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Die Momentaufnahme

Inhaltsverzeichnis


Fast alle Leute haben ein Steckenpferd und eine Lieblingsbeschäftigung. Mrs. Gardling fotografierte zu ihrem Vergnügen und hatte sich auf der Hinterseite ihres Hauses in Hampstead ein kleines Atelier eingerichtet. Sie benutzte dazu einen Teil der geräumigen Garage. Hauptsächlich machte sie Blumenbilder, und eines Tages hatte sie gerade eine wundervolle Gruppe von Lilien in einer venezianischen Vase zur Aufnahme vorbereitet, als der Hexer, der auf der Flucht vor der Polizei war, in die Garage einbrach, um sich Benzin zu holen.

Er kam plötzlich aus dem Dunkel durch die Trennungstür in das Atelier und stand in dem hellen Schein der elektrischen Glühlampen, als Mrs. Gardling gerade belichtete. Sie sah ihn nur eine Sekunde, denn im nächsten Augenblick streckte er die Hand aus und schaltete das Licht aus. Aber sie sah ihn ohne irgendwelche Verkleidung, und das war wichtig.

Er hörte, daß sie eine Schublade aufzog und daß ein harter Gegenstand gegen Holz stieß.

»Rühren Sie sich nicht, oder ich schieße!« sagte sie.

Er lachte und schlug die Tür hinter sich zu.

Als die Polizei auf der Bildfläche erschien, war er längst verschwunden. Die Beamten sagten ihr, daß sie einen Autodieb verfolgten. Sie teilten ihr aber nicht mit, wer der Dieb war, da dies geheimgehalten werden sollte. Auf keinen Fall sollten sich die Zeitungen über einen neuen Mißerfolg lustig machen.

Mrs. Gardling hob diese Platte als eine Kuriosität auf, und Henry Arthur Milton wußte nichts davon, daß er darauf festgehalten worden war.

Der Hexer war in Paris. Er zog sich gern dorthin zurück, wenn es ihm in London zu heiß wurde. Bliss erhielt eines Tages aus Paris einen Brief von ihm. Wie meistens, begann er ohne Anrede.

In der Hogarth Street in Soho unterhält eine Dame einen Klub, den ich Ihrer Aufmerksamkeit empfehle. Ich dachte schon daran, sie selbst zu bestrafen, weil ich sie für gemeingefährlich halte. Sie verkauft während der Zeit des Schankverbots alkoholische Getränke – das ist allerdings nur ein kleiner Verstoß –, aber unter diesem Vorwand kann man ihre Tätigkeit unterbinden. Name: Mrs. Freda Gardling, geboren in Demage, Adresse: Red Monk Club, Hogarth Street. Am 7. März 1921 wegen Betruges in Manchester verurteilt. Sechs Monate Gefängnis.

Henry Arthur Milton war ein Mann, der das Unmögliche möglich machte, und Bliss ärgerte sich darüber, daß der Hexer es immer so einrichtete, daß Scotland Yard ihm obendrein noch zu Dank verpflichtet war. Er wußte schon vor seinem Telefongespräch mit Manchester, daß die Angaben des Mannes genau stimmten.

Die Angelegenheit selbst übergab er der zuständigen Polizeibehörde. Man nahm eine Razzia vor, und Mrs. Gardling wurde vor Gericht gestellt. Die Angeklagte erhielt drei Monate Gefängnis.

Für den Ausschank alkoholischer Getränke während der Verbotsstunden wäre diese Strafe allerdings viel zu hoch gewesen, aber die Polizei fand bei der Durchsuchung des Klubs Dinge, von denen der Hexer in seinem Brief nichts erwähnt hatte.

Mrs. Gardling hatte erfahren, wer sie angezeigt hatte, und Bliss stellte eine scharfe Untersuchung an, denn er achtete streng darauf, daß das Dienstgeheimnis innerhalb der Polizei absolut gewahrt wurde. Nach der Verurteilung wandte sich Mrs. Gardling auf der Anklagebank um.

»Sie können Ihrem Freund, dem Hexer, sagen, daß es ihm noch leid tun wird, mich verpfiffen zu haben«, rief sie Bliss ärgerlich zu.

Der Chefinspektor kochte vor Wut.

Der Bezirksinspektor stellte entschieden in Abrede, etwas über den Hexer gesagt zu haben, und die Detektive, die bei der Verhaftung tätig waren, verneinten es ebenfalls.

Mrs. Gardling war eine reiche Frau und hatte ihre Tochter gut verheiratet. Auf welche Weise sie ihr Vermögen erworben hatte, war schließlich kein Geheimnis. Sie betrieb verschiedene einträgliche Nebengeschäfte außer dem Klub, und viele Schecks über hohe Beträge waren auf ihr Bankkonto eingezahlt worden, damit sie über unangenehme Vorfälle den Mund hielt.

Als sie nach Holloway abtransportiert werden sollte, sah sie den Beamten noch einmal, der ihr mitgeteilt hatte, daß der Hexer sie angezeigt habe. Er war sehr nervös, weil Bliss Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um den Schuldigen herauszufinden.

»Schweigen Sie um Gottes willen davon, daß ich es Ihnen gesagt habe«, bat er.

»Zehntausend Pfund würde ich geben, wenn ich ihn fassen könnte. Gehört habe ich ja genug von ihm, aber gesehen habe ich ihn noch nie.«

»Es ist merkwürdig«, meinte der gesprächige Beamte, »daß ich Ihnen gerade an dem Abend zum erstenmal begegnete, als der Hexer in Ihre Garage einbrach, um Benzin zu stehlen –«

Sie starrte ihn an.

»Was, der Hexer? Das war der Hexer?« fragte sie atemlos. »Die Polizisten sagten doch, es sei ein gewöhnlicher Einbrecher!«

»Sie meinen Autodieb«, verbesserte er sie. Er freute sich über die Sensation, die seine Worte bei ihr hervorgerufen hatten. »Ja, das war der Hexer. Es ist wirklich ein sonderbares Zusammentreffen. Erst hat er bei Ihnen eingebrochen, und dann hat er Sie auffliegen lassen.«

Mrs. Gardling hörte ihm nicht mehr zu.

Sie hatte Erlaubnis bekommen, mit ihrer verheirateten Tochter zu sprechen, bevor sie nach Holloway abtransportiert wurde.

»Annie«, sagte sie zu ihr, »in meinem Atelier findest du einen schwarzen Kasten mit Negativen. Er steht in der zweiten Kommodenschublade rechts. Bringe ihn auf die Bank und lasse ihn gut verwahren, bis ich wieder herauskomme.«

»Willst du denn keine Berufung einlegen?« fragte die Tochter.

»Ich komme viel schneller wieder auf freien Fuß, wenn ich gar nichts unternehme. Schließe auch den Mietvertrag über das Haus in der Maddox Street ab. Wir können eine Klublizenz von der Polizei bekommen. Wir machen dort den Furnace Club auf. Den Namen habe ich mir vorige Nacht überlegt.«

*

Mrs. Gardling kam ins Gefängnis und arbeitete in der Wäscherei. Während sie ihre Strafe absaß, beschäftigten sich ihre Gedanken mit dem neuen Klub, aber sie grübelte auch darüber nach, wie sie sich am Hexer rächen könne.

Es war ein unglückliches Zusammentreffen, daß ihre Tochter Annie sich zur selben Zeit viel Mühe gab, den Ruf ihrer Mutter wieder herzustellen. Sie kannte die Macht der Presse, und als Mrs. Gardling einen Monat in Holloway war, begann Annie, für den Furnace Club Propaganda zu machen. Sie schrieb zwar keinen blendenden Stil, aber sie verstand, fesselnd zu plaudern. Der Redakteur las den Artikel durch, den sie dem ›Post Herald‹ eingesandt hatte, und sein Interesse erwachte plötzlich, als er zu einem bestimmten Absatz kam. Er klingelte und ließ einen Reporter rufen.

»Besuchen Sie die Dame und sehen Sie zu, was an der Geschichte dran ist.«

Er nahm einen Blaustift und kreuzte eine Stelle an.

In der nächsten Sonntagsausgabe der Zeitung erschien ein interessanter Artikel. ›Die Rache des Hexers‹ lautete die Überschrift, und es wurde darin beschrieben, was Mrs. Gardling in der Nacht erlebt hatte, als sie ihre Lilien in der venezianischen Vase fotografierte.

 

... Meine Mutter hat mir von dem Gesicht des Mannes erzählt, das deutlich auf der Platte zu sehen ist. Aber da sie immer rücksichtsvoll ist, hat sie das Bild der Polizei nicht übergeben.

Ich bin fest davon überzeugt, daß der Hexer all diese gemeinen Geschichten und Verleumdungen über sie erfunden hat. Sie ist vollständig unschuldig und hat nichts von dem getan, was man ihr vor Gericht vorgeworfen hat ...

In dem Artikel stand auch noch, daß das interessante Negativ an einem sicheren Ort verwahrt sei und daß man noch mehr von der Sache hören würde.

Merkwürdigerweise schenkte Bliss diesen Angaben wenig Beachtung. Ihn interessierte nur, daß in nächster Zeit der Furnace Club unter der Direktion der Tochter von Mrs. Gardling eröffnet werden sollte.

Annie kam es plötzlich zum Bewußtsein, daß sie zuviel ausgeplaudert hatte, und sie lehnte alle weiteren Interviews ab. Was würde ihre Mutter zu allem sagen, wenn sie aus dem Gefängnis kam? Mit ihrem Mann konnte sie nicht darüber sprechen, denn Mr. Leppold hatte eine Antipathie gegen seine Schwiegermutter und vermied es, sie überhaupt zu erwähnen.

Mrs. Gardling war sehr heftig gegen ihn gewesen, denn er war zuerst als Graf Giolini in dem Klub erschienen, obwohl er durchaus nicht das war, was er vorgab. Diese Tatsache wurde aber erst nach der Hochzeit entdeckt.

Aber sonst hatte sich Annie über ihren Mann nicht zu beklagen. Er war sehr wohlhabend, unterhielt eine schöne Wohnung in der Jermyn Street, lebte auf großem Fuß, schenkte ihr Juwelen und fuhr jedes Jahr einmal mit ihr nach Monte Carlo, Deauville oder anderen mondänen Badeorten.

Sie hatte sich schon oft den Kopf darüber zerbrochen, welches Geschäft er wohl betreiben mochte. Er hatte ihr zwar gesagt, daß er in der City zu tun habe, aber er hatte kein Büro und brachte seine Zeit hauptsächlich im Westen Londons zu. Auf jeden Fall machte ihm sein Beruf wenig Arbeit.

Annie sprach einmal mit ihm über den Hexer, aber er interessierte sich nicht dafür. Wenn er abends zu Haus war, las er gewöhnlich Zeitung. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er den Nachrichten aus der City. Im allgemeinen war er ein sparsamer Mann, der sein Geld gut angelegt hatte. Er hoffte, daß er eines Tages genug haben würde, um nach Paris zu ziehen, denn diese Stadt liebte er sehr.

Annie las die Zeitungen auch eifrig, aber ihre Neugierde war vollkommen befriedigt, wenn sie sich über die Gerichtsverhandlungen orientiert hatte.

Eines Abends legte sie die Zeitung in den Schoß.

»Es ist doch entsetzlich, Alfred«, meinte sie, »daß so viele Einbrüche vorkommen. Eine Bande hat doch am Sonntag wieder für vierzigtausend Pfund Brillanten aus einem Geschäft in Hatton Garden gestohlen. Die Diebe sind entkommen, und man hat nicht die geringste Spur von ihnen entdeckt. Wenn ich in Scotland Yard wäre –«

»Du bist aber nicht in Scotland Yard«, sagte Mr. Leppold, »und es ist auch besser, du redest nicht weiter über die Sache.«

In Scotland Yard nahm man diese Einbrüche verhältnismäßig gelassen hin. Die Polizeibeamten waren auch nur Menschen, und wenn Juweliere nicht einmal die einfachsten Sicherheitsmaßnahmen trafen, keinen Wachmann beschäftigten und ihre Schätze in Safes aufhoben, die nicht diebessicher waren, mußten sie eben den Schaden tragen. Die Polizei tat alles, was in ihrer Macht stand, um die verschiedenen Verbrechen aufzuklären, aber Scotland Yard konnte schließlich nicht hellsehen.

»Es kann Lewing oder Martin oder Crooford gewesen sein«, überlegte Bliss. »Vielleicht war es auch diese Pariser Bande, die immer zu solchen Unternehmungen nach London herüberkommt.«

Die Banden, die von fremden Ländern aus arbeiten, sind in der Regel schwer festzustellen. Paris liegt wenige Stunden von London entfernt, und wenn sich ein Mitglied einer solchen Organisation in London aufhielt, um alle notwendigen Vorbereitungen zu treffen, einen genauen Zeitplan machte und die nötigen Apparate und Werkzeuge beschaffte, konnten die anderen am Sonnabendabend ankommen und am Montagmorgen mit ihrer Beute wieder verschwunden sein.

In einem solchen Fall handelt es sich darum, den Londoner Agenten der Bande zu fassen.

*

Mr. Leppold gab sich nicht die Mühe, das Interview zu lesen, das seine Frau dem Reporter des ›Post Herald‹ gewährt hatte.

»Ich gebe dir nur den guten Rat, mein Liebling, dich aus der Öffentlichkeit fernzuhalten. Es liegt doch gar kein Grund vor, daß du dich im Rampenlicht zeigen mußt.«

»Ich habe es doch nur im Interesse meiner lieben armen Mutter getan«, erwiderte sie erregt. »Und ich bin auch fest entschlossen, den Kasten mit Negativen aus der Northern and Southern Bank zu holen.«

Er war plötzlich aufs äußerste interessiert.

»Hat deine Mutter ein Depot bei der Northern and Southern Bank?«

»Schon seit Jahren hat sie dort ihr Geld, ebenso ein Tresorfach, in dem sie all ihre Schriftstücke aufhebt – warum lachst du eigentlich?«

»Ich habe nicht gelacht«, erwiderte er und nahm die Zeitung wieder auf.

Nachdem sich Annie zur Ruhe gelegt hatte, ging er in sein Arbeitszimmer, ließ sich mit Paris verbinden und sprach sechs Minuten lang in geheimnisvoller Weise. Er telefonierte häufig mit Paris, und seine Andeutungen waren immer rätselhaft.

Am nächsten Tag ging er nach Südlondon und trank Tee bei einem pensionierten Soldaten, der Witwer war und eine kleine Zweizimmerwohnung hatte.

Er war verfeindet mit der ganzen Gesellschaft und haßte vor allem den Vorstand des Jockey-Klubs.

»Halten Sie sich einen Monat ruhig, dann machen Sie, daß Sie nach Südamerika oder nach Südafrika kommen, oder wohin Sie sonst gehen wollen. Sie können sich die fünftausend Pfund verdienen, und das ist mehr, als Sie in fünfzig Jahren zusammensparen können ...«

»Aber dann verliere ich meine Pension«, protestierte der andere. »Und meinen guten Namen.«

»Den verlieren Sie auf alle Fälle«, entgegnete Mr. Leppold kühl. »Sobald Ihr Chef erfährt, daß Sie Buchmachern Geld schuldig sind, ist es mit Ihrem Renommee aus. Ich gebe Ihnen zunächst einmal fünfhundert Pfund als Anzahlung.« Er zählte die Banknoten ab und legte sie auf den Tisch. »Ich vertraue Ihnen, und Sie müssen mir vertrauen. Ich klopfe an die Seitentür – so.« Er klopfte das Morsezeichen für »Eins« auf den Tisch. »Sie haben weiter nichts zu tun, als uns in das Haus zu lassen.«

Der Mann schaute ihn ruhig an.

»Wäre es nicht besser, wenn Sie mich dann auch fesselten und knebelten?«

»Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen«, erwiderte Mr. Leppold lächelnd. »Wir werden Ihnen schon ein Alibi verschaffen, das man nicht mit Dynamit in die Luft sprengen kann.«

Der Mann nahm das Geld, und nachdem Mr. Leppold gegangen war, versteckte er es an einem sicheren Platz. Er hielt den Plan für sehr einfach und glaubte, daß er unmöglich entdeckt werden könne. Aber die Gefängnisse von England und Amerika sind voll von Leuten, die sich ähnlichen Illusionen hingegeben haben.

*

Als Mr. Leppold an diesem Abend nach Hause kam, fand er seine Frau in guter Stimmung.

»Ich habe einen Brief von meiner Mutter bekommen. Sie hat vom Hexer geschrieben.«

Merkwürdigerweise sagte er ihr diesmal nicht, daß sie schweigen sollte.

»Was hat sie denn geschrieben?«

»Es handelt sich um die Fotografie, die sie von ihm gemacht hat, und ich habe eben mit Scotland Yard telefoniert.«

Mr. Leppold blinzelte, sagte aber nichts.

»Ich sprach mit einem gewissen Mr. Bliss. Er sagte, es sei sehr wichtig. Morgen hole ich die Fotografie aus der Bank und bringe sie ihm. Die Leute scheinen überhaupt kein Bild von dem Mann zu besitzen, und es ist möglich, daß ich die tausend Pfund Belohnung bekomme.«

»Nun, da wünsche ich dir viel Glück«, sagte Mr. Leppold überzeugt. »Der Kerl sollte schon längst am Galgen hängen. Er hat einem meiner Freunde einen bösen Streich gespielt.« Genaueres erzählte er jedoch nicht darüber.

Nach dem Essen ging er in sein Arbeitszimmer, schloß die Tür zu, nahm ein kleines Lederetui mit Werkzeugen aus dem Safe und steckte es in die Tasche.

Um halb elf betrat er eine Bar in der Nähe der Shaftesbury Avenue, ließ den Blick über die Gäste schweifen und bemerkte seine beiden Freunde, die am Abend von Paris gekommen waren. Zehn Minuten später ging er wieder auf die Straße, und sie folgten ihm. An einer geeigneten Stelle blieb er stehen und steckte sich eine Zigarre an, so daß sie ihn einholen konnten.

»Es ist wirklich eine glänzende Sache«, sagte er. »In der Stahlkammer der Bank finden wir genug – ungefähr siebentausend Pfund in englischen Banknoten und achttausend Pfund in ausländischem Geld.«

»Wohnt jemand in dem Haus?« fragte der eine.

»Ja. Der zweite Geschäftsführer wohnt über den Bankräumen. Aber er ist aufs Land gereist, um seine kranke Mutter zu besuchen.«

Wie Mr. Leppold all diese Dinge herausgebracht hatte, blieb sein Geheimnis.

Er ging eine Seitenstraße entlang und klopfte an den Nebeneingang der Bank. Es wurde sofort geöffnet, und die drei traten ein. Die Tür wurde dann von innen verschlossen.

»Wie wäre es, wenn wir Sie jetzt fesselten?« fragte Leppold den Wächter. Aber der bärtige Mann hatte im Augenblick dazu noch keine Lust.

»Das können Sie machen, bevor Sie gehen. Ich möchte gern zuschauen, wie Sie das Ding drehen.«

Leppold nickte. Er brauchte keinen Führer. Gewandt öffnete er das Stahlgitter, das den Zugang zu den Bankgewölben verschloß, und ging die Steintreppe hinunter, gefolgt von den drei anderen. Den einen Schlüssel zum Gewölbe hatte er sich schon vorher verschafft.

Am Ende des kurzen Ganges befand sich ein zweites Stahlgitter, und man sah, daß daran gearbeitet wurde. Große, längliche Vertiefungen waren zu beiden Seiten in die Betonwände geschlagen.

»Sie bauen gerade eine richtige, schwere Stahltür ein. Es war die höchste Zeit, daß wir gekommen sind.«

Der Wachmann staunte über die Geschicklichkeit, mit der die drei zu Werke gingen. In einer Stunde hatten sie die Arbeit erledigt, und das schwere Gitter öffnete sich. In dem großen Raum brannte ein Licht an der Decke, so daß sie genügend sehen konnten. In drei Reihen übereinander waren die Tresorkästen angeordnet, und Mr. Leppold mußte unwillkürlich lachen, als er sich umschaute.

»Einen Augenblick.« Er ging zu einer Seite des Raumes hinüber und klopfte an eine Stahlkassette. »Die gehört meiner Schwiegermutter«, erklärte er ironisch.

Die Buchstaben F. A. G. waren darauf gemalt, denn Mrs. Gardling hieß mit Vornamen Freda Ann.

»Meine Frau will morgen etwas daraus holen, was dem Hexer schwer zu schaffen machen wird.«

»Aber nun an die Arbeit«, sagte einer seiner Begleiter. »Wir müssen uns beeilen, daß wir das Geld zusammenpacken.«

Die drei Einbrecher trugen Mäntel und hatten ihre Taschen vollgepackt. Man mußte es ihnen lassen, daß sie ihr Handwerk verstanden. Das Geld verschwand ebenso schnell, wie es aus den einzelnen Kassetten zum Vorschein kam.

»So, nun wollen wir noch den Wachmann fesseln«, meinte Leppold und nahm einen Strick aus der Tasche.

Als sie sich umschauten, war der bärtige Mann nicht mehr in dem Raum. Sie sahen ihn auf der anderen Seite des großen Gittertors. Ein offener, schwarzer Kasten stand neben ihm, und er hielt gerade ein dunkles Negativ gegen das Licht.

»Wer hat die Gittertür verschlossen?« fragte Leppold.

Der Wachmann drehte sich um.

»Ich. Sie haben den Schlüssel im Schloß stecken lassen, und das war sehr unvorsichtig von Ihnen.«

»Schließen Sie schnell auf«, erwiderte Leppold. Er hatte die Tasche mit Werkzeugen in der Hand, mit der sie die Tür zu dem Gewölbe geöffnet hatten.

Plötzlich streckte der Wachmann die Hand durch das Gitter, und die Mündung seiner Pistole richtete sich gegen Mr. Leppolds Brust.

»Geben Sie sofort die Werkzeuge her!«

Mr. Leppold war so bestürzt, daß er widerspruchslos gehorchte.

»Und wenn einer von Ihnen ein Schießeisen ziehen sollte«, sagte der Wachmann ruhig, »ist er tot, bevor er die Hand aus der Tasche nehmen kann!«

»Zum Teufel, wer sind Sie denn?« fragte Leppold verstört.

»Henry Arthur Milton, bekannt als der Hexer. Der wirkliche Wachmann liegt gefesselt oben in dem Büro des Geschäftsführers. Sie können der Polizei ja sagen, daß Sie ihn gefesselt haben. Seit einigen Tagen habe ich den Mann scharf beobachtet, und ich war auch in seinem Zimmer, als Sie das kleine Abenteuer von heute abend mit ihm besprachen. Als er das Klopfsignal an der Tür eine Stunde zu früh hörte, war er allerdings ein wenig erstaunt.« Er steckte das Negativ in die Tasche. »Grüßen Sie Ihre Schwiegermutter schön von mir«, sagte er noch, dann verließ er, vorsichtig rückwärts schreitend, den Gang.