Softwarefehler
D as Summen meines Handys kündigte mir eine neue E-Mail an, als ich gerade die Treppen zu meiner Besenkammer mit fließend Wasser hinaufstieg. Sie war von Rowan, der meine nächsten Schichten gestrichen hatte und mich darüber informierte, dass ich bei Clarion nie wieder einen Fuß in die Tür kriegen werde, solange er das Sagen habe. Der Wichser hatte sogar mit einem «Frohe Weihnachten» geendet.
Was für ein Scheiß! Warum hatte ich die blöde Story nicht einfach ein bisschen aufgehübscht und die Erniedrigung als Teil meiner Buße geschluckt? Stattdessen hatte ich offensichtlich den Barmann in dem letzten Saloon vergrätzt, in den man mich überhaupt noch reinließ.
Insofern war es jetzt erst recht wichtig, dass ich Kays Story so gut es ging weiterverfolgte.
Ich steckte zwei Scheiben Brot in den Toaster, setzte den Wasserkessel auf und fuhr meinen Laptop hoch. Besser gesagt drückte ich die On-Taste, doch der normale Ladeprozess blieb aus.
Mein Desktop war leer, alle Icons verschwunden, und das verzweifelte Herumhacken auf dem Start-Button führte zu rein gar nichts. Auch über die Festplatte kam ich nicht auf meine Laufwerke. Ich erhielt eine Fehlermeldung und die Frage, ob ich mit der Problembehandlung über einen integrierten Systemcheck fortfahren wolle. Sobald ich die Eingabetaste drückte, merkte ich, dass dieser Systemcheck alles andere als integriert, sondern ein gefaketes Virenschutzprogramm war.
Ich kannte das Prinzip. Es war Ransomware, eine Art Erpressungssoftware, wenn auch von der harmlosen Sorte: nicht das volle CryptoLocker-Programm, bei dem du so lange keinen Zugriff auf deine Dateien hast, bis du fünfhundert Tacken an die Russen-Mafia gezahlt hast. Das auf meinem Computer zog eine Masche ab, die vermutlich noch halbwegs legal war. Das Programm täuschte einen Laufwerk-Scan vor, schrieb in dem Report von ein paar Auffälligkeiten, die es in null Komma nichts beheben könne, wenn ich meine Gratissoftware für fünfzig Pfund auf die volle Lizenz upgraden würde. Ich war mir sicher, dass damit meine Icons und der Zugang zu meinen Dateien wiederhergestellt wären, niemals aber würde dieses Programm auch die Hackersoftware entfernen, die meinen Computer infiltriert hatte. Wenn ich gutgläubig die 50 Pfund abdrückte, würde derselbe Virus sich in ein paar Wochen erneut aktivieren, und die Hacker hätten bis dahin den vollen Zugriff auf mein System.
Ich starrte auf das kleine Fenster, in dem nach meinen Kreditkartenangaben für die Aktivierungsschlüssel gefragt wurde, und überlegte, wie dieser Virus auf mein Gerät kommen konnte. Normalerweise bin ich fast schon paranoid, wenn es um Datensicherheit geht, ein Nebeneffekt meiner Arbeit, bei der ich ebenjene oft genug ausgehebelt hatte. Dann fiel mein Blick auf den «Hilfe-Button» bei «Abonnementfragen». Normalerweise wäre ich wegen einer solchen Unverschämtheit ausgerastet und hätte mich selbst dafür geohrfeigt, dass ich das Ganze nicht verhindert hatte, aber vielleicht ließ mich die Begegnung heute Nachmittag – oder endlich die leise Hoffnung auf eine Geschichte – die Dinge anders betrachten.
Es gab also die Option, ein Chat-Fenster zu öffnen: Für den Fall, dass man Hemmungen hatte, diesen Halsabschneidern sofort sein Geld in den Rachen zu schmeißen, würden sie einen notgedrungen an die Hand nehmen. Ich konnte also Kontakt mit ihnen aufnehmen und dachte mir: mal gucken, was ich aus ihnen herausholen konnte. Mit viel Glück konnte ich die Schweinehunde aufspüren und darüber schreiben. Zumindest aber wollte ich sie für eine Weile so richtig schön verarschen.
Ich klickte auf den Hilfe-Button, und das Dialogfeld öffnete sich und bat mich, meinen Chat-Namen einzugeben. Ich wählte einen, von dem ich hoffte, dass sie dachten, sie hätten es mit einer Frau mittleren Alters zu tun, weil die vermutlich die größte Schwäche gegenüber Hackern nahelegte.
VIRUSKOPE: Hallo. Wie kann ich Ihnen helfen?
MARJORIE: Mein Computer hat einen Virus. Ich brauche ein Upgrade zur Vollversion, damit Ihr Programm den entfernen kann. Ihr Programm kann den doch auf jeden Fall entfernen?
VIRUSKOPE: Viroskope garantiert, alle Viren, die es gefunden hat, zu entfernen.
MARJORIE: Mein Computer geht danach also ganz sicher wieder?
VIRUSKOPE: Garantiert. Und da die Testversion von Viruskope schon auf Ihrem Computer installiert ist, kann es mit dem Säubern beginnen, sobald Sie Ihr Programm auf die Vollversion upgegraded haben. Wollen Sie jetzt upgraden?
MARJORIE: Ja. Wir haben jede Menge Bestellungen, die wir noch vor Weihnachten bearbeiten müssen, und das hier ist der einzige Computer. Im Moment sind wir total blockiert.
VIRUSKOPE: Sobald Sie Ihre Kreditkartendetails eingegeben haben, sorgen wir dafür, dass Sie wieder im Geschäft sind.
MARJORIE: Das ist leider das Problem. Die Firma hatte ein paar finanzielle Schwierigkeiten, und wir bekommen von der Bank keinen Kredit.
VIRUSKOPE: Haben Sie vielleicht eine private Kreditkarte? Sie können mit der bezahlen und es der Firma später in Rechnung stellen.
MARJORIE: Nein, ich habe keine Kreditkarte.
VIRUSKOPE: Haben Sie Paypal?
MARJORIE: Was ist das?
VIRUSKOPE: Egal. Ich fürchte, ohne Kreditkarte können wir Ihnen nicht helfen.
MARJORIE: Aber diese Bestellungen müssen wirklich raus. Die Firma geht sonst den Bach runter. Kann ich nicht anders bezahlen? Ich könnte zu meiner Bank gehen und es bar einzahlen, und die würden es dann auf Ihr Konto überweisen.
VIRUSKOPE: Wir dürfen unsere Bankdaten nicht online herausgeben.
MARJORIE: Oh, das verstehe ich. Da sind ja so viele Betrüger unterwegs, über die man andauernd liest, nicht wahr? Und wenn ich Ihnen einen Scheck schicke? Sie könnten mir den Aktivierungscode geben, wenn der eingelöst ist.
Eine Weile sah man nur das Blinken des Cursors.
MARJORIE: Sind Sie noch da?
VIRUSKOPE: Ich halte kurz Rücksprache mit meinem Chef.
MARJORIE: Ich würde ihn per Eilpost aufgeben. Könnte aber trotzdem zu lange dauern, so kurz vor Weihnachten. Wie wäre es, wenn ich einen Kurier mit Bargeld schicke – ginge das?
VIRUSKOPE: Einen Moment, bitte.
Wieder blinkte der Cursor. Aus einem Reflex hielt ich mir die Hand vor den Mund, als befürchtete ich, der Typ am anderen Ende könnte meine Vorfreude sonst ahnen.
VIRUSKOPE: Okay. Scheck ist okay. Oder bar per Kurier.
Geschafft!
Mit offenem Mund starrte ich auf das kleine Chat-Fenster und hoffte inständig, es würde keine Postfach-Adresse oder ein hell erleuchtetes Industriegebiet in Litauen aufpoppen. Aber nein, nur wenig später konnte ich es lesen: eine Straße, eine Hausnummer und eine Postleitzahl.
In Barnet.
Das Grinsen in meinem Gesicht wurde immer breiter, als ich über mein Handy die Daten bei Street View eingab. Sie war echt. Ich sah eine Tür zwischen einem indischen Imbiss und einen PC-Reparaturladen. Ich wettete, die Adresse war über dem PC-Laden, der von demselben Typ betrieben wurde, der auch meinen Computer gehackt hatte.
Oh, das war gut! Bei so bescheuerten Anfängerfehlern waren das ganz klar Amateure, ich würde also leider keine schwergewichtigen Cyberkriminellen zur Strecke bringen, aber jeder liebte Verbrauchergeschichten, in denen Betrüger aufflogen. Und selbst wenn sie behaupteten, dass es keine Beweise dafür gäbe, dass sie mein System manipuliert hätten, und dass sie tatsächlich ein richtiges Virenschutzprogramm anböten – mit ein bisschen heimlich vor der Haustür Rumlungern und ein paar peinlichen Pics würde man irgendwo schon ein paar Spalten bekommen.
Das hieß noch lange nicht, dass ich Kabinettsminister zu Fall bringen würde, aber ich lag nicht mehr besiegt am Boden.