sich majestätisch vom blauen Abendhimmel ab.
Dirk van Kombast trat das Gaspedal noch einmal voll durch und rief: „Mutti, ich komme!“
Baby Franz gluckste.
Der Vampirjäger war so im Rausch, dass er beinahe am Luisenhaus vorbeifuhr. Erst im letzten Moment trat er kräftig auf die Bremse. Die Reifen quietschten, Staub und Kieselsteinchen flogen in alle Richtungen, der Wohnwagen schlingerte und … KRÄSCH! – knallte an einen Laternenmast. Baby Franz klatschte vor die Windschutzscheibe, der Laternenmast knickte in der Mitte langsam um und Dirk van Kombast klebte mit weit aufgerissenen Augen auf dem Lenkrad.
Baby Franz erholte sich als Erster von dem Schreck. Der kleine Vampirbruder machte ein ordentliches Bäuerchen und eine Knoblauchwolke breitete sich in der Fahrerkabine aus. Dann steckte er sich den Knobischnuller wieder in den Mund und begann zu nuckeln. Es war, als hätte er einen Zündschlüssel eingesteckt. Sofort flog er kreuz und quer mit strampelnden Beinchen durch die Kabine.
Davon wurde auch Dirk van Kombast wieder munter. „Hiergeblieben! Genug herumgeflattert, du Lausevampir! Wir gehen jetzt da rein und du benimmst dich, verstanden?“
Baby Franz hatte gar nichts verstanden. Vielleicht wollte er auch nichts verstehen. Er flatterte dem Vampirjäger vor der Nase herum, gluckste und pupste abwechselnd.
Dirk van Kombast schnappte nach den zappelnden Beinchen. „Kommst du wohl her! Komm zum lieben Onkel Dirk, los!“
Herr van Kombast reckte sich. Dabei kam er mit dem rechten Knie auf einen Knopf. Ein leises Rattern erklang. Dann öffnete sich langsam das Dach der Fahrerkabine. Der Abendhimmel erstreckte sich über ihnen, das Mondlicht fiel auf Dirk van Kombasts panisches Gesicht. „NEIN! Zu, geh wieder zu, du dämliches Dach!“
Dr. Mörser hatte so manche technische Neuheiten und Spielereien in seinen Wohnwagen eingebaut. Aber auf Zuruf reagierte das Fahrzeug leider noch nicht. Und wenn, vermutlich nur auf höflichen Zuruf.
Baby Franz sah die Sterne und quietschte verzückt. Diese goldenen Glitzerdinger musste er sich aus der Nähe ansehen! Vielleicht konnte man sie essen. Er breitete die Arme aus und flog Richtung Abendhimmel.
ZACK!
„Hab ich dich!“ Dirk van Kombast war aufgesprungen und hatte das Vampirbaby am Bein geschnappt, nur kurz bevor es in die Nacht hinaus- und davonfliegen konnte. „Gleich kannst du herumflattern, so viel du willst. Aber erst gehen wir zwei Hübschen da rein. Die alten Leute werden ganz entzückt sein von so einem Baby wie dir.“
Baby Franz zappelte. Er wollte nicht zu den alten Leuten, er wollte zu den Sternen.
Dirk van Kombast hatte alle Hände voll zu tun, den kleinen wilden Vampir unter Kontrolle zu halten. Immer wieder breitete Franz die Arme aus und wollte abheben. Schließlich löste Dirk van Kombast seinen Schlips, nahm ihn mit einer schnellen Bewegung ab, wickelte ihn um Franz herum und band ihm somit die Arme fest. Jetzt konnte Franz nur noch mit den Beinen strampeln. Und nuckeln.
„Na bitte, geht doch!“ Dirk van Kombast betrachtete zufrieden das geschnürte Babypaket. „Jetzt gehen wir da rein und du zeigst allen deine süßen Eckzähnchen, okay?“
Baby Franz nuckelte.
Und guckte.
Und strampelte.
KLICK!, trat er mit seinem linken Füßchen auf einen roten Knopf.
Sofort begann der Fahrersitz zu wackeln wie eine Waschmaschine im Schleudergang. „Oh nein, was hast du jetzt wieder gemacht?“
Baby Franz grinste den Vampirjäger unschuldig an.
Im nächsten Moment schossen sie samt Sitzkissen zum Dach der Fahrerkabine hinaus. Das Sitzkissen, Dirk van Kombast und Baby Franz flogen einen beeindruckenden Bogen vor dem dunkelblauen Abendhimmel. Dirk van Kombast stieß einen beeindruckenden Schrei aus.
Baby Franz hatte auf den Knopf für den Schleudersitz getreten. Dr. Mörser hatte ihn für absolute Notfälle eingebaut.
Das Sitzkissen, Dirk van Kombast und Baby Franz zischten erst ein paar Meter in die Höhe, dann sausten sie wieder Richtung Erdboden. Sie flogen … und flogen … und landeten.
Und zwar mittenmang auf dem Schoß von Frau Schneckenschuber.