Der Schriftsteller Eivind Oedegaard

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Asbjörn Krag machte einen etwas theatralischen Eindruck, als er nach diesen Worten mit der Hand ausschlug, als ob er einen Unglücksfall bedauerte. Doktor Ovesen starrte ihn wie verhext an. Kapitän Färden hatte sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten, abwartend und neugierig; jetzt aber sah man seiner gespannten Miene an, daß er auf »hartes Wetter« gefaßt war. Doktor Ovesen kreuzte die Arme, und lächelnd, als ob er einen guten Witz genösse, sagte er zu Krag:

»Sprechen Sie von dem Verfasser Eivind Oedegaard, der sich vor einer Stunde hier aufhielt? Hier, in diesem Zimmer. Hier

Er zeigte demonstrativ mit seinem langen Zeigefinger auf den Fußboden.

»Derselbe,« antwortete Krag. »Ich spreche von dem Schriftsteller Oedegaard. Soviel ich weiß, gibt es nur einen dieses Namens.«

»Ha! Ha! Ha!«

Doktor Ovesen lachte laut und nervös. Dann wurde er plötzlich still und sank in einen Sessel. Legte darauf die Handflächen gegeneinander, wie er bei wichtigen Konsultationen zu tun pflegte, und sagte kalt und abweisend:

»Tja, er wird wohl bald wieder hier sein.«

Krag nahm Doktor Ovesen gegenüber Platz, beugte sich vor und fragte:

»Wen meinen Sie?«

»Ich spreche von unserem Freund, dem Schriftsteller Oedegaard. Wir erwarten ihn.«

»Und ich spreche auch von ihm,« antwortete Krag. »Seien Sie überzeugt, daß er nicht kommt. Er ist verschwunden. Er ist genau auf dieselbe Weise wie die anderen verschwunden.«

Doktor Ovesen erhob sich, rot und erbittert.

»Mein Herr,« rief er mit bebender Stimme, »wissen Sie, wieviel die Uhr ist? Es ist sechs Uhr und noch zu früh am Morgen, um schlechte Witze zu verdauen. Außerdem bin ich Arzt und liebe solche Scherze nicht.«

Krag warf einen bittenden Blick auf Kapitän Färden, wie um seine Hilfe anzurufen, und Färden schritt auch gleich ein, um seinen aufgeregten Freund zu beruhigen.

»Ich finde, wir sollten Herrn Krag Gelegenheit geben, sich näher zu erklären,« sagte er. »Hier sind ja bereits so seltsame Dinge vorgefallen, daß ein mysteriöser Fall mehr oder weniger uns nicht in Erstaunen zu setzen braucht.«

Doktor Ovesen ließ sich von Färdens Worten beruhigen, drückte indessen durch seine Haltung aus, daß er dieser ganz unnötigen und wertlosen Zeitverschwendung nur mit äußerster Ungeduld begegnete.

»Als Herr Oedegaard uns verließ,« erklärte Doktor Ovesen, »wollte er sich zuerst zu seiner Zeitung begeben, um eine Notiz über die verschwundenen Herren aufzugeben. Darauf wollte er sich an einen Freund wenden, von dem er annahm, daß er uns in dieser mystischen Angelegenheit von großem Nutzen sein könnte. Darf ich davon ausgehen, daß Sie dieser hilfreiche Freund sind?«

»Es kann kein anderer sein,« antwortete Krag ernst.

»Ha, ha! Entschuldigen Sie, daß ich lache. Oedegaard sucht Sie auf, damit Sie uns beim Suchen nach unseren verschwundenen Freunden helfen. Und das erste, was Sie tun, ist, Oedegaard auch verschwinden zu lassen. Ich habe viel Vorteilhaftes von Ihnen gehört, mein Herr, aber Sie werden es mir nicht verübeln, daß diese Einführung mich etwas mißtrauisch macht. Außerdem erwähnten Sie einen hellblauen Brief. Sie scheinen die Sache also zu kennen. Woher wissen Sie das Geheimnis von den hellblauen Kuverts? Ich gebe zu, daß ich auf Oedegaards Ernsthaftigkeit nicht allzu fest baue, Schriftsteller und Dichter sind ja unberechenbar; wenn Sie sich die ganze Sache aber als einen prächtigen Witz ausgedacht haben, dann möchte ich ...

Asbjörn Krag hatte sich während Doktor Ovesens beleidigter Rede vorgebeugt und einen Papierfetzen nach dem anderen vom Fußboden aufgesucht. Jetzt unterbrach er plötzlich den Sprechenden.

»Wir wollen die Zeit nicht unnütz vergeuden,« sagte er. »Durch ein Telephongespräch wurde ich in die Hauptpunkte der Sache eingeweiht. Um Sie zu beruhigen, will ich nun berichten, wie es mit Oedegaards Verschwinden zusammenhängt. Anstatt Ihrem Abscheu über Scherze Ausdruck zu geben, sollten Sie lieber bedenken, daß es sich hier um das Wohlergehen mehrerer guter Freunde handelt.«

Kapitän Färden unterstützte Krag durch eine Bemerkung. Doktor Ovesen schwieg und zündete sich eine Zigarette an, um sich zu beruhigen.

Krag fuhr fort:

»Vor einer Stunde wurde ich durch den telephonischen Anruf von Oedegaard geweckt. Da es um die Stunde war, wo ich aufzustehen pflege, war ich gleich wach. Oedegaard befand sich in der Druckerei der Zeitung und hatte gerade durchgesetzt, daß die Notiz, die die Herren sicher kennen, in der Morgennummer stehen sollte. Er las mir die Notiz vor, und als ich erfuhr, daß sie an hervorragender Stelle in der redaktionellen Abteilung seiner eigenen Zeitung stehen sollte, wurde ich sehr interessiert, denn ich begriff, daß es sich um etwas Ernstes handeln mußte.«

»Kurz und gut, meine Herren,« fuhr der Detektiv fort, »ich bat ihn um nähere Aufklärung, und er teilte mir durchs Telephon die Hauptpunkte mit. Direktor Reismanns Verschwinden war mir bereits bekannt. Ich bin selbst Mitglied des Freisinnigen Klubs und als ich dort gestern zu Mittag aß, erfuhr ich von dem Ereignis. Doch legte man der Sache kein sonderliches Gewicht bei. Erst nach von Brakels und mehr noch nach Oedegaards Verschwinden bekommt dieses Ereignis ein ernstes Gesicht. Oedegaard erzählte mir durchs Telephon von den hellblauen Briefen. Solche romantische Nebenumstände pflegen auf mich keinen Eindruck zu machen. Ich weiß aus Erfahrung, daß eine Sache allein dadurch mystisch werden kann, daß Leute, die die näheren Umstände nicht kennen, sich an besondere Phänomene halten, ohne sie im Zusammenhang mit dem übrigen zu sehen. Wenn es uns geglückt ist, diese Sache aufzuklären, wird es sich zeigen, daß es auch mit diesen hellblauen Briefen nichts weiter auf sich gehabt hat. Ich war anfangs geneigt, Oedegaard zu raten, daß er die ganze Sache auf sich beruhen lassen sollte. Als ich aber hörte, daß man dieses Zimmer von oben nach unten gekehrt hatte, bekam ich eine Ahnung, daß hinter dem scheinbar Burlesken sich vielleicht doch etwas Ernstes, vielleicht sogar eine Tragödie verbarg. Darum sagte ich Oedegaard, er solle mich gleich abholen, ich würde mich in der Zwischenzeit ankleiden. Als ich fertig war, öffnete ich die Haustür. Ich wohne im vierten Stockwerk, kann aber die Haustür vermittels einer elektrischen Leitung öffnen.

Da hörte ich ein Auto kommen. Ich öffnete das Fenster und sah hinaus. Es war noch ganz dunkel, im Schein des weißen Schnees aber konnte ich sehen, daß nicht ein, sondern zwei Autos vor meinem Hause hielten. Ein großer Herr im Ueberzieher, in dem ich Oedegaard zu erkennen meinte, verhandelte mit einem der Chauffeure. Ich rief hinunter:

›Bist du es, Oedegaard?‹

Der Mann blickte nach oben und antwortete:

›Ja, ich komme gleich. Wirf den Schlüssel herunter.‹

Ich erkannte ihn. Es war Oedegaard. Ich rief zurück:

›Die Tür ist offen. Ich werde die Treppenbeleuchtung andrehen.‹

Damit ging ich ins Treppenhaus und zündete das elektrische Licht an. Ich hörte ihn durch die Haustür gehen und sah auch den Schatten seiner langen Gestalt zwischen dem Treppengeländer. Ich rief wieder zu ihm hinunter:

›Nimm den Fahrstuhl! Ich warte hier.‹

›Ja,‹ antwortete er eifrig.

Ich erkannte seine Stimme.

Dann begann der Fahrstuhl nach oben zu steigen, ich konnte seinem Gang durch die roten Lichter folgen, die sich auf der Tafel zeigten. Was aber geschieht, meine Herren? Zwischen dem zweiten und dritten Stockwerk macht der Fahrstuhl plötzlich halt. Oedegaard hat auf den Knopf gedrückt. Darauf fährt er wieder nach unten und bleibt beim zweiten Stockwerk stehen. Ich höre, daß die Fahrstuhltür geöffnet wird und daß er den Fahrstuhl verläßt. Ich kann seinen Schatten zwischen dem Treppengeländer sehen.«