Vampire

Verstärkung

Frau Zicklein machte sich nicht die Mühe, auf den großen Parkplatz neben dem Haupteingang des Luisenhauses zu fahren. Sie blieb direkt hinter dem silbernen Wohnwagen stehen. Der rote Kleinwagen stand noch nicht einmal richtig, da riss Silvania bereits die Hintertür auf.

„Wo sind sie? Wohin hat er meinen Bruder geschleppt?“ Silvania lief um den Wohnwagen herum.

Dr. Mörser und Frau Zicklein eilten zu ihr.

„Er hat den Schleudersitz betätigt?“, wunderte sich Dr. Mörser. „Wieso das denn?“

„Dirk van Kombast tut die seltsamsten Sachen. Ich weiß, wovon ich rede, ich wohne seit Jahren neben ihm“, sagte Simona Zicklein.

Silvania sah in den Himmel.

In dem Moment kam Pfleger Lenny mit einem weiteren Pfleger zur Haupttür heraus.

„Haben Sie zufällig einen blonden Mann mit einem Baby auf einem Schleudersitz vorbeifliegen sehen?“, fragte Frau Zicklein.

Lenny und der andere Pfleger warfen sich einen Blick zu, murmelten etwas von „mehr Verstärkung“ und verschwanden wieder in der Anstalt.

„Da unten fliegt was!“, rief Silvania, zeigte Richtung Bindau und eilte bereits den Hang hinab, dicht gefolgt von Dr. Mörser und Frau Zicklein. Der Boden war von Gräsern bedeckt und rutschig. Alle paar Meter stolperten sie über Maulwurfshügel. Doch sie ließen das fliegende Etwas nicht aus den Augen. Erst als sie das Ufer fast erreicht hatten und der Kies unter ihren Schuhen knirschte, erkannten sie das unbekannte Flugobjekt.

Es war kein Schleudersitz. Es war ein Rollstuhl. Auf dem Rollstuhl saß eine alte Frau, auf deren Schoß hockte Dirk van Kombast und hielt Baby Franz umklammert. Links und rechts vom Rollstuhl flogen zwei Vampire. Zwei Vampire, die Silvania erst heute Nachmittag kennengelernt hatte, die aber unverwechselbar waren.

Bodo hatte sich das rechte Rad vom Rollstuhl geschnappt, Izel das linke. Sie flogen mit dem Rollstuhl und all seinen Insassen hoch über der Bindau.

„Sind das …?“ Frau Zicklein klappte der Mund auf.

„Vampire, ganz recht, meine Liebe“, sagte Dr. Mörser.

„Die gibt es wirklich?“

„Es gibt noch ganz andere Sachen.“ Dr. Mörser legte seiner Freundin die Hand auf die Schulter. Sofort entspannte sich Frau Zicklein. Von ihr aus konnten auch Elefanten über der Bindau herumfliegen. Solange Tinkturo neben ihr stand und ihr sagte, alles sei gut, war auch alles gut.

„Was machen die denn da?“, wunderte sich Silvania. Die alte Frau sang, Dirk van Kombast schrie und Baby Franz zappelte. Jetzt flogen sie genau über der Mitte des gurgelnden Flusses.

„Wo wollen sie denn mit der Rollstuhlfuhre hin?“, fragte Frau Zicklein.

„OH NEIN!“, schrie Silvania. Sie konnte nachts etwas besser sehen als die Menschen. Und was sie sah, war nichts Gutes. „Franz! Lass das! Hör auf mit dem Gezappel, sonst fällst du noch – AAAAHHHH!“ Silvania sah, wie ihr Bruder auf den Fluss zustürzte. Flieg! Wieso fliegt er denn nicht?, dachte sie verzweifelt. Erst da bemerkte sie den Schlips. So gefesselt die Arme ihres Bruder waren, so gelähmt war Silvania vor panischer Angst.

Frau Zicklein biss sich auf die Unterlippe.

Baby Franz hatte es geschafft. Er hatte sich aus der Umklammerung des Vampirjägers befreit. Allerdings hatte er sich nicht vom Schlips befreit. Seine Arme waren fest um den Körper gebunden. Er wackelte hilflos mit den Fingern, zappelte verzweifelt mit den Beinchen, als er in die Tiefe stürzte.

Wie ein gut verschnürtes Päckchen schoss Baby Franz auf die dunklen, kalten Wassermassen zu. In zwei Sekunden würde er eintauchen, die schwarzen Wellen würden ihn unter sich begraben und die Strömung ihn mitreißen.