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Der Schweizer Oberkellner

Inhaltsverzeichnis


Der Hexer hatte einen eigentümlichen Charakter. Er war anderen Leuten gegenüber hilfsbereit, aber er half stets auf eine eigene Weise. In Scotland Yard hielt man ihn für eitel und hoffte immer, ihn eines Tages dadurch zu fangen. Stets hatte er darauf reagiert, wenn sein Name direkt genannt wurde. Nur Chefinspektor Bliss teilte die Ansicht der anderen Beamten nicht.

Die drei Verbrecher Lijah Hollander, Grab Sitfort und Lee Moräne arbeiteten zusammen. Der alte Lijah hatte ein durchfurchtes Gesicht; Grab war von großer Gestalt und zeigte ein offenes, gewinnendes Wesen. Er hatte bereits weiße Haare und gab sich als Farmer aus Alberta aus. ›Dr.‹ Morane war ein ungeschlachter Mensch mit abstoßendem Äußeren und schlechten Manieren. Ob er überhaupt jemals auf der Universität einen Grad erworben hatte, wußte man nicht, aber auf jeden Fall verstand es niemand besser als er, die Karten zu mischen. Er war der Führer der Bande und übernahm in Streitfällen eine ganz besondere Aufgabe. Der kleine, schmächtige Lijah Hollander war wie Grab äußerst liebenswürdig. Aber der Doktor wurde sofort unleidlich, wenn eines ihrer Opfer auch nur die leiseste Andeutung machte, daß das Spiel nicht ehrlich sei.

Mr. Bliss hatte schon häufig geäußert, daß der Hexer seiner Meinung nach den besten Nachrichtendienst in ganz Europa organisiert habe; aber seine Verbindungen erstreckten sich wahrscheinlich auch nach Amerika hinüber.

Der Dampfer ›Romantic‹ war noch sechzehn Stunden von Southampton entfernt. Im Rauchsalon hielt sich kaum noch jemand auf, denn um Mitternacht waren die vernünftigen Passagiere zu Bett gegangen. Immerhin waren doch einige aufgeblieben, um Poker zu spielen. Unter ihnen befand sich auch ein Journalist, der New York besucht hatte, um unterwegs die Methoden der Verbrecher auf den großen Dampfern zu studieren. Er war Kriminalreporter einer bedeutenden Zeitung Londons, hatte aus beruflichem Interesse an dem Spiel teilgenommen und vierzig Pfund verloren, bevor er wußte, was los war. Daraufhin zog er sich zurück und beobachtete von einem Seitentisch aus die Spieler. Als das letzte Opfer mit hochrotem Kopf und in großer Erregung gegangen war, trat er wieder zu Dr. Morane und seinen Verbündeten.

»Vierzig Pfund haben Sie mir vorhin abgenommen – die werden Sie mir jetzt wieder zurückgeben. Ich lerne gern dazu, aber ich lasse mich nicht um mein Geld betrügen.«

»Hören Sie einmal ...« begann der Doktor und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

»Den ganzen Abend habe ich Sie nun beobachtet und gesehen, wie Sie die vier obersten Karten abhoben. Sie machen das so gerissen, daß es kein anderer merkt. Also, wenn Sie nicht vernünftig sein wollen, muß ich Ihnen einmal die Situation klarmachen. Bei Tagesanbruch kommt ein Beamter von Scotland Yard an Bord, und ich bin Kriminalreporter des ›Megaphon‹. Wenn Sie meiner Aufforderung nicht folgen, mache ich Ihnen mehr Scherereien als ganz Scotland Yard – die vierzig Pfund habe ich sauer verdient. Danke.«

Der Doktor hatte ihm während der letzten Worte das Geld über den Tisch geschoben und war nicht aufgebraust, wie es sonst seine Gewohnheit war. Ja, er bestellte sogar noch vier Whisky-Soda.

»Sie haben eine vollkommen verkehrte Meinung von uns, aber wir sind Ihnen deshalb weiter nicht böse«, erklärte er, als der Steward die Gläser auf den Tisch stellte. »Als Sie mich eben ankrakeelten, glaubte ich schon, Sie seien der Hexer.« Er lachte verschmitzt. »Hören Sie, wenn der Hexer in New York wäre, hätte man ihn schon vor Jahren gefaßt. Einmal hat er auch versucht, mich zu bluffen, aber da habe ich ihm die Zähne gezeigt. Das ist eine Tatsache – nicht wahr?«

Grab nickte. »Ja, so war es«, sagte er und gähnte.

»Persönlich habe ich ihn allerdings nicht getroffen. Wir sprachen nur am Telefon miteinander. Ich wohnte damals im Astoria in London. Hätte ich ihn tatsächlich vor mir gehabt, so wäre der Hexer erledigt gewesen. Meinst du nicht auch, Grab?«

Der weißhaarige Grab stimmte wieder zu. Er hatte überhaupt die Aufgabe, stets zu bestätigen, was der Doktor glaubte, behauptete, versicherte oder annahm.

Kurz darauf endete die Unterhaltung.

Die drei Spieler verließen den Dampfer in Cherbourg und reisten nach Süden weiter, denn um diese Jahreszeit hielten sich die reichen Engländer gern in den sonnigen Gegenden Südfrankreichs auf. Moräne und seine Freunde blieben einige Zeit in Paris und fuhren dann in verschiedenen Zügen nach Nizza, wo sie auch in getrennten Hotels wohnten. Hier gelang es ihnen, einen reichen Brasilianer beim Spiel auszuplündern. Nach Monte Carlo gingen sie nicht, denn dort bedeutete das Spielkasino eine zu große Konkurrenz für sie. Sie fuhren über Cannes und San Remo nach Mailand und wandten sich dann der Schweiz zu.

»Im Rhonetal gibt es einen neuen Kurort, in dem ein Hotel nach dem andern gebaut wird«, meinte Morane. »Sie haben eine neue Bobbahn dort eingerichtet, die gefährlicher ist als alles, was man bisher erlebt hat. Es kommen so viele Fremde hin, daß die Leute auf den Billardtischen schlafen.«

*

Eine Woche später kam ›Mr. Pilking‹, alias Grab Sitfort, in das Hotel Excelsior und stampfte den Schnee von den Füßen. Ein unheimlicher Sturm tobte im ganzen Rhonetal. und die einzige Straße des kleinen Dorfes Arcy-sur-Rhône war eine weiße Schneewüste, durch die sich selbst die Schlitten nur mit Mühe einen Weg bahnen konnten.

Mr. Pilking trug einen Skianzug von dunkelblauem Tuch. Seine Skier hatte er in der Hotelhalle an die Wand gelehnt, aber die langen Stöcke hatte er noch in der Hand. Er verlangte seinen Schlüssel und nahm auch die Post in Empfang, die inzwischen für ihn angekommen war. Dann ging er durch die weite Halle die Treppe hinauf zu seinen Zimmern.

Die Gäste des Hotels wußten nur von ihm, daß er große Geschäftsinteressen in Mittel- und Nordengland hatte. Er erzählte, daß er sich eigentlich nicht einmal während seines Urlaubs Ruhe gönnen könne, aber seine Post war nicht sehr umfangreich.

Ob Mr. Sam Welks eigentlich hierher gehörte, war zweifelhaft. Er war ein starker, untersetzter Herr, der den ganzen Tag im Sportanzug herumlief. Nicht einmal zum Abendessen kleidete er sich um und benahm sich auch sonst auffällig.

Mr. Pilking sah ihn im Vorübergehen. Der Mann hatte sich mit dem Rücken an einen Pfeiler gelehnt und gestikulierte heftig mit den Händen, wobei seine vielen Brillantringe im Licht der großen elektrischen Kronleuchter aufblitzten.

»Nein, mir geht nichts über London. Sie können über die Schweiz und die Berge sagen, was Sie wollen, so schön wie ein Frühlingstag am Themseufer ist sonst nichts auf der Welt. Dafür schenke ich Ihnen Paris, Berlin, Wien, Venedig und Rom. Über London geht eben nichts. Vor allem nicht New York, sosehr die Amerikaner auch den Schnabel aufreißen. Und für mich ist London ein ganz besonders gutes Pflaster. Ich habe dort in einer Woche mehr verdient als die dicken amerikanischen Millionäre in einem ganzen Jahr. Ja, wer's versteht, kann in London Geld machen ...«

Er sprach gewöhnlich über Geld. Der Oberkellner mit dem schwarzen Haar, der alle europäischen Sprachen beherrschte, hörte schweigend zu und lächelte vor sich hin, denn er kannte London auch ganz genau. Er war erst seit einer Woche in diesem Hotel angestellt, aber er wußte bereits über jeden Gast Bescheid. Zufällig war er am selben Tag eingetroffen wie Mr. Pilking und seine beiden Freunde.

Dr. Morane schaute auf, als Grab ins Zimmer stapfte.

»Du hast dich ja ordentlich mit den Skiern vergnügt«, sagte er bewundernd. »In meiner Jugend habe ich die Kunst auch geübt. Vielleicht schnalle ich mir die Bretter mal wieder an und gebe Sam Unterricht.«

Lijah Hollander wachte aus seinem Halbschlaf auf und goß sich ein Glas Wasser ein.

»Wir speisen heute abend mit diesem Sam Welks, Grab«, sagte er. »Ich habe mich nach Tisch mit ihm angebiedert. Natürlich habe ich ihn zuerst gewinnen lassen, denn ich dachte, daß es besser sei, ihm erst einmal Appetit zu machen. Der Kerl ist allerdings kolossal gerissen, das habe ich schon heraus.«

Morane schenkte sich ein Glas Whisky ein.

»Einen gerissenen Jungen mag ich gern, aber ich kann Oberkellner nicht leiden, die mich an jemand erinnern, den ich schon einmal gesehen habe.«

Grab schaute den Doktor scharf an.

»Alle Oberkellner sehen sich mehr oder weniger ähnlich. Es ist sehr leicht möglich, daß wir ihm schon einmal begegnet sind. Diese Leute sind auch wie die Zugvögel und wandern wie wir von Hotel zu Hotel, je nach der Saison. Besinnst du dich noch auf den Kerl in Seattle, mit dem du geboxt hast? Das war zu der Zeit, als du noch mit Luise Podolski herumliefst.«

Der Doktor machte ein böses Gesicht, denn an diese Affäre durfte man ihn nicht erinnern. Er wurde immer nervös, wenn er an die Nacht in dem kleinen Hotel in Seattle dachte. Er hatte Luise Podolski in seiner Betrunkenheit verprügeln wollen, und nur durch das Dazwischentreten eines deutschen Kellners war sie davor bewahrt worden.

»Luise war eines der hübschesten Mädchen«, sagte Hollander nachdenklich.

»Halt den Mund, ich will nichts von Luise hören« brüllte der Doktor. »Die Frage ist, lassen wir diesen Welks heute abend gewinnen, oder machen wir gleich ganze Arbeit?« Grab war dafür, ihn erst hinzuhalten, aber er konnte für gewöhnlich die Lage nicht richtig beurteilen. Hollander meinte, daß Sam Welks eine einmalige Gelegenheit sei.

»Diese gerissenen Jungens sind alle so«, sagte er. »Man läßt sie zuerst gewinnen, und wenn sie einem das Geld abgeluchst haben, packen sie ein und sagen, sie wissen genau, wann sie aufhören müssen zu spielen, und man sieht sie nie wieder. Wir werden ihn heute abend ordentlich einseifen und ihm soviel als möglich abnehmen. Vielleicht will er dann morgen das Geld wieder von uns zurückgewinnen.«

Morane stimmte zu.

Hollander klopfte die Zigarrenasche von seiner Weste, kämmte sein wildes Haar zurecht und ging nach unten, um das Opfer zu suchen.

Mr. Welks, der überhaupt selten einmal schwieg, schwang gerade wieder große Reden. Hollander sah den neuen Oberkellner im Hintergrund, der alles genau beobachtete.

Mr. Welks war in ärgerlicher Stimmung, denn der Geschäftsführer des Hotels hatte ihm in der höflichsten Weise zu verstehen gegeben, daß es eine Höflichkeit den anderen Gästen gegenüber wäre, abends einen Smoking anzuziehen.

»Solche Verrücktheit«, polterte er. »Das paßt doch nicht mehr in unsere Zeit! Das ist ein Snobismus, der die Klassenunterschiede betonen will! Ich habe dreiundzwanzig Jahre in Leytonstone gelebt und mir niemals abends einen schwarzen Kittel angezogen, höchstens, wenn ich irgendwo eingeladen war. Warum soll ich mir denn hier diese Mühe machen, wo ich mich doch erholen will? Es ist geradezu skandalös! Ich zahle überall mein gutes Geld, wo ich wohne. Hier muß ich siebenundzwanzig Schweizer Franken zahlen, und wenn ich mich dafür nicht einmal kleiden kann, wie ich will, werde ich mir eben ein anderes Hotel suchen. Ich möchte wissen, warum ich mich wie so ein verdammter Kellner anziehen soll!«

Mr. Hollander sah das spöttische Lächeln in den Zügen des Oberkellners, obwohl sich der Mann den Anschein gab, nicht zuzuhören.

»Da haben Sie vollkommen recht«, pflichtete er bei. »Wenn ich mich ankleiden will, dann kleide ich mich an, und wenn ich es nicht will, dann lasse ich es eben bleiben.«

»Sehen Sie, Sie sind ein vernünftiger Mann«, erklärte Mr. Welks.

Hollander nahm ihn am Arm und ging mit ihm zur Bar.

»Wenn Sie irgendwelche Unannehmlichkeiten hier im Hotel haben sollten, dann halte ich selbstverständlich zu Ihnen. Mr. Pilking ist auch ein tadelloser Kerl. Der ist ebenso wie ich Amerikaner und vollkommen unserer Meinung.«

Sie stießen miteinander an, und Mr. Welks nahm die Einladung zum Abendessen in dem Wohnzimmer Mr. Pilkings an.

Die beiden anderen kamen wie von ungefähr auch an die Bar, um diese Einladung zu bestätigen. Eine Stunde lang führte Mr. Welks das große Wort und sprach von seinen Baukontrakten, von dem Geld, das er während des Krieges verdient hatte, und von den traurigen Verhältnissen seiner Konkurrenten, die es nicht so gemacht hatten wie er. Der Mann war derart egozentrisch, daß er nur von sich und seinen Angelegenheiten reden konnte, und er war auch so naiv, daß er glaubte, alle Leute müßten sich dafür ebenso interessieren wie er.

Nachdem er gegangen war, begab sich Dr. Morane auf sein Zimmer, um noch einige notwendige Vorbereitungen für das Essen und das Spiel zu treffen, das sich daran anschließen sollte. Er drückte die Klinke der Wohnzimmertür herunter, fand sie aber verschlossen. Im selben Augenblick hörte er drinnen ein Geräusch, als ob ein Stuhl umgeworfen würde. Bevor er zur Bar hinuntergegangen war, hatte er das Licht brennen lassen, und als er sich jetzt bückte und durch das Schlüsselloch sah, war es vollkommen dunkel in dem Zimmer.

Er ging zur Tür seines Schlafzimmers, aber auch diese war von innen verriegelt. Bei Pilkings Schlafzimmer, das nebenan lag, hatte er mehr Glück, denn die Tür war nicht verschlossen. Er trat ein und machte Licht. Die Verbindungstür zwischen dem Schlaf- und dem Wohnzimmer stand weit offen. Er machte auch dort Licht. Zu seinem größten Erstaunen war die Tür vom Wohnzimmer zum Korridor nicht verschlossen, und als er darauf in sein eigenes Schlafzimmer ging, konnte er dasselbe auch bei der Tür von dort nach dem Gang feststellen.

Nirgends zeigte sich eine Spur, daß jemand in dem Zimmer gewesen war. Es befand sich alles in bester Ordnung, und wenn vorher ein Stuhl umgestoßen worden war, so stand er jedenfalls jetzt wieder aufgerichtet. Kurz entschlossen öffnete Morane den großen Kleiderschrank, aber er konnte nur die Anzüge und Mäntel entdecken, die er dort aufgehängt hatte.

Schnell trat er auf den Korridor hinaus und sah einen Mann, der anscheinend von der Treppe kam, einen Augenblick stillstand, als ob er sich überlege, was er tun solle, und dann verschwand. Aber Dr. Morane hatte den Oberkellner erkannt.

Tief in Gedanken versunken kehrte er in sein Zimmer zurück und durchsuchte es aufs neue. Aber er konnte nichts finden. Nachdem er die Türen abgeschlossen hatte, öffnete er einen kleinen Koffer, der auf einem Gestell stand und über hundert Päckchen Karten enthielt. Jedes war mit einem Gummiband zusammengehalten, und alle waren sorgfältig gemischt. Auch hieran konnte er nichts Auffälliges wahrnehmen. Er verschloß den Koffer wieder, ging zu seinen Freunden und erzählte das Vorgefallene.

»Es muß jemand im Zimmer gewesen sein, und ich weiß sehr wohl, wer es war.«

Hollander schaute ihn bestürzt an.

»Vielleicht ist einer der Kellner ein Detektiv? In St. Moritz hat die Schweizer Polizei damals auch ihre Detektive in ein Hotel geschickt und die Mosser-Gesellschaft verhaften lassen.«

»Dieser Oberkellner mit dem schwarzen Haar hat unsere Räume durchsucht. Das bedeutet nichts Gutes. Wir wollen Welks heute abend das Fell über die Ohren ziehen und dann machen, daß wir fortkommen, falls er etwas anzeigen sollte ...«

»Der wird nichts anzeigen«, erwiderte Hollander, der große Menschenkenntnis besaß. »Wie ich ihn beurteile, gibt er überhaupt nicht zu, daß ein anderer ihn 'reingelegt hat. Er wird wahrscheinlich ein zweites Mal spielen wollen, aber ich bin durchaus dafür, daß wir ihn rupfen, sobald wir können. Heute abend wollen wir einen großen Zug machen.«

*

Mr. Sam Welks ging nicht unvorbereitet in das Zimmer seines Gastgebers. Hollander hatte das Spiel vorgeschlagen, aber Mr. Pilking schien wenig Lust dazu zu haben. Er hatte schon unten an der Bar erklärt, daß er nicht gern um Geld spiele. Man wisse nie genau, ob die Leute, die beim Spiel verlören, sich den Verlust auch wirklich leisten könnten.

Sam Welks hatten diese Andeutungen in Harnisch gebracht, und er protestierte heftig dagegen, als sie vor dem Essen einen Cocktail tranken.

»Ich muß sagen, daß es mir ganz gleich ist, ob andere Leute verlieren oder nicht. Wenn sie es sich nicht leisten können, dann sollen sie eben die Finger von den Karten lassen. Dieser Oberkellner hatte doch tatsächlich die Frechheit, mir den Rat zu geben, daß ich nicht mit Fremden spielen solle. Ich habe ihm natürlich gesagt, daß er sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern solle. So eine Unverschämtheit ist mir wirklich noch nicht vorgekommen – wenn jemand beim Kartenspiel von mir gewinnt, nun, dann wünsche ich ihm viel Glück. Aber ich sage Ihnen, mich legt man nicht herein. Ich bin mit den gerissensten Leuten in London zusammengekommen, und die haben sich alle an mir die Zähne ausgebissen.« Er lachte selbstzufrieden. »Wissen Sie, wenn ein Mann so weit gereist ist wie ich, dann muß ein anderer schon sehr tüchtig sein, um ihn zu fangen. Einmal war ich in Margate ...«

Sie ließen ihn ruhig reden.

Das Abendessen in dem kleinen Salon war ein Erfolg. Grab war von Haus aus ein Feinschmecker und hatte das Menü mit größter Sorgfalt zusammengestellt.

Mr. Welks trug einen Sportanzug mit auffälligem Muster und als weiteren Verstoß gegen die guten Sitten ein dunkelrotes Seidenhemd mit weichem Kragen.

»Sie müssen mich nun einmal nehmen, wie ich bin. Andere Leute haben das auch tun müssen. Ich nehme keine Rücksicht und erwarte sie auch nicht von anderen. In meinem Haus in Leytonstone herrscht volle Freiheit in bezug auf Etikette. Ich frage keinen, wer sein Vater war und so weiter. Wenn ich gewollt hätte, wäre ich längst geadelt, aber darum kümmere ich mich nicht. Aus Titeln mache ich mir schon gar nichts.«

Als die Kellner nach dem Essen einen mit grünem Stoff bezogenen Spieltisch ins Zimmer schoben, protestierte Mr. Pilking wieder.

»Ich spiele wirklich nicht gern um Geld. Obwohl ich Sie beide sehr gut kenne, bin ich doch mit Mr. Welks erst sehr kurze Zeit bekannt, und ich habe es mir eigentlich zur Regel gemacht, nicht mit Fremden zu spielen.«

Er deklamierte diese Phrasen hundertmal im Jahr und hatte auch jedesmal den gewünschten Erfolg bei seinem Opfer.

»Hören Sie einmal zu«, entgegnete Welks heftig. »Wenn mein Geld Ihnen nicht gut genug ist, brauchen wir ja nicht zu spielen. Ich kenne Sie doch auch nicht! Und mein Geld ist doch wohl so gut wie jedes andere. Geld hat immer seinen Wert – hier ist meins.«

Er steckte die Hand in die Tasche und zog ein Paket Schweizer und englischer Banknoten heraus.

»Die Schweizer sind Tausender, und diese guten alten englischen Scheine sind Hundertpfundnoten. Nun zeigen Sie einmal Ihr Geld.«

Mr. Pilking konnte meisterhaft schauspielern. Nur zögernd brachte er es zum Vorschein. Die anderen folgten seinem Beispiel.

In der ersten Viertelstunde hatte Mr. Welks Glück. Mit diesem Trick arbeiteten die drei stets, wenn sie jemand übers Ohr hauen wollten. Morane legte unauffällig ein neues Spiel Karten auf den Tisch, während Welks sein Geld zählte und die kleinen Scheine von den großen sonderte.

»Heben Sie ab«, sagte er und schob ihm die Karten zu.

»Verteilen Sie«, entgegnete Mr. Welks.

Irgend etwas stimmte nicht mit den Karten. Welks sollte vier Königinnen in der Hand haben und der Doktor vier Könige. Morane hatte allerdings die vorher bestimmten Karten. Das Bieten begann.

Hollander warf seine Karten erst weg, als sechshundert Pfund geboten worden waren. Grab bot noch bis achthundert mit, dann folgte er Lijahs Beispiel. Der Doktor bot tausend.

»Und zweihundert«, sagte Welks kühn. Dr. Morane kalkulierte schnell. Der Mann war ein paar tausend Pfund wert, wenn man ihn nur in der richtigen Weise behandelte.

»Ich halte mit«, erwiderte er und wäre beinahe zusammengebrochen, als Mr. Welks triumphierend vier Asse zeigte.

Hollander nahm unauffällig die Karten vom Tisch, ließ sie mit einer blitzartigen Bewegung in seinen Schoß fallen und brachte ein neues Päckchen zum Vorschein. Diesen Trick handhabte er so gewandt, daß er von niemand darin übertroffen wurde.

»Geben Sie«, sagte der Doktor, als er abheben sollte.

Diesmal konnte kein Fehler unterlaufen sein. Er hatte vier Buben, und Hollanders Nicken und Grabs Gähnen verrieten ihm, daß jeder von ihnen ein As, einen König und eine Königin hatte. Mr. Welks zog noch zwei Karten, und Morane wußte nun, daß der Mann zwei Könige und drei Zehnen in der Hand hatte.

Sie boten bis achthundert. Das war allerdings schon eine sehr hohe Summe, selbst für ein gutes Blatt.

»Ich halte mit«, sagte Morane.

Dr. Welks legte eine Reihe von fünf Karten auf den Tisch.

»Dann muß ich Ihnen einen Scheck geben«, erklärte der Doktor, als er sich von seinem Schrecken einigermaßen erholt hatte.

»Geben Sie mir das bare Geld, das Sie auf den Tisch gelegt haben. Für den Rest nehme ich einen Scheck«, erwiderte Welks, der über seinen Erfolg äußerst erfreut war. »Ich bin zwar ein Geschäftsmann, alter Junge, aber ich verstehe auch etwas von Poker.«

Damit war das Spiel zu Ende. Sie waren viel zu klug, um Welks' Einladung abzulehnen, der seinen Sieg an der Bar feiern wollte. Später gingen die drei zusammen nach oben, und der Doktor schloß die Tür des Salons zu.

»Vor dem Essen muß jemand die Karten anders geordnet haben. Es kann nur dieser verdammte Oberkellner gewesen sein. Morgen werde ich mir den Mann einmal kaufen.«

»Was willst du denn mit ihm anfangen?« fragte Hollander verärgert. »Werden wir abreisen oder bleiben?«

»Wir fahren nicht eher, als bis wir das Geld zurückhaben und noch mehr dazu«, entgegnete Grab wütend. »Was sagst du dazu, Doktor?«

Morane nickte.

»Ich habe mich mit Welks sehr gut angefreundet. Wir laufen morgen vormittag zusammen auf dem Midi-Massiv Ski, und dabei kann ich für den Abend ganz unauffällig eine Revanchepartie ausmachen. Ihr bleibt zu Haus und ordnet die Karten.«

Eine Bergbahn brachte die Gesellschaft der Skiläufer am nächsten Morgen hinauf. Weil der obere Teil der Strecke vollständig verschneit war, stiegen sie schon beim Col du Midi aus, der einen haarscharfen Grat hat und fast senkrecht aus dem Midi-Massiv heraustritt. Mr. Welks war im Skilaufen sehr bewandert und führte seinen Begleiter die schneeigen Abhänge hinauf. Dabei sang er laut und wenig melodiös den neuesten Schlager.

Der Oberkellner war nicht im Zug gewesen. Der Doktor hatte sich öfter nach ihm umgesehen. Ein Schweizer Führer winkte ihnen heftig zu und machte allerhand Zeichen. Aber es schien niemand anders in ihren Weg zu kommen, und als Welks nach einer Stunde Anstiegs eine Pause machte, waren sie allein.

»Skilaufen können Sie gerade nicht besonders, mein Freund«, sagte Welks brüsk und offen.

Morane wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Wir müssen aber noch weiter«, sagte Welks und ging voraus.

Der Doktor sah, daß Welks sehr vorsichtig über einen schmalen Schneestreifen schritt, und erst, als auch er hinübergegangen war, verstand er. Sie hatten eine dünne Schneebrücke über einen tiefen Abgrund überquert.

»Das war gefährlich, meinen Sie nicht auch?« lächelte Welks. »Sie können jetzt Ihre Skier abschnallen.«

»Warum denn?« fragte Morane und runzelte die Stirn.

»Weil ich es Ihnen sage.«

Der Doktor schnallte die Skier tatsächlich ab, denn er tat stets, was man ihm sagte, wenn man ihn dabei mit einem Browning in Schach hielt.

Mr. Welks bückte sich schnell, hob die Hölzer auf und warf sie in den Abgrund.

»Auf der anderen Seite dieses Abhangs liegt italienisches Gebiet«, sagte er dann vergnügt, »und dort hinunter fahre ich jetzt. Was aus Ihnen wird, weiß ich nicht. Zu Fuß können Sie nicht über die Schneebrücke zurück. Aber vielleicht rettet Sie der Oberkellner, nebenbei einer der besten Schweizer Detektive. Er hatte ja sowieso die Absicht, Sie zu verhaften. Übrigens können Sie jetzt auch ruhig erfahren, daß ich die Karten gestern ein wenig anders gemischt habe.«

»Wer sind Sie denn?« fragte Morane kreidebleich.

Mr. Welks lächelte.

»Meine Frau hatte früher in Seattle eine Freundin – Luise Podolski. Erinnern Sie sich noch an sie?«

Bevor Morane antworten konnte, raste der Hexer schon den Abhang nach der italienischen Seite hinunter, und der Schnee wirbelte wie Dampf unter seinen Skiern auf.