Tory und ich gingen heimwärts in meine versiegelte Wohnung.
Wir hatten uns soeben von Haßfeld getrennt, der in seinem Hotel noch schnell ein paar Stunden schlafen wollte, da er bereits mit dem Frühzug nach Berlin zurückkehren mußte. Beim Abschied hatte Haßfeld allen Ernstes Tory den Vorschlag gemacht, bei der Berliner Kriminalpolizei einzutreten. –
„Du wirst Karriere machen, Viktor, glaube mir!“ hatte er gesagt. „Du bist aus dem Holze geschnitzt, aus dem die ganz großen meiner Kollegen, die internationalen Berühmtheiten, ebenfalls hervorgegangen sind.“ –
Viktor aber hatte sehr ernst erwidert: „Lieber Haßfeld, vor mir liegt jetzt eine andere Ehrenpflicht; der gegenüber meine persönlichen Wünsche und Neigungen zurücktreten müssen. Der alte Name unserer Firma soll wieder zu Ehren kommen! – Gewiß, ich bin kein Kaufmann. Aber ich werde es werden. Ich denke dabei an das Wort Bismarcks ‚Man setzte Deutschland nur in den Sattel, reiten wird es dann schon von alleine!‘ – –
Da war Haßfeld nach festem Händedruck im Eingang seines Hotels verschwunden.
Und nun gingen wir beide, noch ganz erfüllt von den soeben durchlebten Szenen, besonders dem Tode dieses Verbrechers, der vielleicht zu Großem berufen gewesen wäre, wenn er mehr moralischen Halt besessen hätte, schweigend durch die Straßen, während bereits der Morgen zu grauen begann.
Ich fühlte mich jetzt, wo ich mit Tory allein war, recht bedrückt. Ich dachte an meine kleine blonde Madonna, die ich, wie ich glaubte, dem Freunde abspenstig gemacht hatte. Immer wieder nahm ich einen Anlauf zu einer offenen Beichte. Aber ich brachte nicht einmal das erste Wort über die Lippen.
Da begann Tory ganz unvermittelt selbst von Hildegard zu sprechen.
„Das arme Mädel, Schollerts Stieftochter, tut mir von Herzen leid,“ meinte er. „Was soll nun aus ihr werden! Ihre Mutter wird fraglos morgen verhaftet. Sie ist in Schollerts dunkle Angelegenheiten nur zu sehr mit verwickelten.“ –
Kleine Pause. Dann:
„Übrigens, lieber Karl, – Spengler erzählte mir da vorhin etwas recht Merkwürdiges. Du scheinst dich ja mit Hildegard recht schnell und recht stark angefreundet zu haben. Wie würde ich mich freuen, wenn du alter, eingefleischter Junggeselle hier vielleicht die rechte gefunden hättest.“
Ach – wie eilig fragte ich da …:
„Wirklich – du würdest dich freuen, Tory?“
Da blieb er stehen, sah mich fest an: „Dachtest du etwa, daß ich mich in Hildegard rettungslos par distance verliebt hätte?“
Ich konnte nicht anders, – ich umarmte ihn, fragte strahlend:
„Mir fällt ein Stein vom Herzen!! Ich bin ja schon mit ihr verlobt!!“
„Donnerwetter!! – Etwa als Kanzleisekretär Hennig …?“
„So halb und halb ja. – Komm’ weiter, – ich werde beichten …“
Am Vormittag gegen neun Uhr erschien Viktor bei seiner Mutter, um diese schonend auf die Geschehnisse und Enthüllungen der vergangenen Nacht vorzubereiten.
Er fand dort Professor Pinkemüller vor, der bereits in heller Entrüstung von dem ‚infamen Streich‘ berichtet hatte, der ihm von dem Konsul gespielt worden war.
Viktor hatte es daher nicht mehr allzuschwer, der Mutter beizubringen, daß sie niemals des angeblichen Schimpel rechtmäßige Gattin gewesen war.
Frau Ruhnau fiel in Ohnmacht, erholte sich aber schnell und bewies eine seltene Energie, ließ sofort ihre Koffer packen und reiste, von ihrer Jungfer begleitet, nach der Schweiz, um dort so lange zu bleiben, bis über diesen demütigenden Skandal Gras gewachsen war.
Auch mit Pinkemüller hatte Viktor ordentlich abgerechnet und reinen Tisch gemacht. Der Professor wurde dann auch bald in ein Provinznest versetzt, da seiner vorgesetzten Dienstbehörde doch so allerlei zu Ohren gekommen war, was für Pinkemüller einen Luftwechsel angebracht erscheinen ließ.
Viktor nahm zur Führung des Haushalts die Tante Adelheid zu sich, die wieder in der blonden Madonna eine fleißige Stütze fand. Kein Wunder, daß ich daher bei Ruhnaus jetzt ein sehr häufiger Gast wurde, – doch nicht zu lange.
Im Herbst feierten wir still in ganz kleinem Kreise Hochzeit. Trauzeugen warnen Tory und Haßfeld. Aber auch Ihle und Spengler hatten wir eingeladen. Ersterer erzählte mir dann bei der Hochzeitstafel, daß die Lahore-Vase der englischen Regierung zur Verfügung gestellt, und daß der unheimliche Kunstgegenstand nachher von den Priestern des Brahmatempels in Lahore als Eigentum glatt verleugnet worden sei, ebenso wie die Brahmanen auch bestritten hätten, je eine solche Vase mit einem Fürstinnenkopf im Innern besessen oder gar einen der ihren als Verfolger irgendwelcher Diebe nach Deutschland gesandt zu haben. Wo die Vase jedoch geblieben sei, wisse niemand, da sie auf rätselhafte Weise auf dem Transport nach dem Britischen Museum in London verschwunden wäre.
„Vielleicht steht sie bereits wieder in einem geheimen Gelaß des Brahmanentempels in Lahore!!“ fügte Ihle vielsagend hinzu.
Was ich über die Lahore–Vase zu berichten wußte, habe ich getan; was meine Madonna und mich anbetrifft, so mag der Leser selbst entscheiden, ob wir glücklich sind. Wir haben uns in drei Jahren ‚Ehekrieg‘ erst ein einziges Mal gezankt, und dies wegen des Namens unseres Stammhalters. Hilde stimmte für Karl, ich für Viktor. Und ich habe gesiegt.
Der Junge heißt Viktor Karl Ernst Wilde …!
Torys ‚erster‘ soll Karl Viktor Ernst heißen, – aber vorläufig ist Tory leider noch Junggeselle, trägt Monokel wie früher und ist der eleganteste und vielleicht der tüchtigste Großkaufmann Danzigs.