19. Kapitel

Inhaltsverzeichnis


Der geneigte männliche Leser muß mich schon noch für kurze Zeit wieder nach Heubude begleiten. Ich glaube, er tut’s ungern. Er möchte lieber gleich hinein in das Mordzimmer und erfahren, was dort sich wohl abspielt, wenn der Täter die Vase holt. –

Die geneigten Leserinnen wieder werden vielleicht nicht zu sehr auf den ‚großen Schlag‘ gespannt sein, sondern ganz gern zurückkehren in das Hinterstübchen bei Mutter Klaus, in dem die blonde Madonna einem gewissen Dr. Karlchen, auch Trommler genannt, willig die frischen Lippen zu vielen, vielen Küssen überließ. –

Wir, Hilde und ich, saßen nun ganz brav nebeneinander auf dem harten Sofa – es hatte Glanzlederbezug, der so schön kalt sich anfühlte und uns wirklich etwas abkühlte! – und besprachen, was zu besprechen war.

So erfuhr ich denn, daß Konsul Schimpel ein Bruder der Frau Schollert wäre, daß in dem einsamen Hause viel echter Schmuck verborgen gehalten wurde, über dessen Herkunft sich Hilde schon längst allerlei trübe Gedanken gemacht hatte, und daß Schimpel Hilde wütend ausgezankt hatte, als er hörte, daß sie die Brillantkette gerade bei Katzenstein versetzt hätte, – in dem einzigen Pfandleihgeschäft, welches er als nicht in Betracht kommend ungenannt gelassen hatte. Wie ein Verrückter war er damals auf Hilde losgefahren, hatte sie sogar schlagen wollen und sich erst beruhigt, als sie ihm mitteilte, mit Hilfe welchen Schriftstücks sie sich legitimiert hatte.

Manches andere erzählte mir meine süße Madonna noch mit schwerer Stimme und tränenfeuchten Augen; aber das erfährt der Leser an anderer Stelle.

Dann berieten wir, nachdem eine längere Pause zwecks Austauschs dringend nötiger Zärtlichkeiten eingelegt worden war, was nun mit Hilde geschehen solle und ob es ratsam sei, die brave Frau Klaus einzuweihen. Wir entschieden uns für ‚Ja‘, und die Klaus hat dann bewiesen, daß sie das Herz auf dem rechten Fleck hatte. –

Nun aber begann die Lage für mich etwas kritisch zu werden, denn Hilde wollte ganz genau wissen, weshalb ich hier in dieser Verkleidung aufgetreten sei. Bisher hatte ich um die Sache geschickt herumgeredet.

Es ging nicht anders, ich mußte Hilde wahrheitsgemäß alles erklären, nämlich, daß auch hinter mir die Polizei her sei …!

Sie wurde sehr bleich. Aber es gelang mir, ihre zarte Seele wieder leidlich ins Gleichgewicht zu bringen. – –

Ich will mich nun kürzer fassen. Die beiden Kriminalbeamten suchten natürlich nach Hilde, und einer von ihnen kam auch etwa gegen Mittag zu Frau Klaus, als wir gerade bei Tisch saßen.

Dieser Beamte war kein anderer als Spengler.

Ich hatte mit ihm eine längere Unterredung, im Verlaufe derer er mir mitteilte, daß Tory mich nachmittags daheim erwarte, damit ich nicht fehle, wenn das Netz zugezogen würde, wie Spengler sich ausdrückte. –

Hilde blieb bei Mutter Klaus. Spengler und ich aber fuhren nachmittags nach Danzig zurück. Frau Schollert wurde von dem anderen Beamten weiter bewacht, dem Spengler noch einen zweiten als Ablösung senden wollte. Mit des Wachtmeisters sachverständiger Hilfe hatte ich mich auch wieder in den würdigen Herrn Kanzleisekretär verwandelt, der dann aber beim Abschied von dem ‚lieben Kinde‘ sehr aus der Rolle fiel und sehr jung wurde – sehr!!

*     *     *

Nachdem Haßfeld und Viktor mit den beiden Kriminalbeamten noch ganz genau den Feldzugsplan für die nächste Nacht festgelegt hatten, begaben sie sich wieder nach des Doktors Mansardenwohnung, indem sie abermals den geheimen Verbindungsweg zwischen den beiden Nachbarhäusern benutzten.

Dann machten sie sich an die Arbeit, holten den Blumenkübel vom Balkon ins Zimmer und begannen die Vase freizulegen, entfernten den Oleanderbaum und die Erde und stellten die mit einem Tuche gesäuberte Seelenurne auf den Sofatisch.

Haßfeld stand lange und beschaute sich die rätselvolle Lahore-Vase mit kritischem Blick. Dann meinte er:

„Wie harmlos das Ding aussieht, – harmlos und … billig! Ein Unkundiger böte dafür keine tausend Mark.“ Und nach einer Weile: „Du bist also überzeugt, Viktor, daß es genügt, wenn sie morgen den Tag über drüben auf dem Tisch steht?“

„Ja – nur darf kein trübes Wetter eintreten. Scheint die Sonne, so reicht das Tageslicht vollständig aus, um das Wunderwerk indischer Geheimkünste zum Strahlen zu bringen, dann wird auch das andere sich ereignen …!“

„Hoffen wir also auf Sonnenschein!“ sagte Haßfeld. „Wollen wir jetzt aufbrechen, Viktor?“

Der bejahte.

Und die Lahore-Vase vorsichtig in den Armen tragend, folgte der kräftige Berliner Kommissar dem vorangehenden Freunde die verborgene Treppe hinab.

Unangefochten kamen sie über die Straße. Viktor öffnete schnell mit dem Dietrich die Tür des leeren Hauses. Sie schlüpften hinein, sperrten hinter sich wieder zu.

Die Treppenstufen knarrten. Der Lichtschein einer Taschenlampe glitt über morsche Bretter, kahle Wände.

Dann hatten die nächtlichen Eindringlinge das Kontorzimmer erreicht. Durch die halb erblindeten Scheiben der Fenster drang der schwache Lichtschimmer einer hellen Nacht herein; er genügte gerade, um sich zurechtfinden zu können.

Flüsternd beschrieb Viktor dem Kommissar, wo die Leiche gehangen hatte, zeigte auch auf die Tischplatte, in deren Staubschicht ihm damals ein kreisförmiger Eindruck den Platz verraten hatte, wo die Vase zuerst aufgestellt gewesen war. –

Die Lahore-Vase stand wieder an derselben Stelle auf dem alten Tisch …

Viktor und Haßfeld verließen das leere Haus. – –

Als die Meller am anderen Morgen erschien, wurde sie abermals ins Vertrauen gezogen. Dies war nötig, da Ihle gegen halb zwölf mittags den ‚Schriftsteller‘ verhaften lassen wollte.

Der Himmel war bedeckt. Er drohte mit Regen, und es gab auch wirklich einen kleinen Guß. Nachher klärte sich der Horizont auf, der blaue Fleck am Himmel wurde größer und größer, und nachmittags gegen ein Uhr schien die Sonne. –

Inzwischen war der Bewohner des Mansardenheims, der ja krank zu Bett lag für die übrige Menschheit, genau wie mit Ihle vereinbart, verhaftet und auf einer Krankenbahre, auf der von seinem Gesicht nichts zu sehen war, in einen Wagen getragen worden, der sich alsdann in Bewegung setzte. Dieses Ereignis konnte im Pfeffergang nicht unbemerkt bleiben. Und die Meller sorgte dafür, daß die Neuigkeit, der Schriftsteller Dr. Karl Wilde sei als Mörder Tompsons verhaftet worden, wie ein Lauffeuer sich weiter und weiter verbreitete.

Die Erregung war allgemein. Bekannte telephonierten sich diese neueste Sensation, auf den Straßen bildeten sich Gruppen, die von nichts anderem sprachen, und natürlich wurde auch unter den in und vor der Börse versammelten Kaufleuten diese Kunde viel erörtert. – –

Dr. Wildes Wohnung blieb nur drei Stunden verschlossen und versiegelt. Dann kam Ihle mit ein paar Beamten, um die Räume – zum Schein! – zu durchsuchen.

Vor dem Hause standen viele Neugierige, denen die Meller immer wieder erzählen mußte, wie die Verhaftung vor sich gegangen war und wie die Polizei jetzt oben alles durchwühlte. –

Unter den müßigen Gaffern befanden sich auch zwei Arbeiter mit schmierigen Kitteln und rußgeschwärzten Gesichtern, scheinbar Heizer irgend eines Dampfers, in Wirklichkeit Haßfeld und Viktor Ruhnau.

Es schienen rechte Tagediebe zu sein, diese beiden Schmierfinken, denn stundenlang lungerten sie in der Straße umher, qualmten aus ihren kurzen Holzpfeifen dicke Wolken und – da gaben doch genau auf alles acht, was ringsum geschah. So konnte ihnen auch nicht die hagere Gestalt Pinkemüllers entgehen, der in der Haltung eines Menschen angeschlichen kam, dem dieses Verweilen inmitten einer erregten, aus den einfacheren Volksschichten sich zusammensetzenden Menge alle Sicherheit des Auftretens nahm. –

Des Professors Gesicht erstrahlte wieder in recht verdächtiger Röte. Offenbar hatte er sich für diesen Gang nach der Mordgasse besonders gestärkt.

Pinkemüller fragte ein dickes Weib, weswegen diese Zusammenrottung hier erfolgt sei und erhielt auch eine mehr als erschöpfende Auskunft. Eilig machte er sich sogleich wieder auf den Rückweg. Haßfeld folgte ihm vorsichtig, während Viktor weiter im Pfeffergang sich herumdrückte.

Die Nachmittagssonne lag jetzt auf den verstaubten Fenstern des leeren Hauses und stahl sich auch hinein in das ehemalige Bureau, wo auf dem großen Tisch einsam die Lahore-Vase stand – einsam und unscheinbar …

Drüben am Schlafstubenfenster Dr. Wildes konnte man einen Mann hinter den Gardinen bemerken, der mit Hilfe eines Fernglases wahrscheinlich nach derselben Vase ausspähte.

Er konnte aber nur den untersten Teil des bauchigen Gefäßes wahrnehmen, auf dem das hellere Sonnenlicht lag. Der Mann war Kriminalkommissar Ihle.

Jetzt trat er zurück und gab seinen drei Unterbeamten, die nur zum Schein einzelne Behältnisse durchwühlt hatten, den Befehl zum Verlassen der Wohnung, die wieder versiegelt wurde.

Ihle ging unten im Pfeffergang dicht an Viktor Ruhnau vorbei, blieb stehen und bat um ein Streichholz für seine Zigarre. Schnell und unauffällig flüsterten sie bei dieser Gelegenheit miteinander.

„Spengler hat vorhin aus Heubude antelephoniert. Sie treffen um sieben Uhr ein,“ sagte er, während ihm Viktor wieder mitteilte:

„Pinkemüller, mein Onkel, war hier, natürlich um zu spionieren. Vielleicht hoffte er mich zu erwischen – oder ihn führte etwas anderes her.“

Ihle schaute den schmierigen Gesellen prüfend an.

„Etwas anderes? Ist er etwa …?“

Da griff der Heizer an den Mützenschirm und schlenderte weiter.

Eine halbe Stunde später gesellte sich Haßfeld wieder zu Ruhnau.

„Na?“ fragte dieser.

„Deine Vermutung war richtig,“ erklärte der Berliner Kommissar.

Dann bummelten sie der Langen Brücke zu und lehnten sich dicht bei der Anlegestelle der Heubuder Dampfer an das Geländer des Bollwerks, sahen den Möwen zu, die über das trübe Wasser hinstrichen und … hatten beide nur einen Wunsch, daß die Nacht bald käme, denn die Erwartung dessen, was – vielleicht! – in dieser Nacht sich ereignen würde, lag ihnen wie eine starke Erregung in allen Nerven.

Der Dampfer kam. Spengler und der würdige Herr Kanzleisekretär verließen ihn getrennt, und letzteren rief dann der eine der Heizer an, fragte, ob er das Päckchen des alten Herrn tragen dürfe, fügte aber leise hinzu: „Begib dich aufs Polizeipräsidium zu Kommissar Ihle, Karl! Ich komme nach.“