13. Kapitel

Inhaltsverzeichnis


Vor der Haustür fiel mir der Spion ein, der für Tory zum Aufpassen bestimmt war. Ob der Mensch auch jetzt sich hier herumdrückte und vielleicht hoffte, den ihm am Nachmittag auf dem Hauptbahnhof Entwischen wieder zu Gesicht zu bekommen …?

Ich ging sehr langsam den Pfeffergang nach der Breitgasse zu hinunter, hütete mich aber, mich umzusehen. Es war ja auch nicht ausgeschlossen, daß der Spion mir dieselbe Gefolgschaft leistete, etwa in der Meinung, ich würde mich mit Tory irgendwo treffen.

In der Nähe der Marienkirche machte ich dann die Probe aufs Exempel, indem ich mich in eine tiefe Hofeinfahrt stellte. Die Laternenbeleuchtung war hier sehr günstig. Ich konnte in meinem Winkel nicht bemerkt werden, dagegen jeden Vorübergehenden genau ins Auge fassen. –

Tatsächlich, der Mann da war der Spion! – Ich erkannte ihn sehr gut wieder!

Kaum war er vorüber, als ich mein Versteck verließ und denselben Weg zurückging, nachher in eine Querstraße einbog und dann der Langgasse zustrebte.

Jetzt fühlte ich mich ganz frei! Ich mußte den Menschen losgeworden sein! Immerhin – überzeugen wollte ich mich doch, ob der Streich geglückt war.

Ich studierte an einer Anschlagsäule auf dem Langen Markt die Theaterzettel. Dabei achtete ich scharf auf die Leute, die hinter mir den Bürgersteig entlangkamen.

Hm – vielleicht täuschte ich mich … ! – Aber – jener Herr dort trat mir für meinen Geschmack etwas zu unvermittelt an das Schaufenster einer Buchhandlung. Gewiß – ich konnte mich getäuscht haben. Aber …

Ich ging weiter. Ein Bekannter begegnete mir ein paar Minuten später. Ich wußte es so einzurichten, daß ich ganz unauffällig nach jenem Herrn ausspähen konnte.

Da – keine zwanzig Schritt zurück stand er an der Bordschwelle des Bürgersteiges und zündete sich eine Zigarre an.

Der Bekannte und ich wollten gemeinsam ein Kaffee besuchen.

Bald saß vier Tische weiter ‚der Herr‘. – Ich war sehr vorsichtig, beobachtete ihn trotzdem dauernd.

Der Mann war klein, hatte einen blonden Spitzbart, war recht anständig angezogen.

Nach einer halben Stunde erschien plötzlich Kommissar Ihle in dem Kaffee, nachdem der Blonde eine Weile in der Telephonzelle gewesen war, wie ich durch meinen Bekannten feststellen ließ.

Ihle tat, als ob er mich nicht bemerkte. Der Blonde und er tauschten einen Blick aus. Ich hatte sehr gut aufgepaßt.

Ich wurde plötzlich sehr schweigsam. Der Gedanke, daß soeben zwei Leute, der Spion und – fraglos! – ein Kriminalbeamter mir gefolgt waren, brachte mich ganz außer Fassung.

Ich wurde polizeilich überwacht!! – Bedurfte es eines weiteren Beweises hierfür?! – Nein – mir genügte das Beobachtete.

„Doktor – Sie grübeln wohl über ein neues Romankapitel nach!“ scherzte mein Bekannter.

Ich nickte. „Allerdings – ein neues Romankapitel. Einer, der sich für sehr schlau hält, merkt plötzlich, daß ihn ein Kriminalwachtmeister sehr geschickt getäuscht hat, daß dieser ‚Geheime‘ ihn nicht für harmlos hält und ihn beobachten läßt. – Nun muß ich als Schriftsteller diesen ‚Schlauen‘ schlauer als die Polizei sein lassen – und so weiter.“

Mein Bekannter lachte, ahnte nicht, daß ich selbst in diesem Roman mitwirkte. –

Als ich gegen Mitternacht nach Hause kam, ging ich direkt in mein Schlafzimmer.

Ich hatte vor dem Geruch in meinem Arbeitszimmer Angst, – – wirklich – –Angst! – –

Am nächsten Vormittag hätte ich zu gern Katzenstein besucht. Doch ich wagte es nicht. Ich wußte, daß ich – vielleicht einen, vielleicht zwei Spione hinter mir haben würde.

Mein Arbeitszimmer war geruchsfrei. Die Meller hatte gut gelüftet. Aber gemerkt hatte sie auch, daß es dort so ganz merkwürdig duftete.

Ich kam mir vor wie ein Gefangener. Mittags mußte ich dann ja ausgehen – zum Essen, aber gern tat ich’s nicht. Der Gedanke, daß einem jemand auf Schritt und Tritt nachschleicht, ist scheußlich!!

Ich sah mich absichtlich nicht um. In dem Restaurant, wo ich speiste, erschien bald nach mir ein kleiner alter Herr, der wie ein Gelehrter aussah. Natürlich war’s der Blonde vom Abend vorher. Die Gestalt war dieselbe. Und jetzt vermutete ich bereits, daß es vielleicht Wachtmeister Spengler in wechselnder Verkleidung sei.

Als ich um zwei Uhr nachmittags die halbdunklen Treppen nach meiner Mansarde hinaufstieg, kam mir ein Junge von den Roten Radlern mit einem Brief nachgelaufen.

„Herr Dr. Wilde?“ fragte er.

„Ja. – Gib her.“

„Darf ich nicht! ‚persönlich in der Wohnung abgeben‘ steht auf dem Umschlag.“

Ich schloß die Flurtür auf. Da erst war der Bote überzeugt, daß ich der richtige Empfänger sei.

Der Brief war von Katzenstein. Aber ohne Unterschrift.

‚Ich will auch vorsichtig sein. – ‚Er‘ hat telephoniert, kommt abends zurück mit sehr wichtigen Neuigkeiten. Madonnenbild ist gefunden, läßt er sagen. – – Haben Sie die Annonce in der Zeitung über die ‚Vase‘ gelesen?! – Merkwürdig – wir haben gesprochen gestern auch von einer Vase!’ – –

Gott sei Dank! Tory war bald wieder bei mir! Er brachte Neuigkeiten mit!! Na – ich konnte damit auch aufwarten!

Ich legte mich zum gewohnten Verdauungsschlaf auf den Diwan. Der Gedanke, daß Tory käme, verscheuchte alle Gespenster. Ich schlief fest bis ein halb vier, trank auf meinem Balkon Kaffee und setzte mich nachher an die Arbeit.

Kein widerlicher Geruch störte mich. Hinter mir stand heute niemand … Ich brauchte mich nicht umzusehen.

Nachher stellte ich aus einem Dampferfahrplan fest, daß die letzte Fahrt von Heubude herüber neun Uhr abends verließ. Tory konnte also gegen einhalb elf bei mir eintreffen.

Da kamen mir plötzlich allerlei Bedenken.

Sollte ich ihn abholen? Sollte ich ihn hier erwarten? – Er hatte keinen Schlüssel zur Haustür! Eine Klingelleitung bis zu mir herauf gab es nicht. – Würde er erst seine Verkleidung bei Katzenstein ablegen? Würde er wirklich das letzte Schiff benutzen …? – Nein, ihn an der Dampferanlegestelle zu empfangen, war unmöglich! Draußen vor dem Hause lauerten ja die Aufpasser! – Kam Tory nach zehn Uhr, wenn die Haustür bereits geschlossen war, so durfte ich ihm nicht einmal nach unten öffnen gehen oder ihm den Schlüssel aus dem Fenster zuwerfen! Die Spione waren ja da, – die Spione, die, wenn Tory noch verkleidet war, sofort gewußt hätten, wer der bescheiden angezogene Mann war und die dann aus der Verkleidung sofort allerlei Schlüsse hätten ziehen können.

Ich befand mich in einer bösen Klemme. Was sollte ich tun …?!

Das Abendbrot schmeckte mir wieder nicht. Ich war aufgeregt, und diese Unruhe stieg immer mehr. Ich verwünschte jetzt Torys Tatendrang, die Vase und die Polizei!

Richtig – die Vase …!! – Ich sah in der Abendzeitung nach und fand genau dieselbe Annonce. –

Zum Arbeiten fehlte mir die Stimmung. Ich hätte mir gern ein Buch aus dem Schrank genommen, aber – ich wollte ihn nicht öffnen. Vielleicht roch es in dem Schrank noch nach Moschus und Leichen, und ich mochte den Geruch nicht wieder ins Zimmer dringen lassen.

Die Minuten schlichen geradezu. Ich korrigierte den Anfang meiner Arbeit. Ich werde manchen Fehler übersehen haben …!

Tory hat keinen Hausschlüssel!! – Das peinigte mich unausgesetzt.

Es wurde später – immer später, – halb zehn, zehn, halb elf … – – Kein Tory!! Wie gern hätte ich mal zum Schlafstubenfenster hinausgeschaut …!! Aber – heute war’s so sternenhell draußen – – die Spione!!

Trotzdem ging ich in mein Schlafzimmer und spähte hinter den Gardinen hervor auf die Straße hinab, konnte so aber nur einen schmalen Streifen des Bürgersteiges gegenüber erblicken.

Dann schaute ich zwei Stockwerke höher mehr nach links … Da war das Mordzimmer mit den armseligen Kontormöbeln und den zerbrochenen Fensterscheiben.

Ich wußte, daß die Polizei den Toten längst weggeschafft hatte. – Unheimlich dunkel und düster lag das baufällige, leere Haus da vor mir.

Dann – es konnte keine Täuschung sein! – zuckte es wie ein Blitz durch das Mordzimmer drüben, – ein weißer Schein leuchtete auf – für einen Moment nur! – Es konnte nur der Strahlenkegel einer elektrischen Taschenlampe gewesen sein!!

Wer geisterte jetzt zu dieser Stunde noch durch jene Räume …?!

Unwillkürlich schob ich die Gardine zur Seite, kam der Scheibe mit dem Gesicht ganz nahe, strengte meine Augen doppelt an, um drüben etwas zu erkennen.

Da – kein Zweifel! – Da schräg unter mir am Fenster des Mordzimmers stand gleichfalls jemand dicht hinter der Scheibe. – Der Pfeffergang ist nur schmal, und ich habe gute Augen.

Und jetzt – ja, was bedeutete das?! – Die Gestalt drüben winkte mir zu – – winkte mit der Hand – und verschwand … –

Tory etwa …? – Unmöglich! Das wäre ja ein unglaublicher Leichtsinn gewesen. Aber – zuzutrauen war’s ihm schon! –

Ich wollte ins Arbeitszimmer zurück. Die Tür von Torys Dachkammersalon war halb offen …

Jetzt erst – wie hatte ich nur nicht früher daran denken können!! – fiel mir der geheime Weg nach dem Keller des Nebenhauses ein …! Wenn Tory den benutzte, wenn er sich von dem Schließer des Nachbargebäudes öffnen ließ – dann – dann!!

Oh – dieser Schacht konnte uns in unserer Lage wirklich noch viel nützen! Er bot uns die Möglichkeit, meine Wohnung unbemerkt zu verlassen, selbst wenn die Spione da waren, – nur verkleideten mußte man sich ein wenig …!!

Dieser Gedanke belebte mich in ganz wunderbarer Weise! – Ich zog die Vorhänge zu, zündete ein Licht an und öffnete die verborgene Balkentür. Dunkel gähnte vor mir der Schacht. Ja – wenn ich nur gewußt hätte, mich irgendwie unkenntlich zu machen, ich wäre keck hinabgestiegen in die Tiefe, hätte die von Tory gefertigten Dietriche mitgenommen und wäre … – Nein, das war ja alles höchst unsinnig! Ich mußte daheim bleiben. Konnte Tory sich durch den Schließer nicht auch vielleicht meine Haustür aufsperren lassen …?! – Er ahnte ja nicht, daß jetzt draußen in dem Pfeffergang zwei Aufpasser wachten …!! Er wußte nur von einem, den er für ungefährlich hielt! Nicht, daß die Polizei uns belauerte …!!

Angst kroch mir abermals zum Herzen. Wenn Tory nur keine Dummheit machte …!! – Diese Ungewißheit war schrecklich!!