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Der Mann mit dem Bart

Inhaltsverzeichnis


Es erregte in Scotland Yard allgemein Bedenken, daß Mr. Bliss alles selbst tun wollte. Er fragte niemand um Rat und benachrichtigte seine Vorgesetzten gewöhnlich erst von seinen Unternehmungen, wenn der Augenblick zur Verhaftung eines Verbrechers gekommen war.

Ein Musterbeispiel für seine geheimen Arbeitsmethoden bildete der Fall der Brüder Steinford. London war in der letzten Zeit mit gefälschten Zehnshillingnoten überflutet worden. Es war viel leichter, kleine Geldscheine unter die Leute zu bringen als Pfundnoten. Bliss übernahm selbst die Aufklärung des Falles, und als eines Tages einer der höchsten Beamten von Scotland Yard darauf drängte, daß etwas geschehen müsse, sagte der Chefinspektor nur: »Ja, ich werde mich darum kümmern.« Zu näheren Erklärungen war er nicht zu bewegen.

Er machte einige Reisen nach Mittelengland und ging nach Wales, um einen Sträfling in der Angelegenheit zu sprechen. Mit dessen Hilfe kam er auf die Spur eines gewissen Poggy, der einen Gemüseladen hatte und in der Gegend von East Greenwich wohnte.

Wenn die Fälschung der Zehnshillingnoten in Mr. Manders Büro erwähnt wurde, sah sein Assistent ihn nur kopfschüttelnd an. Der Mann schmeichelte seinem Vorgesetzten, weil er auf Beförderung hoffte. Die beiden legten dann die Stirn in Falten und lächelten sich verständnisvoll an. Von Bliss und seinen Methoden schienen sie nicht viel zu halten.

In einer vielgelesenen Wochenzeitschrift erschien ein Artikel ›Ist es möglich, den Hexer zu fangen?‹. Der Autor wurde nicht genannt, aber es wurde von ihm gesagt, daß er die größte lebende Autorität für diesen Fall sei. Die Arbeitsmethoden Henry Arthur Miltons waren genau beschrieben, desgleichen die vielen Mißerfolge, die eine gewisse Abteilung in Scotland Yard aufzuweisen hatte. In einem Absatz hieß es:

Nach allem, was gesagt worden ist, unterliegt es keinem Zweifel, daß die Beamten, die augenblicklich mit der Ergreifung des Hexers betraut sind, entweder nachlässig oder unfähig sind. Je regere Tätigkeit der Hexer entfaltet, desto träger scheinen die Amtsstellen in Scotland Yard zu werden, in deren Händen die Behandlung dieses Falles liegt.

Nun hat jeder Mensch gewisse Lieblingswendungen, die um so häufiger auftreten, je weniger er mit der Feder geübt ist. Mr. Bliss erkannte deshalb auch sofort Manders Stil und ließ ihn in sein Büro kommen.

Der Inspektor trat selbstbewußt und zuversichtlich ein, aber als er die ominöse Zeitschrift auf dem Schreibtisch seines Vorgesetzten liegen sah, wurde er kleinlaut.

»Haben Sie diesen Artikel hier gelesen, Mander?«

Der Inspektor räusperte sich.

»Nein«, entgegnete er dann so gleichgültig als möglich.

»Der Inhalt ist sehr interessant – Sie sollten die Zeitschrift nach Hause mitnehmen und ihn durchstudieren«, erwiderte Bliss eisig. »Allem Anschein nach ist der Artikel von jemand geschrieben, der nichts von der Sache versteht und nur seinen Vorgesetzten etwas anhängen will. Ein wertloses Gewäsch!«

Bliss sah von der Seite, daß Mander dunkelrot geworden war.

»Unter anderem sagt der Mann«, fuhr er fort, »aber am besten lese ich Ihnen die Stelle vor:

›Der Hexer ist nicht so schlau, wie man allgemein annimmt. Nur durch eine Serie glücklicher Umstände ist es ihm bisher gelungen, zu entkommen. Aber früher oder später wird der eine Mann in Scotland Yard, der fähig ist, diese Aufgabe zu lösen, wenn er auch dem breiten Publikum bis jetzt nicht bekannt ist, diesen gefährlichen Verbrecher fangen und den Gerichten ausliefern.‹

Hieraus muß man folgern, daß wir in Scotland Yard einen neunmalklugen Beamten unter uns haben. Kennen Sie ihn zufällig?«

»Nein«, entgegnete Mander unnötig laut.

Bliss nahm die Zeitung mit den Fingerspitzen, als ob sie ein übelriechendes Ding sei, und ließ sie in den Papierkorb fallen.

»Solches Geschwätz kann einen wirklich krank machen. Der Verfasser ist außerdem ein sehr unkluger Mensch, denn er hat den Hexer dadurch direkt herausgefordert. Meiner Erfahrung nach hat Milton stets auf Herausforderungen reagiert. Ich weiß nicht, ob der Schreiber Ende nächster Woche noch am Leben ist, denn in dem Artikel stehen ein paar recht häßliche Bemerkungen über den Mut und den Scharfsinn des Hexers.«

Ein peinliches Schweigen folgte, aber endlich raffte sich Mr. Mander zu einer Äußerung auf.

»Wer mag den Artikel wohl geschrieben haben?« fragte er.

Bliss schüttelte den Kopf.

»Offenbar irgendein hysterisches Weibsbild.« Er fischte die Zeitschrift wieder aus dem Papierkorb heraus und reichte sie seinem Untergebenen. »Lesen Sie sie ruhig durch – Sie werden sich über den Blödsinn totlachen.«

Offenbar gab es auch Leute, die mit dem Artikelschreiber sympathisierten und übereinstimmten. Mr. Mander wohnte in Maida Vale und benützte gewöhnlich auf dem Nachhauseweg die Untergrundbahn. Eines Abends trat der Polizist Olivan mit ihm zusammen in ein Abteil ein. Er grinste, als er den Inspektor erkannte, grüßte und nahm dann mit einer Entschuldigung neben ihm Platz.

Mr. Mander war es nicht unangenehm, wenn er von Polizisten in Uniform gegrüßt wurde. Er gehörte zu den wenigen seiner Kollegen, die es für angezeigt gehalten hätten, einen Inspektor der Kriminalpolizei durch einen goldenen Stern oder eine ähnliche Dekoration kenntlich zu machen, damit gewöhnliche Sterbliche die nötige Ehrfurcht vor ihm zeigten.

»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich rauche?« fragte Olivan.

Er hatte anscheinend seinen Dienst hinter sich und steckte sich eine Tonpfeife an, nachdem der Inspektor seine Genehmigung gegeben hatte.

»Ich habe Sie sofort erkannt, denn ich habe Sie schon bei verschiedenen großen Kriminalfällen vor Gericht gesehen«, sagte er und lächelte Mander gutmütig zu.

»Es ist doch merkwürdig, erst heute morgen habe ich mit unserem Sergeanten von Ihnen gesprochen – wenn ich mir die Freiheit nehmen darf.«

Mr. Mander neigte gnädig den Kopf.

»In einer Zeitung – den Namen habe ich vergessen – habe ich nämlich etwas über den Hexer gelesen. Und da sagte ich zu dem Sergeanten: ›Ich wette, daß der Beamte, den der Artikelschreiber meint, Mr. Mander ist.‹«

»Ich habe den Artikel nicht gelesen«, erwiderte der Inspektor.

»Das müssen Sie aber unter allen Umständen tun«, erklärte Olivan ernst. »Es wird nämlich viel von den Zuständen in der Kriminalabteilung gesprochen. Wissen Sie, was ich glaube? Ich will nichts Ungebührliches gegen meine Vorgesetzten sagen, aber ich meine, ein gewöhnlicher Polizist könnte den Hexer besser erwischen als die Leute, die sich jetzt in Scotland Yard darum kümmern.«

»Das möchte ich nun nicht behaupten.«

»Natürlich sind Sie nicht der Ansicht. Aber ich kenne den Polizeidienst in- und auswendig, denn ich bin zweiundzwanzig Jahre dabei. Als ich sieben Jahre hinter mir hatte, wurde mir einmal angeboten, daß ich Detektivsergeant werden sollte, aber damals wollte ich nicht annehmen. Ich hatte nicht die nötige Schulbildung, und ich wollte mir auch nicht die Mühe machen, noch einmal mit all den jungen Leuten zusammen auf die Polizeischule zu gehen.«

»Also glauben Sie, daß Sie den Hexer fangen könnten?«

Mander sah den Polizisten mit einem gutmütig verzeihenden Lächeln an.

»Nein, das nicht«, erwiderte Olivan schnell. »Aber wenn ich unter einem Vorgesetzten arbeitete, der mir Vertrauen schenkte wie etwa Sie, so könnten wir ihn sicher in einer Woche fassen – entschuldigen Sie bitte, daß ich eben ›wir‹ sagte.«

Er nahm die Pfeife aus dem Mund und sah sich in dem Abteil um, als ob er sich vergewissern wollte, daß niemand zuhörte. Dann neigte er sich näher zu Mr. Mander und sprach leise und vertraulich weiter.

»Bei mir in der Nähe wohnt ein Geldverleiher, der vielleicht der Hexer sein könnte. Er wohnt erst zwei Monate dort, ist sehr selten zu Haus und kommt immer nur nachts.«

»Wie sieht er denn aus?« fragte Mander interessiert.

»Er hat einen kleinen Bart, ähnlich wie Mr. Bliss. Ich weiß allerdings nicht genau, ob er tatsächlich Geldverleiher ist. Der alte Harper hat früher in dem Haus gewohnt.«

»Wo liegt es denn?« fragte Mander gleichgültig.

Der Polizist zeichnete mit dem Finger einen kleinen Plan auf seine Hand.

»Ich werde mit Ihnen fahren und mir das Haus einmal ansehen«, meinte Mander.

Olivan strahlte vor Diensteifer.

»Wenn mich einer meiner Kollegen in Ihrer Begleitung sieht, wird er gelb vor Neid«, sagte er glücklich, als sie aus dem Untergrundbahnhof heraustraten. »Aber es wohnen nur zwei von unserer Abteilung hier in der Nähe. Es ist sehr schwer, eine preiswerte Wohnung in der Gegend zu finden ...«

Als sie durch die dunklen Straßen gingen, erzählte er ihm auch von seinen Geldsorgen, von der schlechten Bezahlung und dem teuren Lebensunterhalt.

Schließlich kamen sie an einen kleinen Platz, wo die Häuser dicht beieinander standen. Sie waren alle in derselben Art gebaut, und kleine Treppen führten zu den Haustüren hinauf.

»Hier wohne ich.« Olivan zeigte auf ein Gebäude. »Drei Zimmer habe ich und eine kleine Küche. Aber nun will ich Sie zu dem Haus führen.«

Sie kamen zu einer kleinen Straße, die kaum breit genug war, daß ein Wagen durchfahren konnte.

»Sehen Sie, das ist das Haus, das ich meine.« Er wies auf das Eckgrundstück. »Es ist mir schon seit einiger Zeit aufgefallen.«

Rechts erhob sich eine Mauer bis zu Kopfhöhe. Mander war ziemlich groß und konnte darüber hinweg in den Garten schauen. An der hinteren Seite stand ein massives Gebäude, und Olivan erklärte, daß dort ein Elektriker seine Werkstatt habe.

Nur ein Fenster im Obergeschoß war erleuchtet.

»Sehen Sie das Licht?« fragte Olivan. »Über dieses Fenster muß ich Ihnen etwas erzählen. Eines Abends kam ich sehr spät vom Dienst, und da ich nicht schlafen konnte, ging ich noch etwas in der Umgebung spazieren und rauchte meine Pfeife. Als ich nun die Straße entlangging, sah ich eine Leiter an das Fenster gelehnt, und das war doch außergewöhnlich. Ich wußte damals noch nicht, daß der Mann eingezogen war. Als ich auf dem Heimweg wieder vorüberkam, war sie verschwunden.«

Olivan hatte mit großem Nachdruck gesprochen, und Mr. Mander strich sich das Kinn. Er wußte nicht recht, was er mit dem Polizisten anfangen sollte.

»Sie sagten, daß ein Elektrotechniker dort wohnt: Ich möchte mir das Haus einmal näher ansehen. Wann sind Sie morgen abend frei?«

»Ungefähr um acht komme ich nach Hause.«

»Könnten Sie mich dann um halb neun hier an dieser Ecke erwarten? Natürlich nicht in Uniform.«

»Selbstverständlich. Ich verstehe vollkommen. Die Sache soll möglichst geheim bleiben.«

»Gewiß. Schweigen Sie Ihren Freunden und Ihrem Sergeanten gegenüber davon. Es ist zunächst eine reine Privatangelegenheit zwischen uns beiden. Wenn ich etwas dabei herausbekommen sollte, werden Sie sich nicht zu beklagen haben.«

»Sehr wohl.«

Olivan bestand darauf, den Inspektor bis zum Ende der Straße zurückzubegleiten.

»Es wohnt eine Anzahl verdächtiger Leute hier in der Gegend. Ich weiß, daß Sie sich sehr gut selbst schützen können, aber ich möchte doch nicht haben, daß Ihnen hier etwas Unangenehmes zustößt.«

*

Als Mander am nächsten Morgen ins Büro kam, erfuhr er, daß Bliss schon zweimal nach ihm geschickt hatte. Er dachte sofort wieder an den bösen Artikel, den er geschrieben hatte, aber der Chefinspektor schien diese Sache bereits vergessen zu haben.

»Der Hexer ist in London«, sagte er. »Ich bin heute morgen von einem öffentlichen Fernsprecher aus angerufen worden. Ich konnte zwar die Telefonzelle feststellen, die sich in der Kingsland Road befindet, aber von dem Hexer selbst war natürlich keine Spur zu finden. Ich wollte Sie nur gewarnt haben.«

Mr. Mander fuhr zusammen.

»Warum wollen Sie mich denn warnen?«

»Weil ich den Eindruck habe, daß es diesmal Sie persönlich angeht«, erwiderte Bliss ernst. »Wenn Sie sich besonders um die Festnahme des Hexers kümmern wollen, können Sie es ruhig tun. Ich bin augenblicklich mit ein paar wichtigen Fällen beschäftigt und werde nicht viel in der Stadt sein.«

Mr. Mander lächelte.

»Das sind allerdings nur sehr geringe Anhaltspunkte. Ein Telefonanruf aus dem Norden bedeutet nicht viel.«

Bliss sah zur Decke hinauf.

»Ich erinnere mich, in einem Artikel gelesen zu haben, daß Scotland Yard einen großen Fehler macht, wenn es die Hände in den Schoß legt, bis genaue Anhaltspunkte vorhanden sind. Der Verfasser meinte, man müßte intuitiv vorausahnen, was der Hexer tun würde.«

Mander räusperte sich.

»Ja, das habe ich auch gelesen«, entgegnete er verlegen. »Aber das ist alles Unsinn.«

»Das stimmt. Es ist ein ganz verdammter Unsinn«, erklärte Bliss mit Nachdruck.

Den ganzen Morgen dachte Mander über die Sache nach. Der Anruf war aus dem Norden Londons gekommen, und die Angaben des Polizisten Olivan wurden dadurch bestätigt. Es war ja möglich, daß der Mann nur eine leere Vermutung ausgesprochen hatte, aber das Glück ging manchmal merkwürdige Wege.

Es war ein alter Trick des Hexers, Scotland Yard anzurufen.

*

Als Inspektor Mander am Abend seinen neuen Assistenten traf, hatte er sich bereits eine Theorie gebildet.

Olivan in Zivilkleidung machte keinen so imponierenden Eindruck wie der diensttuende Polizist Olivan in Uniform. Er trug einen braunroten Anzug und ein Paar Turnschuhe. Eine dicke silberne Uhrkette mit großen Münzen zierte seine Weste.

»Er ist zu Haus«, erklärte er aufgeregt. »Er kam in einem Taxi, schloß die Tür auf und ging hinein. Inzwischen habe ich hier in der Nachbarschaft einige Erkundigungen eingezogen und erfahren, daß das Haus fast unmöbliert ist. Er schläft in einem kleinen Zimmer, die anderen Räume sind leer. Der frühere Inhaber ist vor zwei Monaten wegen Hehlerei ins Gefängnis gekommen.«

Sie gingen zu der kleinen Nebenstraße und faßten an der Mauer Posten. Nachdem sie eine Stunde lang gewartet hatten, wurde ihre Geduld belohnt, denn drüben öffnete sich eine Tür, und Mr. Mander sah, daß eine dunkle Gestalt durch den Garten nach dem massiven Gebäude am anderen Ende des Grundstücks schlich. Nach einiger Zeit hörten sie ein Geräusch, als ob eine Tür geschlossen würde. Zehn Minuten später kletterte Mr. Mander mit Hilfe des Polizisten Olivan über die Mauer und ging kühn auf das Gebäude zu.

Es war niemand zu sehen. Die Gestalt, die sie vorher beobachtet hatten, war verschwunden. In der Nähe der Außenmauer entdeckte der Inspektor aber eine hölzerne Falltür, die nicht verschlossen war. Er schaute in die dunkle Tiefe hinunter, konnte aber weder etwas hören noch sehen. Er kehrte wieder zu Olivan zurück.

»Es ist möglich, daß es sich um einen ganz gewöhnlichen Einbrecher handelt. Ich muß natürlich erst sichergehen, bevor ich einen Bericht mache.«

Er gab Olivan seine Privatadresse und Telefonnummer, und der Polizist erbot sich freiwillig, bis zwei Uhr nachts Wache zu halten.

Kurz nach elf kam Mr. Mander in seiner Wohnung an, und kaum war er in die Diele getreten, als das Telefon auch schon läutete.

»Es ist für Sie, Mr. Mander«, meldete ihm die Wirtin.

Er ging an den Apparat und hörte die erregte Stimme Olivans.

»Entschuldigen Sie, daß ich schon so bald störe. Aber er ist wieder aus dem Haus herausgekommen, und ich habe ihn verfolgt. Er ging zu einer Telefonzelle auf der Straße, und ich hörte, daß er Victoria 7000 verlangte – ist das nicht die Nummer von Scotland Yard?«

»Jaja«, erwiderte Mr. Mander ungeduldig. »Haben Sie denn gehört, was er sagte?«

»Nein – er machte die Tür zu, nachdem er die Nummer genannt hatte.«

Mander dachte schnell nach. »Rufen Sie mich in zehn Minuten wieder an. Ich telefoniere inzwischen mit Scotland Yard.«

Ein paar Minuten darauf sprach er mit einem Beamten, der ihm Auskunft geben konnte.

»Ja, der Hexer hat tatsächlich heute abend angerufen. Ich weiß allerdings nicht, ob er es selbst war. Ich habe das Gespräch aufgeschrieben und wollte Ihnen gerade Meldung machen.«

»Was hat er denn gesagt?« fragte Mander nervös. »Aber das ist jetzt schließlich gleichgültig, wenn Sie nur wissen, daß es der Hexer war. Haben Sie feststellen können, von welchem Apparat aus er sprach?«

Der Beamte hatte tatsächlich die betreffende Telefonzelle feststellen lassen. Es mußte dieselbe sein, die Olivan beobachtet hatte.

Zehn Minuten darauf rief der Polizist wieder an.

»Warten Sie in der Nähe der Mauer auf mich, Olivan. Und sagen Sie niemand etwas davon, falls Sie jemand treffen sollten ...«

»Verlassen Sie sich nur auf mich«, erwiderte Olivan.

Inspektor Mander nahm ein Auto, aber der Wagen fuhr ihm kaum schnell genug. Er ließ ihn an der Ecke der Straße halten, sprang hinaus und zahlte. Olivan eilte auf ihn zu.

»Ich sagte Ihnen doch –« begann Mander.

»Entschuldigen Sie«, unterbrach ihn Olivan. »In einem solchen Fall muß ich selbständig handeln können, und ich glaubte, wir müßten doch miteinander sprechen. Vor der Gartenmauer geht das aber doch nicht, wo er jedes Wort hören kann.«

»Wo ist der Mann jetzt?«

»In dem massiven Gebäude. Er ist zweimal dorthin gegangen. Das letztemal zog er eine Pistole aus der Tasche, untersuchte sie genau und steckte sie wieder ein.«

Es muß zu Mr. Manders Gunsten gesagt werden, daß er sehr mutig war. Die Tatsache, daß der Hexer bewaffnet war, schreckte ihn nicht im mindesten, besonders da er selbst eine Pistole mitgenommen hatte.

Mit leiser Stimme gab er Olivan Instruktionen, als sie die Straße entlanggingen.

»Ich werde in das Gebäude gehen, und Sie halten solange draußen im Garten Wache. Haben Sie Ihre Alarmpfeife bei sich?«

»Ja«, erklärte Olivan stolz. »Ich habe sie mitgebracht, für den Fall –«

»Das war sehr vernünftig«, sagte Mander liebenswürdig zu ihm. »Wenn Sie hören, daß ich rufe, pfeifen Sie. Aber nicht eher – verstehen Sie? Wenn ich ihn erst gefaßt habe, ist es gleichgültig, wer noch dabei hilft, ihn in Gewahrsam zu bringen.«

»Ich dachte, wir wollten den Hexer zusammen fangen«, erwiderte Olivan erstaunt.

Aber Mr. Mander ging nicht weiter auf diesen Protest ein. In dem Garten selbst rührte sich nichts, als der Inspektor über die Mauer kletterte. Er ging direkt auf die Falltür zu, öffnete sie und leuchtete mit seiner Taschenlampe hinunter. Dann schaltete er die Lampe aus, bevor er in den gewölbten Gang trat, der unter dem Gebäude entlanglief. Er hörte merkwürdige Geräusche, ein Surren und Stampfen, als ob eine Maschine in Gang sei. Behutsam schlich er den Gang entlang, wagte aber nicht, sich seiner Lampe zu bedienen, und tastete sich mit ausgestreckter Hand vorwärts. Plötzlich faßte er jemand an der Schulter, und gleich darauf war er mit dem Unbekannten im Handgemenge. Er fühlte, daß der Mann einen Bart hatte, als er ihn an der Gurgel packte.

»Machen Sie keinen Lärm«, brüllte er. »Jetzt habe ich Sie, Hexer! Das Haus ist von Polizei umstellt.«

Er hörte eilige Schritte, dann herrschte tiefes Schweigen. »Ich verhafte sie –«

Er erhielt einen kräftigen Faustschlag gegen das Kinn und taumelte zurück.

»Ich habe die Pistole auf Sie gerichtet – rühren Sie sich nicht von der Stelle«, schrie er und schaltete seine Lampe an. Er sah Inspektor Bliss in einer merkwürdigen Verfassung vor sich.

Am nächsten Morgen gab es eine kleine Diskussion in Scotland Yard.

»Natürlich hat der Polizist nicht gepfiffen, als Sie unten im Gang so laut brüllten«, sagte der Chefinspektor sehr höflich. »Es war nämlich niemand anders als Henry Arthur Milton, der Sie zum besten gehalten hat! Konnten Sie sich wirklich keine andere Zeit für Ihr dramatisches Auftreten aussuchen als ausgerechnet den Augenblick, in dem ich die Falschmünzerbande entdeckt hatte? Es ist die größte Bande, die jemals in London gearbeitet hat. Zum Glück hatte ich alle Reserven von Scotland Yard zur Stelle beordert, und es ist wenigstens gelungen, die wichtigsten Mitglieder der Bande zu fassen.

Glauben Sie vielleicht, ich bringe meine Nächte in einem leeren Haus zu, wenn ich keinen Grund dazu habe? Drei Monate habe ich gebraucht, um die Werkstätte der Banknotenfälscher auszukundschaften, und Sie hätten beinahe alle meine Anstrengungen zunichte gemacht. Aber ich trage Ihnen nichts nach. Der Hexer hat Sie ordentlich 'reingelegt, und das ist schließlich die größte Genugtuung für mich.«

Als Mander zur Tür ging, rief ihn Bliss noch einmal zurück.

»An Ihrer Stelle würde ich einen Artikel über dieses Abenteuer schreiben!« schlug er ihm vor.