»Alles in allem«, fuhr Krag fort, »waren meine Eindrücke von den Ereignissen des Nachmittags und Abends so stark, daß ich beschloß, eine Reise nach Kopenhagen zu machen. Vor meiner Abreise aus Christiania traf ich allerhand Dispositionen. Unter anderem trug ich unserem allerbesten Spürhund auf, dem ›Excelsior‹- Auto zu folgen und auf diskrete Weise Erkundigungen über Suron einzuziehen. Außerdem sollte er die erbrochenen Siegel und Karten, die von dem Spielinspektor des Klubs verwahrt wurden, aufs genaueste untersuchen. Darauf bestieg ich den Zug nach Kopenhagen und war nicht erstaunt, Suron dort zu treffen. Ich hatte eine Maske angelegt, die es ihm unmöglich machte, mich zu erkennen. Nicht wahr, Suron, gegen den französischen Handelsreisenden, der Ihrer Schwester gegenübersaß, nährten Sie nicht den geringsten Verdacht?«
Suron beschränkte sich darauf, die Augenbrauen hochzuziehen, aber diese Bewegung verriet, daß die Mitteilung ihm neu und überraschend war.
»Dagegen überraschte es mich, daß Fräulein Aino in Helsingör ausstieg. Damals war mir der Zusammenhang ja noch nicht klar. Jetzt verstehe ich ihn besser. Soeben rühmte ich mich der Verkleidung als französischer Handelsreisender. Darf Ihnen, Suron, jetzt mein Kompliment machen über Ihre glänzende Maske als Schiffsreeder Joh. P. Christensen. Ich erkannte Sie nicht in Helsingör und auch später nicht.«
Bisher hatte Hansten-Jensen Krags Schilderung zugehört und sich emsig Notizen gemacht. Jetzt legte er seinen Bleistift mit einem kleinen Knall auf den Tisch, lehnte sich zurück und brach in ein schallendes Gelächter aus.
Christensen sagte ruhig und ernst:
»Nach und nach wird mir alles klar. Ich begreife nur nicht, wie ein Mensch so unverschämt sein kann.«
»Hasard!« antwortete Krag. »Suron ist ein ausgesprochener Hasardspieler, dreist, brutal. Das stimmt auch genau mit den Aufschlüssen überein, die ich soeben von meinem Gewährsmann aus Christiania erhalten habe. Damals aber war ich der bestimmten Meinung, daß es Schiffsreeder Joh. P. Christensen sei, der mit seiner Privatsekretärin von Helsingör nach Kopenhagen fuhr, um dort große Geschäfte abzuschließen.«
Als Krag merkte, daß Jos bei diesen Worten Unruhe verriet, fügte er hinzu:
»Auf die Art dieser Geschäfte will ich hier nicht näher eingehen. Nur erwähnen möchte ich, daß es sich um den Ankauf von Plantagen der ›Orient-Gesellschaft‹ handelte und daß man allgemein von einer Kaufsumme von fünfunddreißig Millionen Kronen sprach. Wegen dieses Geschäftes war Jos nach Kopenhagen gekommen. Natürlich waren schon vorher schriftliche Verhandlungen darüber geführt worden, vielleicht brauchte der Vertrag nur noch unterschrieben zu werden. Der falsche Jos führte natürlich alle Dokumente mit sich, die er von der Privatsekretärin bekommen hatte. Außerdem hatte dieser Jos ein Bankkreditiv und gewisse diskrete Aufträge von Freunden in Christiania, darunter von Reismann, daß er die Hausse in der ›Dänischen Orient-Gesellschaft‹, die unfehlbar eine Folge von Jos' großzügiger Finanzoperation sein würde, aufs beste ausnutzen sollte. So war unser Freund Jos glänzend ausgerüstet. Nur daß unser Freund Jos nicht Jos, sondern Suron war, während der richtige Jos in Surons Sporthütte gefangengehalten wurde. Ich muß zugeben, daß selten ein Hasardspieler und Schwindler solch gute Karten in der Hand gehabt hat. Daß das Spiel trotzdem nicht glückte, liegt, glaube ich, an meiner Anwesenheit in Kopenhagen.«
Nach einer kleinen Pause fuhr Krag fort:
»Obgleich ich anfänglich keinen Verdacht hegte, daß Jos nur ein verkleideter Betrüger sei, kam mir die ganze Sache nach und nach doch merkwürdig vor. Vor allen Dingen konnte ich mich an die Telegramme meines Mitarbeiters in Christiania halten. Er war dem ›Excelsior‹-Auto beständig gefolgt und hatte entdeckt, daß die Sporthütte etwas Mystisches an sich hatte. Ferner hatte er durch genaueste Untersuchung der Karten des Klubs festgestellt, daß sich Fingerabdrücke darauf befanden, die weder Reismanns, Stenesens noch die des Spielinspektors waren. Ich möchte darauf wetten, daß es Surons sind und ich bin neugierig, welche Aufschlüsse uns die Polizei in Monte Carlo, Ostende und London geben wird, wenn wir uns bei ihr nach Anders Suron aus Helsingfors erkundigen.
Was meinen Verdacht, daß Suron ein falsches Spiel trieb, bestärkte, war der Umstand, daß er Jos hier in Kopenhagen auswich, obgleich er mit ihm befreundet war. Ich sah sie nie zusammen. Entschuldigen Sie, bester Herr Christensen, daß ich Sie eine kurze Zeit wegen eines Liebesverhältnisses im Verdacht hatte, bei dem Fräulein Aino der Mittelpunkt war. Jetzt wissen wir ja alle nur zu gut, warum Herr Christensen und Suron sich nie zusammen zeigten. Sie waren ein und dieselbe Person. Schließlich beschloß ich, Jos persönlich in meiner Verkleidung als französischer Handelsreisender einen Besuch zu machen, um Gewißheit zu erlangen. Ich traf Jos nicht an, statt dessen kam Suron aus seinem Zimmer. In dem Augenblick, als ich ihn sah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und um mich aus der unerwarteten Situation zu retten, machte ich eine Szene, die damit endete, daß man mich hinauswarf.
Plötzlich stimmten alle meine Berechnungen. Suron hatte als Jos mit der ›Dänischen Orient-Gesellschaft‹ unterhandelt. Diese Unterhandlungen hatte er benutzt, um an der Börse zu spekulieren. Er wußte ja genau, ob das Papier steigen oder fallen würde. Nun hätte er sich damit begnügen sollen, Reismanns Depositionen und Christensens Kreditiv zu heben, samt den anderen Wertpapieren, zu denen er durch Christensens Bank Zugang hatte, zu realisieren, dann wären wir seiner vielleicht niemals habhaft geworden. Aber er sah die Möglichkeit eines noch größeren Gewinnes und da wurde er von der Spielleidenschaft ergriffen. Er entwarf einen Plan, der es ihm möglich machte, sich und seine Schwester zu retten, ja, vielleicht nach Christiania zurückzukehren und dort ein angenehmes Leben weiterzuführen. Dieser Plan aber war nur durch einen Mord durchführbar. Gestern abend ging er als Jos verkleidet aus, spielte den Betrunkenen, der nach einem Besuch bei der ›roten Constance‹ verschwand und dessen blutbefleckten Rock man in einer der berüchtigten Seitenstraßen Kopenhagens fand. Darauf konnte Suron sich, von seiner Verkleidung befreit, ruhig in Kopenhagen zeigen und sich mit seinem Raub hinbegeben, wohin er wollte, während Kopenhagen noch eine unaufgeklärte Raubmordgeschichte mehr zu verzeichnen gehabt hätte.
Durch meine Mitarbeiter in Christiania war Jos mittlerweile befreit worden. Ich ließ ihn bitten, den Zusammenhang der Sache zu verschweigen und sich sofort mit seinem Auto hierherzubegeben. Das Wetter war herrlich und die Reise ging schnell vonstatten. Durch Fräulein Erko habe ich erfahren, was Suron an der Sache verdient hat. Es genügt, um die Betrügerei mit den versiegelten Karten, Reismanns Verlust, das abgehobene Kreditiv und alle anderen Ausgaben zu decken. Das Geld ist in Sicherheit. Lieber Jensen, tun Sie jetzt Ihre Pflicht.«
Mit einem Wutschrei sprang Suron auf, im nächsten Augenblick aber war er übermannt und in Eisen gelegt.
»Um aber das Spiel zu gewinnen,« sagte Jos empört, »hätte ich doch aus dem Wege geräumt werden müssen. Glauben Sie wirklich, daß er das im Sinn hatte?«
»Ich sagte ja bereits,« antwortete Krag ernst, »daß Mord mit im Spiel war.«
*
Der Fall Suron kam nicht vor Gericht.
Was Jos mit Gerichtsadvokat Annebye vereinbarte, gehört nicht in diese Erzählung. Tags darauf stiegen die Aktien der »D. O. G.« um fünfundsiebzig.
Asbjörn Krag und Hansten-Jensen aber spekulierten nicht mehr, denn zeitig am Morgen hatten sie sich mit dem finnischen Geschwisterpaar auf die Reise begeben, um es an der finnischen Grenze der zuständigen Polizei zu übergeben, die ihm mit großem Interesse entgegensah.
Joh. P. Christensen hatte ausdrücklich solche Lösung der Angelegenheit gewünscht. Bei näherer Ueberlegung hatte er nämlich gefunden, daß es schade sein würde, wenn eine sensationelle Gerichtsverhandlung den munteren Scherz verdürbe, den die »Aktiengesellschaft der 7. Dezember« so verdienstvoll durchgeführt hatte.