Kreuz gegen Nase
Bodo und Izel waren mittlerweile am anderen Flussufer gelandet, samt Rollstuhl, Frau Schneckenschuber und Vampirjäger. Kaum hatten die Räder auf der steinigen Uferböschung aufgesetzt, war Dirk van Kombast vom Schoß der alten Dame gesprungen.
Jetzt stand der Vampirjäger in geduckter Haltung vor den beiden Vampiren und hielt ihnen ein silbernes Kreuz entgegen, das er bei gefährlichen nächtlichen Aktionen immer als Kettenanhänger um den Hals trug. Denn auch wenn bei der Bekämpfung der bluthungrigen Nachtwesen meistens alles nach Plan lief, musste man als gerissener Vampirjäger auch für den unwahrscheinlichen Fall gewappnet sein, dass etwas schiefging. So wie jetzt.
Statt mit einem süßen Vampirbaby vor der staunenden Belegschaft des Luisenhauses herumzustolzieren, stand Dirk van Kombast wie ein Schimpanse in Angriffsstellung am Flussufer. Die zwei ausgewachsenen Vampire ihm gegenüber fletschten drohend ihre Zähne. Ein Vampir war besonders ausgewachsen, vor allem am Bauch. Der andere war zwar kaum größer oder kräftiger als die Vampirschwestern, dafür waren seine Eckzähne extrem lang und spitz.
„Wagt es ja nicht, näher zu kommen!“ Dirk van Kombast hielt das Kreuz in die Höhe und duckte sich, so gut es ging, hinter Frau Schneckenschuber.
Diese jauchzte verzückt. „Welch Abenteuer! Welche Leidenschaft!“ Sie sah mit strahlenden Augen zwischen den drei Herren hin und her. Was war das für ein grandioser Abend! Gleich drei gestandene, junge Männer stritten sich um ihre Zuneigung. Die zwei Herren, die netterweise ihren Rollstuhl über den Fluss getragen hatten, sahen zwar etwas blass aus, aber sonst machten sie einen äußerst interessanten, verwegenen Eindruck. Sie fauchten und bleckten die Zähne wie wilde Tiere. Ja, sie wussten, wie man richtig um eine Frau kämpfte!
Frau Schneckenschuber wurde das Herz ganz schwer, wenn sie daran dachte, dass sie sich letztlich für einen der drei stattlichen Herren entscheiden musste. Musste sie das wirklich? Sie spitzte die Lippen, dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. „Meine Herren! Sie schmeicheln mir, ich weiß Ihre Leidenschaft zu schätzen. Aber lassen wir doch das alberne Balzgehabe. Wir leben in modernen Zeiten – was halten Sie von einer modernen Beziehung? Mein Schoß gehört mir. Und ich bestimme hiermit: Mein Schoß gehört nicht nur einem!“
Bodo und Izel sahen die alte Dame verstört an.
Dirk van Kombast trat zur Sicherheit einen Schritt weg von Frau Schneckenschuber und vergaß für einen Moment seine Deckung.
Kaum hatte er das silberne Kreuz sinken lassen, schwebten die beiden Vampire auf ihn zu. Fauchend hielten sie inne, als der Vampirjäger das Kreuz schnell wieder in die Höhe hielt. Im Gegensatz zu Mihai, der mit einem Menschen verheiratet war, und zu den Vampirschwestern, die zum Teil menschliches Blut in sich trugen, schreckten Bodo und Izel tatsächlich vor Kreuzen zurück. Zwar waren Kreuze nur halb so schlimm wie Knoblauch oder Weihwasser, aber einen gewissen Sicherheitsabstand wollten Bodo und Izel doch lieber einhalten.
Allerdings mussten sie gar nicht näher an den Vampirjäger heran, um ihn außer Gefecht zu setzen. Wenn Dirk van Kombast dachte, die Eckzähne wären die einzigen Waffen eines Vampirs, hatte er sich schwer geirrt. Bodo und Izel hatten ganz andere wirksame Mittel, mit denen sie Feinde jeglicher Art und Größe regelrecht umfegen konnten.
Dirk van Kombast wusste noch nichts vom Schicksal, das ihm in dieser Nacht bevorstand. Er hielt wacker sein kleines Kreuz in die Höhe. „Bleibt, wo ihr seid, dann tue ich euch nichts!“, rief er mit bebender Stimme.
Natürlich blieben Bodo und Izel, wo sie waren. Sie mussten keinen Schritt weitergehen. Schließlich waren sie einmal Vampolympics-Sieger im Ha-Chi gewesen. Wenn auch nicht ganz ehrliche. Zwar waren sie schon ein paar Jährchen aus dem Training, aber um so eine Flitzpiepe wie diesen goldgelockten Typen dort umzuniesen, reichte der Rotz allemal.
Gleichzeitig zogen sie die Schlonze in ihren Nasen geräuschvoll nach oben. Es klang, als würde man aus einem Gully mit einem riesigen Schlauch die Kanalisation von ganz Bindburg leer saugen. Ein paar Sekunden hielten die beiden Vampire die Luft an.
Auch Frau Schneckenschuber hielt die Luft an.
Dirk van Kombast hielt nur eins – das Kreuz in seiner Hand. Er hatte noch immer nicht die leiseste Ahnung, was gleich auf ihn zukommen würde.
Die ehemaligen Ha-Chi-Sieger sahen sich an. Izel hob die Hand und zählte damit stumm bis drei. Dann lehnten sie sich beim HAAAA weit zurück, warfen die Oberkörper mit Schwung beim TSCHIIIII nach vorne und niesten dem völlig überraschten Vampirjäger eine geballte Ladung Vampirrotze entgegen.
Der Rotz war jahrhundertealt und dennoch schön saftig. Beste Ware. Bodo und Izel waren stolz wie Pfiffi.
Frau Schneckenschuber warf einen Blick auf den besudelten Vampirjäger. Dann blickte sie zu Bodo und Izel. „Ich habe es mir anders überlegt. Mein Schoß gehört nur einem: Pfleger Lenny!“
Dirk van Kombast lag am Boden. Die unerwartete Wucht des Niesers hatte ihn umgeworfen. Reichte es nicht, dass Vampire lange Eckzähne hatten? Mussten sie auch noch Nasen haben, randvoll wie ein Swimmingpool mit Rotze? Es war widerlich! Es war zum Heulen. Und genau das tat der Vampirjäger auch. Doch niemand sah seine Tränen. Denn er war von oben bis unten bedeckt mit … Nun ja.