Reingelegt
K
ay gab mir die Dubletten am nächsten Tag in einem braunen Umschlag: selbe Zeit, selber Ort.
Und so begannen meine Mead-Nachtwachen: Jeden Abend postierte ich mich an einer Ecke in Whitehall und wartete darauf, dass er das Büro verließ. Fünf Tage lang gab es nichts zu berichten. Mead ging zum Bahnhof Charing Cross und stieg in den Zug nach Sevenoaks. Ich gestehe, dass ich schon fürchtete, er habe die Sache nach dem, was Kay Stafford erzählte hatte, auf Eis gelegt. Das hätte zumindest auch zu der Manipulation der Gästeliste gepasst.
Aber am Tag sechs hat er wohl gedacht, die Gemüter hätten sich wieder beruhigt; entweder das, oder sein angefixter Schwanz ertrug den kalten Entzug nicht. Anstatt zum Bahnhof zu gehen, überquerte er Whitehall und hielt ein Taxi an, das schon Richtung Süden unterwegs war.
Ich rief mir eins auf der gegenüberliegenden Seite. Sein Vorsprung war egal: Wenn er dorthin fuhr, wohin ich hoffte, kannte ich die Adresse bereits.
Dank glücklich gegenläufiger Ampelphasen hatte ich ihn etwa auf Höhe Belgrave Square eingeholt und sah, wie er kurz danach ausstieg und eine Bar gegenüber der Wohnung betrat. Ich folgte ihm für ein schnelles halbes Pint und sah ihn am Tisch mit einer Frau, auf die Kays Beschreibung passte.
Sie war etwa zwanzig Jahre jünger als er, eins a gekleidet und perfekt geschminkt. Ein «Wolf im Schafspelz», kam es mir in den Sinn. Es war offensichtlich, was ihr Interesse mit dem Ego und der Libido eines Verwaltungsbeamten machte. Aber dass es umgekehrt auch Anziehung gab, war schon verblüffender.
Auf dem Tisch stand eine Flasche Champagner, und ein Kellner nahm die Essensbestellung auf. Die wollten es sich dort wohl so richtig gemütlich machen. Ich hatte also Zeit, trank mein Bier aus und ging über die Straße, um ein bisschen Grundlagenforschung zu betreiben.
Kay hatte mich nicht nur mit den Schlüsseln, sondern auch mit den Codes für die Eingangstür und die Alarmanlage versorgt. Ich verschaffte mir Zutritt und schaute mir die Gegebenheiten gründlich an. Es war ein elegantes, wenn auch spärlich eingerichtetes, extrem kompaktes Apartment, das aus zwei Schlafzimmern, einem kleinen Flur und einem Wohn-/Essbereich mit angeschlossener winziger Küche bestand. Quadratmetermäßig entsprach es etwa dem Wohnzimmer eines Hauses in Glasgow-Southside, vermutlich aber war es mehr wert als eine ganze Straße dort.
Für den Fall der Fälle sah ich mich schon mal nach alternativen Ausgängen um. Es schien keinen zu geben, bei dem man nicht aus einem der Fenster im fünften Stock klettern müsste, aber vorsichtshalber öffnete ich die Sicherheitsriegel des Fensters trotzdem. Ich weiß sogar noch, wie ich dachte, dass diese Maßnahme bei meinem bombensicheren Plan vollkommen überflüssig sei. Der basierte auf einer zu installierenden Miniaturkamera, die mir vom Flur aus Bild- und Tonmaterial auf mein Handy liefern sollte.
Etwa neunzig Minuten später sah ich, wie Mead und seine Begleiterin das Lokal verließen. Selbst aus dieser Höhe waren sie unschwer zu erkennen, so ungeniert turtelnd überquerten sie die Straße.
Ich schlich aus dem Apartment in das Treppenhaus eine Etage höher und verfolgte ihre Schritte über das Display des Telefons. Sie gingen zuerst ins Wohnzimmer und ließen mich mit dem leeren Flur allein. Ich wurde ein bisschen nervös bei dem Gedanken, dass sie es sich womöglich mit Coldplay und einer Flasche Wein auf dem Sofa gemütlich machen könnten. Außerdem legte ich mir ein paar mögliche Erklärungen für den Fall bereit, dass plötzlich jemand aus den oberen Wohnungen auftauchen würde, während die beiden gerade in unmissverständlicher Eile auf dem Weg ins Schlafzimmer über meinen Bildschirm huschten, bevor sie in dem Raum verschwanden und die Tür hinter sich schlossen.
Das Mikrophon der kleinen Spionagekamera war hochsensibel und der Klang noch schärfer, wenn ich auf einen Bluetooth-Kopfhörer umstieg. Ich hörte Kichern, wohlige Seufzer und ziemlich ekliges, schlabberiges Küssen.
Grauenhaft, aber auch mein Zeichen.
Ich schloss die Wohnungstür auf und schlich leise hinein, obwohl es sehr unwahrscheinlich war, dass sie außer ihrer anschwellenden Leidenschaft überhaupt etwas wahrnahmen. Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, wann ich zuletzt etwas Ähnliches gespürt hatte, als ich durch den Flur in das Wohnzimmer huschte.
Schnell scannte ich den Raum und fand Meads Aktentasche unter dem Esstisch. Sie war aus antikem Leder, von der Sorte, die verstaubte Akademiker benutzten, im Gegensatz zu den schlanken Koffern, die hochdotierte Manager bei sich trugen. Das war gut, denn es ersparte mir das mühsame Gefummel mit dem Dietrich, um das Schloss zu knacken. Dieses Ding hatte nur einen metallenen Schnapper. Ich ließ ihn aufschnellen und sah den Laptop.
Kay hatte unrecht: Ich fand auch ein paar offiziell wirkende Dokumente, aber die waren nichtssagend und völlig uninteressant. Was den Nachrichtenwert angeht, war der Computer die bessere Ausbeute. Wegen einer in der U-Bahn vergessenen Versicherungspolice würde man eine Geschichte niemals über drei Tage strecken können.
Ich war gerade dabei, den Laptop vorsichtig aus der Tasche zu ziehen, als sich das Stöhnen und Seufzen aus meinem Ohrstöpsel in Worte verwandelten. Zurückblickend kann ich mich nicht mehr erinnern, wer am Ende was gesagt hat, dieses Detail ging irgendwie verloren, als ich die Folgen dieser katastrophalen Wendung begriff:
«Bist du bereit für mich?»
«Gott, ja.»
«Soll ich wieder aufstehen?»
«Nein. Ich will dich auf dem Esszimmertisch nehmen.»
Genau. Und das war der Moment, wenn Sie sich erinnern, als Sie dazukamen.
Bis zur Wohnungstür würde ich es nicht schaffen, ohne ihnen auf dem Flur zu begegnen, und selbst wenn sie nicht in der besten Verfassung waren, um mich zu verfolgen, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es lange dauern würde, bis die Cops nach dem Notruf eines höheren Regierungsbeamten da wären, der von einer Wohnung des Verteidigungsministeriums aus anrief.
Nur aus dem Fenster zu klettern, würde mich aber auch noch nicht unsichtbar machen. Da die Jalousien nicht heruntergelassen waren, konnte ich mich nicht auf das Sims stellen oder zumindest hinhocken. Ich musste mich also herunterbaumeln lassen und an den steinernen Vorsprüngen mit den Füßen genug Halt finden, während ich dringend hoffte, dass gerade niemand von der Straße nach oben guckte.
Ich bin ein ganz passabler Kletterer, wenngleich ein wenig aus der Übung, und es war bei weitem nicht das erste Mal, dass ich mich irgendwo außerhalb eines Gebäudes hängend wiederfand, zu dem ich offiziell keinen Zutritt hatte, aber bei allen früheren Gelegenheiten war es doch so, dass ich entweder auf dem Weg rein oder raus war. In diesem Fall musste ich meine Position einfach halten. Der Laptop war noch in der Tasche, und der einfachste Weg runter war zurück durch das Wohnzimmer.
Ich hatte keine andere Wahl als abzuwarten, und mit beiden Händen am Sturz konnte ich nicht mal das Headset abnehmen oder mir die Ohren zuhalten. Ich musste mir jeden einzelnen Grunzer anhören, und gerade, als ich dachte, dass es vorbei sei, sagte die Frau:
«Okay, ich bin dran.»
«Ja, ja», stöhnte Mead lustvoll. «Du bist dran.»
Fuck, mit was denn dran?
Irritierenderweise hörte ich etwas, das wie das Klicken eines Anschnallgurtes klang. Hätte man so etwas nicht weitaus früher bei dieser Tätigkeit erwartet?
Das Stöhnen und Ächzen ging von vorne los, nur viel lauter. Ich machte mir schon Sorgen, dass die Leute auf der Straße es hören könnten. Mead klang tiefer und elementarer, wie ein sterbender Dickhäuter, der qualvoll in den letzten Zügen lag, und ich kann meinen Widerwillen kaum in Worte kleiden, als ich – im fünften Stock am Sims hängend – begriff, dass sie sich einen Dildo umgeschnallt hatte.
Was soll ich sagen: Du kannst den Jungen aus Eton abholen.
Meine Rettung kam, als sie sich daranmachte, ihn ans Bett zu fesseln. Ich kletterte zurück in die Wohnung, riss an mich, wofür ich gekommen war (montierte auch schnell noch die Kamera ab), und kurz danach marschierte ich hinaus in den frostigen Abend von Knightsbridge.
Ich warf einen flüchtigen Blick hoch zu dem Fenster, an dem ich während Meads leidenschaftlicher Momente gehangen hatte, und gestattete mir ein Lächeln.
Ich war dabei, ihn auf eine Art in den Arsch zu ficken, die ihm nicht gefallen würde.