12. Kapitel

Inhaltsverzeichnis


Ich hörte Spengler die Treppe hinabstolpern, hörte ihn über die miserable Beleuchtung fluchen.

Ich triumphierte …! Ich hatte gesiegt …! Tory würde mit mir zufrieden sein …!

Immerhin war mir der Besuch des Wachtmeister doch etwas an die Nerven gegangen. Ich fühlte jetzt, wie abgespannt ich war. –

Aber ein Kognak half schnell und prompt.

Gerade als ich die Flasche wieder wegstellte, schlug meine Alarmglocke abermals ein.

Etwa wieder die Polizei …? – War Spengler noch etwas eingefallen, kehrte er zurück …?

Nein – es war ein kleines, altes Männchen, dürr wie eine Latte, mit schlauen, aber guten Äuglein: Isidor Katzenstein!

Er kam im Auftrage Torys – war ganz begeistert …

„Ich sag’ Ihnen, Herr Doktor, Sie hätten Ihren Freund nicht wieder erkannt, und wenn sie wären gefahren mit ihm in der Elektrischen vis–a–vis ’ne ganze Stunde! Ausgeschlossen …! –

Der Herr Ruhnau ist nun also in Heubude, und weil er nicht weiß, wie lange er bleiben muß, soll ich Ihnen sagen, Herr Doktor, daß er wird sich setzen nötigenfalls mit mir telephonisch in Verbindung, wo ich dann kann jeder Zeit kommen zu Ihnen.“

„Das lassen Sie lieber sein, bester Herr Katzenstein,“ erwiderte ich, indem ich beide Hände abwehrend erhob. „Wissen Sie, wer dort in Ihrem Sessel vorhin sich breit gemacht hatte …?! – – Ein Kriminalbeamter!!“

„Gott der Gerechte!!“ Der kleine Pfandleiher flog förmlich hoch. „Gott der Gerechte – was wollten denn die Greifer hier bei Ihnen …?!“

Ich antwortete mit einer Gegenfrage.

„Haben Sie schon von dem neuesten Mord gehört, Herr Katzen–stein?“

„Gewiß – gewiß, – – gelesen, – heut’ in der Abendzeitung steht schon ein Artikel drin.“

„Na –: Viktor ist ein Bekannter des Ermordeten, – und da wollten die Herren von der Kriminalpolizei eben näheres über Tompson hier erfahren. – Hm – das heißt – ganz unter uns, Herr Katzenstein, – sehr genau kennt Viktor den Engländer doch nicht, mehr so von … Dach zu Dach nur …“

„ …von … Dach zu Dach …? …?!“

„Ja – das ist nämlich so eine neue Redensart für oberflächliche Bekanntschaften.“

„Komische Redensart …!!“

„Ja, n’ bißchen eigenartig klingt’s ja! – Jedenfalls ist es also besser, Sie kommen nicht persönlich her, sondern schicken mir einen Brief, denn die Polizei könnte es vielleicht auffällig finden, wenn Sie mich häufiger besuchen. Es steht ja zu erwarten, daß die Beamten jetzt hier im Pfeffergang wie die Bienen schwärmen und auf jeden achten, der in der Nähe des leeren Hauses auftaucht.“

Katzenstein gab mir recht. „Also gut, Herr Doktor, – ich schick’ n’ Boten. Vielleicht kommen Sie auch mal morgen Vormittag zu mir in meine Privatwohnung, n’ Bote kostet Geld, viel Geld! Und wo man sparen kann …!!!“

Inzwischen war ein besonderer Gedanke in mir aufgezuckt. Katzenstein war doch sicherlich auch auf dem Gebiete ausländischer Raritäten gut beschlagen wie alle seine gebildeteren Berufskollegen. Schaden konnte es nicht, mal bei ihm wegen indischer Vasen anzutippen.

Ich tat’s sehr vorsichtig, erzählte, daß ich gerade einen Roman schriebe, in dem ich auch so einiges über indische Altertümer einflechten wollte; ihm müsste doch, da er ja lange in Berlin gelebt habe, vielleicht auch mal dies und das in seinem Geschäft von indischen Raritäten durch die Hände gegangen sein. In Berlin strömten doch nicht nur allerlei Menschen, sondern auch Waren zusammen …

Katzenstein schüttelte jedoch den Kopf.

„Meine Berliner Pfandleihe beschränkte sich lediglich auf Schmucksachen, Herr Doktor. So gern ich Ihnen helfen möchte, – ich weiß nichts, gar nichts über solche Sachen, höchstens wenn es sich handelt um echte Kostbarkeiten.“

„Kunstgegenstände kamen für Sie also auch nicht in Betracht?“

„Nein – oder nur höchst selten. Es mußten dann schon sehr berühmte Stücke sein, sagen wir Gemälde, Skulpturen, Porzellane.“

„Hm – ich habe da mal irgendwo etwas über eine Art indischer Vasen gehört oder gelesen, – etwas sehr Merkwürdiges. Leider sind mir die Einzelheiten entfallen. Ich weiß nur noch, daß es sich um heilige Gefäße handelte aus einer ganz eigenartigen Masse …“

Der kleine Herr machte plötzlich ein sehr gespanntes Gesicht.

„Vasen?“ meinte er sinnend. „Ja, ja, da gibt’s freilich in Indien die sogenannten Lahore-Vasen. Die sind eine Rarität ersten Ranges …“

Er brach plötzlich ab und begann die Luft durch seine Hakennase prüfend einzuziehen.

„Hm – – es riecht hier nicht gut, Herr Doktor,“ fuhr er dann zögernd fort. „Riechen Sie’s nicht auch …? So etwas nach Moschus und nach etwas Scharfem …“

Ja, auch ich hatte diesen Geruch bereits vorhin wahrgenommen, nachdem der Kommissar und der Wachtmeister bei mir gewesen waren, hatte aber geglaubt, Ihle sei vielleicht parfümiert gewesen.

Katzenstein schaute mich so merkwürdig prüfend an.

„Ja – Moschus – und noch etwas!“ sagte er leise. „Etwas Süßlich – Widerliches – – wie Leichengeruch. – Das erinnert mich so sehr an die einzige Lahore-Vase, die ich mal gesehen und zwei Tage bei mir im Tresor gehabt habe …“

Ich saß ganz regungslos da. Katzenstein sprach jetzt so anders als vorhin. In seiner Stimme war etwas Geheimnisvolles, aber auch Scheu – Zurückhaltendes.

„Ich würd’ nie wieder eine Lahore-Vase beleihen – nie wieder!“ fügte er hinzu. „Ich bin wahrhaftig nicht abergläubische, Herr Doktor. Aber … – – Nein, nein – Sie würden mich auslachen, wollte ich Ihnen mein Erlebnis von damals berichten. Übrigens habe ich auch keine Zeit mehr.“

Er erhob sich. Ich bat ihn, noch zu bleiben. Doch er entschuldigte sich damit, daß seine Frau allein daheim sei, nur noch mit Pinkus als Schutz … „Und der Hund wird alt – und zu fett …“, schloß er seine Rede.

Ich begleitete ihn bis zur Treppe.

„Auf Wiedersehen, Herr Katzenstein. Nehmen Sie sich nur ja in acht. Im Treppenhause ist’s dunkel.“

Dann nahm ich die Abendzeitung aus meinem Briefkasten. Es war mittlerweile sieben Uhr geworden. Ich deckte meinen Abendbrottisch, aß und blätterte den Danziger Anzeiger durch. Zum Lesen hatte ich nicht die nötige Sammlung. Meine Gedanken irrten immer wieder ab, und meine Blicke folgten ihnen verstohlen nach meinem Bücherschrank dort in der Ecke, – denn da stand ja die Lahore-Vase …!

Die politischen Nachrichten konnten mich schon gar nicht fesseln. Ich suchte nach dem Artikel über den Mord im Pfeffergang, fand ihn bald. Viel enthielt er nicht. Ich mußte lächeln … Der Reporter hatte sich da einen ganzen Roman zusammenphantasierte, so etwas den genialen Detektiv gespielt.

Ich blätterte weiter – bis zu den Familienanzeigen. Wieder fand ich da die Todesanzeige eines Bekannten, eines Amtsrichters. Die Influenzaepidemie war diesmal wirklich bösartig.

Ich schnitt die Anzeige aus und heftete sie mit einer Stecknadel an meinen Terminkalender, – nein, ich wollte sie anheften …! Zufällig drehte ich sie um, stutzte … Auf der Rückseite stand eine andere Anzeige aus dem Annoncenteil, – mit dickem Strichelrand, sehr auffallend, und als Kennwort darüber ganz groß gedruckte:

!! Vase !!

Gedanken und Blicke eilten wieder nach dem Bücherschrank. In meinem Hirn bildete sich blitzschnell eine Kette von Ideen …

Sollte wirklich …?!

Ich überflog die Annonce.

!! Vase !!

Große, bronzefarbene, leere Vase, die irgendwo stehen gelassen wurde, mag der Finder gegen sehr hohe Belohnung dem Eigentümer unbeschädigt zurückgeben. Nachricht unter Vase 100 an die Expedition der Zeitung.

Ich muß ehrlich sagen, ich war wie vor den Kopf geschlagen, als ich diese Zeilen gelesen hatte.

Ich zweifelte nicht einen Augenblick, daß unsere Lahore-Vase gemeint war …!!

Welch eine Menge von Schlußfolgerungen aber ließ sich aus dieser Anzeige ziehen …!! –

Erstens: Der, der die Annonce eingerückt hatte, war sehr wahrscheinlich der Mörder Tompsons! – ‚irgendwo stehen gelassen‘ – das sagte genug! Ich dachte daran, daß Tory behauptet hatte, der Mörder hätte die Vase vom Tisch bis zur Tür getragen, wäre dann aber durch uns gestört worden. –

Zweitens: Die Tatsache, daß dieser Unbekannte zu dem Hilfsmittel dieser Annonce griff, um wieder in Besitz der Vase zu gelangen, bewies, daß er genau wußte, daß die, die ihn so schnell verjagt hatten, die Vase mitgenommen hatten. –

Vielleicht – so überlegte ich mir – weiß der Mörder sogar, wo die Vase sich jetzt befindet, das heißt, – vielleicht ist er in das leere Haus zurückgekehrt und hat von einem der Vorderfenstern aus uns gesehen, wie wir unseren Raub heimschleppten …!! Ein für mich mit Recht sehr beunruhigender Gedanke …!! –

Drittens: Diesem Manne mußte doch an der Wiedererlangung der Rarität geradezu ungeheuer viel liegen, wenn er unter diesen Umständen es wagte, der Vase wegen diese Anzeige zu veröffentlichen …!! –

Konnte er denn wissen, daß die Polizei nichts von diesem indischen Kunstgegenstand ahnte? Mußte er nicht fürchten, daß, wenn die Polizei von der Vase Kenntnis hatte, er sich den Häschern auf diese Weise in die Hände spielte …?! –

Hier bei Punkt drei gab es also verschiedene ungelöste Fragen – verschiedene! –

Viertens: Wie würde der Mann es wohl anstellen, um sich mit denen, die die Vase jetzt in Besitz hatten, ins Einvernehmen zu setzen und doch unerkannt zu bleiben …?! –

Schließlich: Wenn der Mörder – falls er es wirklich war, der die Anzeige eingerückt hatte – wußte, wo die Vase sich jetzt befand, – weshalb schrieb er dann nicht einfach an uns und bot uns Geld für sein Eigentum …?! Er hatte uns doch genau so in der Hand wie wir ihn! Wir hatten gestohlen, unseren Raub und noch anderes verheimlicht, – er hatte gemordet, – vielleicht gar nicht aus Gewinnsucht, sondern mehr im Affekt, in jäh auflodernder Wut den – angeblichen? – Engländer getötet …! – –

Sehr lange grübelte ich noch über diese Annonce nach, während ich halb mit Widerwillen die Bissen hinunterwürgte.

Mich störte der Geruch …!! Obwohl ich die Balkontür weit geöffnet hatte, spürte ich ihn doch fortwährend in der Nase. Und ich mußte daher auch immer wieder an Katzensteins seltsame Worte denken … –

‚ …wie Leichengeruch! – Das erinnert mich an die einzige Lahore-Vase …‘ – – So hatte er gesprochen in ganz eigener Art, mit einem geheimnisvollen, fast ängstlichen Ton. –

Unsinn!! – Wie sollte der Geruch mit der Vase zusammenhängen!! Ich hatte heute Vormittag doch dicht neben dem plumpen Ding gestanden und nichts von einem besonderen Geruch wahrgenommen – nur miterlebt, wie jene seltsame Lichterscheinung sich über die Masse der Seelenurne ausbreitete, dann wieder erlosch …

Aber – woher dieser Geruch?! – Wäre Kommissar Ihle wirklich parfümiert gewesen, – das hätte längst verflüchtigt sein müssen, längst …!!

Mit einem Mal legte ich Messer und Gabel hin, stand auf und ging langsam auf den Schrank zu.

Ah – – wirklich! Der Geruch wurde stärker. – Und ganz dicht vor dem Schrank war er so intensiv, daß ein Ekel mich packte und ich schnell wieder zurückwich bis an den Sofatisch, über dem die Lampe brannte und ihr ruhiges Licht über mein Arbeitszimmer hin schickte, – über diesen Raum, der mir so vertraut, so lieb war …

Und heute? – Ja, heute beschlich mich hier ein Gefühl des Unbehagens. Mir war’s, als sei ich nicht allein in diesen vier Wänden, als habe sich noch ein unsichtbarer Gast eingefunden, der stets hinter mir stand … –

Ein jeder kennt ja wohl dieses merkwürdige Empfinden, dieses halb unbewußte Grauen, das uns plötzlich zwingt, uns umzuschauen, um festzustellen, daß wir auch wirklich allein sind in der stillen nächtlichen Stunde oder – seltener – allein sind im schweigenden Walde, auf einsamer Flur.

Jeden, der leicht erregbares Nerven besitzt, packt dieses Gefühl zuweilen, und er beruhigt sich erst, wenn er sich umgeschaut hat und sich sagen darf: ‚Tor, du bist ja allein!‘ –

Mir war heute mein Heim verleidet. Ich sehnte mich nach Gesellschaft, nach Menschen … – Und kurz entschlossen machte ich mich zum Ausgehen fertig und verließ das Haus.