Point of no Return
A ls ich in meiner Besenkammer ankam, war ich nicht mehr ganz so gut gelaunt: Meine siegesgewisse Euphorie hatte sich gelegt und einer kritischen Analyse Platz gemacht. In Anbetracht der Tatsache, dass ich einen passwortgeschützten Computer vor mir hatte, von dem ich keine Ahnung hatte, wie ich ihn knacken sollte, war ich mir nicht mehr ganz so sicher, so nah an der Exklusivstory zu sein, wie ich es mir im Vorfeld ausgemalt hatte.
Tatsächlich hatte ich sogar drei Computer vor mir auf dem kombinierten Arbeits- und Esstisch, und keiner nutzte mir was. Mein eigener war zwar entsperrt («als Geste des Goodwill», hatte der vorlaute Bastard gesagt), war aber voll von dem, was Buzzkill mit Bestimmtheit als Regierungs-Apps beschrieben hatte. Meads Rechner widersetzte sich meinen Einlogg-Versuchen mit Regierungs-Apps der anderen Art: modernste Verschlüsselungssoftware, die von niemand Geringerem als dem Verteidigungsministerium selbst aufgespielt worden war. Dann war da noch Buzzkills freundlich gespendeter Laptop, der zwar funktionierte, dem aber nicht zu trauen war.
Was hatte ich also wirklich?, fragte ich mich. Runtergebrochen auf die nackten Fakten – und darauf kam es bei vermeintlich heißen Exklusivberichten ja an – war die bittere Wahrheit lediglich, dass ein Laptop geklaut wurde, und ich war der Dieb. Darüber hinaus betrog ein mittelalter Regierungsbeamter, den keiner kannte, seine Frau mit einer ebenso unbekannten Industrie-Lobbyistin. Es gab keine streng geheimen Dokumente, die aufgrund der Affäre jemandes Sicherheit gefährdeten, und ich konnte auch nicht beweisen, dass auf dem Laptop sensible Daten waren, die wegen Meads lustgetriebener Nachlässigkeit einer Gefahr ausgesetzt waren.
Eine Geschichte würde es nur geben, wenn ich herausfand, was auf dem Gerät war.
Es gab einen Weg, das herauszufinden, aber wollte ich den wählen?
Ich könnte in Verbindung treten mit einem der wohl nützlichsten Kontakte, die ich je gemacht hatte, aber auch mit dem gefährlichsten. Er hatte mir ein Quidproquo angeboten, aber das hier war kein Teufelspakt wie bei Faust: Dieser hier war viel unsicherer. Bei Mephisto waren wenigstens die Konsequenzen deutlich umrissen. Was mir hier Angst machte, war, dass ich vorhatte, nicht nur einen Laptop des Verteidigungsministeriums zu knacken oder einfach nur den Zugang zu Clarions Computersystem freizugeben: Wenn ich mich auf eine Komplizenschaft mit Buzzkill einließ, öffnete ich nichts weniger als Pandoras Büchse.
Und was mir noch mehr Angst machte, war, dass ich wusste, dass ich nicht widerstehen konnte.
Am Empfang ließ ich Marcus Okocha, den Nachrichtenchefredakteur, anrufen, da meine Zugangskarte gesperrt war. Ich sagte ihm, ich hätte eine Story, die ich mit ein paar verführerischen Details umriss.
«Ich möchte darüber nicht am Telefon sprechen, die Gründe dafür werden sich dann gleich erschließen», erklärte ich. «Deswegen bin ich persönlich hier. Können wir reden?»
Er ließ jemanden meine Karte reaktivieren und zitierte mich in sein Büro.
Als er mich durch die Nachrichtenredaktion kommen sah, wollte Rowan mich sofort abfangen. Mit all der Selbstherrlichkeit und Aggression, die ein Mann wie er zum Einsatz bringt, wenn er wusste, dass der Sicherheitsdienst ihm jederzeit zu Hilfe eilen würde, stellte er sich mir in den Weg.
«Wohin, zum Teufel, glaubst du wohl gehen zu können?», brüllte er mich an.
Bevor ich antworten konnte, tauchte Marcus aus dem vergötterten Glaskasten auf, der als sein Büro durchging.
«Ist okay, er will zu mir. Er hat eine Story.»
«Manchmal kommen diese Dinge von Reportern und nicht von PR-Firmen oder Nachrichtenagenturen», erklärte ich Rowan lächelnd. «Zwar kommt es nicht an ‹Frau schließt Versicherung gegen Gewichtszunahme ab› ran, aber es ist eine ganz anständige Geschichte.»
«Das sollte sie gefälligst auch sein», sagte Marcus etwas später, als er die Tür zu seinem Büro geschlossen hatte. «Was hast du?»
«Das Verteidigungsministerium vermisst einen Laptop», erwiderte ich.
«Und du hast ihn?»
«Ich bin in der Lage, ihn zu beschaffen.»
«Du willst also Geld?», schlussfolgerte er ein wenig enttäuscht.
«Nein, darum geht es nicht. Es wird noch besser. Der Grund für sein Abhandenkommen liegt in einem Sexskandal, in den ein gehobener Regierungsbeamter aus Whitehall verwickelt ist. Kein Geringerer als ein Ritter des Königreichs. Interessiert?»
Marcus grinste.
«Schön zu sehen, dass du es noch draufhast, Jack.»
«Die Form vergeht, Klasse bleibt.»
Wir plauderten noch ein bisschen. Ich kannte Marcus nicht gut, aber unsere Wege hatten sich im Laufe der Jahre immer mal wieder gekreuzt. In besseren Zeiten, wie wir beide fanden. Er war einer der wenigen, die mir zuweilen gern mal ein Bröckchen hinwarfen, weswegen ich mich für das, was ich gleich tun würde, auch ein wenig schuldig fühlte.
Auf der anderen Seite würde er nie davon erfahren, und dafür würde ich ihm den absoluten Knaller verkaufen.
«Wir können dein Pseudonym nicht nutzen», überlegte er laut.
«Verstehe. Aber ‹von unserem Reporter› kannst du auch nicht schreiben.»
«Hast du einen neuen nom de guerre
«Alec Forman.»
«Okay.»
Marcus sah auf seine Uhr. Ich war mit Absicht genau zu dieser Zeit gekommen.
«Du hast jetzt die Nachrichtenkonferenz?», fragte ich.
«Yep. Oder was davon übrig geblieben ist. Ich weiß noch, wie es früher ausschließlich darum ging, gute Storys zu pitchen. Heute ist doch alles nur noch Budget und der Plan für die Verarbeitungsmenge, was auch immer das sein soll.»
Ich ging mit ihm ein Stück den Flur hinunter, vermeintlich in Richtung Ausgang, als ich plötzlich stehen blieb.
«Ich glaube, ich habe mein Handy in deinem Büro vergessen.»
«Okay. Ich muss weiter. Ich höre von dir?»
«Worauf du dich verlassen kannst.»
Ich ging zurück und achtete darauf, nicht auffallend nervös oder hektisch zu wirken. Auf dem Weg begegnete ich Rowan, vermutlich ebenfalls unterwegs zum Meeting. Er warf mir einen feindseligen und offen misstrauischen Blick zu.
Mist.
Ich verfluchte die Glaswände, durch die jedermann sehen konnte, wie ich mit einem USB-Stick aus Buzzkills Laptop in der Hand vor dem Computer des Nachrichtenchefs stand.
Mein Auftrag war es, den Stick einzustöpseln und nach der Eingabeaufforderung die Software darauf zu überspielen. Kein Hacker-Scheiß, keine technische Zauberei, nur den USB-Stick in die Buchse und auf das Dialogfenster klicken. Ganz einfach.
Besorgniserregend einfach, ehrlich gesagt.
Ein vages, aber starkes Gefühl machte sich schon seit Tagen mit der Vorahnung bemerkbar, dass ich hier in eine Falle tappte. Und jetzt wusste ich auch, warum. Welchen Grund hatte ich, Buzzkill zu trauen? Ja, woher wusste ich überhaupt, dass es Buzzkill war ? Dieser ganze Schnickschnack mit dem Symbol konnte ein doppelter Bluff sein.
Mein Blick wanderte hinüber zu dem Großraumbüro, und ich sah, wie Rowan in meine Richtung lief. Entweder hatte er etwas vergessen, oder ich war nicht der Einzige, der unter falschem Vorwand zurückkam. Ich hatte keine Zeit mehr, um hier weiter rumzueiern. Top oder flop, ich musste mich entscheiden, und ich wusste, wenn ich jetzt ging, hätte ich keine Story.
Ich steckte den Stick in das Laufwerk, lehnte den Sicherheitsscan ab und bestätigte die automatische Nachfrage «Sind Sie sicher, dass Sie den Scan überspringen wollen?».
Ich sah zu, wie der Verlaufsbalken innerhalb von Sekunden farbig anschwoll, die es brauchte, um den Inhalt des Sticks auf Marcus’ Computer und von da aus in die Eingeweide des CNG -Systems zu schleusen.
Immer noch rechnete ich damit, dass gleich ein Alarm losgehen würde und Rowan mit einer Phalanx von IT-Strebern und Sicherheitsbeamten an den Ort des Verbrechens eilen würde, aber alles blieb ruhig. Ich zog den Stick wieder heraus und machte, dass ich rauskam. Ich war mit heiler Haut davongekommen.
Ich hoffte bloß, dass nicht Goatse mit seinem nackten Arsch schon Clarions Online-Ausgabe zierte, wenn ich zu Hause ankam.
Ich hatte kaum die Tür aufgemacht, da meldete sich Buzzkill auch schon, indem er von Ferne den Computer aktivierte, sodass dieser ohne mein Zutun zum Leben erwachte. Das war kein wirklich beruhigender Anblick, aber wenigstens schien er zufrieden zu sein.
«Du hast mich nicht im Stich gelassen», sagte die Navi-Stimme.
«Wie läuft es denn für dich?», fragte ich. «Hast du die Fotos von Prinzessin Margaret, wie sie auf Mustique eine Orgie feiert, schon gefunden?»
«Prinzessin wer?»
Das war der Moment, in dem ich mich erinnerte, mit wem ich es zu tun hatte. Der Typ konnte nach allem, was ich wusste, locker erst sechzehn sein.
Ich beschloss, direkt zum Punkt zu kommen, solange er noch guter Dinge war.
«Ich muss den Gefallen, den du mir versprochen hast, direkt einlösen.»
«So läuft das nicht», erwiderte Buzzkill.
«Wie bitte, du willst dich drücken?»
«Nein. Du hast dich für mich eingesetzt, und ein Hacker begleicht seine Schulden immer. Aber wir sind jetzt Freunde, und Freunde rechnen nicht auf.»
Ich war mir nicht sicher, ob er mir sagen wollte, dass ich mit meiner schnellen Forderung irgendeine Art von Etikette brach oder dass ich jetzt uneingeschränkten Kredit in Buzzkills Einkaufsparadies hätte, solange ich bereit war, ihm seine Gefallen immer wieder zu erwidern.
«Was brauchst du?», hakte die Navi-Stimme nach.
Ich zeigte es ihm und folgte dann seinen Anweisungen, um Meads Computer mit dem zu verbinden, den Buzzkill mir gestiftet hatte.
«Kannst du den cracken?»
«Der ist bis ins Kleinste nach Militärstandards verschlüsselt. Nicht so ein Discounter-Müll.»
«Man kommt also nicht an die Dateien ran?»
«Natürlich kommt man ran. Man braucht nur das Passwort.»
«Na, wieso habe ich daran denn bloß nicht gedacht?», entgegnete ich.
«Werd jetzt mal nicht schnippisch. Ich habe es dir schon mal gesagt: Es ist leichter, sich ein Passwort zu beschaffen, als sich durch eine Verschlüsselungssoftware zu hacken.»
«Und wie, denkst du, soll ich das anstellen? Der Typ arbeitet im Verteidigungsministerium. Da kann ich nicht mal eben seinen Schreibtisch durchwühlen oder eine Kamera in seinem Büro installieren.»
Es folgte eine Pause. Ich hoffte, Buzzkill dachte über eine abwegige, aber effektive Lösung nach.
«Du brauchst einen Keylogger», sagte er schließlich. «Das Problem ist nur, dass du den vollen Zugriff auf das Gerät brauchst, um den Tasten-Recorder zu installieren. Um also das Passwort für diesen Laptop herauszulesen und übertragen zu können, brauchst du das Passwort für diesen Laptop.»
Ich hatte den Eindruck, er nahm mich für meine Blödheit auf den Arm, nur war ich mir nicht sicher, ob ich zu blöd war, um die Lösung zu sehen, oder zu blöd einzusehen, dass es keine gab.
«Also geht es nicht», wandte ich sachlich ein.
«Natürlich geht es. Ich habe das Programm, das du brauchst, selbstverständlich hier.»
«Warum pinkelst du mir dann noch ans Bein? Schick mir die Software.»
«Okay.»
Nur wenig später poppte eine Anwenderdatei auf meinem Desktop auf.
«Was soll ich damit? Ich kann sie ohne Passwort nicht installieren.»
Buzzkill reagierte nicht.
«Möchtest du mir irgendeine Lektion erteilen?», blaffte ich.
Ein Browser-Fenster öffnete sich, und es folgte ein Video mit Yoda aus Das Imperium schlägt zurück.
«Keine Geduld der Junge hat », sprach die Puppe.
Zum Zeichen der Entschuldigung hob ich meine Hände in die Höhe, und kurz darauf ertönte wieder die Navi-Stimme.
«Warum lässt du dir nicht erzählen, wie die Software arbeitet, und guckst dann, ob du es von da aus schaffst?»