Kap

KAPITEL 23

Ich warte, bis es still geworden ist im Hohen Haus, ehe ich mich in das unterirdische Gewölbe aufmache. Während ich durch die langen, labyrinthartigen Gänge des Palastes gehe, kreisen meine Gedanken immer wieder um das Gespräch mit Kennan.

Weiß sie über das Buch der Tage Bescheid?

Hat sie versucht, es zu finden?

Daraus ergibt sich die nächste Frage: War sie es, die den Einsturz des Turms verursacht hat? Hat sie womöglich nach dem Buch gesucht, als das Unglück geschah?

Mich beschleicht ein Gefühl – wie die Wärme einer aufflackernden Flamme –, dass ich der Wahrheit immer näher komme. Ich kann schon fühlen, wie sie an meiner Haut leckt, aber ich kann sie noch nicht sehen.

Ich komme an dem Ausgang vorbei, der zum Wasserfall führt. Weiter bin ich noch nie gegangen und ab jetzt befinde ich mich auf unbekanntem Terrain.

Ich habe eine kleine Spule mit dunklem Garn dabei, das auf dem braunen Boden kaum zu sehen ist. Schnell binde ich ein Ende an eine kleine Felsnase und wickele ein gutes Stück ab, bevor ich weitergehe. Den Faden halte ich schlaff und hoffe, dass niemand ihn bemerkt.

Schwere Schritte von mehreren Personen hallen durch die Stille.

Mein Körper erstarrt. Angstvoll lausche ich.

Schritte und … Gesang?

Noch dazu sehr, sehr schlechter Gesang. Ich verziehe das Gesicht, als die Stimme bei einem besonders hohen Ton bricht. Ich habe so eine Ahnung, dass diese Stimme Sergeant Kimble gehört.

Ich überprüfe, ob die Schnur nach wie vor locker in meiner Hand liegt, und ziehe mich dann in den Schatten zurück. Vorsichtig schaue ich um die Ecke, auf der Suche nach dem Ursprung für das Gejaule.

Zwei Wachmänner stehen vor einem schwarzen schmiedeeisernen Tor, das einen großen Höhleneingang verschließt. Ein korpulenter Mann, offensichtlich Sergeant Kimble, plärrt ein schiefes Lied. Sein Kamerad neben ihm reibt sich die Schläfen unter dem Helm und macht ein gequältes Gesicht.

Ich zähle die Sekunden. Wenn die Wachen, die ich belauscht habe, recht haben, dann sollte die Schicht dieser beiden in wenigen Minuten zu Ende sein.

Glücklicherweise ist auch Sergeant Kimbles Lied nach kurzer Zeit zu Ende und er schaut seinen Kameraden mit einem erwartungsvollen Blick an. Der nimmt langsam die Hände von den Schläfen, als ob ihn die plötzliche Stille überraschen würde.

»Würdigen Sie so das musikalische Talent eines ranghöheren Offiziers, Abernathy?« Sergeant Kimble stößt seinen Kameraden an.

»Das war … sehr gut, Sir«, antwortet der andere Wachmann schwach. Das Lob scheint Sergeant Kimble zu besänftigen. »Aber ich glaube, wir haben jetzt Dienstschluss.«

»Schade, die Akustik hier unten ist unvergleichlich.«

»In der Tat.« Der andere Wachmann geht seinem Sergeanten voraus, weg vom Tor.

Als sich ihre Schritte in der Ferne verlieren, husche ich zum Eingang der Höhle und drücke den Griff am Tor nach unten, aber es rührt sich nicht.

»Natürlich verschlossen«, murmele ich. Ich packe die Eisenstäbe und rüttele ärgerlich daran.

Schritte. Das ist die Wachablösung.

Ich hole tief Luft und versuche, mich mit meiner Umgebung zu verbinden, wie ich es getan habe, als Ravod mich in die Ebene brachte. Aber das Hämmern meines Herzens verhindert, dass ich mich konzentrieren kann. Die Wachen kommen immer näher.

»Öffne dich«, raune ich hektisch. Meine Hände zittern, das warme Gefühl verfliegt. Die Garnspule fällt mir aus der Tasche und klappert zu Boden. Meine Stimme bricht. Die Beschwörung verpufft.

»Hast du das gehört?«, fragt eine Stimme.

Wenn ich versage, war alles umsonst. Ich erschauere bei der Vorstellung, dass man mich hier erwischt und wieder ins Sanatorium schickt. Oder Schlimmeres. Was für eine Strafe erwartet eine Bardin, die ihre Nase einmal zu oft in Angelegenheiten gesteckt hat, die sie nichts angehen?

»Öffne dich!« Nichts.

Ich trete ein paar Schritte vom Tor weg, balle die Hände zu Fäusten und löse sie wieder.

In einem solchen Moment sollte man sich Zeit nehmen, ein paarmal tief durchzuatmen. Ravods Stimme klingt sanft und beruhigend durch die aufsteigende Panik.

Mein Fuß stößt gegen die Garnspule. Ich hebe sie auf und wickele mir den Faden so fest um die Hände, dass meine Knöchel weiß hervortreten. Dann schließe ich die Augen, presse die Zähne zusammen und packe den Türgriff. Ich konzentriere mich auf das Stechen, das ich mit Kennan in Verbindung bringe – den Schmerz, als sie mich mit den Handschuhen, die ich für sie gemacht hatte, schlug.

Ich ziehe den Faden immer fester und fester und stelle mir dabei vor, dass es stattdessen das Torschloss ist, das sich in meinen Händen verbiegt.

»Öffne dich.«

Der Faden schneidet in meine Haut. Ich verschränke die Finger und schaue auf die dünne rote Linie, die hindurchsickert.

Ein metallisches Quietschen lässt mich aufblicken. Das Schloss ist völlig verdreht, als ob es auseinandergezogen worden wäre. Hinter dem Türgriff klickt es und dann gleitet der Griff nach unten. Ich schiebe mich durch das Tor und drücke es hinter mir leise wieder zu.

Aus der Dunkelheit der Höhle sehe ich, wie die Beschwörung ihre Kraft verliert und sich das Schloss wieder in seinen normalen Zustand versetzt. Als die Wachen eintreffen, deutet nichts darauf hin, dass ich da gewesen bin.

abs

Das Ausmaß der Zerstörung lässt mir den Atem stocken. Bei jedem Schritt habe ich Angst, dass der Turm noch weiter in sich zusammenbricht.

Erst als ich sicher bin, dass ich weit genug von den Wachen weg bin, zünde ich eine der Fackeln an, die in der Nähe des Eingangs in Eisenhalterungen an den Wänden stecken. Ihr schwacher Schein erleuchtet die Ruine. Gewaltige Trümmer bedecken den Boden. Ein Großteil des Dachs ist eingestürzt und über allem liegt eine feine Staubschicht.

Alles sieht völlig unverdächtig aus, aber trotzdem bin ich davon überzeugt, dass etwas nicht stimmt. Etwas, das sich meinem Blick entzieht. Es muss so sein.

Vorsichtig suche ich den Raum nach irgendetwas ab, das nicht hierherpasst. Aber alles, was ich sehe, sind persönliche Gegenstände. Erinnerungen.

Nichts, was auch nur im Entferntesten dem Buch der Tage ähnelt. Das war vermutlich auch nur Wunschdenken.

Während ich meine Suche durch das Meer aus Schutt fortsetze, geht mein Geist auf Wanderschaft. Beschwörungen allein reichen nicht. Nicht, wenn da draußen so viel mehr ist. Kennans Worte lösen ein unbehagliches Gefühl in mir aus. So viel – nicht nur, um das Land von der Plage zu befreien, sondern dafür zu sorgen, dass sie nie existierte. Danach habe ich gestrebt. Ich mag ein Mal versagt haben, aber das wird mir kein zweites Mal passieren.

Ich denke an Mads und Fiona, an Ma und mein Zuhause in Aster. An die harte Arbeit, die wir uns auferlegt haben, um den Erwartungen der Barden gerecht zu werden, um uns als würdig zu erweisen.

Wir waren der Schandfleck in diesem Land. Das zumindest hat man uns bei jeder sich bietenden Gelegenheit eingeredet.

Ich lehne mich gegen eine noch intakte Wand. Nicht nur Aster stöhnt unter dieser Last. Ganz Montane leidet.

Ist das der Grund, warum Cathal das Buch der Tage sucht? Um zu reparieren, was zerstört wurde?

Es ist der Stoff, aus dem unsere Wirklichkeit gewebt ist, hallt Cathals Stimme in meinem Kopf wider.

Ich drehe einen zersplitterten Stuhl um, der mir im Weg ist, während die Gedanken in meinem Kopf kreisen. Wenn alle Wirklichkeit in diesem Buch geschrieben steht, könnte sie dann verändert werden? Könnte jemand etwas in die Realität hineinschreiben, was vorher noch nicht da war?

Oder jemanden wieder hineinschreiben?

Mas Gesicht blitzt in meinem Geist auf und unerwartete, ungebetene Tränen brennen in meinen Augenwinkeln.

»Schluss damit, Shae«, flüstere ich. »Eins nach dem anderen. Konzentriere dich.«

Cathal will nur, dass das Buch nicht in die falschen Hände fällt. Zum Beispiel in Kennans. Irgendwie wünsche ich mir, dass Cathal auftauchen und meine Sorgen beruhigen würde, wie immer.

Aber die Sekunden vergehen in der düsteren Ruine, ohne dass sich irgendjemand blicken lässt.

Ich bin mittlerweile auf der anderen Seite des Turms angelangt und meine Suche hat nichts zutage gefördert. Unbewusst fahre ich mit den Händen über meine Wangen, wie ich es als Kind schon getan habe, um meine Sommersprossen wegzuwischen. Meine Schultern sacken nach unten und gleichzeitig erfüllt ein bitterer Geschmack meinen Mund.

Hier ist nichts.

Niedergeschlagen bahne ich mir wieder den Weg zurück. Da ich vieles schon beiseitegeräumt habe, komme ich schneller voran. Immerhin etwas.

Als ich einen herabgefallenen Balken umrunde, sehe ich plötzlich Licht. Mit schräg gelegtem Kopf schaue ich genauer hin.

Diese Tür war eben noch nicht da, oder doch? Ich reibe mir die Augen. Das ist nichts als Einbildung … Aber eine solche Tür wäre mir doch aufgefallen. Es ist eine schlichte Holztür, genau wie die Eingangstür zu meinem Haus in Aster … Ganz anders als die verzierte vergoldete Einrichtung des Hohen Hauses.

Und was mir bestimmt aufgefallen wäre, ist das hellblaue Licht, das unter der Tür hindurchschimmert.

Ich trete näher und streiche mit der Hand über das Holz. Es ist fest. Echt. Und als die Sekunden vergehen und die Tür nicht verschwindet, weiß ich, dass es auch keine Beschwörung ist. Es ist etwas völlig anderes.

Ich greife nach dem Türknauf, der sich problemlos drehen lässt. Ehe ich noch darüber nachdenken kann, öffne ich die Tür und trete über die Schwelle.

abs

Das Tosen des Wasserfalls begrüßt mich.

Das kann nicht sein. Wie komme ich in die Höhle mit dem Wasserfall? Das ist genauso unmöglich wie das Sonnenlicht, das durch das aufgewühlte Wasser fällt.

Und doch ist es so. Ich stehe direkt vor dem Wasserfall.

Ich drehe mich um und greife nach der Tür, aber meine Finger berühren nur rauen Stein. Die Tür ist verschwunden.

Ich bin es so leid, ständig das Gefühl zu haben, verrückt zu werden. Ich kneife die Augen zu und massiere mit Daumen und Zeigefinger meine Nasenwurzel.

Aber was wenn mir mein Geist keinen Streich spielt? Was wenn dies der geheime Weg zum Buch der Tage ist?

Misstrauisch betrachte ich den Wasserfall, ehe ich vorsichtig näher trete.

Unsere Gabe hat Grenzen … Aber jenseits dieser Grenzen existieren Möglichkeiten. Wissen. Lösungen … Macht. Ich höre Kennans Stimme, als ob sie neben mir stehen würde, doch ein umherschweifender Blick beweist mir, dass ich immer noch allein bin.

Vielleicht ist es nicht Kennan, die zu mir spricht.

Ich richte meine Aufmerksamkeit nach innen, sammle meine Gedanken, die sich genau wie die tosenden Wassermassen überschlagen. Welche Macht auch immer hier am Werk ist, sie ist anders als alles, was ich je zuvor erlebt habe.

Aber vielleicht finde ich dennoch einen Zugang zu dieser Macht. Ich weiß noch, als ich das erste Mal hier war – mit Kennan. Wie sie ihren Tee getrunken und mich mit ihren Gegenbeschwörungen sabotiert hat. Den Blick fest auf den Wasserfall gerichtet, mache ich noch einen Schritt nach vorn. Heute gibt es nichts, was mich ablenken oder behindern könnte, und so konzentriere ich mich ganz und gar auf das herabfallende Wasser. Unterstrichen von einer Bewegung meiner Finger murmele ich leise: »Teile dich.«

Ein warmer Strom durchfährt mich, als das Wasser der Beschwörung gehorcht und sich in der Mitte wie ein Vorhang auseinanderzieht. Aber statt der Felswand kommt dahinter der Rest des Tunnels zum Vorschein.

Staunend gehe ich weiter. Die Höhle mündet an einer Treppe, die zu einem Nachbau des Schießplatzes führt. Eine geladene Armbrust, ein Spiegel und eine Zielscheibe, alles in einer geraden Linie aufgereiht, erwarten mich dort.

Mein Training. Ist dies hier der wahre Zweck dieser Übung? Wollte man jemanden finden, der dieses Labyrinth bezwingen kann?

Hat Cathal das alles geplant? Mich hierauf vorbereitet? Kennan hat mir vermutlich all die Stolpersteine in den Weg gelegt, um als Erste das Ziel zu erreichen.

Das Stemmen der Armbrust kostet mich kaum noch Mühe. Ich bin stärker geworden und spüre eine kleine Welle aus Selbstvertrauen, das mir damals, als ich diese Herausforderung nicht meistern konnte, gefehlt hat.

Tief atme ich durch und konzentriere mich auf den Spiegel.

»Verschwinde«, murmele ich leise, während ich gleichzeitig den Abzug betätige. Der Bolzen zischt los und ich stolpere zwei Schritte rückwärts. Doch noch immer blicke ich meinem Spiegelbild in die Augen. Es verschwindet nur für einen Wimpernschlag, aber es reicht, damit der Bolzen ungehindert hindurchfliegen kann.

Als der Spiegel wieder erscheint, höre ich das befriedigende Wumm!, mit dem sich der Bolzen in die Zielscheibe bohrt.

Ich gehe auf die andere Seite des Schießplatzes, um mein Werk zu begutachten. Der Bolzen steckt am oberen Rand der Zielscheibe. Etwas höher und ich hätte das Ziel verfehlt.

Noch eine Tür, die genauso aussieht wie die in dem eingestürzten Turm, ist hinter der Zielscheibe aufgetaucht.

Mit zunehmender Selbstsicherheit drücke ich die Tür auf – und sofort zieht sich mein Magen zusammen, als mir ein vertrauter Geruch entgegenschlägt.

Tod. Diesen Geruch würde ich überall erkennen.

Das Hohe Haus ist fort. Ich stehe bei mir zu Hause, in Aster. Zu meinen Füßen liegt der blutverschmierte Leichnam meiner Mutter. Das einzige Licht stammt von dem golden glänzenden Dolch in ihrer Brust.

Ma.

Entsetzt weiche ich zurück. Einen Schritt. Dann noch einen. Das kann nicht sein.

»Das war nie Teil meiner Ausbildung!«, schreie ich, als ob ich das Bild verschwinden lassen könnte, indem ich es nicht akzeptiere.

Niemand antwortet.

Jeder Muskel in meinem Leib zittert. Ma ist tot. Sie kann unmöglich hier sein.

Aber jedes Mal wenn ich blinzele, ist sie immer noch da, die glasigen Augen auf etwas über ihr gerichtet. Ich ertrage es nicht. Ich ertrage ihren Anblick nicht.

Ich stürze zur Tür. Doch sie ist fort.

Eilig laufe ich an den Wänden entlang und suche nach einem Ausgang, aber auch die Fenster sind nicht mehr da. Egal wie ich mich auch drehe und wende, der Raum positioniert sich immer wieder neu, sodass ich stets den Leichnam im Blick habe, genau wie in meiner Erinnerung.

»Aufhören!« Ich lege all meine Wut, meine Angst und meine Verzweiflung in eine Beschwörung.

Nichts geschieht.

»Tür!«

Keine Reaktion.

»Irgendwas!«

Mit den Fäusten hämmere ich gegen die Wände. In meinem Kopf dreht sich alles. Ich kriege keine Luft mehr. Immer wieder sehe ich mich selbst rennen, auf der weichen Erde hinfallen, sehe den Erdrutsch, der alles bedeckt.

Kleine Punkte tauchen am Rand meines Blickfelds auf. Ich werde gleich ohnmächtig.

Ich muss die Kontrolle wiedererlangen. Ein unmögliches Unterfangen; der Geruch, der Anblick und die Totenstille schlagen unentwegt auf mich ein. Ich ersticke an meinem eigenen Atem und mein Gesicht ist tränennass.

»Das ist nicht real«, sage ich. »Das ist nur eine Illusion.«

In der Vergangenheit wurden mir immer Aufgaben gestellt, bei denen eine Beschwörung die Lösung war, um ein Hindernis zu überwinden. Hier muss dasselbe Prinzip gelten.

Ich darf nicht meiner eigenen Schwäche zum Opfer fallen.

Ich muss etwas anderes versuchen.

Schwer schlucke ich den Kloß in meiner Kehle herunter und zwinge mich, zu der Leiche zu gehen. Zu Ma. Als ich bei ihr bin, sinke ich langsam auf die Knie.

Ich lege meine Hände auf das Heft des Dolchs und ziehe ihn aus ihrer Brust. Mit zitternden Händen werfe ich ihn weg.

Als ich in Mas Gesicht schaue, hat sie die Augen geöffnet. Sie ist am Leben. Ich keuche auf.

Nein. Es ist nichts weiter als eine Illusion.

Erwartungsvoll sieht sie mich an. Meine Lippen beben. Ich sehne mich danach, sie zu berühren, mich in ihre Umarmung zu schmiegen. In ihren Augen glüht ein Feuer und ich weiß, was sie von mir will, doch ich bin nicht sicher, ob ich es übers Herz bringe.

Ihre Hand liegt in meiner. Kalt, aber fest. Ich wimmere und drücke sie, presse ihre Knöchel an meine Stirn, während mir die Tränen über die Wangen laufen.

Ein kleines, ermunterndes Lächeln kräuselt ihre Mundwinkel und sie nickt mir einmal zu.

Sag es, fordern ihre Augen. Es ist in Ordnung.

Ohne den Blick von ihr abzuwenden, bündele ich all meine Energie zu einer Beschwörung.

»Finde Frieden«, flüstere ich. Ich küsse ihren Scheitel und lege sie sanft zu Boden. Dann streiche ich ihr die Haare glatt. »Ich liebe dich, Ma.«

Ich drücke ihre Hand so lange, bis sich ihre Lider flatternd geschlossen haben, halte sie fest, während meine Augen brennen und ich nicht wage zu blinzeln, um jede Sekunde ihres Daseins in mich einzusaugen, bis sie in meinen Armen schlaff wird. Ihre letzte Umarmung, ein letzter Abschied. Leb wohl, Shae. Und dann ist sie gegangen.

Als ich aufblicke, ist die Tür wieder da. Das Haus sieht so aus, wie ich es in Erinnerung habe. Ich stehe auf und schaue mich ein letztes Mal um. Leicht lege ich meine Hand auf die Türklinke.

Hinter dieser Tür ist das Buch der Tage. Ich weiß es. Ich fühle es.

Noch ein tiefer Atemzug und ich drücke die Klinke nach unten.