Persönliches Gespräch
M einer Schicht beraubt, versuchte ich den größten Teil des nächsten Tages erfolglos, die Spionagesoftware von meinem Computer zu löschen. Meine Dateien für die Arbeit waren woanders gesichert, die würde ich also nicht verlieren, aber auf diesem Laptop hatte ich mal eine ganze Nacht lang Hunderte alter Fotos eingescannt: Urlaubsschnappschüsse von Sarah und mir in den Neunzigern. Ich fand es tröstlich, die ab und zu mal durchzuscrollen: Es half mir, mich an das Gefühl zu erinnern, das wir mal hatten und ja vielleicht eines Tages wieder haben würden. Nach allem, was zwischen uns passiert ist, war ich mir nicht sicher, ob sie die Originale noch hatte. Wenn es mir nicht gelänge, diesen PC zu entsperren, wären sie vielleicht für immer verloren.
Die ganzen Schutzprogramme, die ich runterlud, brachten absolut nichts: Nicht dass sie den Virus nicht eliminieren konnten, sie fanden ihn noch nicht mal. Was für taktische Fehler diese unvorsichtigen Typen von Viruskope auch immer im realen Leben gemacht haben, ihre Malware war hartnäckig und effektiv. Das musste ums Verrecken eine gute Geschichte werden, denn so wie die Dinge standen, kosteten die mich einen neuen Laptop.
Meine fruchtlosen Bemühungen wurden glücklicherweise von einem Anruf von Kay unterbrochen. Sie klang nervös, blieb extrem vage, da sie offenbar der Sicherheit des Mobilnetzes misstraute. Ich spürte, dass sie zweifelte, ob es richtig gewesen war, all diese Informationen an mich weiterzugeben, und ich sah die Geschichte schon sterben, wenn ich nicht etwas unternahm, um ihre Entschlossenheit wieder zu festigen.
Wir verabredeten uns: selber Ort, selbe Zeit wie gestern, sagte sie, ohne einem möglichen Mithörer damit irgendetwas zu verraten.
Unter «selbem Ort» verstand ich die Bank in dem Park, auf der wir uns unterhalten hatten, aber nachdem ich eine Viertelstunde allein dort gesessen hatte und meine Glieder vor Kälte abzufrieren drohten, fragte ich, wie vage sie «selbe Zeit» tatsächlich definierte. Plötzlich aber war sie da, saß wie teleportiert neben mir. Ich hatte Richtung Embankment geschaut, sie aber hatte den Park über einen Eingang vom Temple Place her betreten.
Sie hatte Angst bekommen. Und die ging über das Bedauern, in einem Moment der Schwäche zu viel ausgeplaudert zu haben, hinaus. Etwas anderes musste passiert sein, das das Risiko erhöht hatte.
«Ich glaube, ich kann nicht weitermachen», sagte sie mir. «Ich fürchte mich.»
«Niemand muss wissen, dass Sie meine Quelle sind. Ich kenne noch nicht mal Ihren vollen Namen.»
«Das heißt nicht, dass man nicht auf mich kommen kann. Ich bin dieser Sache nicht gewachsen.»
«Es ist eine Affäre. Sie haben selbst gesagt, dass er nicht gerade den schwarzen Gürtel in Diskretion hat. Also muss er eine Menge Fehler gemacht haben, sodass ich es so aussehen lassen kann, dass ich auf eine andere Weise darauf gekommen …»
«Sie verstehen das nicht. Die unternehmen schon Schritte, um das Ganze zu vertuschen.»
«Wie meinen Sie das?»
«Ich habe versucht, den Namen der Frau herauszukriegen, und bin die offizielle Teilnehmerliste dieses Empfangs durchgegangen. Ich dachte, dann kann ich mir die jeweiligen Webseiten der Unternehmen anschauen und ihr Gesicht wiedererkennen. Aber sie ist nicht drauf.»
«Und?»
«Wir sind rechtlich verpflichtet festzuhalten, wer an solchen Veranstaltungen teilnimmt, wer bewirtet wird und Zugang zu dem Empfang hat. Ich bin alle Frauen durchgegangen, aber keine sieht aus wie die, die wir suchen. Nicht mal annähernd.»
«Sie hätte also gar nicht dort sein sollen?»
«Nein, ich glaube, es ist schlimmer. Ich habe mir mal die Versionshistorie der Datei angeschaut: Jemand hat das Dokument geändert, kurz nachdem ich mit Stafford gesprochen hatte.»
Ich seufzte. Die Geschichte schien definitiv ihrem Ende entgegenzugehen.
«Sie finden also nicht heraus, wer das war», bemerkte ich.
«Nein, ich hab schon herausgefunden, wer sie ist: Deswegen bin ich mir so sicher, dass ihr Name von der Liste gelöscht wurde. Sie arbeitet für diesen riesen Waffenkonzern OSE: Ordnance Systems Europe. Entweder Maurice Stafford oder Mead persönlich hat illegal dafür gesorgt, diese Verbindung zu vertuschen. Und wenn sie herausfinden, dass ich seitdem diese Liste geöffnet habe …»
Sie verschränkte die Hände so ineinander, als wollte sie ein unsichtbares Objekt auf ihrem Schoß halten, ängstlich, frustriert. «Das ist nicht mehr meine Liga. Ich kann nicht weitermachen.»
Und doch saß sie da. Sie hatte um ein Treffen gebeten, anstatt alles auf sich beruhen zu lassen und meine Anrufe zu blockieren. Ein Teil von ihr wollte vom Gegenteil überzeugt werden.
«Wenn Sie mir ihren Namen geben, finde ich einen Weg, die Frau mit Mead in Verbindung zu bringen, und Sie bleiben außen vor. Ich gebe Ihnen mein Wort.»
Sie warf mir einen entschiedenen Blick zu, der dieselbe Entschlossenheit verriet, mit der sie auch die Tränen zurückgehalten und den Kopf hoch erhoben hatte, als diese vier Idioten sie auf dem Bahnsteig bedrängt hatten.
«Ihr Wort reicht nicht. Es funktioniert nur andersherum. Ich gebe Ihnen den Namen erst, nachdem Sie es geschafft haben, sie mit Mead in Verbindung zu bringen, ohne dass meine Identität rauskommt. Sorry, ich bringe Sie in eine blöde Lage, bisschen wie ein Catch 22, aber ich bin schließlich diejenige, die in Gefahr ist. Sie mussten bislang noch kein Risiko eingehen.»
Und damit war sie weg, so schnell, wie sie gekommen war, ließ mich allein auf der Bank zurück, als hätte ich mir die Begegnung nur eingebildet.
Wie kann man plausibel erklären, dass zwei Leute sich kennen müssen, wenn man nur weiß, wer der eine ist, und die andere nur identifiziert werden kann, nachdem man sich eine nachvollziehbare Möglichkeit ausgedacht hat, wie man herausgefunden haben könnte, dass die beiden in Verbindung stehen? Es klang wirklich nach einem Catch 22, aber es war keiner. Ein echter Catch 22 bedeutete immer, dass man eine Seite der Gleichung nur lösen konnte, indem man die andere ausschloss. Die Teile lagen alle vor mir, da war ich mir sicher. Ich musste sie nur richtig anordnen.
In der Zwischenzeit konnte ich mich getrost mit meinem anderen Projekt ablenken und erledigte dabei sogar noch etwas.
Ich machte mich von Blackfriars auf den Weg nach Barnet und schaffte es, um kurz vor sechs anzukommen. Ich dachte, selbst wenn die ihre Schotten für den Tag schon dichtgemacht hatten, könnte ich mir doch mal einen Überblick über die Lage verschaffen.
An der Seite von der Tür zwischen dem indischen Restaurant und dem PC-Reparaturladen gab es vier Klingeln mit dazugehörigen Namensschildern. Es freute mich zu sehen, dass auf einem in gestochen scharfen Lettern auf weißem Papier VIRUSKOPE stand – ganz eindeutig war das erst jüngst montiert worden; vermutlich sogar erst innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden, da die «Firma» jetzt ja Post erwartete. Die anderen Nachbarn über den Läden waren ein Porträt-Fotostudio, eine Finanzberatung und ein Hypnosetherapeut oder eine -therapeutin. Alle drei machten einen seriösen Eindruck und wirkten so, als seien sie schon länger dort. Vermutlich hatten sie alle denselben Vermieter. Ich schätzte, dass es nicht lange dauern würde, den Namen desjenigen herauszufinden, der die Viruskope-Räumlichkeiten angemietet hatte.
Wenn ich das hier richtig anstellte, könnte glatt ein Auftritt bei Watchdog dabei rausspringen.
Okay, vielleicht nicht ganz meine Kragenweite.
Da ich sie nicht vorwarnen wollte, klingelte ich bei dem Fotostudio und gab vor, aus Versehen den falschen Knopf gedrückt zu haben, ich hätte eine Sendung für Viruskope. Die Frau betätigte den Summer, und ich ging in den zweiten Stock.
Als ich oben ankam, sah ich hinter der Milchglasscheibe oberhalb der Tür Licht durchschimmern. Geöffnet!
Auf der Tür klebte neben dem Griff ein Viruskope-Logo. Ich drehte an dem Knauf, und die Tür ging auf.
Ich betrat ein Büro, das so spärlich eingerichtet war, als wäre hier gerade jemand eingezogen oder kurz davor, wieder auszuziehen. Die Wände waren weiß, und die einzigen Möbelstücke waren ein Schreibtisch an der Rückseite des Raumes mit Blick zur Tür und ein Stuhl. Auf dem Schreibtisch stand lediglich ein Laptop, in dem ein USB-Stick steckte. Der Stuhl war leer. Ich hörte das leise Summen des Laptop-Lüfters. Wer also auch immer hier «arbeitete», war wohl gerade für fünf Minuten ausgeflogen.
Ich nahm den Objektivdeckel meiner Kamera ab (die ich meistens nur zur Tarnung mit mir herumtrug) und prüfte, ob meine darin verborgenen AV -Geräte auch aufnahmen. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Dummköpfe ihr Geld schon per Kreditkarte für die Viruskope-Schwindel-Software rausgehauen hatten, aber diese Bastarde waren so gierig nach jedem einzelnen Penny, dass ich sie mit der Aussicht auf einen gerade einmal Fünfzig-Pfund-Scheck ködern konnte. Nicht oft würden fünfzig Pfund sich als so teuer erweisen.
Da niemand da war, der mich aufhalten konnte, drehte ich den Laptop herum, um mal zu schauen, was da so drauf war.
Und das war der Moment, als mir das Blut in den Adern gefror.
Drei Worten tanzten als Bildschirmschoner den Monitor umher.
«Hallo, Mr. Parlabane.»
Sobald ich das sah, war mir klar, dass ich meine «Amateur»-These dringend überarbeiten musste. Ich war derjenige, der den Köder geschluckt hatte.
Neugier siegte über Paranoia, und so drückte ich ganz sanft, als wäre sie vielleicht vermint, die Leertaste.
Es öffnete sich ein Videokonferenzprogramm, bei dem das Logo von Skype in Skope geändert worden war. Ich starrte auf dem Monitor des ausgehenden Kanals in mein eigenes dummes Gesicht. Auf dem Fenster des Eingang-Channels zeigte sich ein Foto des noch jungen Matthew Broderick in der Rolle des jugendlichen Proto-Hackers David Lightman.
«Hallo», erwiderte ich unruhig.
«Nett, dass Sie persönlich vorbeischauen», kam die Antwort. «Haben Sie den Scheck dabei?»
Es war eine Frauenstimme, was mich für den Bruchteil einer Sekunde überraschte, den ich brauchte, um zu begreifen, dass es die Stimme von einem Navigationssystem war.
«Ja, aber Ihre Sekretärin ist wohl grad mal für kleine Mädchen, und ich brauche eine Quittung.»
Ich hoffte, meine Schlagfertigkeit überspielte, dass ich zitterte. Ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, mit wem oder was ich es hier zu tun hatte.
«Wer sind Sie?», fragte ich. «Was wollen Sie von mir?»
«Für den Moment nur ein bisschen chatten.»
«Wenn Sie nur chatten wollen, hätten Sie sich den Zirkus sparen können und mich nicht den ganzen Weg herkommen lassen müssen.»
Ein weiteres Browser-Fenster öffnete sich und zeigte die blaue Linie einer Route von meinem derzeitigen Standort bis zu meiner Besenkammer südlich des Flusses. Er wusste, wo ich wohne.
«Aus Ihrem Mund klingt es so weit», sagte die Navistimme. «Ich wollte nur sehen, ob noch Kampfgeist in Ihnen steckt. Es heißt, seit den jüngsten Unannehmlichkeiten seien Sie nicht mehr ganz der Alte.»
In dem Browser-Fenster öffnete sich jetzt das Foto eines meiner früheren Redakteure, wie er vor dem Leveson-Untersuchungsausschuss aussagte.
«Was wissen Sie denn schon über mich?»
«Ich bin ein Bewunderer.»
Auf dem Fenster poppten kleine Herzchen auf, die sich in Wolken zusammenschlossen.
«Ich mag Ihren Stil, Jack. Wir sind beide Hacker.»
Die Diskrepanz zwischen diesem emotionalen Statement und der Gefühllosigkeit der halb synthetischen Stimme machten mir Angst.
«Ich hoffe, Sie reden hier nicht über Mobiltelefone», erwiderte ich. «Wenn doch, dann überschätzen Sie meine Computerfähigkeiten maßlos.»
«Hacken ist nicht allein eine Frage der Technik. Es ist eine Haltung.»
Die Herzchenwolke verschwand, und im Browser öffnete sich nun eine Blogseite. Sie war von mir, aber ich hatte mich niemals als Verfasser zu erkennen gegeben: keiner Menschenseele gegenüber.
«Ich fand, Sie sind hier ganz gut vorangekommen, aber zuletzt haben Sie es etwas schleifenlassen.»
Mist.
Ich wusste, dass sich das irgendwann rächen würde.
Anfang der 2000er taten sich der britische und amerikanische Geheimdienst konspirativ zusammen und fütterten die leichtgläubige, folgsame Presse mit Informationen, nach denen der bis dahin unbekannte jordanische Dissident namens Abu Musab al-Zarqawi eigentlich die Galionsfigur des islamischen Terrorismus sei. Innerhalb von Monaten wurde aus einer Nebenfigur einer der einflussreichsten al-Qaida-Rädelsführer, der ein schier unübersehbares terroristisches Netzwerk im Irak, Iran, Syrien, dem Libanon, der Türkei und Georgien steuerte. Lageberichte der Alliierten machten ihn sogar für mehr Todesopfer verantwortlich als Osama bin Laden, und das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld belief sich auf zehn Millionen Dollar.
Wie sich später herausstellte, waren die Zarqawi zugeschriebenen Aktivitäten maßlos übertrieben oder als Teil einer psychologischen Kriegsführung komplett erfunden, um den falschen Eindruck zu erwecken, dass al-Qaida für den Aufstand im Irak verantwortlich sei.
Ich dachte, dass, wenn den Geheimdiensten so etwas einmal gelingt, sie es gut und gerne noch einmal tun würden, und so stellte ich auf der Suche nach potenziellen Quellen den Blog online.
Ich hatte das inkognito gemacht, weil da draußen genug Irre herumliefen, die nur darauf warteten, diese Art von echter, dokumentierter psychologischer Kriegsführung mit paranoiden Verschwörungstheorien über Operationen unter falscher Flagge in Verbindung zu bringen: Regierungen, die ihnen politisch dienliche Gräueltaten begehen und dann den Feind dafür verantwortlich machen. Von da war es bedauerlicherweise nicht weit bis zu den 9/11-Truthers und anderen tatsachenfernen, verdrehten Spinnern.
Einer von ihnen hatte sich nun offenbar sehr viel Mühe gegeben, mich zu kontaktieren.
«Ich war neugierig», fuhr die Stimme fort. «Ich hab mal ein bisschen in Ihrem Laptop gestöbert, um zu gucken, was Sie noch herausgefunden, aber nie veröffentlicht haben.»
«Dann wissen Sie, dass da nichts ist.»
«Abgesehen von dem Typen, der sich ‹Sabre› nennt, Sie kontaktiert hat, dann aber kalte Füße bekam.»
Himmel! Er hatte wahrlich mehr getan als nur stöbern. Und ich dachte, ich hätte das Zeug gut versteckt, nur für den Fall, dass jemand meinen Laptop mal klaute. Aber besonders aussagekräftig war das Material auch nicht.
«Wie Sie sagen, er ist ausgestiegen: machte Andeutungen, lieferte aber nichts. Wenn Sie also schon in meinen Sachen herumgeschnüffelt haben, ohne dass ich etwas gemerkt habe, wozu dann die Mühe, mit mir Kontakt aufzunehmen?»
«Um Sie zu warnen. Ihr Laptop ist voll mit Spyware.»
«Sehr witzig.»
«Ich meine es ernst. Der Grund, warum ich mich auf diese Weise bemerkbar gemacht habe, ist, weil Ihr Laptop mit Ultra-High-Level-Regierungs-Apps verseucht ist. Echte, reale Spionagesoftware. Die Schnüffler scheinen ein ernsthaftes Interesse an Ihnen zu haben.»
Ich bekam eine Gänsehaut. Mein Instinkt sagte mir, dass das nicht nur eine Behauptung war.
«Und Sie sind die Person, die das Zeug wieder runterschmeißen kann?», fragte ich.
«Das könnte ich, aber das wollen Sie nicht. Warum sollten wir denen zeigen, dass sie aufgeflogen sind?»
«Guter Punkt», gab ich zu. «Insbesondere da ich meinen scheiß Laptop grad eh nicht benutzen kann.»
In dem Browser-Fenster öffnete sich jetzt ein Logo mit dem Symbol für Biogefährdung, das von einem grünen Comic-Fisch mit vorstehenden Zähnen überlagert wurde.
«Sehen Sie das Logo?», fragte die Stimme.
«Ja. Sollte mir das etwas sagen?»
«Im Moment noch nicht, aber prägen Sie es sich ein. Wenn sich jemals jemand online an Sie wendet, der behauptet, ich zu sein, und Ihnen nicht dieses Logo zeigt, dann lügt er.»
«Und warum sollte das jemand tun? Wer sind Sie?»
«Ich bin Buzzkill.»
Ich schluckte.
«Das erklärt einiges.»
Buzzkill war ein so berühmt wie berüchtigter Hacker: Einer, den die hysterischeren Journalisten einen Cyber-Terroristen nannten, obwohl Cyber-Vandale vermutlich eher zutraf. Er hatte letztes Jahr für Wirbel gesorgt, als er die offizielle Homepage der UKIP , der rechtskonservativen Unabhängigen Partei Englands, hackte und alle Links dort auf die Seite ratemypoo.com umlenkte. In einigen Kommentaren hieß es damals, dass jeder, der nun auf die Seite ging, weniger Scheiße zu sehen bekam als sonst.
Auf diese aufsehenerregende Art die Medien anzufüttern, war ziemlich uncharakterisch für ihn, und ich vermutete, dass es Teil eines größeren Plans und womöglich auch ein Ablenkungsmanöver war. Hacker zogen die Aufmerksamkeit nur auf sich, wenn sie damit ein Eigeninteresse verfolgten, und dieses Eigentinteresse war selten das, das die Leute unterstellten. Für diese These sprach, dass Buzzkill seitdem nicht wieder in Erscheinung getreten war.
«Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?», fragte ich.
«Ich denke, wir können uns gegenseitig helfen. Und damit meine ich nicht das Löschen der Software.»
«Was wollen Sie von mir?»
«Sie haben doch bei Clarion gearbeitet, nicht wahr? Ich möchte, dass Sie mir helfen, mich in deren System zu hacken, damit ich mich mal kurz umschauen kann.»
«Kurz umschauen nach was?»
Im Browser-Fenster erschien eine Fotomontage von Mitgliedern der königlichen Familie, Politikern und sonstigen Berühmtheiten.
«Vor einer Weile kam mir zu Ohren, die Presse habe schon Jahre vorher von Charles und Dianas Affären gewusst und die Beweise dafür gut unter Verschluss gehalten. Ich nehme mal an, es gibt tonnenweise interessante Geheimnisse, die sie irgendwo verstecken, bis die Zeit reif ist oder sie Leute davon überzeugen wollen, ihnen das zu geben, was sie verlangen.»
«Das kann gut sein», erwiderte ich. «Aber genau wie bei den Sachen über Charles und Diana wird solches Material in einem ganz realen, physischen Tresor verwahrt, nicht digital.»
«Ein Blick kann nicht schaden.»
«Warum brauchen Sie mich dazu? Können Sie sich da nicht einfach selbst reinhacken wie in meinen Computer?»
«Deren System ist ein bisschen komplexer und besser geschützt. Und nebenbei bemerkt: Die Leute missverstehen das Hacken. Sie denken immer, es hat nur mit Codes und Skripten zu tun, dabei reicht meistens das Passwort von jemandem.»
«Ich habe nicht gerade umfassende Zugangsberechtigungen.»
«Ihre Zugangsdaten interessieren mich gar nicht. Ich brauche einen Mann vor Ort. Es dauert nur dreißig Sekunden. Glauben Sie mir, Jack, es kann nicht schaden, einen Gefallen bei mir gutzuhaben.»
«Das bezweifel ich nicht, ich fürchte nur, Ihr Timing ist einfach beschissen. Ich hab da gestern den Chef angepisst, ziemlich übel. Jetzt bin ich Persona non grata. »
«Ich bin sicher, dass ein Mann mit Ihren Fähigkeiten einen Grund findet, zurückzugehen.»
Ich spürte noch immer, wie mir das Blut durch die Adern schoss, als ich mit der U-Bahn wieder im Zug Richtung Süden saß. Die Vorstellung, dass jemand wie Buzzkill sich durch meinen Computer wühlte, war nicht gerade beruhigend; genauso wenig wie die Tatsache, dass er dort Beweise für eine Cyber-Überwachung der Regierung gefunden hat.
Dann war da noch die Bemerkung mit dem Gefallen guthaben, wenn ich kooperierte, und die versteckte Drohung, wenn ich es nicht tat.
Ich kann nicht sagen, dass ich besonders begeistert von seiner Idee war, sich Zugang zum Computernetzwerk der Clarion News Group zu verschaffen. Zwar fühlte ich mich CNG gegenüber nicht besonders verpflichtet, und ich glaubte auch nicht, dass Buzzkill wirklich explosives Material finden würde, aber gerade Letzteres machte mich misstrauisch und warf die Frage auf, hinter was er wirklich her war.
Der Typ hatte schließlich schon einmal sein Spiel mit mir gespielt. Und er hatte keine Fragen offengelassen.
Ein massiger Pakistani mittleren Alters hatte nur wenige Augenblicke, nachdem Buzzkill den Chat beendet hatte, den Raum betreten. Er sagte mir, er wolle jetzt abschließen.
«Wer sind Sie?», fragte ich.
«Ich vermiete diese Büros», erwiderte er.
«Und wer ist hier der Mieter?»
«Keine Ahnung. Das lief alles online. Ich bin dafür bezahlt worden, diesen Laptop zu hosten und für WLAN zu sorgen. Der Laptop kam per Kurier. Ich hab vor ’ner Minute die Nachricht bekommen, alles wieder einzupacken.»
Meine Güte!
«Was ist mit dem Laptop? Haben Sie eine Adresse, an die sie ihn schicken sollen?»
«Nein. Ich soll Ihnen sagen, Sie können ihn behalten.»
Ein Pärchen mit identischen Weihnachtsmützen stieg in West Finchley dazu und setzte sich mir gegenüber. Als wäre ich Luft, fingen sie schamlos an zu knutschen. Vielleicht dachten sie, ich würde mich umsetzen, wenn sie nur lange genug weitermachten. Und wie die Dinge standen, wären sie spätestens in Highgate beim Vögeln angekommen.
Ich unterbrach meine Gedankenkette, die ohnehin zu nichts geführt hatte. Meine Probleme waren dieselben wie vor meinem Ausflug nach Barnet, nur dass ich jetzt zusätzlich Druck von jemandem wie Buzzkill bekam. Der unverbesserlich neugierige Teil von mir spielte mit dem Gedanken, dass es doch sehr hilfreich sein könnte, wenn jemand vom Kaliber Buzzkills mir einen Gefallen schuldete, aber so oder so war es egal. Ich war bei Clarion rausgeflogen, und Rowans E-Mail gestern hatte die Tür nicht gerade offen gelassen.
Dennoch war Rowan nur der stellvertretende Chefredakteur. Wenn ich in der Lage wäre, seinem Boss eine größere Geschichte zu pitchen, dann könnte ich durch die Tür durchgehen. Und ich hatte sie fast: So verlockend fast hatte ich sie. Und damit war ich wieder bei dem alten Vexierspiel. Ich konnte die Story nicht ohne Kays Unterstützung anbieten, aber Kays Unterstützung bekam ich nur, wenn ich die Geschichte anteasern konnte, ohne ihre Sicherheit zu gefährden.
Als das Paar sich in eine Position brachte, in der es sich noch besser gegenseitig verschlingen konnte, kippte die Tasche der Frau zur Seite und heraus fielen ein Kindle Reader und ein brauner Umschlag, was niemand der beiden bemerkte, so versunken waren sie in ihrer Leidenschaft.
Und da hatte ich es plötzlich.